17. Juni 2020
Während koloniale Statuen von den Sockeln gerissen werden, rangiert die Reform des afrikanischen Währungsverbunds Franc CFA unter »ferner liefen«. Dabei ist die Währung ein Paradebeispiel dafür, wie europäischer Neokolonialismus heute funktioniert.
Detail einer 5000 Franc CFA-Banknote
Am 21. Dezember 2019 verkündeten die Präsidenten Frankreichs und der Elfenbeinküste, Emmanuel Macron und Alassane Ouattara, dass sie gemeinsam die neue westafrikanische Regionalwährung Eco ins Leben rufen werden. Anfang Juli plant die französische Nationalversammlung, das Vorhaben zu ratifizieren. Die neue Währung acht früherer Kolonien löst den sogenannten Franc CFA ab. Der Schritt wird in Frankreich und den europäischen Medien als ein neues Kapitel in der Geschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen dargestellt. Doch was hatte es mit dem Franc CFA auf sich? Wieviel verändert sich durch die neue Währung? Und inwiefern ist Deutschland an diesen Manövern beteiligt?
Wie wir seit der Euro-Krise und der traurigen Unterwerfung Griechenlands durch die Troika wissen, führt das Fehlen einer eigenen Währung zum Verlust jeglicher monetären Souveränität. Den betroffenen Staaten geht damit die Möglichkeit abhanden, ihre Wirtschaft über Währungsauf- und -abwertungen im internationalen Wettbewerb zu schützen. Steigen die Schulden, bleibt nur die Möglichkeit, das Geld durch Austeritätsprogramme auf dem Rücken der Bevölkerung einzutreiben. Fremdgesteuerte Währungen beschränken den politischen und ökonomischen Handlungsspielraum peripherer Länder massiv.
Ein Paradebeispiel dieser Art von Währung ist das neokoloniale Währungsarrangement Franc CFA. Seit seiner Gründung 1945 war der Franc CFA ein Instrument Frankreichs, seine wirtschaftlichen Beziehungen mit West- und Zentralafrika strategisch zu steuern. Er steht für zwei Währungsunionen, die 180 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent als Zahlungsmittel nutzen: der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (Elfenbeinküste, Senegal, Mali, Niger, Burkina Faso, Togo, Benin und Guinea-Bissau) sowie der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (Kamerun, Gabun, Äquatorialguinea, Zentralafrikanische Republik und Republik Kongo).
Politisch und historisch geht die Trennung auf die beiden Kolonialgebiete Französisch-West- und Äquatorialafrika zurück. 1945 entschloss sich Frankreich, dem Wiederaufbau und der Anpassung an das US-dominierte Bretton Woods-Abkommen mit einer Neuordnung der kolonialen Ausbeutungs- und Austauschbeziehungen zu begegnen. Die Währung war dabei ein Instrument unter vielen, aber ein wichtiges, denn sie beeinflusst den Preis von Im- und Exporten entscheidend.
Ökonomisch unterscheiden sich beide Währungsunionen darin, dass die zentralafrikanische Union im Gegensatz zur westafrikanischen ölexportierend ist. Wachstums- und Rezessionsphasen machen deshalb jeweils separate geldpolitische Steuerung notwendig. Die zentralafrikanische Währungsunion wird den Franc CFA daher auch behalten, der Eco wird zunächst in Westafrika eingeführt.
Bis ins späte 19. Jahrhundert wurden in Westafrika eine Vielzahl an Währungen genutzt. Zum Einsatz kamen insbesondere die langlebigen Kaurimuscheln, die schon seit dem 12. Jahrhundert den Trans-Sahara-Handel von Westen nach Osten und zurück dominiert hatten. Um ihre ökonomische und politische Kontrolle auszuweiten, entschieden sowohl Frankreich als auch Großbritannien im späten 19.Jahrhundert, Franc und Sterling als offizielle Währungen in ihren Kolonien durchzusetzen, um Preise, Produktion und die ökonomischen Strukturen in ihrer Breite besser beeinflussen zu können.
Diese Fremdbestimmung der eigenen Wirtschaftspolitik durch eine im Kern ausländische Währung wurde mit der Gründung des Franc CFA (ursprünglich eine Abkürzung für: »Franc der französischen Kolonien in Afrika«) beibehalten und nur leicht institutionell modifiziert. Während des Krieges hatten die Kolonien ihre Handelsbeziehungen stark diversifiziert. Frankreich suchte nach Wegen, sie wieder einzunorden.
Kritischeren westafrikanischen Politikern war ein tödliches Schicksal beschieden, wie der senegalesische Ökonom Ndongo Samba Sylla und die französische Journalistin Fanny Pigeaud in ihrem Buch »Africa's last colonial currency« beschreiben. Alle afrikanischen Führer, die die Bande mit Frankreich seit den 1960ern kappen wollten, wurden abgesetzt und/oder umgebracht.
Sylvanus Olympio etwa, nach der Unabhängigkeit 1960 kurzzeitiger Präsident der früheren deutschen Kolonie Togo, hatte an der London School of Economics studiert und plante eine eigene togoische Währung. Kurz darauf wurde er 1963 in einem Putsch ermordet, seitdem ist der Eyadéma-Clan an der Macht. Als 2005 das Goethe-Institut brannte, weil der Übergang von Vater Gnassinbgé zu seinem Sohn Faure Eyadéma von breiter Mobilisierung der Bevölkerung begleitet war, beklagte sich Außenminister Joschka Fischer leise. Dem Führungsanspruch Frankreichs in der Region wurde jedoch nichts entgegengesetzt. Gleiches wiederholt sich in diesen Monaten. Faure wurde gerade nach 15 Jahren »wiedergewählt«, die Bevölkerung protestiert, das Regime bleibt.
Auch nach den Unabhängigkeiten blieb Frankreich wichtigster Handelspartner, der Bankensektor war französisch dominiert und eine enge militärische Kooperation über geheime Militärabkommen abgesichert. Eine Situation, die man lange mit dem ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah als ‚Neokolonialismus« bezeichnen konnte. Formal war der Kolonialismus zu Ende, de facto bestand er ökonomisch weiter.
Mit dem Franc CFA, der zunächst fast doppelt so viel wert war wie der französische Franc, wollte Frankreich vor allen Dingen die Importe aus der Metropole verbilligen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit westafrikanischer Produkte schwächen, um sie wieder in den Schoß privilegierter Absatzverträge mit Frankreich zu holen. Ist die eigene Währung stark, werden Importe billiger und die Anreize sinken, wichtige Produkte selbst herzustellen.
Ohne eigene Zentralbank wurden Geldpolitik und der Wechselkurs aus dem französischen Finanzministerium gesteuert. Eigene Zentralbanken in Dakar und Yaoundé bekamen die Währungsunion erst in den 1970ern, als sogar die von Frankreich protegierten Staatschefs um den ivorischen Präsidenten Houphouet-Boigny und den togoischen Gnassingbé Eyadéma Reformen forderten. Grund für die Proteste war die einseitige Abwertung des französischen Franc im Jahre 1969. Der Franc CFA wurde dadurch automatisch weniger wert. Das minderte den Wert der Devisenreserven der CFA-Staaten stark, die sie in Paris parken mussten, und machte Importe wesentlich teurer. Gleichzeitig verstärkte das den Druck zur Kreditaufnahme massiv, die Verschuldung stieg.
Der Franc CFA ist also auch ein Instrument Frankreichs, um die herrschende Klasse in West- und Zentralafrika so loyal wie möglich zu halten. Die zentralen ökonomischen Mechanismen der Währung sind folgende, das ändert sich auch mit dem Eco nicht: Die beiden Franc CFA sind über einen festen Wechselkurs von 655,957:1 an den Euro gebunden. Die Regierungen können nicht auf- oder abwerten. Die Währung ist frei in den Euro konvertibel und Frankreich garantiert, Devisenreserven nachzuschießen, sollten diese einmal komplett zur Neige gehen. 50% aller Devisenreserven müssen in Paris auf dem sogenannten »Operationskonto« geparkt werden und stehen nicht für Investitionen zu Verfügung. Letzteres zumindest soll sich beim Eco ändern, die Zwangsjacke der Bindung an den Euro aber bleibt.
Zudem sehen die Statuten vor, dass innerhalb der Mitgliedstaaten nur eine Kreditgeldmenge durch Vergabe der Banken geschaffen werden darf, die zu 20% von Zentralbankgeld gedeckt werden muss. In der Eurozone übersteigt die Geldschöpfung der Banken diejenige der Zentralbanken zeitweilig um mehr als das 10-fache. Diese Mechanismen des Franc CFA führen so zu einem extrem engen wirtschaftlichen Korsett, denn ohne Zugang zu Krediten wird es gerade für kleine Unternehmen schwierig, zu operieren und expandieren.
Im Dezember 2019 verkündeten Macron und Ouattara nun überraschend das Ende des westafrikanischen Franc CFA und riefen den baldigen Beginn des Eco aus. Der Eco war zuvor vor allem ein gesamt-westafrikanisches Währungsprojekt, das auch die regionalen Schwergewichte Ghana und Nigeria umfassen sollte, die im neuen Eco-Verbund aber nicht involviert sind. Diese sind nun düpiert, ein regionaler Machtkampf ist entbrannt, in dessen Mitte sich Frankreich bewegt. Zum jetzigen Stand ist der Eco, der den Franc CFA nach 75 Jahren ersetzen soll, aber nur eine Proklamation. Der Franc CFA ist weder abgeschafft noch modifiziert. Und außer dem Namen und dem Aufbewahrungsort der Devisenreserven wird sich ohnehin wenig ändern.
Die deutsche Regierung lässt Macron gewähren. Dies ist wenig überraschend. Denn die Zusammenarbeit der deutschen mit den französischen Regierungen in der möglichst profitablen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents und die Beziehungspflege mit wohlgesonnen afrikanischen Kadern besteht seit dem späten 19. Jahrhundert.
Einen deutschen »Platz and der Sonne« begann Bismarck erst spät in den 1880ern zu suchen und war dabei Gegenwehr ausgesetzt. Die deutschen Kolonien Deutsch-Südwest (heutiges Namibia), Togoland, Deutsch-Ostafrika (heutiges Ruanda, Burundi und Tansania) und Kamerun wurden während des Ersten Weltkrieges schnell und sämtlich an Frankreich und England verloren.
In den geostrategischen Überlegungen deutscher Wirtschaftsführer und expansionistischer Politiker war jedoch immer klar, dass der afrikanische Nachbarkontinent in Wert gesetzt werden musste. »Eurafrika« lautete das Schlagwort. Ob als Absatzmarkt, Quelle wichtiger Rohstoffe, Siedlungsgebiet oder heute als Ort der »Fluchtursachenbekämpfung« und Quelle billiger Arbeitskraft für die Plantagen Südeuropas, für Afrika muss Europa allein aufgrund seiner geographischen Lage Lösungen finden.
Im Zuge der europäischen Einigung verlegte sich Deutschland jedoch stärker auf die Einbindung osteuropäischer Staaten in ihre Wertschöpfungsketten, die relative Bedeutung des afrikanischen Kontinents sank. Die französischen Regierungen wurden in ihrer neokolonialen Politik in Ruhe gelassen. Als im Zuge der Verhandlungen über den Euro 1998 mit Hinblick auf den Franc CFA und die Rolle der Europäischen Zentralbank beschlossen wurde, dass der Franc CFA separat vom EZB-System nur über das französische Finanzministerium und die Banque de France gesteuert werden sollte, überließ Deutschland Frankreich seine neokoloniale Spielwiese (die resultierende Entscheidung des Rates der EU erlaubt einen tiefen Einblick in die koloniale Gegenwart der EU).
Im Laufe des letzten Jahrzehnts, vom Aufstieg Chinas, der sukzessiven Abkehr von der transatlantischen Allianz und schwacher deutsch-französischer Kooperation geprägt, rückt in Deutschland der afrikanische Kontinent jedoch stärker ins Rampenlicht. Seit 2015 hat die Merkel-Regierung ihre Afrikapolitik deutlich intensiviert. Die Kanzlerin bereist regelmäßig den afrikanischen Kontinent, die strategische Bedeutung des Kontinents kehrt zurück. Migration, Wettbewerb um strategische Rohstoffe und ein potentiell riesiger Absatzmarkt des Kontinents mit der am schnellsten wachsenden Bevölkerung bringen eurafrikanische Konzepte wieder auf den Tisch.
Die westliche Mittelmeerroute durch Mali und Niger (beides Staaten, die den Franc CFA und wohl bald den Eco nutzen) ist eine der wichtigsten Migrationsrouten nach Europa, da sie Zugang zu Spanien verspricht. Während die Balkanroute durch den Erdogan-Deal (vorerst) geschlossen wurde und die zentrale Mittelmeerroute von Libyen militärisch bearbeitet wird, sind die Transitstaaten Mali und Niger ein wichtiger Baustein im europäischen und damit auch deutschen »Migrationsmanagement«.
Das Bundeswehrengagement in Mali, die größte Auslandsmission, die die marode Armee aktuell durchführt, ist ohne die deutsch-französische Analyse, dass Migrationsabwehr ohne halbwegs stabile Partnerregierungen nicht funktionieren kann, nicht denkbar. Afrika wird heute vor allem auch als Quelle von Migration gesehen. Malthusianische Warnungen vor der Welle der Migrantinnen haben Konjunktur: Auch aus diesem Grund soll der Compact with Africa Investitionsbeziehungen zwischen den teilnehmenden Staaten (sechs von ihnen aus der westafrikanischen Währungsunion) und dem deutschen Mittelstand intensivieren.
Dass nun also Deutschland im französischen »Hinterhof« zu wildern beginnt, könnte das Ende des Franc CFA mitsamt seiner neuen Verkleidung als Eco beschleunigen. Denn wachsende intra-europäische Konkurrenz könnte den Handlungsspielraum progressiver afrikanischer Regierungen zwischen China, den USA und verschiedenen europäischen »Partnern« erhöhen. Nun wäre eine europäische Linke gefragt, um die traditionsreiche deutsche und europäische Unterstützung des neokolonialen Franc CFA-Systems durch andauernde Aufmerksamkeit und Skandalisierung unmöglich zu machen.
Angesichts der Welle gestürzter Statuen von Sklavenhändlern und Kolonialdespoten im Zuge der #BlackLivesMatter-Proteste stellen sich Fragen nach den europäischen Kolonialbeziehungen und ihrer Gegenwart erneut. Doch wollen wir den Kolonialismus aus den EU-Afrikabeziehungen zurückdrängen, sind gestürzte Statuen nur ein Anfang.
Über den Autor
Kai Koddenbrock forscht zu internationalen Beziehungen und politischer Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt. Mit Benjamin Braun koordiniert er ein Forschungsnetzwerk zur Politik des Geldes.
Kai Koddenbrock ist Professor für Politische Ökonomie am Bard College Berlin.