26. November 2020
Die Netflix-Serie »Emily in Paris« zeigt eine Welt ohne Konflikte. Sie gaukelt uns vor: Mit Charme und Elan kommt auch der Erfolg.
»Emily in Paris« erzählt ein Märchen vom Erfolg ohne Widerstände.
Wie würde die Welt aussehen, wenn es keine Verlierer mehr geben würde und alle einfach nur noch gewinnen? Darren Star, der Macher von Beverly Hills, 90210 und Sex and the City, zeigt uns eine solche Welt mit seiner neuen Netflix-Serie Emily in Paris.
Der Plot geht ungefähr so: Emily (Lily Collins) wird zur Marketing-Direktorin einer neu akquirierten Tochterfirma in Paris befördert, um deren Instagram- und Twitter-Accounts auf Kurs zu bringen. Sie verlässt ihre Heimatstadt Chicago und ihren erfolgreichen Freund mit Footballer-Statur und landet als Expat in einer charmanten Pariser Dachgeschoss-Wohnung, um nun Luxusartikel anstatt Impfstoffe zu vermarkten.
Der Motor der ersten Staffel kündigt sich schon in der Ankunftsszene an: Der französische Makler Emilys neuer Wohnung macht ihr Avancen, erst nett, dann aufdringlich. Da sie kein Französisch spricht, versteht sie zunächst nicht, was er meint, lehnt erst höflich und am Ende genervt ab. Dieser Konflikt zwischen Sprache, Kultur und Sexualität wird dann über zehn Folgen in immer wieder neuer Fassung ausgespielt: Sie lernt einen gutaussehenden Franzosen kennen, mit dem sie fast nachhause geht, bis er ihr ins Ohr flüstert: »Ich liebe amerikanische Pussy.« Das geht der anfänglich prüden Emily zu weit. Später geht sie mit einem Semiotik-Professor aus, der ihr nebenbei beweist, dass Franzosen tatsächlich die ganze Nacht lang Sex haben. Die Beziehung endet in der Oper, als er anmerkt, dass Schwanensee einfältig sei und bloß was für Touristen. Sie zeigt ihm daraufhin den Mittelfinger mit den Worten: »Thomas, da du ein Zeichen-Gelehrter bist, wird es dir leichtfallen, das zu interpretieren«. Daraufhin er: »Das ist eher eine Geste.«
Es ist bemerkenswert, wie wenig die Medien über die Popularität einer Serie zu sagen haben, die zu den zehn beliebtesten Netflix-Serien aller Zeiten gehört. Anstatt zu fragen, welche Bedürfnisse sich in diesem Erfolg ausdrücken könnten, streitet man sich darum, was hier Realität sei und was Klischee. Auf der einen Seite finden sich da unzählige Blog-Einträge von Amerikanerinnen, die beschreiben, dass sich ihr Leben in Paris wirklich genauso anfühlte. Eine Bloggerin vermutet sogar, sie selbst sei Vorlage für die Rolle der Emily und zeigt als Beweis ein Foto aus dem letzten Jahr in dem sie genau wie die Protagonistin eine rote Baskenmütze vor dem Eiffelturm trägt. Auf der anderen Seite, vorneweg die französische Presse, beschwert man sich über die totale Verfremdung des Pariser Alltagslebens: Die Mittagessen seien überhaupt nicht mehr so lang, Misogynie sei auch nicht so ein Problem und allgemein tragen nicht alle Haute Couture im Büro. Und als letztes regt sich besonders in der anglophonen Presse Kritik an den Charakterzügen von Emily. Diese sei sowohl unrealistisch als auch egoistisch und unmoralisch: Wie kann sie es wagen einfach mit dem Freund ihrer besten Freundin zu knutschen?
Was man hier zu sehen bekommt, ist das Standard-Rezept der liberalen Presse: Populäre Bedürfnisse müssen unterdrückt und pathologisiert werden. Dabei ist der Konflikt zwischen den Kulturen eher ein Hintergrundrauschen zu der tatsächlichen Handlung: Wir schauen Gewinnern dabei zu, wie sie immer wieder gewinnen. Emily ist da das beste Beispiel: Mit ihren Instagram-Posts wird sie schnell zur Influencerin. Egal welche »Challenge« ihr bevorsteht, ihr entwaffnendes Lächeln und ihr unbedingter Glaube daran, für alles eine Lösung zu finden, öffnen ihr jedes Mal wieder die Türen zum Erfolg. Sogar als sie kurz vor dem Staffel-Finale gefeuert wird, dauert es keine drei Minuten bis sie ihre Stelle wieder zurückbekommt – dank des bürokratischen Arbeitsrechts in Frankreich, wie ihre Kolleginnen und Kollegen ihr und dem überraschten Publikum mitteilen.
Was Darren Star hier porträtiert, ist die Fiktion der Mittelklasse, oder das, was John und Barbara Ehrenreich 1977 die »Professional-managerial Class« (PMC) genannt haben – das Versprechen, dass harte Arbeit, eine positive Einstellung und Anstand zum Erfolg führen. Emily selbst kommt aus der weißen Chicagoer Vorstadt. Dort ist man wohl behütet vor den Grabenkämpfen und der Kriminalität des südlichen Teils der Stadt: »Jeder Tag war gleich«, beichtet sie an einer Stelle Mathieu Cadault (Charles Martins), dem Enkel des Star-Designers Pierre Cadault. »Du musst mich für so langweilig halten«, seufzt sie und zum ersten Mal zeigt sich bei Emily so etwas wie Unsicherheit. Der Enkel, mit einer Attitüde irgendwo zwischen Bohème und Aristokratie, antwortet: »Mir ist überhaupt nicht langweilig. Dir?«
Ob gewollt oder ungewollt, diese Szene ist genial. Natürlich ist Emily langweilig. Sie ist die Inkarnation einer »Basic Bitch«, wie sie sich an einer Stelle selbst bezeichnet. Sie, die immer wieder mit demselben Elan aufsteht und Probleme löst und Kunden zurückerobert, ist genauso vorhersehbar wie die Geschichte selbst. Und gleichzeitig sagt uns Mathieu, dass es genau diese Langeweile des Gewinnens in Endlosschleife ist, in der die Anziehungskraft von Emily in Paris liegt. Wenn alles um einen herum Krise, Niederlage und Prekarität schreit, wer möchte sich da nicht in solche Erfolgsmärchen flüchten?
