18. April 2023
Nach der Notrettung der Credit Suisse werden Rufe nach strengerer Regulierung laut. Doch die Ursache der aktuellen Krise reicht tiefer: Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Überakkumulation.
Durch die Rettungsaktion der Credit Suisse werden die Aktionäre entschädigt, während die Anleger leer ausgehen.
IMAGO / Andreas HaasWir erinnern uns: 2008 erreichte die globale Finanzkrise mit dem Zusammenbruch der Lehmann Brothers, der damals viertgrößten Investmentbank der Welt, ihren Höhepunkt. Die Regierungen griffen ein und mobilisierten beispiellose Summen, um ihre Finanzkonzerne vor dem Untergang zu retten.
Öffentliche Haushalte übernahmen die gewaltigen Verluste der Banken, die Lasten der Krise wurden den Lohnabhängigen aufgebürdet. Das war in der Schweiz nicht anders: Nachdem die UBS Verluste in Milliardenhöhe ankündigte und die Banken in den umliegenden Staaten durch ihre Regierungen gestützt wurden, entschlossen sich auch die Schweizer Regierung und die Schweizerische Nationalbank (SNB) zur Stützung ihrer »systemrelevanten« Bank: 60 Milliarden Dollar sollten der UBS zur Verfügung gestellt werden.
»Regulierungen sind, selbst wenn sie eingeführt würden, gegen die krisenhaften Entwicklungen des globalen Kapitals wirkungslos.«
In einem völlig außer Kontrolle geratenen Finanzsektor hatten sich einige wenige während vieler Jahre bereichert – und nun sollte ihnen beigestanden werden? Da wurden sogar aus den bürgerlichen Reihen Stimmen laut, die eine stärkere Regulierung des Bankensektors forderten. Dabei handelte es sich erwartungsgemäß nur um Lippenbekenntnisse. Ein Protokoll aus dem Nationalrat zeigt: Als 2018 die Boni bei den »systemrelevanten« Banken hätten gestoppt werden sollen, stimmten nur die sozialdemokratische und die grüne Fraktion zu – alle übrigen hatten das Anliegen geschlossen abgelehnt.
Nur fünfzehn Jahre später stehen wir vor der nächsten Finanz- und Bankenkrise. Die US-amerikanische Silicon Valley Bank (SVB), die Anfang März in Konkurs ging, wurde von den US-Behörden übernommen, ebenso wie die Kryptowährungsbank Signature. Die First Republic Bank hat zwar von einer Reihe großer Banken Liquidität erhalten, steht aber immer noch am Rande des Abgrunds. Und in Europa wurde derweil eine der größten und ältesten Banken nach 167 Jahren aufgelöst: Die rivalisierende UBS hat die Credit Suisse für läppische 3 Milliarden Franken geschluckt.
Der von den Schweizer Behörden erzwungene Deal hat für einen kurzen Moment das Schlimmste verhindert – aber diese Notfallmaßnahmen werden kaum ausreichen, um den Finanzsektor zu stabilisieren. Ökonom Michael Roberts findet bildhafte Worte für das Vorgehen, bei dem die Credit Suisse für einen Fünftel ihres aktuellen Marktwerts verscherbelt wird: Es handle sich um die »Markt-Lösung, bei der die großen Aasgeier das tote Aas ausschlachten«. Zusätzlich stellt die Schweizerische Nationalbank (SNB) gewaltige Summen an Liquidität zur Verfügung, um den Abzug von Einlagen zu decken, »um der UBS ein Bonbon zu geben, während Tausende von Bankangestellten mit geringem Einkommen ihren Arbeitsplatz verlieren werden«.
»Der Finanzsektor wächst und wächst, weil das angehäufte Kapital in der Realwirtschaft keine profitablen Anlagemöglichkeiten findet und somit in spekulativere Geschäfte fließt.«
Aber was ist da eigentlich geschehen? Der Aktienkurs der Credit Suisse rauschte in die Tiefe, nachdem zahlreiche Kundinnen und Kunden ihre Gelder abgezogen hatten und ihr von ihrem Hauptaktionär, der halbstaatlichen Saudi National Bank, die Gewährung frischen Kapitals versagt wurde. Die SNB reagierte sofort und versprach 50 Milliarden Franken zur Unterstützung der Credit Suisse – doch es war bereits zu spät. Das Vertrauen war weg, die Abwärtsspirale im Gang, der Aktienkurs stürzte ab.
