20. September 2024
Manipulierte Wahlen sorgen in Mosambik immer wieder für Proteste. In Teilen der Bevölkerung wächst der Wunsch nach einem Regimewechsel. Doch ohne eine handlungsfähige politische Linke droht die breite Unzufriedenheit in Gewalt zu kippen.
Wahlplakate der amtierenden FRELIMO in Mosambiks Hauptstadt Maputo.
Am 9. Oktober stehen in Mosambik Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Es gibt jedoch kaum Zweifel daran, wer der Gewinner sein wird: Die Frente de Libertação de Moçambique (FRELIMO), die seit 1994 an der Macht ist. Offen ist allerdings, wie die Bevölkerung auf die Wahl reagieren wird. Schließlich haben in der jüngeren Geschichte ganze Wahlprozesse von der Registrierung bis zum Wahlkampf spontane Proteste gegen die Regierung ausgelöst – am heftigsten nach den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr.
Angesichts der Übermacht der Regierungspartei FRELIMO, der ideologischen Schwächen der anderen Parteien und des Fehlens progressiver sozialer Bewegungen, stellt sich die Frage, wer die Trägerinnen und Träger des sozialen und politischen Umbruchs im heutigen Mosambik sein können.
Im nächsten Jahr jährt sich Mosambiks Unabhängigkeit vom portugiesischen Kolonialismus zum fünfzigsten Mal. Der politische und bewaffnete Kampf wurde von der FRELIMO mit charismatischen Persönlichkeiten wie Eduardo Mondlane und Samora Machel geführt. Nach Erlangung der Unabhängigkeit übernahm die FRELIMO den Status einer Einheitspartei und damit die alleinige Verantwortung für die Regierung. Während die FRELIMO in der Wirtschafts- und Außenpolitik progressive Schritte unternahm und unter anderem die regionale Kooperation mit anderen Staaten des südlichen Afrika suchte, war ihr Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus eher pragmatisch bis opportunistisch. Unter den blockfreien Staaten positionierte sich Mosambik auf der linken Seite, um sich die Unterstützung der sozialistischen Länder zu sichern.
Schon ein Jahr nachdem die FRELIMO die Unabhängigkeit erkämpft hatte, brach zwischen ihr und der rechtsgerichteten Resistência Nacional Moçambicana (RENAMO), die vom südafrikanischen Apartheidregime unterstützt wurde, ein gewaltsamer Konflikt aus. Dieser sechszehn Jahre andauernde Bürgerkrieg forderte über 1 Million Menschenleben. Nachdem der Konflikt 1992 beigelegt wurde, lag das Land in Trümmern. Als Vorbedingung für Frieden und Stabilität wurde mit dem Allgemeinen Friedensabkommen die liberale Demokratie eingeführt und die jahrelange Einparteienherrschaft offiziell beendet. Seit 1994 finden in Mosambik Mehrparteienwahlen statt. Seither hat die FRELIMO die Regierungsverantwortung immer wieder verteidigen können. Die Partei ist eng mit der Wirtschaftselite verbunden – teilweise personell – und ihre Macht ist fest im gesamten staatlichen Sicherheitsapparat verankert.
Seit 1994 werden die Ergebnisse aller nationalen und lokalen Wahlen von der Opposition, den unabhängigen Medien und der Zivilgesellschaft heftig kritisiert und oft angefochten. Die FRELIMO nutzt ihre Kontrolle über den Staat, um freie, faire und transparente Wahlen im Land zu verhindern, so der Vorwurf. Die Partei leitet ihrerseits wiederum ihren Regierungsanspruch aus den aufeinanderfolgenden Wahlsiegen ab.
