14. April 2021
Hartnäckig hält sich das Argument, Geflüchtete seien für die Aufnahmeländer eine ökonomische Belastung. Nicht einmal Befürworter einer fortschrittlicheren Asylpolitik hinterfragen das. Doch die Annahme fußt auf einer verfehlten Wirtschaftsdoktrin.
Über ein Drittel aller in Schweden arbeitenden Ärtzinnen sind Migrantinnen.
In der öffentlichen Debatte um Flucht und Asyl geraten die vermeintlichen Kosten für die Aufnahmeländer oft so sehr in den Fokus, dass die Gründe, die Menschen zur Flucht zwingen, weniger Beachtung finden. So etwa in Schweden, dem Land in dem ich lebe.
Im vergangenen Sommer bekam meine Tochter Schmerzen im linken Fuß, nachdem sie sich den Knöchel verdreht hatte. Da die Schmerzen anhielten, gingen wir in die örtliche Klinik. Ich bin in dieser Klinik Ärztinnen aus dem Irak, Rumänien und Syrien begegnet. Das war kein Zufall. Mehr als 30 Prozent aller Ärzte in Schweden sind im Ausland geboren. Meine Tochter wurde von einem Arzt aus Deutschland untersucht, der sie schnell zum Röntgen ins Hauptkrankenhaus überwies.
Wir fuhren mit dem Taxi dorthin. Etwa die Hälfte der schwedischen Taxifahrerinnen und Taxifahrer kommt aus dem Ausland, und die große Mehrheit von ihnen sind Geflüchtete. Der Fahrer setzte uns ab und man weiste uns zur Röntgenabteilung. Höchstwahrscheinlich kam auch die Krankenschwester, die sich in der Röntgenabteilung um meine Tochter kümmerte, aus dem Ausland. Fast 15 Prozent der Pflegekräfte, die in Schweden arbeiten, sind nicht dort geboren. Im Krankenhaus trafen wir auf ein Team von Reinigungskräften. 60 Prozent der Reinigungskräfte in Schweden sind Migrantinnen und Migranten. Die meisten von ihnen sind geflüchtet und arbeiten in Schweden für einen sehr geringen Lohn.
Das Röntgenbild zeigte glücklicherweise keine Fraktur, und so machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle. Mehr als die Hälfte derjenigen, die Schwedens Busse und Straßenbahnen fahren, sind in einem anderen Land geboren – fast alle von ihnen sind als Geflüchtete nach Schweden gekommen. Ich denke, ich habe meinen Punkt klar gemacht.
Geflüchtete leisten in Schweden lebenswichtige Arbeit, ohne die die schwedische Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr funktionieren würde. Fast 30 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege sind Migrantinnen und Migranten – in der Region Stockholm sind es sogar etwa 55 Prozent. Fast alle sind Geflüchtete. Diese Tatsache findet in der öffentlichen Debatte in Schweden keine Beachtung, und dass obwohl selbst die schwedische Regierung diesen Umstand nicht mehr leugnet und in einem Bericht aus dem Jahr 2018 bekundete: »Ohne die im Ausland geborenen Frauen und Männer hätte die Altenpflege erhebliche Probleme, ihre Aufgabe zu erfüllen.«
Diese Zahlen sind für jeden öffentlich einsehbar. Dennoch wird diese Realität in den nationalen und europäischen Debatten über Asyl und Migration hartnäckig ausgeblendet. Anstatt zu betonen, welche realen Vorteile Geflüchtete und Arbeitsmigration für EU-Länder bringen und eine Politik zur Verbesserung der oft prekären Situation der Migrantinnen und Migranten zu betreiben, hat das politische Establishment genau das Gegenteil getan. Es hat innerhalb der Europäischen Union eine vergiftete Debatte über die vermeintlich negativen Auswirkungen der Migration befeuert – wenn auch die Einwanderung von sogenannten »hochqualifizierten« Migrantinnen und Migranten manchmal nachsichtiger diskutiert werden. Zugleich finden die Folgen dieser Abwanderung kaum Beachtung. So mangelt es der EU etwa an Fachkräften im Gesundheitswesen, doch dieser Mangel ist gering, wenn man ihn mit dem Mangel in den Ländern des Globalen Südens vergleicht, aus denen viele EU-Länder Ärztinnen und Krankenpfleger rekrutieren. Jene Länder, in denen medizinisches Personal am meisten fehlt, werden so noch weiter ausgezehrt, indem ihre ausgebildeten Arbeitskräfte von den wohlhabendsten Ländern der Welt abgeworben werden.
Ein wesentlicher Bestandteil dieser Debatten ist die allgegenwärtige Kostenperspektive auf Migration, die als eines der mächtigsten Gegenargumente gegen die Migrationsrealität der EU in Stellung gebracht wird. Heute sind sich nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern auch Forschende darüber einig, dass die Geflüchteten, die von der Europäischen Union aufgenommenen werden, eine hohe Kosten- und Steuerlast für die Aufnahmegesellschaften darstellen. Während Forschende diese Schlussfolgerung aus einer scheinbar neutralen Buchhaltungsbilanz ziehen – Geflüchtete erhalten mehr Sozialhilfe als sie an Steuern einzahlen –, nutzen Politik und Medien diese »wirtschaftswissenschaftliche« Erzählung, um eine restriktive Asylpolitik zu fordern und zu legitimieren.
Politiker und Wirtschaftswissenschaftlerinnen mögen niedrig entlohnte und gering qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten zwar für notwendig halten, aber nur sofern ihr Zugang zu Sozialleistungen beschränkt wird. Dies gilt jedoch nicht für Geflüchtete. Da diese nicht vom ersten Tag an arbeiten und Steuern zahlen können und möglicherweise Kinder mitbringen, sind Geflüchtete zunächst immer auf Sozialhilfe angewiesen. Sie gelten daher per Definition als »fiskalische Belastung«. Aus Sicht der Forschung ist dies eine wissenschaftliche Tatsache, und so kann die Forschung nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Abwehr von Geflüchteten als eine Voraussetzung für die fiskalische Tragfähigkeit des Sozialstaates dargestellt wird. »Je geringer die Qualifikation und das Einkommen der Migranten im Aufnahmeland sind, desto mehr spricht aus rein ökonomischer Sicht einiges dafür, einen Teil ihrer Wohlfahrtsansprüche einzuschränken, um die Kosten für die Bevölkerung zu minimieren«, schreibt Migrationsexperte Martin Ruhs in seinem Buch The Price of Rights: Regulating International Labour Migration. »Rein ökonomisch« soll bedeuten, dass die vorliegende Frage weder im Bereich der politischen Entscheidungen begründet noch entschieden ist. Vielmehr sollen die ökonomischen Gesetze der fiskalischen Tragbarkeit eingrenzen, was als politisch machbar gilt.
Laut dem Ökonomen Branko Milanovic »droht die Ankunft von Migranten die Leistungen, die Bürgerinnen und Bürger reicher Länder genießen, zu schmälern oder zu verwässern, was nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch Gesundheits- und Bildungsdienste umfasst«. Ja, Du hast richtig gelesen. Migrantinnen und Migranten, die im Gesundheitswesen arbeiten, verwässern angeblich »die Leistungen, die die Bürgerinnen und Bürger reicher Länder genießen«. Die Aufnahme von Migranten mit niedrigem Einkommen »erfordert daher die Vorenthaltung einiger bürgerlicher Rechte«, behauptet Milanovic. »Wir können über die Schärfe des Kompromisses diskutieren, aber seine Existenz nicht leugnen«, schreibt er in seinem Buch Global Inequality: A New Approach for the Age of Globalization. Um Wege zu finden, um »für eine verstärkte Migration zu bezahlen«, ist eine solche Vorenthaltung von Rechten für Migrantinnen und Migranten – oder »diskriminierende Behandlung«, wie er es nennt – sowohl notwendig als auch vorteilhaft für alle, argumentierte er in der Financial Times. In diesem Zusammenhang schlägt er vor, dass Migrantinnen und Migranten »höhere Steuern zahlen [könnten], da sie die größten Nettoempfänger der Migration sind«.