Doch die Credit Suisse taumelte schon länger. Nachdem das Schweizer Bankgeheimnis als Geschäftsmodell unter Druck geraten war, gelang es den beiden Schweizer Großbanken nicht mehr, in gleichem Maße wie zuvor Kapital anzuziehen. Die einzigartige Stellung des Schweizer Finanzplatzes erodierte und die Credit Suisse versäumte es, ihr Geschäftsmodell entsprechend anzupassen.
Es folgten Skandale, Stellenkürzungen, Riesenverluste – der Abwärtstrend wollte nicht enden. Dem versuchte die Credit Suisse zu begegnen, indem sie sich auf ebenso riskantes wie lukratives Investment-Banking fokussierte. Der Plan ging nicht auf. Wie die Zeitung Neues Deutschland berichtet, versuchte Ulrich Körner, CEO der Bank, letzten Herbst das Ruder herumzureißen: »Die verlustgeplagte, skandalbelastete Bank dampft nun ihre spekulativen Investments auf eigene Rechnung ein und setzt verstärkt auf die provisionsträchtige und risikoarme Vermögensverwaltung für Konzerne und Reiche«.
Doch es war bereits zu spät. Die Credit Suisse ist Geschichte. Nun ertönt wieder allenthalben der Ruf nach mehr Regulierung. Lautstark verlangt etwa die Sozialdemokratische Partei (SP) eine parlamentarische Untersuchungskommission. Außerdem brauche es »nun endlich griffige Regulierungen im Bankensektor«. Fast dieselben Worte sind aus der Mitte-Partei zu vernehmen: Es sei »stossend, dass die Schweizer Bürgerinnen und Bürger erneut mit den Konsequenzen eines solchen Missmanagements konfrontiert sind«. Die Grünen und die Grünliberalen gehen mit, geben sich empört, wollen Köpfe rollen sehen und regulieren.
Und die Parteien, die das Finanzkapital vertreten? Die Freisinnig Demokratische Partei (FDP) teilt zwar die Kritik an der Führung der Credit Suisse, allerdings nur verhalten. Das Management habe »seit der Finanzkrise 2008 seine Hausaufgaben nicht gemacht«. Nun gelte es, »das Vertrauen wieder herzustellen«. Eine Überarbeitung der Finanzmarktregulierung könne zwar geprüft werden, ist aber für die FDP kaum prioritär. Sie verlangt stattdessen, »dass der Bund die Voraussetzungen dafür schafft, die schweizerische Kernbank der Credit Suisse eigenständig weiterzuführen« und will einen entsprechenden Vorstoß einreichen.
Eigene Wege geht mal wieder die Schweizerische Volkspartei (SVP). Zum einen verpasst sie nicht die Gelegenheit, patriotische Gefühle zu wecken und ausländerfeindliche Ressentiments zu schüren. SVP-Doyen Christoph Blocher sieht sich in seiner Position bestätigt, die Schweizer Banken hätten nicht in die USA expandieren dürfen. Die »fremden« Geschäftsleiter hätten das erfolgreiche Schweizer Geschäftsmodell mit ihrem riskanten Investment-Banking gefährdet – ganz und gar unschweizerisch sei das gewesen. Diesen Ball nimmt Parteigenosse und Bankier Thomas Matter gerne auf und meint: »Systemrelevante Unternehmen wie die UBS gehören in Schweizer Hand.«
Zum anderen kann die SVP Regulierungen des Finanzsektors nichts Positives abgewinnen, im Gegenteil: Sie sieht die bestehenden, angeblich massiven Überregulierungen des Finanzsektors als Wurzel der heutigen Probleme. So meinte etwa Thomas Matter in der Arena des Schweizer Fernsehens, der am stärksten regulierte Markt sei der amerikanische – und doch würden die Krisen jeweils dort ihren Anfang nehmen. Neben so viel Schwachsinn war es dann wohltuend, auch mal was Richtiges zu hören – zwar nicht von Thomas Matter selbst, aber vom Herrn zu seiner Linken: Dort stand der ehemalige Chefökonom der UBS, Klaus Wellershoff und stellte fest: »Bankenkrisen sind nichts, was man wegregulieren kann.«
»Das alles ist Resultat der Widersprüche, die in der neoliberalen Antwort auf die Krise der 1970er Jahre bereits angelegt waren. Diese zielte auf eine Erhöhung der Kapitalrendite bei systematischer Schwächung der Gewerkschaften.«
Und damit hat er Recht. Denn Regulierungs-Versuche scheitern immer wieder an internationalen Interessengegensätzen und dem Unwillen der Politik, die durch Lobbyarbeit und personelle Verknüpfungen zum Finanzkapital schärfere Regelwerke für die Finanzinstitute ausbremst. Wie massiv die Einflussnahme auf die parlamentarischen Entscheide seitens der Banken ist, wird auch in diesen Tagen wieder sichtbar, in denen das Parlament über die Übernahme der Credit Suisse berät. Medienberichten zufolge hätten Vertreter der UBS »die bürgerlichen Parteipräsidenten kontaktiert«, um sie von stärkeren Regulierungen abzubringen.