Emily in Paris ist dabei bei weitem nicht der einzige Versuch, die gelebte Dauer-Krise durch ein starres Beharren auf dem Narrativ der PMC zu kompensieren. Dass das Erzählen vom Gewinnen allerdings nicht immer so reibungslos funktioniert, zeigt sich in Sofia Coppolas neuestem Film On the Rocks. Laura (Rashida Jones), eine erfolgreiche junge Autorin, sitzt an ihrem riesigen Schreibtisch in ihrem riesigen Loft in SoHo und bildet sich plötzlich ein, dass ihr ebenso erfolgreicher Ehemann, der für ein Tech-Startup arbeitet, sie betrügt. Hinzu kommt, dass ihr reicher Vater, gespielt von Bill Murray, ihr auch noch einredet, dass Männer alle gleich seien und nicht monogam leben könnten. Die Indizien häufen sich, bis sich sowohl die beiden Charaktere als auch die Zuschauerinnen und Zuschauer einig sind, dass Lauras Mann tatsächlich eine Affäre hat. Die erwartbare Überraschung ist, dass sich Laura das alles am Ende nur eingeredet hat: Ihr Ehemann ist treu, er liebt sie und sowieso ist alles gut. Der darauffolgende Zwist mit ihrem Vater wird dann auch noch schnell behoben und sie schreibt ihr zweites Buch. Das Problem ist dabei nicht nur, dass Coppola es schafft, sogar Murray unglaubwürdig aussehen zu lassen. Das Porträt einer Klasse, die sich ihre eigenen Probleme herbei halluzinieren muss, weil sie in ihrem von Erfolg gezeichneten Leben keinerlei echte Probleme hat, erstickt an der eigenen Langeweile.
Wie erzählt man also das Gewinnen? Und wo bleiben die Verlierer? Worauf sich Star in seinen Erfolgs-Serien implizit beruft, ist ein Film, der zunächst ein krasser Misserfolg war und im Laufe der Clinton-Jahre in den 90ern Kultstatus erreichte: Troop Beverly Hills (1989). Shelley Long spielt hier eine reiche Ehefrau, die von ihrem Ehemann wegen einer jüngeren Frau verlassen wird. So ganz alleine und gelangweilt in ihrem Anwesen entscheidet sie sich, ihrer Existenz einen neuen Sinn zu geben und die erste Pfadfinder-Gruppe in Beverly Hills zu gründen. Die in das ikonische Kostümdesign von Theodora Van Runkle gekleidete Mädchengruppe setzt sich das ambitionierte Ziel, das jährliche Pfadfinder-Treffen zu gewinnen. Trotz anfänglicher Anfeindungen durch Kinder aus den ärmeren Teilen der Stadt, die sich etwa über die maßgeschneiderten Pfadfinder-Uniformen lustig machen, bleibt die Truppe dank großzügiger Unterstützung der Milliardärseltern am Ball. Im finalen Wettkampf wird es dann schmutzig: Weil die Erzfeindinnen schummeln, gewinnen die mittlerweile disziplinierten Mädchen aus Beverly Hills. Außerdem kommt Longs Charakter wieder mit ihrem Ehemann zusammen. Das Happy End der 1 Prozent. Pünktlich zum Fall der Mauer, dem Triumph des Liberalismus und dem vermeintlichen Ende der Geschichte antizipierte Troop Beverly Hills eine tautologische Erzählung, die Darren Star später in seinen Serien ausbauen wird: Gewinnern beim Gewinnen zuschauen.
Allerdings bringt Star eine wichtige Verschiebung ins Spiel: Der (Klassen-)Antagonismus, der in Troop Beverly Hills noch in satirischer Form auszumachen war, verschwindet bei ihm gänzlich. Er bedient sich hier dem Zauber-Trick der sogenannten »Culture Wars« der 90er: Materielle Ungleichheit wird in einen Konflikt um kulturelle Werte verwandelt und plötzlich gibt es sie nicht mehr, die Verlierer der Geschichte – oder man spricht einfach nicht mehr über sie.
Es ist vielleicht genauso »basic« wie Emily in Paris, dieses Bedürfnis nach einer Welt ohne Verlierer als einen Fluchtreflex vor unserer politischen Realität zu verstehen. Gerade rechtzeitig zum Biden-Sieg können wir uns hier in die heile Welt der Mittelklasse zurückziehen, in der weiterhin die üppigen Früchte der Globalisierung geerntet werden und von Erfolg zu Erfolg marschiert wird. Das tröstet hinweg über die Realitäten der täglich erlebten Prekarität, Unsicherheit und Austerität, die als vermeintlich unausweichlich herbeigeschworen werden.
Diesen Reflex sollten wir allerdings nicht übergehen, sondern ihn stattdessen als das begreifen was er ist: ein Symptom des verfehlten liberalen Versprechens. Das bedeutet auch, dass es genügend Raum gibt, den Konflikt zwischen Gewinnern und Verlierern neu zu erzählen.