28. November 2022
Mit der Forderung, »die Immobilienlobby« abzuwählen, macht die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen indirekt Wahlkampf für die Grünen. Doch auch unter der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist keine Umsetzung des Volksentscheids zu erwarten.
Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Bettina Jarasch, bei einer Pressekonferenz, Berlin, 1. November 2022.
IMAGO / Emmanuele ContiniAm 16. November entschied der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 ungültig seien. Grundlage des Urteils waren massive Pannen, die das Gericht feststellte. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen soll nun am 12. Februar 2023 wiederholt werden. Nicht betroffen von der Wahlwiederholung ist die Abstimmung über den Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, dem über 1.035.000 Wahlberechtigte zustimmten, und der mit einem amtlichen Ergebnis von 57,6 Prozent eine deutliche Mehrheit hinter sich versammelte.
Dennoch ist seine Umsetzung nach wie nicht gesichert, da der Volksentscheid nur rechtlich bindend gewesen wäre, wenn es sich um einen Gesetzesvolksentscheid gehandelt hätte. Dazu hätte die Initiative ein konkretes Gesetz zur Vergesellschaftung zur Abstimmung vorlegen müssen. Da bei der Vergesellschaftung Milliardenbeträge auf dem Spiel stehen, wäre gegen ein Vergesellschaftungsgesetz in jedweder Form aller Wahrscheinlichkeit nach Klage eingereicht worden.
Der Artikel 15 des Grundgesetzes wurde bisher noch nie angewendet und es gibt keine Erfahrungen mit einer Vergesellschaftung nach diesem Artikel. Es gibt auch noch keine Rechtsprechung zu Vergesellschaftung, sodass noch offen ist, wie ein entsprechendes Gesetz gestaltet werden muss, um den Ansprüchen der Verfassungsgerichte zu genügen. Das Immobilienkapital würde eine Enteignung nicht widerstandslos hinnehmen und dabei die Unterstützung der kapitalfreundlichen CDU, FDP und wahrscheinlich auch SPD genießen.
Anfangs hatte sich die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen nicht zugetraut, ein rechtssicheres Gesetz zu formulieren. Stattdessen entschied man sich dazu, den Berliner Senat aufzufordern, selbst ein Gesetz zu erarbeiten. Da der Senat jedoch nicht rechtlich verpflichtet ist, dieser Aufforderung zu folgen, kann er den Mehrheitswillen der Berlinerinnen und Berliner sanktionslos ignorieren. Die Spitzenkandidatin der SPD und bisherige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat die Verhinderung der Enteignung noch kurz vor der Wahl zur Bedingung einer rot-rot-grünen Koalition gemacht, während DIE LINKE die Kampagne personell und finanziell unterstütze.
Vor allem die Parteibasis beteiligte sich aktiv an der Mobilisierung der Kampagne und sammelte Stimmen für den Entscheid. Der Spitzenkandidat der LINKEN Klaus Lederer erklärte die Umsetzung eines erfolgreichen Volksentscheids zur »Selbstverständlichkeit«. Dennoch entschied sich die Linkspartei für eine Regierungsbeteiligung mit der SPD. Der Streitpunkt wurde durch die Einsetzung einer »Expertenkommission zum Volksentscheid vertagt. Der gemeinsame Wille zu regieren war stärker.
Durch die Wahlwiederholung bietet sich nun die zumindest theoretische Chance auf neue Mehrheiten, die eine Umsetzung des Volksentscheids wahrscheinlicher machen könnten. Das hat auch die Kampagne selbst erkannt. In der Nacht vom 16. auf den 17. November, bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung, tauchten in vielen Teilen Berlins Plakate von Deutsche Wohnen und Co. enteignen auf mit der Parole »Wahlwiederholung 2023 – Immobilienlobby abwählen!«. Abgebildet sind darunter die Konterfeis des »Noch-Stadtentwicklungssenators«Andreas Geisel, der »Noch-Bürgermeisterin« Franziska Giffey und – »Noch Schlimmer« – des Partei- und Fraktionsvorsitzenden der größten Oppositionspartei, CDU, Kai Wegner.
Die Kampagne erklärte die »Wahlwiederholung zu einer Kampfansage gegen die Volksentscheidsblockierer« der SPD und die »Handlanger der Immobilienlobby« von CDU und FDP. Franziska Giffey soll als Regierende Bürgermeisterin und die SPD als stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus abgelöst werden.
Der Blick auf die aktuellen Umfragewerte für das Abgeordnetenhaus verrät, wer von diesem Wahlaufruf am meisten profitieren würde. Die bisherige Koalition hätte nach den letzten Umfragen des Instituts INSA weiterhin eine Mehrheit, doch es könnte um den Bürgermeisterinnenposten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und Franziska Giffey geben. Die Grünen – die bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 18,9 Prozent erhielten – und die SPD – die ein Ergebnis von 21,4 Prozent erreichte – liegen mit 20 Prozent derzeit gleich auf. Grüne und SPD bereiten sich dementsprechend auf einen Wahlkampf um das Amt der Bürgermeisterin vor.