Hinzu kommt, dass Regulierungen, selbst wenn sie eingeführt würden, gegen die krisenhaften Entwicklungen des globalen Kapitals wirkungslos sind. Eine erhöhte Eigenkapitalquote oder Begrenzungen bei Boni-Auszahlungen könnten zwar, wenn sie global durchgesetzt würden, Banken krisenfester machen – die tieferliegenden Ursachen der Krise würden aber weiterhin unberührt bleiben.
Wir befinden uns seit Jahrzehnten in einer für den Kapitalismus typischen Überproduktionskrise, die sich vielfach ausdrückt: fallende Profitraten, schwache Investitionstätigkeit, steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Armut, ein trotz massiver staatlicher Stützung schwächelnder Finanzsektor und eine zunehmende Ratlosigkeit der Regierungen. Anders gesagt: Die Lohnabhängigen kaufen nicht, weil ihnen das Geld fehlt. Die Unternehmen investieren nicht, weil die Absatzmärkte fehlen. Die Banken geben keinen Kredit, weil sie angesichts düsterer Konjunkturprognosen um die Rückzahlung fürchten.
Das alles ist Resultat der Widersprüche, die in der neoliberalen Antwort auf die Krise der 1970er Jahre bereits angelegt waren. Diese zielte auf eine Erhöhung der Kapitalrendite bei systematischer Schwächung der Gewerkschaften und Bekämpfung der Interessen der Lohnabhängigen. Über den Abbau sämtlicher Schranken für den Kapitalverkehr wurden stärkere Kapitale weiter gestärkt und Monopolisierungen vorangetrieben. Und in den Zentren wurde ein rasant wachsender, überdimensionierter Finanzsektor geschaffen.
Der Finanzsektor wächst und wächst, weil das angehäufte Kapital in der Realwirtschaft keine profitablen Anlagemöglichkeiten findet und somit in spekulativere Geschäfte fließt. Deshalb ist die »Realwirtschaft« in der Phase des Neoliberalismus auch kaum gewachsen – ganz im Gegensatz zum Finanzsektor, wo schnelle Gewinne winken, aber auch große Verluste drohen.
Eine ganze Weile konnten so die krisenhaften Tendenzen überspielt werden. Wie das geht, beschreibt der Ökonom Lucas Zeise folgendermaßen: »Die Spekulation suggeriert steigende Gewinne in der Zukunft. Die Investitionen steigen. Sie schaffen zusätzliche Nachfrage und fördern damit den Aufschwung […] Die immer reicher werdenden Spekulanten fragen mehr Luxusgüter nach, sie bauen sich Häuser und Paläste und richten sie ein […]. Wenn die Spekulationsblase geplatzt ist, schrumpft diese Nachfrage umgekehrt drastisch.«
Die Staatsschuldenkrise Lateinamerikas 1982, das fatale Ende der Spekulation um japanische Aktien und Immobilien 1989, der Zusammenbruch der Spekulation auf die boomenden Ökonomien der asiatischen Tigerstaaten 1997, das Platzen der Dotcom-Blase kurz nach der Jahrhundertwende und schließlich die Subprime-Krise 2007/8 – in all diesen Fällen handelte es sich um den Zusammenbruch großer Spekulationswellen, die während kurzer Zeit Stagnation und Überakkumulation überspielten.
»Die großen US-Banken haben in den letzten drei Wochen um 67 Milliarden Dollar zugelegt, währen die kleinen Banken 120 Milliarden Dollar verloren haben.«
Was auf die verheerende Krise von 2007/8 folgte, waren bis dahin beispiellose staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die aus kapitalistischer Sicht absolut notwendig waren. Doch die staatlichen Interventionen gingen über eine bloße Rettung hinaus: extrem tiefe Leitzinsen, eine Ausweitung der staatlichen Kreditaufnahme und die Übernahme von Schuldpapieren durch die Notenbanken folgten zugleich. Und so wurde der Bankenapparat bald zum Profiteur der Finanzkrise, die er selbst ausgelöst hatte.
