18. März 2021
»Tribes of Europa« und »Dark« inszenieren den gesellschaftlichen Kollaps. Je näher die Katastrophen im echten Leben an uns heranrücken, desto schlechter werden die apokalyptischen Serien.
Viel Atmosphäre, wenig Substanz: Die Atomkatastrophe verkommt bei »Dark« zum Hintergrundrauschen einer Story über Selbstaufgabe und Ursprungsliebe.
Es ist eigentlich ganz einfach: man setze ein paar junge Menschen in einem Wald aus und schon verbreitet sich die postapokalyptische Stimmung wie von selbst. Waldeinsamkeit ist ohnehin etwas, das nur Deutsche spüren, so wie Zugluft. Dazu noch eine stimmungsvolle Katastrophe, am liebsten etwas mit Atomkraftwerken, mindestens aber ein großer Blackout – hauptsache der Strom fällt aus. Zuletzt untermale man das Ganze noch mit donnernder Musik, so als könnte man die berüchtigten Stahlgewitter endlich spüren. Fertig ist die perfekte faschistische Grundstimmung.
Das sind in etwa auch die Grundzutaten von Tribes of Europa und Dark, zwei der letzten deutschen Großprojekte für den Streaming-Dienstleister Netflix. Beide sind auf ihre Art international erfolgreich – das liegt wohl eher daran, dass der Algorithmus sie in die Top 10 spült und sagt weniger darüber aus, ob diese Serien wirklich gut sind. Als Tatort-Zuschauerin ist man ja Einiges gewohnt, aber warum sich auch ein internationales Publikum für die faszinierend schlechten Dialoge und die langsame Story erwärmt, ist rätselhaft. Um sich die volle Dröhnung zu geben, ist es im Ausland sogar zu einer Art Trend geworden, die Serien in deutscher Sprache und mit Untertitelung zu schauen, obwohl beide in synchronisierter Fassung verfügbar sind.
Tribes of Europa ist in dieser Hinsicht sogar noch etwas unangenehmer als Dark. Die Serie, in der sich nach einem mysteriösen Shutdown im Dezember 2029 die Überlebenden über den Kontinent hinweg bekriegen, setzt bewusst auf ein gestelztes Denglisch. Da die Hälfte der »Stämme« ohnehin nur Englisch spricht, wird dem Publikum auch noch zugemutet, den Großteil der Dialoge in einem Englisch mit fürchterlichem deutschen Akzent ertragen zu müssen.
Als wäre das alles nicht genug, wird auch noch jede wichtige Information mindestens drei Mal erwähnt, damit sie am Ende auch wirklich jeder verstanden hat. Immerhin wurde uns diese typische Pädagogisierung, die im deutschen Fernsehen so weit verbreitet ist, in Dark erspart: Man muss schon ein bisschen mitdenken, um zu wissen, in welchem Jahrzehnt man sich befindet oder wer mit wem verwandt ist und aus Versehen trotzdem miteinander schläft. Außerdem sprechen die Protagonisten in der deutschen Kleinstadt Winden, die eigentlich in dieser Trostlosigkeit nur in Niedersachsen liegen kann, Hochdeutsch und tragen Kleidung aus dem Jack-Wolfskin-Ausverkauf. Die Serie schmiegt sich also so nah an die Realität heran, dass man sich ganz auf den Krimi einlassen kann.
Aber zurück zum Faschismus. Beide Serien erwecken mit den düsteren Figuren und dem melancholischen Setting unweigerlich das Gefühl vom Weltuntergang. Tatsächlich geht es auch um den großen Breakdown und der zerrütteten Zivilisation danach. Während bei den Tribes die Crows eine Art osteuropäische sadomasochistische Waffen-SS darstellen, hat sich in Dark eine mystische Sekte dazu verschworen, die Zeit unter ihre Gewalt zu bringen. Beide Figurenwelten tragen insofern etwas Faschistoides in sich, als dass sie selbst unumwunden zugeben, dass Gewalt und Hierarchie notwendige Bedingung zur Welteroberung nach dem Chaos sind. Die Figur der Lady Varvara in den Tribes oder auch Noah in Dark sind nicht einfach böse Charaktere, sondern gebrochene Persönlichkeiten. Beide Serien erzählen ihre langen Leidensgeschichten, die sie zu den sadistischen Mördern werden lassen, die sie sind. Ein Lieblingstopos deutscher Geschichte: das Leiden an der Welt, das einen zum Schlächter werden lässt.
Neben dem Schrecken bauen beide Serien auf die ebenso beliebte Sehnsucht nach der Erlösung. In Dark zeigt sich diese in der bereits erwähnten sektenähnliche Bande um den alten Jonas (sorry für den Spoiler), der in einem ewigen Zeitloop gefangen ist, dem er zu entkommen versucht, und dabei aber eine Serie von Gewalt an Kindern in Gang setzt. Bei den Tribes erfahren wir bereits in der ersten Folge, dass nur die Arche der Atlantians die Rettung bringen kann.
Beide Erlösungserzählungen gleichen sich außerdem insofern, als dass Technik eine zentrale Rolle spielt. Baut sich Jonas noch über mehrere Jahre selbst die Zeitreisemaschine, die mit den Jahren immer avancierter wird, führt der Weg zur Arche bei den Stämmen Europas über einen kleinen Cube, der die hochtechnologische Überlegenheit der öminösen westlichen Atlantians versinnbildlicht. Ebenso hat in beiden Serien die Katastrophe einen technischen Ursprung: bei Dark gerät die atomare Energie außer Kontrolle, bei den Tribes ist es der Cyberwar. Die Techniken, die die Menschen einst geschaffen haben, sind ihnen nun über den Kopf gewachsen. Der Katastrophenfall wirkt dann am Ende wie unvermeidbar, praktischerweise gibt es keine Handlungsfähigkeit der Akteure vor dem GAU. Auch, dass auf die Katastrophe unweigerlich die Barbarei folgt, ist irgendwie typisch deutsch.
