17. Mai 2024
Menschen, die zur Miete wohnen, wenden in Deutschland durchschnittlich 27 Prozent ihres Einkommens dafür auf. Das heißt: Mehr als ein Viertel des Jahres arbeiten sie nicht in die eigene Tasche, sondern in die ihres Vermieters.
Eine Skulptur vor einem Wohnhaus in Berlin Pankow.
Wir brauchen einen Gedenktag für Mieter, um auf die horrenden Mieten in großen Städten aufmerksam zu machen. Diese fantastische Idee regte der Ökonom Patrick Kaczmarczyk kürzlich auf Twitter an. Er verwies auf die hohen Mietpreise in Berlin Kreuzberg im Jahr 2024, wo knapp 1.700 Euro warm für 60 Quadratmeter anfallen können und fragte: »Wann Mieter-Gedenktag?«
Ja, warum denn eigentlich nicht? Immerhin gibt es allerlei obskure Gedenktage, die neoliberale Organisationen in den letzten Jahren begründet haben. Etwa den Steuerzahlergedenktag des sogenannten Bundes der Steuerzahler, oder den Sozialabgabengedenktag der Stiftung Marktwirtschaft. Was sind das für Gedenktage? Nun, diese Organisationen verweisen gern auf die ach so hohe Abgabenlast in Deutschland und behaupten dann: Die erste Hälfte des Jahres arbeiten wir alle eigentlich nur für den Staat.
Sehen wir uns das anhand eines Beispiels an: Der Steuerzahlergedenktag im Jahr 2023 fiel auf den 12. Juli. Damit ist gemeint: Durchschnittlich müssen die Deutschen 52,7 Prozent ihres Einkommens in Form von Sozialabgaben und Steuern abtreten. Erst nach 52,7 Prozent des Jahres arbeiten sie in die eigene Tasche.
»Für die Bürger macht es wohl kaum einen Unterschied, ob sie dieses Geld vom Brutto-Lohn abgezogen bekommen oder ob sie dies in einer durchprivatisierten Gesellschaft von einem höheren Netto-Einkommen bezahlen müssten.«
Das ist aus mehreren Gründen ein billiger Taschenspielertrick: Erstens zahlen viele Arbeitnehmer deutlich weniger Geld in Form von Steuern und Sozialabgaben an den Staat, es handelt sich hierbei um einen Durchschnitt. Zweitens ist es ja nicht so, dass das Geld einfach weg ist. Es landet beispielsweise in öffentlichen Krankenversicherungen. Würden diese privatisiert werden, wäre das wohl kaum billiger – man blicke nur in die USA.
Auch viele andere Ausgaben des Staates werden auf diese Weise finanziert, egal ob Schulen oder Straßenlaternen. Für die Bürger macht es wohl kaum einen Unterschied, ob sie dieses Geld vom Brutto-Lohn abgezogen bekommen oder ob sie dies in einer durchprivatisierten Gesellschaft von einem höheren Netto-Einkommen bezahlen müssten.
Damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich kann man berechtigte Kritik an den hohen Abgaben üben. Schöner wäre es, die Arbeitnehmer hätten mehr netto vom brutto. Wenn man dann aber dieselben staatlichen Leistungen haben will, muss das Geld von woanders kommen.
Da gäbe es zwar genug Möglichkeiten: Man könnte die Unternehmenssteuern wieder anheben, die in den letzten Jahrzehnten halbiert wurden, oder man könnte die Einkommensteuer für Reiche erhöhen, die ebenso reduziert wurde. Genau das wollen Organisationen wie der Bund der Steuerzahler aber nicht. Die nutzen die hohen Abgaben der Normalbevölkerung als Grund dafür, die Steuern für alle zu senken – auch für die Reichen.
Um dieser Demagogie zu begegnen, sollte man auch von links Gedenktage einführen. Etwa den zitierten Mietergedenktag: Laut Statistischem Bundesamt wenden deutsche Mieter knapp 27 Prozent ihres Netto-Einkommens für die Miete auf. Heißt: Mehr als ein Viertel dessen, was Lohnabhängigen vom Nettoeinkommen noch bleibt, wandert direkt an die Vermieter – Tendenz steigend. Denn seit 2022 sind die Mieten in den Großstädten weiter explodiert, da die Vermieter die gestiegene Nachfrage zu leistungslosen Preiserhöhungen nutzen können. Wir brauchen daher einen Mietergedenktag – mal sehen, ob der dann auch so groß besprochen wird wie der Steuerzahlergedenktag.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.