Damit wurde auch verhindert, was Krisen im Kapitalismus eigentlich tun: nämlich die Situation bereinigen. Hätte die Krise ihren »normalen« Verlauf genommen, wäre ein erheblicher Teil des Geldkapitals vernichtet worden. Anstelle dessen wurden vor allem kleine Banken dem Konkurs überlassen, während man die großen stützte.
Das ist heute nicht anders: Gemäß Zahlen der US-amerikanischen Zentralbank Fed haben die großen US-Banken in den letzten drei Wochen um 67 Milliarden Dollar zugelegt, währen die kleinen Banken 120 Milliarden Dollar verloren haben.
Verloren haben im Zuge des Falls der Credit Suisse auch die Inhaberinnen und Inhaber von Anleihen. Der von den Schweizer Behörden erzwungene Deal stellt sicher, dass die Aktionärinnen und Aktionäre der Credit Suisse eine Teilentschädigung von über 3 Milliarden Dollar erhalten, während die Inhaberinnen und Inhaber von Anleihen leer ausgehen.
Normalerweise läuft es umgekehrt: Der Zusammenbruch einer Bank führt zum Verlust des Eigenkapitals der Aktionärinnen, während die Inhaber der Anleihen einen Teil ihres Verlusts durch den Verkauf verbleibender Vermögenswerte der Bank zurückerhalten. Die Junge Welt warnt, dass es eine derartige »umgekehrte« Kapitalhilfe, bei der die Aktionäre entschädigt werden, während die Inhaberinnen von Anleihen leer ausgehen, noch nie gegeben habe. Das wiederum könnte finanzielle Instabilität auf den Anleihemärkten zur Folge haben.
Im Normalfall sind Aktien risikoreicher, haben aber auch ein höheres Renditepotenzial, während Anleihen als sicherer gelten, dafür aber eine geringere Rendite versprechen. Dieses Verhältnis droht jetzt verdreht zu werden: Den als sicher geltenden europäischen Bankanleihen droht ein Vertrauensverlust.
Vor dem Hintergrund der jetzigen Ereignisse und der laufend hinausgeschobenen Krise könnte ein solcher Vertrauensverlust den Krisenverlauf beschleunigen und (nicht nur) für den Finanzsektor fatale Folgen haben. EZB-Chefin Lagarde kritisierte denn auch scharf das Vorgehen der Schweizer Behörden: »In Europa gelten andere Regeln. Zuerst hätten die CS-Aktionäre dran glauben müssen.«
Aber um die Schaffung eigener, neuer Regeln ist die Schweizer Bankenwelt nie verlegen. So hat etwa die SNB im Gegenzug für ihre außerordentliche Liquiditätshilfe keinerlei Sicherheiten von der Credit Suisse oder der UBS verlangt – was üblicherweise der Fall ist. »ELA-Plus-Hilfe« nennt sich das und wurde per Notrecht durchgesetzt.
Auf die Frage, ob hier nicht ein »gefährlicher Tabubruch« begangen worden sei, antwortet Martin Schlegel, Vizepräsident der SNB, die Bank sei »tatsächlich an ihre Grenzen gegangen«. Herkömmliche Liquiditätshilfen, die an eine Hinterlegung von Wertpapieren gekoppelt gewesen wären, seien aber keine Option gewesen, da schlicht unklar gewesen sei, »ob diese Sicherheiten ausreichen würden, damit es die CS liquiditätsmässig bis ins Wochenende schafft«.
Und auch der kürzlich zur Stärkung der Stabilität des Finanzsektors eingeführte, sogenannte Public Liquidity Backstop, bei dem der Staat zugunsten der Bank eine Garantie abgibt, hätte gemäß Schlegel keine rechtskräftige Alternative dargestellt: Es hätte dafür einen Verpflichtungskredit der Finanzdelegation gebraucht, also des Parlaments. Man habe nun aber eine schnellere Lösung gebraucht.
»Mit ihrer jahrelangen Tiefzinspolitik haben die Zentralbanken und Regierungen die Krise hinausgeschoben – und werden jetzt von ihr eingeholt.«
Das zeigt zweierlei: Erstens taugen die verfügbaren Instrumente im Ernstfall wenig. Zweitens können aber die verantwortlichen Stellen über Nacht Milliarden zur Verfügung stellen – ohne demokratischen Beschluss, ohne Kontrolle durch Aktionärinnen und Aktionäre, ohne Probleme.
