30. März 2023
Nanni Balestrini schrieb wie kein anderer über das chaotische Nachkriegsitalien, die Maschinenwelt von Fiat und die Verheißungen der Subkultur.
»Ein halbes Jahrhundert später ist die italienische Arbeiterbewegung in der Tat zerfallen.«
Illustrationen: Tanya TeibtnerMit Sprengsätzen beladen klettert der Verleger Giangiacomo Feltrinelli 1972 auf einen Hochspannungsmast bei Mailand, um die Elektrizitätsversorgung der Stadt lahmzulegen. Der Millionär ist davon überzeugt, mit seiner Aktion einen faschistischen Staatsstreich zu verhindern, der sich gegen die breite Arbeiterbewegung und einen Wahlsieg der Kommunistischen Partei richtet. Doch der Anschlag scheitert. Am nächsten Tag wird Feltrinellis Leiche aufgefunden und sein Porträt prangt auf allen Titelseiten. Die italienische Linke rätselt: Wurde der Verleger selbst zum Opfer?
Nanni Balestrini, Schriftsteller und langjähriger Redakteur im Verlag Feltrinelli, rückt diese Episode in seinem Roman Der Verleger in den Mittelpunkt. Zusammen mit Die Unsichtbaren und Wir wollen alles bildet das Buch eine Trilogie der Aufbrüche und Verschlingungen der italienischen Linken in den 1960er und 70er Jahren.
Zu Unrecht ist Balestrini heute fast vergessen, in Deutschland ist es schwer, überhaupt noch an seine Romane zu kommen. Dabei sind seine Texte nicht nur ästhetisch herausragend, sondern spiegeln auch in besonderer Weise die politische Situation im Italien der Nachkriegsjahre.
Für Balestrini markiert der verfehlte Bombenanschlag Feltrinellis das Ende eines Zyklus von Arbeitskämpfen, der in den frühen 1960ern begann und in die Revolte von 68 mündete. In Italien wurde in den folgenden Jahren praktisch ununterbrochen gestreikt: Im Jahr 1968 kam es zu rund 3.800 Arbeitskämpfen, 1969 waren es etwa 4.100 und 1971 sogar fast 5.600. Balestrini gehörte einer Strömung von dissidenten Intellektuellen an, die sich von den damals mächtigen Arbeiterparteien – der kommunistischen PCI und der sozialistischen PSI – abwandten. Zeitschriften wie die Quaderni Rossi oder Gruppen wie die Potere Operaio, die er beide mitgründete, lehnten die Kompromissbereitschaft und Staatsorientierung der traditionellen Linken ab und versuchten stattdessen, durch die wachsenden Klassenkonflikte einen revolutionären Aufbruch herbeizuführen.
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Matthias Ubl ist Contributing Editor bei Jacobin.