Abschließend noch eine weitere repräsentative wissenschaftliche Ansicht, die in der Zeitschrift International Migration der Internationalen Organisation für Migration (IOM) veröffentlicht wurde:
»Geflüchtete stellen zumindest kurz- und mittelfristig eine fiskalische Belastung für die Aufnahmeländer dar. Unter diesen Bedingungen kann die Migration von Geflüchteten nicht dazu beitragen, die altersbedingte fiskalische Belastung der Aufnahmegesellschaften zu mindern, im Gegenteil, sie trägt zu deren Verschlimmerung bei. Wenn also die Mehrheit meint, dass Geflüchtete eine fiskalische Belastung darstellen (sie ›nehmen mehr aus der öffentlichen Kasse heraus, als sie einzahlen‹), so hat sie diesmal nicht unrecht. Es ist nicht möglich, mit soliden empirischen Beweisen dagegen zu argumentieren. Natürlich ist das Argument der moralischen (und rechtlichen) Verpflichtung zur Aufnahme von Geflüchteten immer noch gültig, aber es kann nicht mit weiteren ökonomischen Argumenten untermauert werden. Die moralische Verpflichtung und der ökonomische Nutzen stehen hier im Konflikt.«
Hier ist die Mehrheitsmeinung in Übereinstimmung mit der Wissenschaft. Die politischen Parteien der extremen Rechten haben dieses Stück »Wirtschaftswissenschaft« schon immer in ihren Parteiprogrammen und Wahlkampf-Slogans ausgeschlachtet. Wie in dem Zitat behauptet wird, ist die Tatsache, dass Geflüchtete eine »fiskalische Belastung« darstellen, »nicht mit soliden empirischen Beweisen zu widerlegen«. Und da eine fiskalische Belastung per Definition in der öffentlichen Debatte ein Synonym für etwas sehr Negatives ist, darf man sich nicht wundern, wenn Politikerinnen, Politiker und die Öffentlichkeit diejenigen, die die Belastung ausmachen – also die Geflüchteten– ebenfalls als unerwünscht empfinden.
Diesem Vorwurf entgegnen die Befürworterinnen und Befürworter der Kostenperspektive einfach, dass es dem wissenschaftlichen Ethos widerspräche, die Wahrheit über die Migration von Geflüchteten – oder jede andere als kostspielig empfundene Migration – zu verschleiern. Und dies würde eine noch schlechtere Grundlage für den Beginn der Integration darstellen. Einige würden noch hinzufügen, dass eine Manipulation der Wahrheit populistische, migrationsfeindliche Perspektiven nur noch weiter befeuere – eine besonders häufige Erwiderung von Mainstream-Politikern und -Wissenschaftlerinnen, die ihre Distanz zur extremen Rechten markieren wollen.
Da die Grundprinzipien und die Mathematik der Kostenperspektive kaum in Frage gestellt werden, hat sie den Anschein einer unanfechtbaren Wahrheit erlangt. Aber diejenigen, die behaupten, dass sie sich auf die Seite der Sachlichkeit schlagen, um nicht der einwanderungsfeindlichen Rechten in die Hände zu spielen, verleihen dem Narrativ der »fiskalischen Belastung« nur noch mehr Glaubwürdigkeit, wenn sie darauf bestehen, dass dieses kategorisch anzuerkennen sei.
Doch die Kostenperspektive baut auf einer fehlerhaften ökonomischen Konzeption. Das ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass die Migrationsforschung und -politik sehr stark durch die orthodoxe »Sound finance«-Doktrin geprägt ist – also die Annahme, dass Regierungen genauso Budgetbeschränkung unterliegen wie auch Privathaushalte, Kommunen und Unternehmen. Die Annahme ist, dass das Geld, das für Geflüchtete ausgegeben wird, durch Steuererhöhungen oder »riskante« Kreditaufnahmen ausgeglichen werden müsse oder durch die Streichung von Mitteln aus anderen Bereichen, wie etwa Sozialleistungen für bedürftige Bürgerinnen und Bürger.
