22. März 2024
Die Rechtsextremen haben es geschafft, das »Migrationsproblem« im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu platzieren. Als Nächstes werden sie ihre Fackeln an die Demokratie anlegen – wenn wir nicht vorher einschreiten.
»Die Identitäre Bewegung öffnet den Rechten eine Tür zur ›Politik der Angst‹.«
Ende 2022 löste sich das Unteilbar-Bündnis auf. Nachdem die zivilgesellschaftliche Initiative 2018 und 2019 Hunderttausende im Namen der »freien und offenen Gesellschaft« auf die Straßen Berlins und Dresdens gebracht hatte, gelang es ihr nicht mehr, eine vergleichbare Mobilisierung gegen die Asylverschärfung der Ampelkoalition oder die steigenden Umfragewerte der AfD zustande zu bringen. »Die Dynamik«, so Mitgründerin Franziska Nedelmann, sei schlicht »verloren gegangen«.
Ein Jahr später zeigen Millionen Demonstrierende, dass das Potenzial offenbar doch gegeben ist. Die Correctiv-Recherche über das »Geheimtreffen« in Potsdam hat das Land aufgerüttelt, wie kaum ein Bericht zuvor. Doch an was wird da überhaupt gerüttelt?
Zum einen ist dies die von Armin Laschet bei einer Rede in Aachen auf den Punkt gebrachte Möglichkeit, dass ein rechter Mob wie einst die NSDAP »Deutschland rücksichtslos germanisieren« wolle. Die Geschichte lehre, dass es sehr schnell gehen könne – auch 1933 hätten viele geglaubt, es sei noch Zeit, doch »in zwei Monaten war alles zerstört«. Zum anderen drückt sich in Schildern mit Aufschriften wie »Merz ist mitgemeint« eine allgemeinere Kritik aus, die über eine Ablehnung der AfD deutlich hinausgeht.
Um die Proteste zu verstehen, muss man sich beides gemeinsam vor Augen führen. Einen Ansatz dazu bot die Politikwissenschaftlerin Lea Ypi nur wenige Tage vor dem Potsdamer »Geheimtreffen«. Sie schreibt:
»Der Autoritarismus ist nicht ganz oder gar nicht, er ist ein Prozess. Die Darstellung von Migration als Problem ist das trojanische Pferd, das die Demokratie in Brand setzen wird. Die Rechte hat eine europäische Vorhut der Zerstörung aufgestellt: Sie versucht, das auf die Zukunft ausgerichtete Projekt der Integration durch den gefährlichen Mythos einer vergangenen organischen Einheit zu ersetzen.«
Wenngleich die gegenwärtigen Proteste nicht auf einen Begriff zu bringen sind, adressieren sie doch das Gefühl, das dieser Erkenntnis zugrunde liegt. Darum bringt es wenig, wenn zum Beispiel Karin Prien von der CDU im Deutschlandfunk als Antwort auf die Proteste betont, man müsse die AfD und vor allem ihre Dexit-Pläne entzaubern. Dieser Fokus zeigt vielmehr – gerade im Vorfeld der Europawahlen – eine grundlegende Fehleinschätzung rechter Trends.
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Frank Wolff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Forschung) der überparteilichen Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung mit Sitz in Berlin und Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück.