24. März 2025
Auf den Sozialismus sind die meisten Menschen in Polen nicht gut zu sprechen. Doch die Milchbars, die im Realsozialismus entstanden, um Frauen von der »Küchensklaverei« zu befreien, sind bis heute bei der breiten Bevölkerung beliebt.
Milchbar im Stadtteil Nowe Miasto in Warschau.
Im Zentrum der polnischen Hauptstadt Warschau verläuft die Straße Nowy Świat – die »Neue Welt«. Sie wurde im 18. und frühen 19. Jahrhundert im neoklassizistischen Stil erbaut und nach der fast vollständigen Zerstörung Warschaus durch Nazi-Deutschland im Jahr 1944 sehr sorgfältig rekonstruiert. Sie ist das Herz des bürgerlichen Polens; der Ort, an dem die Gewinner des »Übergangs« zum Kapitalismus nach 1989 in schicken Bars trinken, überteuerte Waren verschiedenster Art kaufen und auf den breiten Trottoirs in Richtung der Touristenfallen der Altstadt flanieren.
Wer die Straße zum ersten Mal entlangläuft, dem wird der hyperpräsente Wohlstand auffallen, aber mit ziemlicher Sicherheit nicht die kleine Bar Familjny. Diese ist ein unscheinbares Esslokal neben einem »französischen« Café namens Croque Madame und gegenüber dem Thai Bali Spa. Wenn man die Bar Familjny betritt, wird man aus dem inzwischen recht austauschbaren Straßenbild des heutigen Eurokapitalismus herausgerissen und in eine völlig andere Welt versetzt.
Die »Bar« ist ein typisches (wenn auch ungewöhnlich zentral gelegenes) Beispiel für eine sogenannte Bar Mleczny, zu Deutsch »Milchbar«. Im Englischen wurde dieser Begriff gelegentlich, meist in den Nachkriegsjahren, für alkoholfreie Bars verwendet, die sich explizit an Minderjährige richteten, um sie davon abzuhalten, eine Vorliebe fürs Trinken zu entwickeln. Eine polnische Bar Mleczny ist jedoch etwas anders: sie ist der wohl großartigste Überlebende des oft verspotteten, aber fortbestehenden Erbes der staatssozialistischen Planung, eine Institution der proletarischen Ernährung.
Das Erste, was dem Gast auffällt (vielleicht mit Hilfe einer Übersetzungsapp, da Touristen und Nicht-Polnischsprachige nicht zur üblichen Kundschaft der Milchbars gehören), ist, dass das Essen wahnsinnig günstig ist. Sobald man sich für ein Gericht entschieden hat, stellt man sich an einer kleinen Nische an. Man sagt, was man möchte, zahlt und erhält einen Bon. Mit diesem Bon geht man zu einer größeren Nische, von der aus man die Küche sehen kann, und gibt ihn einer uniformierten Angestellten, in der Regel mittleren Alters oder älter. Diese schaufelt dann die einzelnen Bestandteile des Gerichts auf den Teller. Man setzt sich hin und isst. Wenn man fertig ist, stellt man den Teller und das Besteck in eine Ablage – so etwas Unterwürfiges wie Bedienungspersonal gibt es nicht.
Dieses System hat natürlich auch Nachteile. Ich selbst war nur ein, zwei Mal in einer Milchbar, die eine Toilette hatte. Und weil gerade zur Mittagszeit immer viele Leute anstehen, ist man nicht zum Verweilen eingeladen; man isst und geht dann sofort, ob nach Hause oder zurück zur Arbeit. Aber man kann für umgerechnet etwa 5 Euro ein anständiges Drei-Gänge-Menü mit Suppe, Hauptgericht und einem Stück Kuchen bekommen – und das in einem Land, in dem die Lebenshaltungskosten inzwischen fast mit denen von Ländern wie Deutschland vergleichbar sind.
»Nach 1989 ging man davon aus, dass die Milchbars allesamt verschwinden würden, da die Menschen sich entweder für McDonald’s oder für Nobelrestaurants entscheiden würden. In Polen ist das aber nicht geschehen.«
Das Menü in einer durchschnittlichen Milchbar wird regelmäßig je nach Angebot und Laune geändert, basiert aber immer auf traditionellen polnischen Spezialitäten: Vielleicht einen Borschtsch (Barscz auf Polnisch) oder die saure Suppe Żurek als Vorspeise? (Hier ein kleiner Hinweis: Wenn man gut aufpasst, kann man in einer »Milchbar« auf Milchprodukte und Fleisch verzichten; Veganer sollten trotzdem beachten, dass in vielen Suppen ein gekochtes Ei schwimmen kann.) Danach gibt es Pierogi mit diversen Füllungen, dazu Karottensalat, Buchweizengrütze (Kasza) oder Kartoffeln und zum Abschluss ein Stück Kuchen. Dazu trinkt man am besten ein Glas Kompot, ein Getränk aus zerdrücktem Obst, in dem normalerweise noch frische Früchte schwimmen. Das Essen ist frisch, aus der Region, und während man zwar keine überragenden Gaumenverzückungen erwarten sollte, ist es solide und gut: Die warmen Speisen tun im kalten Winter gut – und im Sommer freut man sich auf den unverschämt guten Chłodnik (kalten Borschtsch).
Die beschriebenen Abläufe in einer Milchbar erscheinen uns auch heute bekannt – eine Kultur des Anti-Service, in der man sich selbst bedient, Trinkgelder nicht existieren und hin und wieder ein derbes Wort fallen mag –, aber als Idee reichen sie bis in die frühesten Tage des Sozialismus (sowohl von oben als auch von unten) im frühen 19. Jahrhundert zurück. Man kann sie gleichermaßen in den Arbeitergenossenschaften im Norden Englands und in den riesigen utopischen Gemeinschaftsspeisesälen finden, die sich Charles Fourier vorstellte und die Robert Owen in New Lanark teilweise verwirklichte. In Polen wird die Idee der Milchbar von einigen auf das späte 19. Jahrhundert datiert, als ein Teil des heutigen Polens, einschließlich Warschau, noch unter zaristisch-russischer Besatzung stand. Milchbars boten lokal produzierte Lebensmittel an, um vor allem die polnischen Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen. Es gab keinen Alkohol, der die Sinne der polnischen Arbeiterschaft trüben würde, und auch wenig Fleisch, was die Lebensmittel sowohl billiger als auch gesünder machte. Die typische, heute noch existierende Bar Mleczny wurde jedoch meist zwischen 1945 und 1989 eröffnet. Diese Kantinen sind der Inbegriff preisgünstiger Gemeinschaftseinrichtungen, die von sozialistischen Regierungen gebaut und gefördert wurden. Das Besondere an diesen Institutionen ist, dass sie – aus komplizierten und überraschenden Gründen – bis heute überdauert haben.
»Sowohl für Wladimir Lenin als auch für Alexandra Kollontai bestand eine der zentralen Aufgaben der revolutionären Regierung darin, die Frauen der Arbeiterklasse von der ›Küchensklaverei‹ zu befreien.«
Gemeinsames Essen wurde von bolschewistischen Denkerinnen und Denkern von Anfang an für äußerst wichtig erachtet. Dies war zum Teil eine Folge ihres revolutionären Feminismus. Sowohl für Wladimir Lenin als auch für explizit emanzipatorisch denkende Menschen wie Alexandra Kollontai bestand eine der zentralen Aufgaben der revolutionären Regierung darin, die Frauen der Arbeiterklasse von der »Küchensklaverei« zu befreien. In der Textilindustrie von St. Petersburg beispielsweise arbeiteten Frauen den ganzen Tag in Fabriken und gingen dann nach Hause, um für ihre Männer zu kochen (und zu putzen). Die frühen sowjetischen Pläne für entsprechende Kantinen waren überaus ambitioniert und wurden in avantgardistische Architektur und Stadtplanung eingebunden. Einige wenige Überreste dieses Programms sind in den Großstädten Russlands (und in deutlich größerem Umfang in der Ukraine) erhalten geblieben.
Als ich in den 2010er Jahren für ein Buch über sowjetische Architektur recherchierte, machte ich mich auf die Suche nach einigen dieser Gebäude. Was ich sah, war oft traurig. In St. Petersburg – damals natürlich Leningrad – wurde Ende der 1920er Jahre ein Architektenteam, von dem einige mit Wladimir Tatlin an seinem berühmten, wenn auch nicht realisierten, Spiralturm als Hommage an die Dritte Internationale gearbeitet hatten, mit der Gestaltung von drei Gemeinschaftsküchen in den Fabrikvierteln der Stadt beauftragt. Alle drei sind heute noch erhalten, wurden aber in zwielichtige Nachtclubs oder Billigläden verwandelt. Oder schlimmer noch: Das schönste Gebäude aus dieser Dreiergruppe – ein fantastisches, dynamisches, futuristisches Gebäude im Bezirk Narwskaja Sastawa – wurde in kleinere Ladenlokale unterteilt, die heute unter anderem einen McDonald’s beherbergen. Unterdessen wurden damals in Moskau riesige Bäckereien im konstruktivistischen Stil gebaut. Eine der größten von ihnen, die Bäckerei Nr. 5, wurde in ein Museum für Konstruktivismus umgewidmet. Dies geschah im Jahr 2022 – dem Jahr der vollumfänglichen russischen Invasion in die Ukraine, einem nationalistischen Gemetzel, das die sozialistischen Modernisten und Erschaffer dieser wunderbaren Gebäude entsetzt hätte.