Beide Serien spielen also mit dem Versprechen, sich durch Gewalt der eigenen Qual zu entledigen oder sie zumindest zu betäuben. Wenn die Serien wenigstens das durchspielen würden, gäbe es immerhin eine gewisse Kohärenz. Doch beide Skripte setzen leider auch noch auf das Gegenstück: die Liebe oder die einende Idee. Relativ enttäuschend geht das komplexe Mehrwelten-Zeiten-System in Dark dann in der Zweierbeziehung von Martha und Jonas auf. Anstatt sich ganz der Idee hinzugeben, für immer im Loop gefangen zu bleiben, löst sich die Vorbestimmtheit des eigene Lebens hier in einer Art Liebeswurmloch auf. Das erinnert dann doch eher an Verbotene Liebe.
Die tragende Idee bei den Stämmen ist noch unangenehmer, da sie politischer zu sein scheint. Schon in der ersten Staffel wird angedeutet, dass die Crimsons in einer Art UN-EU-Verschnitt gewillt sind, den Kontinent durch eigene militärische Einsätze – mit sehr divers besetzten Kampftruppen – zu befrieden. Diesem Friedeneinsatz verfällt sogar Liv von den Originies, deren Stamm eine Art Kommune im mitteldeutschen Wald errichtet hat, die von den Crows angegriffen wurde. Um ihre in die Hauptstadt Brahtok (quasi das Berghain) verschleppte Familie zu retten, schließt sie sich binnen kürzester Zeit der Idee Europas an. Das Schönste an der Serie ist dabei das Monument Petrova Gora, ein glänzender und halb verfallender brutalistischer Bau aus dem ehemaligen Jugoslawien, der seiner Geschichte gegen Faschismus des 20. Jahrhunderts natürlich nicht nur beraubt, sondern auch noch von der abgeschmackt flachen Darstellung der militärischen Europa-Überzeugten, die ihn als ihre Basis nutzen, überzeichnet wird.
Postapokalyptische Serien und Filme sind nun an sich nichts Neues. Aus der Faszination über die tiefe Angst vor dem Kontrollverlust und der Barbarei, schöpfen ganze Genres im Kino und auf Netflix ihre Anziehungskraft. Insofern reihen sich die beiden Serien auch in eine lange Geschichte von Vorstellungswelten ein, die von den Zivilisationen nach dem Kollaps erzählen.
Doch der deutsche Abklatsch hat etwas Seltsames, das nicht allein durch schlechte Schauspieler oder Dialoge begründet ist – auch wenn diese Einiges zu der befremdlichen Stimmung beitragen. Je stärker uns die Klimakatastrophe ins Gewissen bricht, desto eigenartiger scheinen auch die apokalyptischen Serien zu werden. Als könnte man die realen Folgen nicht verarbeiten, flüchtet man sich wie in Dark eher in die grauen 1980er und die Angst vor der Atomkraft, die beileibe nicht mehr unsere einzige Sorge ist. Die Klimabewegung ist da in ihren Untergangserzählungen längst einige Schritte voraus, denn die Bedrohungen unserer Zeit sind längst nicht mehr nur Explosionen in Reaktoren, sondern Kipppunkte, das Schmelzen der Pole, die Verlangsamung des Golfstroms, das Artensterben. Doch in der kollektiven Vorstellungswelt, in der die Protagonisten immer noch Rettung in Atomschutzbunkern suchen, ist das offenbar immer noch nicht angekommen.
Der Rückfall in die Stammesgesellschaft dagegen bietet eigentlich den Stoff für eine potenziell spannende Serie. Wenn man etwa Thomas Hobbes ernst nimmt, dann droht beim Verlust der Sozialität der Durchbruch des Archaischen. Tribes of Europa jedoch ist nur ein billiger Abklatsch real existierender Figuren oder Konstellationen – dass aus den Referenzen auf EU, schwarz gekleidete faschistoide Truppen, den reitenden Schwestern von Femen und Ursprungs-Hippies nichts weiter gemacht wird, ist enttäuschend. Mehr als Stereotype, lineare Charakterentwicklungen und vorhersehbare Szenen werden nicht geliefert. Jede einzelne Szene und jede Figur gab es so bereits schon einmal: vom Salon und dem witzelnden Kleinkriminellen Moses (der witzigerweise in Ermangelung an deutschen Schauspielern von Oliver Masucci gespielt wird, der in Dark den ermittelnden Polizisten gibt) bis zu den sich auflehnenden Originie-Geschwistern. Selbst ihre Kleidung ist ein wilder Mix aus Cowboy und H&M-Mode.
Dark enttäuscht, weil die Serie die zentrale Frage nach Determinismus und Handlungsfähigkeit zugunsten einer mythischen Erzählung von Opfergabe und Ursprungsliebe fallen lässt – und außerdem in ihrer Ästhetik rückwärtsgewandt und kleinkariert wirkt. Tribes of Europa ist noch schlimmer, weil die Geschichte am Ende komplett sinnlos bleibt und alle früheren Science-Fiction-Elemente und -Charaktere bloß vermischt werden ohne etwas Neues hervorzubringen. Diesen Mix hätte ein Bot besser erstellen können als Drehbuchautor Philip Koch – vermutlich sogar mit besseren Dialogen. Die Lust an der Katastrophe gepaart mit sektenähnlichen Familienbeziehungen und faschistischer Ästhetik ist dabei so stereotyp deutsch, dass es beinahe wehtut.
Nichts daran ist neu, nichts ist überraschend. Die völlige Einfallslosigkeit.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.