Die FRELIMO ist nicht zuletzt auch deswegen so stark, weil die anderen Parteien so schwach sind. Die ehemalige konterrevolutionäre RENAMO war nie in der Lage, ein überzeugendes Programm vorzulegen, sondern stützte ihre ideologische Programmatik auf die Ablehnung der FRELIMO und die Vernachlässigung der Regionen, die ihre Wählerbasis stellten. Nach dem Tod des charismatischen RENAMO-Anführers Afonso Dhlakama im Jahr 2018 ist der neue Anführer Ossufo Momade auf Ablehnung gestoßen. Wenige Parteien wie die Movimento Democrático de Moçambique (MDM), die drittstärkste politische Kraft im Land, setzten programmatische Akzente – überwiegend im liberalen Spektrum. Sie blieben aber auf einzelne größere Städte wie Beira beschränkt und profitierten von ihrem inzwischen verstorbenen populären Vorsitzenden Daviz Simango. Aufgrund der Konflikte innerhalb der RENAMO und der anhaltenden Schwächung der MDM ist zu erwarten, dass beide Parteien bei den bevorstehenden Parlamentswahlen schlecht abschneiden werden. Der Beitritt des ehemaligen MDM- und RENAMO-Abgeordneten, Venâncio Mondlane, zu einer Koalition oppositioneller Kräfte, der Coligação Aliança Democrática (CAD) und jetzt PODEMOS, die beträchtliche Unterstützung auf sich gezogen hat, wird die Wahlergebnisse von MDM und RENAMO sicherlich weiter verschlechtern. Auch andere Parteien wie Nova Democracia (ND) und Partido Humanitário de Moçambique (PAHUMO) verlieren an Unterstützerinnen und Wählern.
Jeder, der die politischen Entwicklungen in Mosambik aufmerksam verfolgt, wird Folgendem zustimmen: Der Widerstand der Bevölkerung gegen die regierende FRELIMO hat im Laufe der Jahre stetig zugenommen, insbesondere unmittelbar nach den Wahlen. So kam es auch im letzten Jahr zu beispiellosen, weit verbreiteten Protesten der Bevölkerung gegen die Ergebnisse der Kommunalwahlen, aus denen die FRELIMO wider Erwarten fast überall als Sieger hervorging. Aufgrund der zahlreichen Unregelmäßigkeiten und der Anfechtung des Ergebnisses durch die Bevölkerung lassen sich diese Wahlen als »Wahlen gegen die Demokratie« bezeichnen. Nach der Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse, wonach die FRELIMO 64 der 65 Gemeinden für sich gewinnen konnte, brachen fast landesweit Proteste von bisher ungekanntem Ausmaß aus. Drei Menschen wurden von Sicherheitskräften getötet, zahlreiche verletzt.
Diese Proteste sind von immenser Bedeutung, da es für politische Organisationen fast unmöglich ist, einen politischen Wandel einzuleiten oder wirksame Reformen in Gang zu setzen. Angesichts der Tatsache, dass demokratische Wahlen immer wieder scheitern, ist es sehr wahrscheinlich, dass die politische Zukunft Mosambiks gewalttätig sein wird. Und was noch wichtiger ist: Es wird schneller geschehen, als die meisten Menschen es erwarten.
Bereits im Februar 2008, im September 2010 und im November 2012 hat es in Mosambik Massenproteste gegeben – sogenannte »Brotaufstände«. Sie richteten sich gegen den Anstieg der Lebenshaltungskosten. Im Vergleich zu den jüngeren Unruhen forderten sie keinen Regimewechsel, sondern lediglich Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen.
Nachdem im März 2023 der populäre Rapper Azagaia beerdigt wurde, ist eine Veränderung zu beobachten. Sowohl am Tag der Beerdigung als auch an den Tagen danach fanden in Gedenken an ihn und seine Musik landesweite Demonstrationen statt. Wieder einmal reagierte die Polizei mit Gewalt, um diese Aufmärsche aufzulösen. Die Demonstrierenden versuchten, inspiriert durch die Lieder von Azagaia, die politische Macht für sich selbst zurückzuerobern.
Während und nach den erwähnten Kommunalwahlen 2023 gelang es den Demonstrierenden trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte in einigen größeren Städten wie Nampula, Quelimane, Chiúre, Vilanculos, Matola und der Hauptstadt Maputo erhebliche Störungen zu verursachen. Viele hatten die Hoffnung, dass die Legitimität der Wahlergebnisse dieses Mal vom Verfassungsgericht des Landes überprüft werden würden. Doch das Gericht ordnete nur geringfügige Änderungen an, sodass die Regierungspartei in den meisten Gemeinden und den Städten Maputo und Matola stärkste Kraft blieb. Diese Entscheidung des Verfassungsgerichts wurde von der Bevölkerung als ein Beweis dafür gewertet, dass die FRELIMO die mosambikanische Justiz kontrolliert. Ähnliche Entscheidungen zugunsten der FRELIMO hatten in der Vergangenheit bereits andere Gerichte gefällt.