Für Länder, die ihre eigenen Währungen ausgeben, gilt dies jedoch nicht. Da die Zentralregierung das Währungsmonopol besitzt, folgt daraus, dass sie die Währung notwendigerweise ausgeben oder (über das Bankensystem) ausleihen muss, bevor sie sie in Form von Steuern wieder einnehmen kann. Staatshaushalte sind also das genaue Gegenteil von Gemeinden, Unternehmen und Privathaushalten, die erst Geld verdienen oder leihen müssen, bevor sie es ausgeben können; sie sind reine Nutzer des Geldes, nicht Emittenten. Wie die Modern Monetary Theory (MMT) besagt, sind währungsausgebende Regierungen nicht einkommensbeschränkt.
Das bedeutet, dass die Steuern, die von der Zentralregierung erhoben werden, nicht zur Finanzierung der Staatsausgaben verwendet werden. Zentralstaatliche Steuern erfüllen andere unverzichtbare Funktionen und Zwecke. Indem sie dem privaten Sektor laufend einen großen Teil des Geldes – und damit der Kaufkraft – entziehen, erfüllen Steuern eine wichtige Anti-Inflationsfunktion und verschieben gleichzeitig Ressourcen vom privaten in den öffentlichen Sektor. Steuern wirken auch als Instrument zur Regulierung der Einkommens- und Vermögensverteilung und werden eingesetzt, um bestimmte Branchen, Berufe und Verhaltensweisen zu fördern oder einzuschränken. Von Zentralregierungen erhobene Steuern können auch noch weitere Zwecke erfüllen – aber als Einnahmequelle für Staatsausgaben dienen sie nicht. Kurz: Da die Regierung das Monopol auf die Emission ihrer Währung hat, kann die Regierung ihre eigene Währung immer ausgeben.
Wie MMT ebenso zeigt, verschwindet das ausgegebene Geld auch nicht. Das liegt daran, dass alle Ausgaben der Zentralregierung per Definition irgendwo landen müssen und somit von jemandem eingesammelt werden. Die Ausgaben des Staates sind also gleichbedeutend mit den Einnahmen des nicht-staatlichen Sektors. In der wissenschaftlichen Literatur zu den fiskalischen Auswirkungen der Migration sowie in der Finanzpolitik wird diese unumstößliche Tatsache nie berücksichtigt, was in der Tat seltsam ist. Hätte man sie ernsthaft mitbedacht, hätte man vermutlich die Grundannahme von der vermeintlichen Unhaltbarkeit der Ausgaben für Geflüchtete überdenken müssen.
Warum sollte man diejenigen, die weniger als der »Durchschnitt« verdienen, als Last bezeichnen, wenn wir längst wissen, dass eine Gesellschaft ohne sie nicht möglich ist?
Noch schwerwiegender ist, dass Wissenschaftler und politische Entscheidungsträgerinnen nicht verstehen, dass wir zwischen realen Ressourcen, wie etwa Arbeit, und finanziellen Ressourcen unterscheiden müssen. Dieses Versagen spiegelt sich darin wider, dass Forscherinnen und Forscher den Wert der Arbeit, die jene 60 Prozent der migrantischen Reinigungskräfte in Schweden leisten, ignorieren. Stattdessen sehen sie diese Arbeitskräfte als fiskalische Belastung an. Da deren Steuerbeiträge unter dem Durchschnitt liegen, wird angenommen, dass sie mehr an staatlichen Sozialausgaben erhalten als sie einzahlen. Dadurch, dass sie sozusagen immer im Minus sind, könnten diese Arbeiterinnen und Arbeiter die Kosten für ihren anfänglichen Aufenthalt nicht zurückzahlen. Nach dieser Logik wäre Schweden also ohne die Reinigungskräfte, die als Geflüchtete ins Land kamen, besser dran gewesen.
