18. Oktober 2022
Die Klimabewegung wird nicht radikaler, wenn sie sich an Straßen klebt oder Gemälde mit Suppe bewirft. Sie wird strategisch ratloser.
Keine Sorge, nichts passiert: Der Van Gogh ist fast unbeschädigt, dafür gibt es ordentlich Medienrummel um den Aktivismus – allerdings kaum um die Ölindustrie.
IMAGO / ZUMA WireEs ist der absolute Meta-Joke für die kunstinteressierten Genies dieser Welt: Zwei Aktivistinnen der Gruppe »Just stop Oil« bewerfen Vincent van Goghs Sonnenblumen mit Tomatensuppe. Da fühlen sich halbgebildete Mittelklassen sofort gebauchpinselt: so viel Kunst, so viel Witz, so radikal. Mit einem Ölgemälde auf die Klimakatastrophe und das Bohren nach Öl aufmerksam machen, Wahnsinn.
Fast so gewitzt wie sich wegen des Schuldenschnitts für afrikanische Länder an die Tische im Bundesfinanzministerium zu kleben oder Autobahnen für Berufspendler zu blockieren. Jede neuerliche Aktion von Gruppen wie der »Letzten Generation«, »Debt 4 climate« oder »Just stop Oil« stehen für eine Form des Klima-Aktivismus, der die gewohnten Bahnen des Massenprotests durch Fridays for Future oder auch gewöhnliche Blockaden verlässt, weil sich diese nicht als wirksam genug herausgestellt haben. Ähnliche Aktionen – wenn auch nicht fürs Klima – kannte man bereits vom Zentrum für politische Schönheit. Auch dort waren die Polit-Stunts immer höchst umstritten und vor allem: wirkungslos.
Am Ende muss man sich fragen, ob der Aktionismus sein Ziel – nämlich auf die Klimakatastrophe oder die Ungleichbehandlung des Globalen Südens aufmerksam zu machen – tatsächlich erreicht, oder ob sich zwischen Gegnern und Befürwortern nicht bloß eine Spirale der Empörung über die Form des Protests dreht. Natürlich kann man einwenden, dass dadurch immer auch Inhalte transportiert werden. Aber Form und Inhalt sind eben nicht so ohne weiteres voneinander zu trennen. Wen genau soll es ansprechen, wenn junge Aktivistinnen ein Ölgemälde in einer Kunstaktion mit Tomatensuppe bewerfen, sich festkleben und im Anschluss ihrer Aktion die von Sekundenkleber verwundeten Hände in die Kamera halten?
Ja, sie haben sich für die Weltrettung verletzt, das Internet kann es sehen. Was wir sehen, ist die Opferbereitschaft einer Generation, die sich benimmt wie Harry Potter, der immer auch selbst etwas wehleidig vor seinen Freunden beklagte, dass leider nur er der Auserwählte sein könnte, um gegen Voldemort zu kämpfen. Doch am Ende kommt heraus, dass er nicht einmal der Auserwählte ist – auch in der Fantasy-Welt geht nicht alles allein.
Aber zurück zu van Gogh oder den Klebestreifen auf der Autobahn: Im vollkommen legitimen und ehrenwerten Ansinnen, die Welt vor der Klimaapokalypse zu warnen, dient die Tat oft eher der Selbstinszenierung einiger erleuchteter Aktivistinnen und Aktivisten. Es ist eben nicht das Gleiche, ob indigene Völker sich gegen eine Öl-Pipeline mit dem Leben wehren oder ob ein Kunststudent sich an die A1 klebt und dann eine Geldstrafe befürchten muss. Ähnliches ließe sich über die Hungerstreiks sagen, die vor knapp einem Jahr vor dem Reichstag für Aufruhr sorgten. Alle diesen Aktionsformen haben gemein, dass es sich vorrangig um den Mut oder die Opferbereitschaft der Aktivisten dreht, weniger um ihr Anliegen.
Am Ende muss man festhalten: Diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben bisher nicht dazu beigetragen, eine kritische Masse gegen die starken Lobbyinteressen der fossilen Industrie zu mobilisieren oder gar zu organisieren – genau die braucht man, wenn man es tatsächlich mit den wirtschaftlichen und politischen Gegnern aufnehmen will, die einem da entgegenstehen. Sekundenkleber auf Christian Lindners Tisch wird offensichtlich nicht die Macht des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank brechen. Um diesen Kampf zu gewinnen, braucht es weitaus größere Massen als eine kleine radikale Minderheit, die die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.
Es geht bei der Kritik an Aktionen wie diesen nun nicht darum, zivilen Ungehorsam gegen das System per se zu diskreditieren. Im Gegenteil, historisch waren es immer wieder kleine Aufstände oder symbolische Taten des Ungehorsams, die einen Massenprotest losgetreten oder mindestens begleitet haben. Sie ersetzten nicht den breiten Protest, vielmehr formierte sich um sie herum eine Bewegung oder ein Unmut, der massentauglich wurde. Die Frauenbewegung, die Bürgerrechtsbewegung, die Arbeiterbewegung und letztlich auch die historische Klimabewegung haben sich auf der Basis ihrer zentralen Forderungen herausgebildet und wurden dann stärker, wenn sie größer wurden, nicht kleiner.
Die Avantgarde, die hier ihre eigene Leidensfähigkeit zur Schau stellt, ist weder am stärksten unterdrückt noch am heftigsten betroffen. Genau genommen wird die Klimakatastrophe junge weiße Aktivistinnen und Aktivisten global vermutlich zuallerletzt treffen. Es scheint auch nicht ihr Anliegen zu sein, breite Massen von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu überzeugen, sondern aufzurütteln, zu schockieren, zu stören. Das hat sich gerade bei den Autobahnblockaden der Letzten Generation der vergangenen Monate gezeigt. Sie sind eine strategische Sackgasse, weil genau die breite Masse eher genervt auf die Aktionen reagiert, selbst wenn sie grundsätzlich nicht einmal etwas gegen Klimaaktivismus haben.
Es gibt kluge Blockaden und es gibt auch strategischen, zivilen Ungehorsam. Er muss sich daran messen lassen, ob sich eine kritische Öffentlichkeit und ein Solidarisierungseffekt einstellt, weil er sich gegen herrschende Interessen stellt. Wenn es aber eher darum geht, sich selbst als Erleuchtete darzustellen, die der verblödeten Masse die Rückständigkeit ihres eigenen Tuns vor Augen führen, dann können sich Aktionen wie diese sogar ins Gegenteil verkehren und selbst diejenigen abschrecken, die man eigentlich gewinnen will. Klimakrise bleibt eben auch Klassenkampf. Und dazu gehört, die Klasse zu organisieren. Die Aktionsformen können und sollten variieren, sich im besten Fall ergänzen.
Wenn sie sich jedoch widersprechen, und der Kraftfahrer oder die Pendlerin am Ende des Tages das Gefühl hat, mit diesem Klimazeugs nichts zu tun zu haben, dann haben wir nichts gewonnen. Wir haben auch nichts gewonnen, wenn Kunstaktionen nur von wenigen verstanden werden. Dann bleibt die Rettung des Klimas ein Elitenprojekt.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.