Der sichtbarste Organisator der Proteste nach den Wahlen im vergangenen Jahr war die oppositionelle RENAMO, die bei den Wahlen erhebliche Verluste hinnehmen musste, sich selbst aber in Maputo den Sieg zuschrieb. Die RENAMO jedoch als alleinigen Treiber der Demonstrationen anzusehen, greift zu kurz. Ihr gelang es lediglich, die bereits bestehende große Unzufriedenheit mit der FRELIMO auszunutzen.
Gleichzeitig wird die mosambikanische Gesellschaft von mehreren Krisen erfasst. Die öffentliche Verwaltung befand sich in einem stillen Generalstreik, und die Ärztinnen, Pflegekräfte und Lehrer streikten in den vergangenen Monaten offen. Noch wichtiger ist, dass allein in den letzten zehn Jahren unter dem nun scheidenden Präsidenten Filipe Nyusi die Armut um 87 Prozent gestiegen ist. Das hat Mosambik zu einem der ärmsten Länder Afrikas und der Welt gemacht – trotz hoher ökonomischer Wachstumsraten auf dem Papier in den letzten Jahrzehnten. Pointiert schreiben Carlos Nuno Castel-Branco und Elisa Greco, »dass das Wachstumsmuster Mosambiks weitaus besser auf die Schaffung von Millionären als auf die Verringerung der Armut ausgelegt ist und dass die Dynamik von Ungleichheit und Armut sowie von Vermögensbildung und -konzentration in das System der Kapitalakkumulation eingebettet ist«.
33 Prozent der Jugend des Landes sind arbeitslos und ungelernt. In den wichtigsten städtischen Zentren, einschließlich der Hauptstadt Maputo, ist die Arbeitslosigkeit höher als im Landesdurchschnitt. Maputo war das Zentrum der erwähnten Proteste gegen die Ergebnisse der Kommunalwahlen sowie des jüngsten Protests gegen die Erhöhung der Telekommunikationspreise im Mai dieses Jahres. Die hohe Arbeitslosigkeit stellt per se eine große Gefahr für den sozialen Zusammenhalt und die Stabilität dar.
Es war bemerkenswert, dass es in Mosambik zu einem Protest gegen erhöhte Gebühren für Internet- und Telefonnutzung kam, da oftmals davon ausgegangen wird, dass sich die Sorgen der Menschen in armen Ländern hauptsächlich auf die hohen Lebenshaltungskosten in Verbindung mit Lebensmitteln, Bildung und Transport konzentrieren. Der Protest gegen die Telekommunikationspreise zeigt die Mobilisierungsfähigkeit der Generation Z im Land, die von der Regierung erschwingliche Preise in der Kommunikation für den täglichen Gebrauch der Bürgerinnen und Bürger fordert. Die Mitglieder der Generation Z in Mosambik könnten ein entscheidender Faktor für den gesellschaftlichen Wandel sein, da sie keine Berührungspunkte mit der FRELIMO als Befreiungsbewegung und der RENAMO als konterrevolutionäre Kraft haben. Wie bei den diesjährigen Wahlen in Südafrika zu beobachten war, garantiert das historische Narrativ des Befreiers keine Stimmen mehr für die ehemalige Befreiungsbewegung.
Wie schon bei vergangenen Wahlen ist auch bei den anstehenden Parlaments- und Provinzwahlen am 9. Oktober die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugunsten der Regierungspartei voreingenommen. Weitere Probleme sind Geisterwähler, die in den Hochburgen des Amtsinhabers registriert sind, die Einschüchterung von Oppositionskandidatinnen und Oppositionskandidaten, der Ausschluss von Oppositionsparteien von der Teilnahme an Wahlen sowie Gerichtsentscheidungen zugunsten der amtierenden FRELIMO. Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft beschweren sich über den Missbrauch öffentlicher Mittel, einschließlich der Beteiligung von Staatsbediensteten an FRELIMO-Wahlkampagnen. Die Oppositionsparteien haben aufgrund der verspäteten Finanzierung durch die Nationale Wahlkommission kein Geld für entsprechende Kampagnen.