Diese Argumentation ist dumm und absurd. Wer Menschen als fiskalische Aktivposten oder als fiskalische Last betrachtet, je nachdem, wie hoch ihre Steuerzahlungen ausfallen, der versteht die Gesellschaft falsch. Warum sollte man diejenigen, die weniger als der »Durchschnitt« verdienen, als Last bezeichnen, wenn wir längst wissen, dass eine Gesellschaft ohne sie nicht möglich ist? Wie sähe die Gesellschaft aus, wenn niemand in der Lebensmittelproduktion arbeiten würde, wenn niemand putzen, Kinder und alte Menschen betreuen, Busse fahren oder als Hilfskraft in der Krankenpflege arbeiten würde?
Der tatsächliche Beitrag, den migrantische Arbeitskräfte für die schwedische Gesellschaft leisten, ist erstaunlich. Da weniger in Schweden geborene Arbeitende in den Arbeitsmarkt einsteigen als ihn verlassen, bilden Personen, die im Ausland geboren wurden, seit 2008 den gesamten Zuwachs an Menschen im erwerbsfähigen Alter. Zwischen 2010 und 2017 sank die Zahl der in Schweden geborenen Menschen im erwerbsfähigen Alter (16-64 Jahre) um über 150.000, während die Zahl der im Ausland geborenen Menschen im erwerbsfähigen Alter um etwa 360.000 Personen anstieg. Dieses Wachstum wird sich bis 2025 noch verstärken, wenn der Anteil der im Ausland Geborenen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter 27 Prozent erreichen wird, während er im Jahr 2010 noch bei 18 Prozent lag. Aus diesem Grund ist Schweden das einzige Land in der EU, das in den letzten zehn Jahren keinen Anstieg des Medianalters verzeichnet hat.
Entscheidend ist auch, dass die Geflüchteten in Schweden überproportional in kleineren, ländlichen Gemeinden untergekommen sind. Damit wirken sie einer jahrzehntelangen Abwärtsspirale der Entvölkerung, sinkenden Steuereinnahmen und Kürzungen bei den Sozialleistungen entgegen. Was die finanziellen Aspekte betrifft, so hat die schwedische Zentralregierung in den Jahren zwischen 2015 und 2017 die Ausgaben massiv erhöht, um die Aufnahme von 163.000 Flüchtlingen zu bewältigen. Im Jahr 2015, und viele Jahre davor, war Schweden anteilsmäßig der größte Empfänger von Asylsuchenden in der EU. Der Großteil der Gelder ging an die Kommunen, die die Geflüchteten aufnahmen. Damals vermittelte die Regierung der Öffentlichkeit, dass die Ausgaben ein notwendiges Übel seien, das sich negativ auf die schwedische Wirtschaft und den Sozialstaat auswirken würde – das war die Botschaft, die von der Regierung immer wiederholt wurde. Darüberhinaus warnten praktisch alle Wirtschaftsexperten einhellig vor wirtschaftlichen und finanziellen Schäden und forderten die Regierung auf, die Ausgaben zu kürzen und Sparmaßnahmen einzuführen, um Defizite und eine weitere Verschuldung zu vermeiden.
Doch während Schwedens Zentralregierung, die Wirtschaftsexpertinnen und die Medien damit beschäftigt waren, sich über die Ausgaben und das zukünftige Haushaltsdefizit Sorgen zu machen, begrüßten viele ländliche und dünn besiedelte Gemeinden abseits von Stockholm diese Ausgaben als Einnahmen. Dank der Ausgaben, die die Zentralregierung im Zusammenhang mit der Aufnahme von Geflüchteten und deren Integration getätigt hatte, war 2016 eines der besten Haushaltsjahre für die schwedischen Kommunalverwaltungen überhaupt, da praktisch alle 290 Kommunen des Landes Überschüsse erzielten.
Durch diese Ausgaben stieg der öffentliche Konsum enorm an, dies schafften Anreize für Investitionen und Beschäftigung, was das gesamte Wirtschaftswachstum ankurbelte. Da aber viel mehr Geld überwiesen wurde, als für die unmittelbaren Belange der Geflüchteten benötigt wurde, konnten sich die Kommunen auch um andere Dinge kümmern, wie etwa um soziale Belange, Schulen und Infrastruktur. Neben den positiven Auswirkungen auf das Gemeinwohl ermöglichten die staatlichen Gelder den Kommunen in vielen Fällen auch Investitionen, Einsparungen und Schuldenabbau.
Die Aufnahme von Geflüchteten – also von »realen Ressourcen« – zusammen mit der großzügigen Aufstockung der finanziellen Mittel durch die Zentralregierung erwies sich somit als eine äußerst positive Kombination für zahlreiche entvölkerte Kommunen in Schweden. Das zeigt, dass der vermeintlich unbestreitbare Trade-off zwischen den Ausgaben für Geflüchtete und den Wohlfahrtsausgaben, den Experten und zentristische Politikerinnen immer betonen, nicht stattfindet – die Aufnahme von Geflüchteten geht vielmehr mit einer gestärkten Wohlfahrt für alle einher, das bestätigt das schwedische Beispiel. Die Ausgaben für Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten ohne Staatsbürgerschaft, wurden zu einer Chance, die Tragfähigkeit der Wohlfahrt für alle wieder zu stärken.
Wenn Politiker wegen der Kosten von Migration Alarm schlagen und behaupten, dass diese die fiskalische Nachhaltigkeit des Wohlfahrtsstaates bedrohen würde, dann tun sie das meist mit Verweis auf wissenschaftliche Studien. Doch mittlerweile ist die Vorstellung, dass es einen Trade-off zwischen der Migration von Geflüchteten und dem Wohlfahrtsstaat gibt, in der öffentlichen Debatte zum Common Sense geworden. Die Debatte ist nicht, ob die Behauptung, dass Geflüchtete Kosten für den Steuerzahler bedeuten, tatsächlich zutrifft oder nicht. Die Debatte ist vielmehr, ob diese Kosten als bezahlbar erachtet werden oder nicht.
Die Asylpolitik wird immer restriktiver und die Aufenthalts- und Sozialrechte derjenigen Geflüchteten, die es noch in die Europäische Union schaffen, werden beschnitten. Es ist eine eigenartige Debatte, denn die Verteidiger der Rechte der Geflüchteten, argumentieren in der Regel, dass Menschenrechte niemals einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen werden dürfen. Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile niemand mehr in Frage stellt, ob die Aufnahme von Geflüchteten tatsächlich Kosten verursacht, ist diese Position verständlich. Was aber, wenn diese Annahme falsch ist? Denn tatsächlich ist es genau umgekehrt. Die Aufnahme von Geflüchteten ist nicht kostspielig, vielmehr handelt es sich dabei um einen Zuwachs von »realen Ressourcen« in Aufnamegesellschaften, wie die Momentaufnahme der schwedischen Realität zeigt.
Die Staatsausgaben für Geflüchtete tun genau das, was Staatsausgaben immer tun: Sie fließen als Einkommen in andere Wirtschaftssektoren. Diejenigen, die für Menschenrechte eintreten, müssen »die Wirtschaft« nicht als Feindbild betrachten. Die Aufnahme von Geflüchteten in der EU ist kein wirtschaftliches oder fiskalisches Opfer.
Um eines klarzustellen: Ich sage nicht, dass Schweden oder die EU nur deswegen Geflüchtete aufnehmen sollten, weil es Schweden und der EU nützt. Sie sollten es tun, um ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen und Zusagen zu erfüllen. Und in wirtschaftlicher Hinsicht sollte es keine Bedenken geben.
Peo Hansen ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Linköping. Er ist Autor mehrere Publikationen über die Europäische Integrationspolitik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem »Eurafrica: The Untold History of European Integration and Colonialism« (2014, Co-Autorschaft mit Stefan Jonsson) und zuletzt »A Modern Migration Theory: An Alternative Economic Approach to Failed EU Policy« (2021).
Peo Hansen ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Linköping. Er ist Autor mehrere Publikationen über die Europäische Integrationspolitik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem »Eurafrica: The Untold History of European Integration and Colonialism« (2014, Co-Autorschaft mit Stefan Jonsson) und zuletzt »A Modern Migration Theory: An Alternative Economic Approach to Failed EU Policy« (2021).