06. Dezember 2024
Ein neuer Trend möchte den Feminismus niedlicher machen. Er ist Symptom einer Gesellschaft, die die Hoffnung aufgegeben hat, dass es wirklich anders gehen könnte.
»Die Work-Life-Balance der meisten Frauen ist eine Work-Work-Balance: eine Balance zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit.«
Wenn erwachsene Frauen eine Auszeit brauchen, Spaß haben oder sich gut fühlen wollen, dann müssen sie zu Mädchen werden – zumindest wenn es nach Trends der Popkultur geht: Sie können einen entspannenden »hot girl walk« machen, sie können sich liebevoll ein »girl dinner« anrichten oder sich mit ihren Freundinnen treffen, die selbstredend auch zu Mädchen werden, nämlich den »girlies«. Der populärste Film der letzten Jahre, der als zeitgeistiger Kommentar über das Leben als Frau in unserer Gesellschaft gefeiert wurde, war Greta Gerwigs Barbie. Ein beliebter Trend, der unter jungen Frauen Gemeinschaftsgefühle stiften soll und das Mädchensein ästhetisiert, nennt sich »girlhood«. Das Pop-Phänomen unserer Zeit ist Taylor Swift, die Lieder über Jungs schreibt, die ihr in der Highschool das Herz gebrochen haben.
Diese Romantisierung der Mädchenhaftigkeit könnte man als Symptom einer Gesellschaft deuten, die vielen erwachsenen Frauen keine sonderlich verheißungsvolle Perspektive zu bieten scheint: Unter vielen von ihnen hat sich ein anhaltender Erschöpfungszustand verfestigt. Aus einer Popkultur, die Frauen sagt: »Ihr seid nur Mädchen«, ist ein Trend entstanden, der diese Haltung in die Arena der Politik hineinträgt. Die Verniedlichung der Frau hat jetzt auch im Feminismus ein Pendant gefunden – auch der ist kleiner geworden. Mikrofeminismus nennt sich dieses Phänomen.
In dem millionenfach geklickten viralen TikTok-Video, das den Trend auslöste, spricht die Userin Ashley Cheney, ein selbsternanntes »girl’s girl«, über ihre persönliche E-Mail-Etikette am Arbeitsplatz. Wenn die Assistenz eines CEOs eine Frau sei, tippe sie die Mailadresse der Assistentin in der Adresszeile immer zuerst ein. Das bemerke vermutlich niemand, aber gebe ihr das Gefühl, der anderen Frau zu signalisieren: »Hey, ich sehe dich.« Mikrofeminismus zielt darauf ab, durch kleine Gesten im Alltag Sexismus und stereotype Geschlechterbilder zu demontieren.
Neben dem Arbeitsplatz ist vor allem auch das Privatleben Gegenstand vieler dieser Posts. Es geht um die Organisation des Alltags, die Beziehung, die Kinderbetreuung, die Hausarbeit. In einem Video, das mit verträumten Klavierklängen unterlegt ist, die ein wohliges Wellness-Gefühl versprühen, sieht man einen Mann, der Wäsche in eine Waschtrommel legt: »Er weiß, bei wie viel Grad gewaschen werden soll.« In einem anderen Post erzählt eine Mutter, ihr Partner würde vor Urlauben das Gepäck der gemeinsamen Kinder packen.
Viele Frauen werden sich in den thematisierten Situationen vermutlich wiedererkennen. Denn es sind größtenteils Frauen, die den Alltag regeln, sich um den Haushalt kümmern, Familienmitglieder und Kranke pflegen. Sie haben unzählige To-dos im Kopf, die unsichtbar bleiben. Die psychische Belastung dieses konstanten Geratters im Kopf – der sogenannte Mental Load – ist enorm, weil hier nicht einfach Erledigungen abgearbeitet werden, sondern die Verantwortung für andere Menschen auf einem lastet. Es sind Aufgaben, die man nie abhaken kann, weil sie laufend neu anfallen. All das ist wahr. Und es geht nicht darum, Frauen diese Erfahrungen abzusprechen.
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Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.