In den 1920er Jahren wurden Häuser teilweise so gebaut, dass ihre Bewohnerinnen und Bewohner dazu angehalten wurden, gemeinsam zu essen. Im experimentellen Narkomfin-Gemeinschaftshaus in Moskau waren Maisonette-Wohnungen durch einen Gang mit einem Restaurant, einer Bibliothek, einem Kindergarten und einer Sporthalle verbunden; auf dem Dach befand sich ein gemeinschaftlicher Dachgarten. In den Wohnungen waren die Küchen entweder winzig oder fehlten in den »vollständig kollektivierten« Wohneinheiten ganz. Die Annahme war, dass die Menschen immer in Gemeinschaftsrestaurants essen oder sich Essen von dort nach Hause mitnehmen würden. Nach den Visionen des konstruktivistischen Architekten Moisei Ginzburg würden dadurch die Bewohnerinnen vollständig von der (im frühen 20. Jahrhundert unvermeidlichen) Erwartung befreit, dass sie das Abendessen kochen müssten. In der Stalin-Ära wurde die sowjetische Esskultur viel hierarchischer. Die Träume von riesigen avantgardistischen Speisesälen, die durch optimierte, automatisierte Prozesse geleitet und von glücklichen, klassenbewussten Arbeiterinnen und Arbeitern bewirtschaftet würden, wurden durch eine Reihe von Luxusrestaurants für die Nomenklatura und einfachen Fabrikkantinen für die Basis ersetzt. Dazwischen hab es aber immer noch die Stolowaja – ein Netzwerk öffentlicher Speisesäle im ganzen Land. Das System wurde vor allem in der egalitäreren Chruschtschow-Ära ausgebaut, in der auch modernistische Glaskasten-Cafés in den größeren städtischen Zentren entstanden. Es war in gewisser Weise eine Rückkehr zu den Träumen von automatisiertem gemeinschaftlichem Luxus der 1920er Jahre.
Viele dieser späteren Stolowajas sind im heutigen Russland noch erhalten, und jedem, der schon einmal in einer polnischen Milchbar war, dürften sie sehr vertraut vorkommen (und das nicht nur, weil russische, ukrainische und polnische Gerichte einander in gewisser Weise ähneln). Ein Teil ihres Reizes liegt in der Nostalgie: viele der Stolowajas, die in den ärmeren Gegenden der Großstädte und insbesondere in postindustriellen Gebieten noch einigermaßen gut überleben, wurden seit den frühen 1990er Jahren nur selten renoviert oder modernisiert. Sie haben keinen besonderen rechtlichen Status und werden nicht vom Staat subventioniert. Darüber hinaus wurden mehrere Retro-Stolowajas eröffnet, die eine realistische Nachbildung der sowjetischen Esskultur zur Mitte des Jahrhunderts für eine Kundschaft bieten, die zum Ende oder sogar nach der Sowjetzeit geboren wurde. Das größte dieser Restaurants, Stolowaja 57, befindet sich im GUM, der aus Eisen und Glas erbauten zaristischen Einkaufspassage, von der man direkt auf den Kreml blicken kann. Die Stolowaja ist für die Gegend günstig, trieft aber vor Kitsch. Sie ist ein Ort, an dem man sich als Sowjetbürger der 1960er Jahre fühlen kann, dabei aber die beruhigende Gewissheit hat, dass der nächste Prada-Laden nur eine Minute Fußweg entfernt ist.
