15. April 2022
Das Web3 ist verlockend: Es verspricht, das von Konzernen kontrollierte Internet zu dezentralisieren. Was wir stattdessen kriegen, ist rechtslibertäre Tyrannei.
Das Web hat massive Probleme: Einige wenige Konzerne haben nahezu unbegrenzte Macht. Sie spülen Geldmengen, die sich jeder Vorstellungskraft entziehen, auf die Konten einzelner und entscheiden, wer was online sagen darf. Menschen, die in der Kreativbranche arbeiten, werden ausgenommen. Trotz neuer Gesetzgebung ist es faktisch unmöglich, den Fluss der eigenen Daten zu kontrollieren.
Das utopische Versprechen des ursprünglichen World Wide Webs, freien Zugang zu Wissen und Teilhabe herzustellen, wurde im Zuge des sogenannten Web 2.0 vollständig durch eine Handvoll Konzerne kommerzialisiert. Nun soll es wieder aufleben: Einige Technologinnen und Venture-Kapitalisten behaupten, all diese Probleme lösen zu können, indem sie ein neues Web, ein Web3, auf Grundlage von Blockchains erzeugen. Die Technologie ist neu, aber die politischen Überlegungen dahinter stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Blockchains sind Datenbanken, die nicht über eine zentrale Instanz laufen, sondern allen Teilnehmenden eine volle Kopie zur Verfügung stellen. Sie sind so aufgebaut, dass man ihnen nur neue Daten hinzufügen, niemals aber alte löschen oder ändern kann. Anders gesagt: Eine Blockchain ist eine Datenbank ohne Kontrollinstanz, ohne Zensur und damit auch ohne jede Form des »Undo«, der Fehlerkorrektur.
Auf dieser Technologie wird das Web neu gedacht: Alle Prozesse im Netz (und außerhalb) sollen über die Erzeugung und den Besitz von und den Handel mit sogenannten »Token« (also Wertmarken) und den Transfer von Kryptowährungen wie Bitcoin zwischen pseudonymen Personen realisiert werden. Die für das Handling der Token nötigen Prozesse sollen von »Smart Contracts« gesteuert werden – vollautomatisch auf der Blockchain ablaufende Programme, welche die Regeln der Tokenwirtschaft in Programmiercode festhalten.
Der Web3-Diskurs ist von einem exklusiven Jargon bestimmt, in dem sich etliche solcher englischen Begrifflichkeiten tummeln, die zudem immer abstrakter werden. Das macht es Nicht-Eingeweihten praktisch unmöglich, im Detail nachzuvollziehen, worum es geht. Außerdem täuscht diese Sprache über weniger glanzvolle Umstände hinweg: zum Beispiel, dass die beiden großen Blockchains Bitcoin und Ethereum zusammen in etwa so viel Strom verbrauchen wie Großbritannien, nur um die Rechenpower eines vierzig Jahre alten Desktop-Rechners bereitzustellen, oder dass große Teile des Web3 von Betrug, Intransparenz, Schneeballsystemen und Steuerhinterziehung geprägt sind.
So werden zum Beispiel die Preise für Token durch Scheinverkäufe hochgetrieben, um diese nutzlosen digitalen Objekte dann an eine möglichst uninformierte Person zu verkaufen. Auch haben sich die Entwicklerinnen und ihre Geldgeber meist schon einen Großteil dieser Token gesichert, bevor die digitalen Wertpapiere auf den Markt kommen, um sie später abstoßen zu können, wenn ihr Kurs aufgepumpt wurde. Daher heißt es auch mit einigem Recht, Kryptowährungen seien ein Sprint durch die Geschichte aller Finanzskandale.
»Doch das Web3 an sich ist ein Problem, weil es rechte Politikvorstellungen in einen unveränderlichen Code gießt.«
Solche Betrügereien rücken das Web3 ins Zwielicht. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Web3 hat Probleme, weil die Software (noch) nicht optimal läuft, weil man durch einen falschen Klick all seinen Besitz unwiederbringlich verlieren kann und weil Menschen durch das Versprechen unrealistischer Spekulationsgewinne dazu gebracht werden, in faktisch wertlose »NFTs« (Non-Fungible Tokens, also nicht austauschbare Token) zu investieren. Doch das Web3 an sich ist ein Problem, weil es rechte Politikvorstellungen in einen unveränderlichen Code gießt.
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