08. Februar 2024
Viel wird in der Mietenkrise über Neubau gesprochen. Doch der entscheidende Kampf findet im Bestand statt. Dort nutzen Investoren den Wohnraummangel für Riesengewinne auf Kosten der Mietenden. Wie sie vorgehen, zeigt sich besonders eindrücklich in München.
München – die teuerste Stadt zum Wohnen in Deutschland.
»Die Grundstückspreise in der Bundesrepublik Deutschland steigen in einem Maße, dass es nicht zu verantworten ist, diese Gewinne unversteuert in die Taschen einiger fließen zu lassen.« Diese Aussage stammt nicht aus dem Jahr 2024, sondern ist von 1970, und sie stammt auch nicht von einem Sozialisten, sondern von Franz Josef Strauß, dem tiefschwarzen Dauervorsitzenden der CSU.
Wenn sich selbst die CSU in Kapitalismuskritik übt, muss der Elefant im Raum unübersehbar sein. Kein Wunder: Schon vor fünfzig Jahren war absehbar, dass der Wohnungsmarkt unfähig ist, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Denn: Grund und Boden sind unvermehrbar und damit knappe Güter. Jeder Quadratmeter Boden kann nur einmal genutzt werden und somit kann eine erhöhte Nachfrage auch nicht einfach mit einem höheren Angebot bedient werden. Stattdessen steigen die Bodenpreise und damit die Mieten.
In München haben sich die Bodenpreise allein von 2010 bis 2019 verfünffacht, von 600 auf rund 3.200 Euro pro Quadratmeter. Das alles leistungslos, also ohne dass dafür irgendeine Arbeit geleistet wird. Gewinner dieses Systems sind Investoren, die auf steigende Preise spekulieren, Verlierer die Mieterinnen und Mieter.
»Die Immobiliengesellschaft M-Concept verbucht ihre Gewinne in der Steueroase Grünwald. Dort, wenige Kilometer vor den Toren Münchens, zahlt man weniger als die Hälfte der Münchener Gewerbesteuer.«
Die verfehlte Boden- und Wohnungspolitik der letzten Dekaden lässt sich an einzelnen Beispielen, wie dem der Firma M-Concept in München, gut nachvollziehen. Denn die verschiedenen Teile der im Folgenden beschriebenen Praxis wiederholen sich täglich auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Sie sind das Handwerk von Immobilienspekulanten.
Betroffen von dem Klassenkonflikt auf dem Wohnungsmarkt sind nicht nur Menschen mit kleinem Einkommen. Die existenziellen Sorgen um bezahlbares Wohnen reichen bis in die Mittelschicht. So wird bezahlbares Wohnen in einer INSA-Umfrage Anfang 2024 als das zweitwichtigste politische Thema genannt – direkt nach der Inflationsbekämpfung.
Es sind dabei die immergleichen Mechanismen, die den Konflikt anheizen: Luxussanierung, entgrenzte Mieterhöhungen, (spekulative) Leerstände, steigende Bodenpreise und zahlreiche Möglichkeiten für Eigentümer von Wohnraum, mit Steuertricks Millionengewinne einzustreichen. Die wenigen Gesetze, die dem begegnen, sind zahnlos, Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien trauen sich nicht ran an diese offenkundig unsoziale Gesetzeslage. Im Ergebnis werden sozial durchmischte Stadtviertel zerstört, die gesellschaftliche Spaltung wächst.
Im Zentrum dieser Geschichte steht die Immobiliengesellschaft M-Concept Real Estate. Während deren Geschäftsführer, Stefan Mayr, auf der Webseite des Sportauto-Herstellers Ferrari stolz mit seinen »25 Ferrari-Juwele[n]« protzt, fällt sein Unternehmen in München durch spekulativen Leerstand von dringend benötigtem Wohnraum auf.
Neben einem leerstehenden Gründerzeithaus in bester Lage – der Agnesstraße 48 – gehört dazu auch das münchenweit bekannte »Sendlinger-Loch« – ein Bauloch für angeblich 128 Wohnungen. Trotz Baugenehmigung wird dort seit Jahren nicht gebaut. Es scheint zurzeit keine Abnehmer für die geplanten Luxusbauten zu geben. Für »normale« Wohnungen passt dem Investor wohl die Rendite nicht.
Finanzielle Sorgen muss sich M-Concept deswegen vermutlich nicht machen. Die Münchener Bodenpreise haben sich in Erwartung steigender Mieten allein von 2016 bis 2019 fast verdoppelt. Für Mayr bedeutet das Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit, die für die steigenden Mietpreise bezahlen muss.