Doch die Probleme könnten auf längere Sicht noch folgen. So fragen etwa Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen, inwiefern die fortschreitende Auflösung der Schweizer Neutralitätsdoktrin dem Schweizer Finanzplatz geschadet habe. Die Republik wirft ähnliche Fragen auf und stellt den Untergang der Credit Suisse in einen Zusammenhang mit einer Krise der Schweizer Neutralitätspolitik. Mit der Beteiligung an europäischen Sanktionen gegen Russland und der lebhaften Diskussion um das Ausmaß einer Schweizer Beteiligung an der Unterstützung der Ukraine sind Schweizer Banken für die Aufbewahrung russischen Kapitals unattraktiv geworden.
Die Credit Suisse übernahm eine zentrale Rolle im Offshore-Banking für russische Kundinnen und Kunden und gerät genau dann ins Taumeln, wo dieses Geschäft auf dem Prüfstein steht. Ein Zufall ist das nicht. Damit ist der Status der Schweizer Banken als sichere Häfen für das Geld ausländischer Kapitalisten bedroht. Schwindendes Vertrauen, stockende Kapitalflüsse und auch Kapitalflucht könnten die Folge sein, was das »Schweizer Erfolgsmodell« insgesamt bedroht.
August Benz, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung, meint hingegen, die Schweiz bleibe »ein Hort für Sicherheit und Stabilität«. Nach wie vor bekomme man »enorm gute Dienstleistungen geboten« und könne etwa als Kunde einer Schweizer Bank »in alle möglichen Währungen und in eine breite Produktpalette investieren«. Die Gefahr, dass Kundinnen und Kunden ihre Gelder abziehen und diese in günstigeren Umfeldern wie London, Singapur, Dubai oder Hongkong anlegen, schätzt er gering ein. Aber wenn Benz den »Schweizer Franken als stabile Währung, die starke Wirtschaft, die geringe Inflation« als Argumente für die Attraktivität des Schweizer Finanzplatzes anführt, so hat das eher etwas von Werbung als von Analyse.
Was jetzt? Eine sich auflösende Neutralitätsdoktrin, Bedeutungsverlust für Fluchtkapital auf dem internationalen Parkett, Streit um eine außenpolitische Neuorientierung sind nur der kleinere Teil der Herausforderung. Die Regierungen und Zentralbanken befinden sich global betrachtet in der Zwickmühle: Mit ihrer jahrelangen Tiefzinspolitik haben sie die Krise hinausgeschoben – und werden jetzt von ihr eingeholt. Angesichts rasanter Inflation zur Zinswende gezwungen, stürzen sie kleinere Banken in den Konkurs und müssen mittlere und größere Banken retten.
Aber es ist zwecklos. Die Finanzinstitute stehen heute wie damals vor demselben Problem: Aufgrund der Überproduktionskrise bleiben die Investitionsmöglichkeiten, im Vergleich zur Menge an anzulegendem Geld, gering. Der Finanzboom der vergangenen Jahre basierte komplett auf staatlicher Unterstützung, während ein Konjunkturaufschwung bis heute nicht in Sicht ist – im Gegenteil.
Daran wird übrigens auch die (Wieder-)Ernennung Sergio Ermottis zum CEO der UBS nichts ändern, egal wie stark sie bejubelt wird: Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnet ihn als »Glücksgriff« für die UBS, die FDP zeigt sich erfreut und bezeichnet Ermotti als »soliden Bankkaufmann«, der »die Schweiz kennt und weiss, wie sie tickt«.
Und auch Thomas Matter und seine SVP zeigen sich erfreut – was aber nur wenig damit zu tun hat, dass Ermotti den Schweizer Pass besitzt: Erstens ist dessen Nähe zur SVP ist kein Geheimnis. Seine Beziehungen zum rechten Financier Tito Tettamanti, dem Weltwoche-Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel oder dem SVP-Unternehmer Peter Spuhler sind seit vielen Jahren bekannt. Zweitens hat Ermotti die UBS nach 2008 in der Weise umgebaut, wie sich das die Herren Blocher und Matter angeblich auch für die Credit Suisse wünschen: weg vom riskanten Investment-Banking, hin zur soliden Vermögensverwaltung.
Aber weder eine solche Neuausrichtung noch der Wechsel von CEOs oder Regulierungen des Finanzsektors werden die Krise bewältigen können. Ob sich diese Erkenntnis bald durchsetzt? Eine neue Befragung des Instituts GfS spendet etwas Hoffnung: Rund 90 Prozent der Befragten gaben an, es müsse aufhören, »dass Gewinne privat bleiben und Risiken verstaatlicht werden«.
Dominic Iten ist Redakteur beim Widerspruch und beim Schweizer Vorwärts.