Polens Milchbars sind selten so spektakulär wie die übriggebliebenen Kantinen aus der Sowjetunion – obwohl Fans moderner Architektur beispielsweise die Glaspavillons aus der Nachkriegszeit in Form der Bar Sady oder Bar Rusałka (beide ebenfalls in Warschau), die als Teil von Wohnsiedlungen gebaut wurden, gefallen dürften. Im Großen und Ganzen sind Milchbars in Polen etwas ganz Gewöhnliches. Es gibt sie in großer Zahl, sie sind in der Regel proppenvoll und werden von ihren Stammgästen vehement »verteidigt«; sie sind ein lebendiger Teil der urbanen Landschaft in Polen. In jeder Stadt gibt es mehrere, nicht selten (wie im Fall der Bar Familjny) im Stadtzentrum, umgeben von den Auswüchsen des zeitgenössischen Kapitalismus. Dass sie weiterhin so zahlreich vorhanden sind, liegt nicht daran, dass die polnische Bar Mleczny der sowjetischen Stolowaja überlegen wäre. Tatsächlich waren die Stereotype, die mit jeder Diskussion über die staatssozialistische Esskultur einhergehen, in Polen und der Sowjetunion einander sehr ähnlich: In den Romanen, Filmen und Fernsehserien der 1980er und 90er Jahre wurde häufig behauptet, an diesen Orten werde ein schroffer, oft unhöflicher Umgang mit der Kundschaft gepflegt (was wahr war und ist – diese Leute sind hier, um einen Job zu erledigen, nicht um Dir einen schönen Tag zu wünschen), sie seien ungemütlich, homogen und steril (eine eher veraltete Kritik – keine heutige Bar Mleczny würde in puncto Entfremdung auch nur annähernd an ein Pret-a-Manger oder Starbucks herankommen), und das Essen sei schlecht (was, zumindest nach heutigen Milchbars zu urteilen, einfach nicht wahr ist).
Nach 1989 ging man davon aus, dass die Milchbars allesamt verschwinden würden, da die Menschen mit den Füßen abstimmen und sich entweder für McDonald’s für die Massen oder für Nobelrestaurants (in denen die Angestellten so tun müssten, als würden sie die Gesellschaft ihrer Kunden genießen) für die neue herrschende Klasse entscheiden würden. In Polen ist das aber nicht geschehen.
Milchbars haben in Polen einen besonderen rechtlichen Status. Sie wurden auch in der Vergangenheit – entgegen gewissen oberflächlich-antikommunistischen Annahmen – nicht vom Staat betrieben. Die durchschnittliche Milchbar wurde und wird von einer Verbraucher- oder Erzeugergenossenschaft und manchmal von einem Privatunternehmen geführt, und zwar unter der gesetzlichen Bedingung, dass die Preise niedrig gehalten werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Rentnerinnen, Studierende und ärmere Arbeiter (die Hauptkundschaft der Bar Mleczny) dort weiterhin essen können. Wie durch ein Wunder gelten diese Regeln auch heute noch: Milchbars werden weiterhin vom polnischen Staat subventioniert, ungeachtet der Begeisterung für die »freie Marktwirtschaft«, die bei den Wählerschaften der Mitte und der Rechten gleichermaßen verbreitet ist. Im Jahr 2011 brachte die liberal-konservative Regierung unter Premierminister Donald Tusk Pläne ein, mit denen die staatlichen Subventionen für Milchbars eingestellt werden sollten. Nach massivem Protest wurde die Maßnahme fallen gelassen. In den folgenden Jahren wurden die staatlichen Subventionen sowohl unter der illiberal-nationalistischen Regierung von Jarosław Kaczyński als auch unter der derzeitigen liberalen Koalition unter Tusk beibehalten.
»Der Aufruhr und die Kritik an der hippen Milchbar war Ausdruck der Angst, dass ein echtes Stück sozialer Infrastruktur in kitschige Nostalgie verwandelt werden könnte.«
Die anhaltende öffentliche Unterstützung ist auch den Orten zu verdanken, an denen Milchbars eingerichtet wurden. Sie waren nie nur Fabrikkantinen, die sich an die Arbeiterinnen und Arbeiter richteten, während den Chefs besseres Essen serviert wurde. Sie wurden schlichtweg überall dort eröffnet, wo es Arbeitsplätze gab. Daher finden sich einige der besten von ihnen, wie die Warschauer Bar Bambino, auch in gehobeneren Bürovierteln. Sie hatten schon immer ein gemischtes Publikum und wurden von Menschen, die zumindest einigermaßen wohlhabend sind, ebenso besucht wie von sehr jungen und sehr alten Menschen, die man am ehesten mit Milchbars in Verbindung bringt. Die Bar Mleczny ist damit eine kleine Lektion in den Tugenden des Universalismus: Obwohl es natürlich einige Leute gibt, vor allem Reiche, die nie in einer Milchbar essen würden, ist es für einen sehr großen Teil der Menschen in Polen etwas ganz Normales, in einer subventionierten Kantine aus sozialistischen Zeiten außerordentlich günstiges Essen aus der Region zu sich zu nehmen – und zwar unabhängig von ihrer politischen Einstellung, was in einem Land, das stark nach Alter und Klasse polarisiert ist, eine wirkliche Rarität ist. Um es mit den Worten des anglo-polnischen Anthropologen Michał Murawski zu sagen: Die Milchbar ist »noch sozialistisch«; sie ist ein Beispiel für egalitäre, wohlfahrtsstaatlich unterstützte und gemeinschaftliche Einrichtungen, die es nach wie vor schaffen, in einem kapitalistischen Kontext zu bestehen – und dabei überaus beliebt sind.