Zusätzlich verbucht das Unternehmen – wie viele Münchner Investoren – seine Gewinne in der Steueroase Grünwald. Dort, wenige Kilometer vor den Toren Münchens, zahlt man weniger als die Hälfte der Münchener Gewerbesteuer, der Hebesatz liegt bei 230 statt 490 Prozent. Kein Wunder, dass man in Grünwald nicht wenige »Bürogebäude« mit mehr Klingelschildern als Quadratmetern Bodenfläche findet. Der Fiskus schaut hilflos zu oder verschließt die Augen. Auch die Bundesregierung zeigt keinen Willen, das Steuerrecht so zu ändern, dass die Gewerbesteuer auch zweifelsfrei dort anfällt, wo die Gewinne gemacht werden.
Im konkreten Fall der jetzt leerstehenden Agnesstraße 48 begann der Wahnsinn 2016, als das Haus mit 15 Mietparteien in die Hände einer Firma namens Agnes48 UG gelangte. Es folgten Ankündigungen von Modernisierungen mit damals noch möglichen Mieterhöhungen von bis zu 300 Prozent. Andrea Nahles, zu dieser Zeit SPD-Fraktionschefin, zitiert den Fall sogar im Bundestag. »Bürgerinnen und Bürger«, kritisierte sie, »werden durch Luxussanierungen und explodierende Mieten aus ihrem angestammten Quartier gedrängt«.
Genauso kam es. Nach und nach gaben die Mieterinnen und Mieter auf und begannen, ihre Wohnungen gegen Abfindungen zu verlassen. Der letzte Mieter kämpfte bis 2019. Gerüchteweise lag seine Abfindung schließlich in sechsstelliger Höhe. Seitdem steht das Haus leer und Stefan Mayr von M-Concept wurde zum alleinigen Geschäftsführer der Agnes48 UG.
Von Modernisierung war dann keine Rede mehr. Stattdessen sollte das 1902 errichtete Haus abgerissen und durch Luxus-Eigentumswohnungen ersetzt werden. Erst durch den Druck der Nachbarschaftsinitiative Rettet Agnes 48 wurde das Bestandsgebäude schließlich unter Denkmalschutz gestellt. Ein schwerer Schlag für M-Concept. Seitdem verrottet das Gebäude und die Agnes48 UG freut sich über die weiter steigenden Bodenpreise.
»Laut Statistischem Bundesamt stehen allein in München rund 47.000 Wohnungen leer – ein Großteil davon dauerhaft. Das entspricht Wohnraum für knapp 100.000 Menschen.«
Was folgte, ist ein Paradebeispiel für das ungleiche Machtverhältnis zwischen Kommunen und Investoren. Während die Stadt München ein Instandsetzungsverfahren gegen den Investor noch ablehnte, bot sich im September 2021, kurz vor der Bundestagswahl, die Möglichkeit, das Gebäude selbst zu erwerben und wieder nutzbar zu machen.
Ausgangspunkt war ein auf Druck der Linken neu beschlossenes »Erhaltungssatzungsgebiet«, das der Stadt bei Hausverkäufen ein Vorkaufsrecht einräumt. Auf dessen Ausübung spekulierte offenbar M-Concept, als es das Haus an einen Starnberger Investor zu einem Preis von 35 Millionen Euro weiterverkaufte. Das lag weit über dem geschätzten Marktwert von 22,5 Millionen Euro und dem Kaufpreis des Jahres 2016, der bei rund 10 Millionen gelegen haben soll.
Im Münchener Stadtrat sprach man von einem »fingierten Kauf«. Trotzdem wurde beschlossen, das Haus mittels Vorkaufsrecht zu kaufen, allerdings mit einer »Kaufpreislimitierung« auf den geschätzten Marktwert. Dazu kam es aber nicht. M-Concept beschloss, den Kauf rückabzuwickeln und das Vorkaufsrecht lief ins Leere. Die Stadt blieb auf den Notarkosten sitzen.
Wenige Monate später erklärte das Leipziger Bundesverwaltungsgericht die kommunalen Vorkaufsrechte grundsätzlich für rechtswidrig. Versprechungen der Bundesregierung, ein rechtssicheres Vorkaufsrecht wiederherzustellen, bleiben bis heute unerfüllt. Damit entfällt für die Kommunen ein wichtiges Instrument zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum.
Heute verfällt das Haus in der Agnesstraße 48. Die Stadt schaut dem Leerstand kampflos zu. Das Dramatische: Dieser Leerstand ist kein Einzelfall. Laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes stehen allein in München rund 47.000 Wohnungen leer – ein Großteil davon dauerhaft. Das entspricht Wohnraum für knapp 100.000 Menschen, in einer Stadt, in der Wohnraum von vielen verzweifelt gesucht wird. In einer Plakataktion hat die Münchner Linke im August 2023 auf 50 komplett leerstehende Mehrfamilienhäuser in besten Lagen hingewiesen. Dafür gab es viel Öffentlichkeit, aber Reaktionen seitens der Münchner Politik blieben aus.