Es ist also auch bei der anstehenden Wahl wieder mit Protesten zu rechnen. Diese könnten aufgrund der angestauten Wut innerhalb der Bevölkerung länger und intensiver ausfallen. Sie werden jedoch vermutlich zu keinem fundamentalen Wandel führen, auch weil gewaltsame Repression legitimen Protests absehbar ist.
Studierendenbewegungen, Gewerkschaften, Bauernbewegungen, politische Parteien und ähnliche Organisationen führen normalerweise Volksrevolutionen durch. In Mosambik sind die Bedingungen für eine solche Revolution kaum gegeben, da historisch gesehen die meisten politischen Organisationen von der regierenden FRELIMO unmittelbar nach der Unabhängigkeit als Teil des postkolonialen Projekts der gesellschaftlichen Umgestaltung geschaffen wurden. Die FRELIMO übt noch immer eine starke Kontrolle über Studierendenorganisationen und Gewerkschaften aus. Da die FRELIMO den staatlichen Sicherheitsapparat kontrolliert, wird alles, was die Partei als Bedrohung für ihre Machtausübung ansieht, gewaltsam bekämpft. Dazu gehören auch die Repressionen von Medienvertreterinnen. So wurde etwa die Journalistin Sheila Wilson verhaftet, als sie kürzlich live von einer Demonstration in der Hauptstadt Maputo berichtete.
Sieht man einmal von den unzureichenden Programmen der konservativen RENAMO und anderer Parteien ab, die nur auf die Machtübernahme ausgerichtet sind, aber keine fortschrittliche Politik anstreben, so zeigt sich, wie die FRELIMO neue parteipolitische Akteure zerstört, die ihr möglicherweise Stimmen wegnehmen könnten. Das Beispiel der CAD ist exemplarisch: Dieser Zusammenschluss von neun außerparlamentarischen Parteien wurde vom Verfassungsgericht von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Die herrschende Elite mag diese Strategie zwar als wirksames Mittel zur Verhinderung von Veränderungen ansehen, aber die Missstände werden sich langfristig weiter aufstauen und der Unmut der Bevölkerung wird nicht ewig mit Gewalt unterdrückt werden können. Die jüngsten Proteste der Bevölkerung waren sicherlich ein erstes Anzeichen dafür.
Das Potenzial für politischen Wandel ist derzeit allerdings nicht nur wegen der enormen Repression sehr begrenzt. Das liegt zum einen daran, dass es in Mosambik keine parteipolitische Linke gibt. Daneben fehlen auch progressive Akteure, die die Bevölkerung mobilisieren können. Auch Bauernbewegungen wie die União Nacional de Camponeses (UNAC), die zwar mitgliederstark und landesweit verankert ist, verfügen nicht über das notwendige Mobilisierungspotenzial. Sie engagieren sich einfach zu wenig. Außerdem scheint die ländliche Bevölkerung immer noch überwiegend hinter der FRELIMO-Regierung zu stehen. Das progressive Potenzial ist daher auf städtische Gebiete beschränkt, wie die jüngsten Erfahrungen gezeigt haben.
Nichtregierungsorganisationen wie Justiça Ambiental (JA!), Observatório do Meio Rural (OMR) und Centro de Integridade Publica (CIP) kritisieren die mosambikanische Politik lediglich und prangern etwa die aggressive Ressourcenausbeutung oder die Korruption an. Obwohl sich diese Organisationen politisch positionieren, haben sie außerhalb der städtischen Zentren keine soziale Verankerung. Sie konzentrieren sich mehr auf eine junge Schicht gut ausgebildeter Akademikerinnen und Akademiker und weniger auf die Arbeiterklasse oder die Beschäftigten des informellen Sektors. In Ermangelung unabhängiger fortschrittlicher Kräfte besteht ein hohes Risiko, dass die künftigen Proteste heftiger sein werden und noch gewaltsamer unterdrückt werden.
Fredson Guilengue ist Senior Programmmanager im Südafrika-Büro der Rosa Luxemburg-Stiftung mit Sitz in Johannesburg.
Andreas Bohne ist Journalist und Autor aus Berlin.