Es ist allerdings eine Tatsache, dass Milchbars (wie die meisten Beispiele für den Wohlfahrtsstaat im Nachkriegseuropa, ob Ost oder West) heute eher Überbleibsel sind: Bestehende Milchbars können überleben und sogar wirtschaftlich gedeihen, aber die Eröffnung einer neuen Bar Mleczny ist eine Seltenheit. Vor zehn Jahren gab es einen größeren Presserummel, als die Warschauer Bar Prasowy kurz vor der Schließung stand und durch eine Spendenaktion gerettet wurde. Anschließend wurde sie von einem »Hipster-Unternehmen« übernommen und weitergeführt. Das Design der Bar wurde durch vermeintlichen Kommunismus-Chic wie eine neue rote Leuchtreklame aufgewertet, eine Kinderecke wurde hinzugefügt, ebenso wie – der ultimative Milchbarluxus! – eine Toilette. Einige der Reaktionen waren das übliche langweilige Hipster-Bashing. Kritisiert wurde unter anderem, die Preise blieben subventioniert, aber – wie der Name und die Lage des Lokals (»Pressebar« in einem Gebiet, das einst von Zeitungsbüros dominiert wurde) bereits andeuten – es sich in erster Linie wohl kaum um eine bodenständige Bergmannskantine handelt. Um es einmal so auszudrücken: Der Aufruhr und die Kritik an der hippen Milchbar war Ausdruck der Angst, dass ein echtes Stück sozialer Infrastruktur in kitschige Nostalgie verwandelt werden könnte. Die Moskauer Stolowaja 57 lässt grüßen. Heute ist das Prasowy nach wie vor eine angenehme Bar Mleczny, wenn auch mit einer etwas jüngeren Klientel als in »normalen« Milchbars.
In Polens Politik herrscht nicht selten ein erbitterter Kulturkampf – was angesichts der Stärke einer ebenso fanatischen wie bigotten religiösen Rechten wenig überraschend ist. Dennoch gibt es in fast jeder Hauptstraße ein Beispiel für einen sozialistischen Ort, den so gut wie jeder nutzt und den jeder mag. Wenn jemand aus der Regierung oder der Wirtschaft versucht, ihn zu beseitigen, werden die Menschen, die dorthin gehen, mit ziemlicher Sicherheit protestieren. In einem Land, in dem »grüne« Themen von der rechten Presse als lächerlicher Zeitvertreib der Großstadtbevölkerung betrachtet werden, bieten Milchbars Lebensmittel an, deren Auswirkungen auf den Planeten minimal sind und die oft von den lokalen Bauern stammen – in einem Land mit einer tiefgehenden Feindseligkeit zwischen Stadt und Land. Milchbars können durchaus als Lichtblicke, als kleine Musterbeispiele für Nachhaltigkeit angesehen werden in einem Land, das bisweilen als ein einziger großer, verschmutzter, autofreundlicher Betonklotz wahrgenommen wird.
Die Polinnen und Polen haben allen Grund, dem Sozialismus misstrauisch gegenüberzustehen – ihre Nachkriegserfahrung war untrennbar mit Autoritarismus und russischem Imperialismus verbunden –, aber die Bar Mleczny zeigt, dass der Sozialismus in einer bestimmten Form von einer wirklich bemerkenswerten Bandbreite an Menschen begrüßt wird, vom erzkatholischen Rentner mit Mohair-Baskenmütze bis hin zur intersektional-feministischen Mittzwanzigerin. In der Schlange stehend, auf Barszcz und Pierogi wartend, sind wir alle gleich.
Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.