DIE LINKE – die im letzten Jahr 14,1 Prozent erreichte – stagniert währenddessen bei 11 bis 12 Prozent und versucht gar nicht erst, ihren Spitzenkandidaten als potenziellen Bürgermeister zu positionieren. Auch Kai Wegener von der CDU könnte sich mit Umfragewerten von 21 Prozent als Bürgermeister empfehlen, hat jedoch kaum Aussichten darauf, eine ihn tragende Koalition zu finden. Zu tief sind die Gegensätze zwischen den Berliner Grünen und der Berliner CDU und ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP, dass sich als einzige Alternative bieten würde, hat bisher nicht mal rein rechnerisch eine Mehrheit.
Die Wahl läuft also auf einen Showdown zwischen der dem rechten Flügel der Grünen angehörenden Reala Bettina Jarasch und der in dem besonders weit rechts stehendem SPD-Bezirksverband Neukölln sozialisierten Franziska Giffey hinaus. DIE LINKE droht in diesem Wettstreit unterzugehen, da sie letztlich nur für die Mehrheitsbeschaffung zur Fortführung der bisherigen Koalition gebraucht wird. Es ist daher damit zu rechnen, dass Wechselwählerinnen, die zur LINKEN tendieren könnten, ihre Stimme bei dem sich abzeichnenden Entscheidungskampf aus strategischen Erwägungen eher der SPD oder den Grünen geben werden – es sei denn, der LINKEN gelingt es zu vermitteln, warum es in dieser Konstellation oder in der Opposition eine starke LINKE braucht.
Die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen richtet ihre Kampagne gegen Giffey und Geisel. Ob intendiert oder nicht werben sie damit schlussendlich für Bettina Jarasch als Regierende Bürgermeisterin Berlins. Bislang ist Jarasch nicht als ernsthafte Unterstützerin des Volksentscheids aufgefallen.
Obwohl einige Bezirksverordnetenfraktionen der Grünen den Volksentscheid durch ihre Stimmen bei Beschlüssen in den Bezirksparlamenten unterstützten, sind die Berliner Grünen weit davon entfernt, geschlossen hinter dem Mehrheitswillen der Berlinerinnen und Berliner zu stehen. Von Anfang an war das Verhältnis der Grünen zum Volksentscheid gespalten. Die Grüne Jugend arbeitete eng mit der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen zusammen und sammelte Unterschriften für den Volksentscheid. Im Ganzen sind die Grünen jedoch bemüht, weder Gegner noch Befürworterinnen des Volksentscheids zu verschrecken.
Obwohl die Kampagne versuchte, die Grünen einzubinden und sie teilweise sogar als Unterstützerinnen der Kampagne darstellte, findet sich im Landeswahlprogramm von 2021 lediglich die Formulierung, der Volksentscheid sei ein »Weckruf«, dessen »Ziele« man unterstütze. In der Sprache der politischen Kommunikation bedeutet dies, dass die Grünen sich aufgrund der Popularität der Kampagne nicht trauen, sich dagegen zu positionieren, aber letztlich dennoch eine andere Lösung als eine Vergesellschaftung befürworten. Das Ziel, Immobilienkonzerne zu enteignen, wird schlichtweg zum Wunsch nach sinkenden Mieten umgedeutet.
Die grüne Spitzenkandidatin Jarasch unterstützte den Volksentscheid 2021 insofern, als sie öffentlich verkündete, mit »Ja« stimmen zu wollen. Gleichzeitig erklärte sie eine Enteignung zum letzten Mittel. Mit Rückendeckung der Parteispitze der Berliner Grünen macht sie mit dem sogenannten »Mietenschutzschirm« einen Gegenvorschlag. Dieser sieht Verhandlungen für ein fünf Jahre andauerndes Mietenmoratorium als Lösung des Konfliktes vor. Mit der Umsetzung des Volksentscheids wäre dieser Vorstoß unvereinbar, da er den fundamentalen Interessengegensatz zwischen Mietern und Vermietern leugnet. Der »Mietenschutzschirm« hätte nur eine Chance auf Durchsetzung gehabt, wenn dem Immobilienkapital ein Ausgleich für die entgangenen Mieteinnahmen durch Steuerzuschüsse gewährt worden wäre. Nach diesen fünf Jahren würde man wieder vor demselben Problem stehen.