Eines ist klar: Der liberalisierte Wohnungsmarkt ist die Ursache der Mietenkrise, nicht deren Lösung. Es ist ein beständiger Mythos, dass sich das Problem allein durch Angebotserweiterung, also Wohnungsneubau, lösen ließe. Die Realität ist: Neubauwohnungen sind selten bezahlbar und entstehen in der Regel nicht in den Vierteln, in denen sie benötigt werden, sondern an den Stadträndern. Damit stellen sie für viele Bestandsmieter kaum eine reale Alternative dar. Die preisdämpfende Wirkung auf die Mieten bleibt gering.
Der entscheidende Schlüssel für eine nachhaltige und soziale Wohnungspolitik liegt woanders – in der Regulierung und sozial-gerechten Nutzung des Bodens und des Wohnungsbestandes. Das heißt: Stopp von leistungslosen Gewinnen für einige Glücksritter und Rückbesinnung auf das Wohl der Allgemeinheit statt Profitorientierung.
Auf politischer Ebene gibt es vier Hebel, um den Spekulanten das Handwerk zu legen. Erstens: die Regulierung der Bodenpreise, der größte und wichtigste Hebel. Dazu gehört die Abschöpfung von Bodenpreiszuwächsen, um die Preisexplosion zu stoppen und Bodenspekulation unrentabel zu machen.
Für den sozialen Wohnungsbau braucht es außerdem einen Bodenpreisdeckel. Denn nur auf bezahlbarem Boden kann bezahlbarer Wohnraum entstehen. Heute machen die Bodenpreise in München nicht selten 70 Prozent der Baukosten aus. Langfristig müssen Grund und Boden in die öffentliche Hand, damit sie nicht den Profitinteressen des Marktes unterliegen.
Zweitens müssen die bereits zu hohen Preise durch einen Mietpreisdeckel abgesenkt werden. Drittens braucht es eine systematische Erhebung von Leerstand und eine Strafsteuer auf ungenutzten Wohnraum. Das erhöht den Druck nicht nur auf Immobilienspekulanten, sondern auch auf Eigentümer, die aus verschiedenen Gründen kein Interesse haben, ihre Wohnung zu vermieten. Eine solche Leerstandsabgabe wurde vor kurzem zum Beispiel in Lindau am Bodensee diskutiert.
»Gentrifizierung und Luxussanierung leben davon, dass sie lautlos ohne Widerstand der Betroffenen stattfinden. Investoren scheuen die Aufmerksamkeit für ihre Praxis, denn eine wachsame Öffentlichkeit schmälert die Renditemöglichkeiten.«
Viertens braucht es ein rechtssicheres Vorkaufsrecht, das es den Kommunen ermöglicht, Wohnraum zu einem sozialverträglichen Kaufpreis zu erwerben. Der Kaufpreis soll sich dabei nicht am Verkehrswert, sondern am Wert der Immobilie bei sozialer Vermietung orientieren.
Die Realität ist aber auch: Die Kräfteverhältnisse in den Parlamenten sind meilenweit davon entfernt, auch nur eine der genannten Maßnahmen umzusetzen. Der wichtigste Hebel liegt damit bei uns allen, als Mieterinnen und Mieter. Wir müssen den Widerstand gegen die Immobilienspekulanten in jedem einzelnen Fall vor Ort organisieren und uns politisch und juristisch wehren. In den organisierten Mietergemeinschaften und Nachbarschaften liegt die Stärke einer schlagkräftigen Mieterbewegung.
Wir müssen die Vorgänge auf dem Immobilienmarkt öffentlich machen und skandalisieren. Denn Gentrifizierung und Luxussanierung leben davon, dass sie lautlos ohne Widerstand der Betroffenen stattfinden. Investoren scheuen die Aufmerksamkeit für ihre Praxis, denn eine wachsame Öffentlichkeit schmälert die Renditemöglichkeiten.
Schlussendlich braucht es auch Politikerinnen und Politiker vor Ort, die Rückgrat haben und nicht vor den Interessen des Immobilienkapitals einknicken. Die KPÖ macht in Graz und Salzburg vor, wie man mit einer klaren Fokussierung auf die Interessen der Mieterinnen und Mieter breite Unterstützung aus der Bevölkerung bekommt und auch bei Wahlen erfolgreich sein kann.
Sowohl um die Agnesstraße 48 als auch um das Sendlinger Loch gibt es Menschen, die den öffentlichen Druck beständig aufrechterhalten. Es ist ein beschwerlicher Kampf, aber nur so können wir gemeinsam Veränderungen in der Mietenpolitik erzielen.
Theo Glauch ist promovierter Physiker und Mitglied im Landesvorstand der bayerischen Linken. Seine Schwerpunkte liegen in der Mieten-, Wirtschafts- und Klimapolitik. Von 2020 bis 2022 saß er für Die Linke im Münchener Bezirksausschuss Schwabing-West.
Christian Schwarzenberger ist stellvertretender Sprecher der Linken in München und aktiv in der Münchner Mieterbewegung #ausspekuliert.