Die Idee der Grünen wurde als Ziel in das Berliner Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen aufgenommen und scheiterte. Das Bündnis war Franziska Giffeys Versuch, den Volksentscheid durch eine Einigung mit dem Immobilienkapital als unnötig darzustellen. Die Lösung des Mietenproblems – so bereits die Kernbotschaft der SPD im Wahlkampf – sei durch vermehrtes Bauen zu erreichen, was auch die Mieten absenken solle. Dieses Projekt war zur »Chefinnensache« erklärt worden und lag direkt in der Zuständigkeit der von Giffey geführten Senatskanzlei. Bis auf die Deregulation von Bau- und Planungsrecht und somit einseitig verbesserte Bedingungen für das Immobilienkapital hat das Bündnis nichts vorzuweisen.
Bei der anstehenden Wahlwiederholung geht Jarasch nun auf Angriff. Entgegen der aktuellen Berichterstattung dürfte die Umsetzung des Volksentscheids jedoch nicht das Mittel der Wahl sein, um Giffey zu attackieren. Als Jarasch nach der Umsetzung des Volksentscheids gefragt wurde, reproduzierte sie lediglich den bereits erzielten Formelkompromiss der Koalition, um im Anschluss darüber zu sprechen, dass die Immobilienkonzerne aktuell froh darüber wären, wenn man ihnen die Bestände »abkaufen« würde. Damit bringt sie einen weiteren Ausweg ins Spiel, um nicht vergesellschaften zu müssen. Wie gewohnt betont sie ihren Willen, mit dem Immobilienkapital zu kooperieren, das aufgrund seiner prekärer werdenden wirtschaftlichen Situation willens wäre, Bestände zu verkaufen.
Bereits Annalena Baerbock offenbarte im Kanzlerinnen-Triell, dass es Jaraschs Ziel wäre, Enteignungen und die historische Chance, den Artikel 15 des Grundgesetzes erstmals anzuwenden, zu verhindern. Auch in anderen Bereichen wie etwa der S-Bahn-Privatisierung wird mehr als deutlich, dass Jarasch letztlich nur zu den progressiven Neoliberalen gehört, die die Grünen seit Jahren dominieren.
Die Hoffnung, mit Jarasch als Regierender Bürgermeisterin einer Umsetzung des Volksentscheides näherkommen zu können, ist daher illusorisch. Jarasch ist wesentlich geschickter in politischer Kommunikation als Franziska Giffey, aber nichtsdestoweniger eine überzeugte Gegnerin von Enteignung und Vergesellschaftung. Auch die SPD blockiert weiter, obwohl sich der Landesparteitag der SPD im Falle eines positiven Ausgangs der Prüfung für die Expertenkommission mehrheitlich für eine Umsetzung des Volksentscheids ausgesprochen hat.
Einzig DIE LINKE setzte sich für Transparenz in der Kommission ein, konnte sich hierbei jedoch wiederholt nicht durchsetzen. Sie setzt auch im kommenden Wahlkampf auf das Thema Volksentscheid. Bereits auf ihrem Parteitag im April 2022 wurde einstimmig eine Vergesellschaftungs-Kampagne beschlossen, die den Volksentscheid weiter in der öffentlichen Debatte halten soll, damit der Plan der SPD, die Vergesellschaftung im Hinterzimmer verschwinden zu lassen, nicht aufgeht.
Auch auf die Energiekrise antwortet die Berliner LINKE mit weiteren Vergesellschaftungsforderungen. In der täglichen Landespolitik bleibt DIE LINKE dennoch blass und wird kaum wahrgenommen. Im Vergleich zu den Abgeordnetenhauswahlen 2021 hat sie in den Umfragen deutlich Stimmen verloren. Wenn das so bleibt, wird sie geschwächt aus der Wahlwiederholung hervorgehen und die einzige, wenn auch zaghafte Stimme für den Volksentscheid in der Regierungskoalition wird noch weiter ermatten.
Die anstehende Wahlwiederholung wird den Volksentscheid sicherlich wieder zurück in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit holen, was zu begrüßen ist. Jedoch steht eine Änderung der parlamentarischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Umsetzung nicht in Aussicht. Die einzige realistisch erscheinende Umsetzungsperspektive ist letztlich ein Gesetzesvolksentscheid, der mit Unterstützung der LINKEN als einzige hinter dem Volksentscheid stehende parlamentarische Kraft gegen die parlamentarischen Mehrheiten durchgesetzt werden muss.
Es war ein Fehler der Initiative, das Heft aus der Hand zu geben und die Umsetzung der Parteienpolitik zu überlassen. Die Durchsetzung einer solch einschneidenden Infragestellung der Eigentumsverhältnisse braucht fortwährenden Druck von der Straße. Entgegen der Absicht des SPD-Parteiapparates, der die Kommission vor allem nutzen wollte, um die Initiative zu begraben, könnten die Ergebnisse der Expertenkommission einen Beitrag dazu leisten, einen rechtssicheren Entwurf als Grundlage für einen weiteren Anlauf zu einem Gesetzesvolksentscheid zu erarbeiten.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der LINKEN in Berlin.