10. November 2021
Mark Zuckerberg behauptet, sein »Metaversum« wird physische und virtuelle Welten miteinander verschmelzen. Tatsächlich erweitert Meta unsere Realität nicht. Es monetarisiert sie nur.
Mark Zuckerberg im April 2018, als er sich aufgrund des Datenskandals um Cambridge Analytica vor dem US-Senat äußern musste.
Du loggst Dich ein und landest in einer virtuellen Bar, wo Dein Chef gerade Witze erzählt. Gleichzeitig verkauft ein Immobilienunternehmen überteuerte Immobilien im virtuellen London und Gamer konkurrieren um NFTs. Willkommen im »Zuckerverse« – einem Ort, den niemand gewollt hat, an dem wir aber alle bald vielleicht viel Zeit verbringen werden.
Kürzlich änderte Facebook seinen Namen in Meta. Diese Namensänderung bildet nur einen Teilaspekt einer umfassenden Ausrichtung auf das sogenannte Metaversum – dieses soll verschiedene Ebenen und Realitäten miteinander verbinden und teilweise über Virtual-Reality-Headsets (VR) und Augmented-Reality-Geräte (AR) genutzt werden. Zuckerberg selbst beschrieb sein Vorhaben folgendermaßen: »Man kann sich das Metaversum als ein verkörperlichtes Internet vorstellen, in dem man Inhalte nicht nur anschaut, sondern Teil von ihnen ist.« Die bekanntesten Beispiele dafür sind virtuelle Bürobesprechungen mit VR-Brillen, Spiele in einem weiträumigen Online-Universum und der Zugriff auf eine digitale Dimension der realen Welt durch AR.
Als Eigentümer von Facebook, Instagram, WhatsApp und der Virtual-Reality-Firma Oculus plant die Holdinggesellschaft, die jetzt als Meta bekannt ist, eine vernetzte Welt zu schaffen. Alle Aspekte unseres Daseins – unsere Arbeit, unser Leben und unsere Freizeit – sollen sich auf ihre Infrastruktur verlagern und vor allem aber zu Geld gemacht werden. Im Moment ist das noch reine Fantasie. Allerdings ist das Metaversum die Fantasie von einem der mächtigsten Männer der Welt – und schon aus diesem Grund sollten wir es nicht einfach ignorieren.
Der Risikokapital-Investor Matthew Ball schreibt: »Das Metaversum wird ein Ort sein, an dem in regelrechte Firmenimperien investiert wird und diese aufgebaut werden, und an dem diese kapitalkräftigen Unternehmen einen Kunden vollständig besitzen, Nutzerdaten kontrollieren, die gesamte Wirtschaft lenken können usw.«
Die Aufmerksamkeit um das Projekt Meta soll andere dazu veranlassen, bei seiner Entwicklung mitzuwirken. Das ist in etwa so, als würde man ein neues Postamt und ein Geschäft errichten und das bereits als »Stadt« bezeichnen. Die Intention dahinter ist, so viele Unternehmen für das Projekt zu gewinnen, dass wir es bald alle nutzen werden – ob wir wollen oder nicht.
Das Metaversum ist kein Bluff. Es wäre fahrlässig, das Projekt lediglich als ein Ablenkungsmanöver abzutun, das die Aufmerksamkeit von den vielen Krisen des Unternehmens ablenken soll. Anders als bei der Umbenennung von Philip Morris in Altria Group im Jahr 2003 handelt es sich bei Meta um mehr als nur eine Namensänderung, die dem Unternehmen einen neuen Anstrich verpassen soll.
Zuckerbergs Unternehmen hat massiv in VR-Hardware investiert und möchte den Headset-Markt dominieren. Das Unternehmen rechnet damit, dass seine VR-Headsets und AR-Brillen irgendwann so allgegenwärtig sein werden wie Smartphones. Schätzungen zufolge hat das Unternehmen bereits fünf oder sechs Millionen VR-Headsets zu einem Preis von jeweils 300 Dollar verkauft, was einem Gesamtumsatz von fast 2 Milliarden Dollar entspricht. Aber noch wirft dieser Geschäftszweig kein Geld ab: Es wurde berichtet, dass das Unternehmen mit rund 10.000 Mitarbeitenden, die an VR-Geräten arbeiten, zwischen 5,4 und 6,4 Milliarden Dollar an Betriebsausgaben verliert.
Tatsächlich besteht ein ernstzunehmendes Risiko, dass das Projekt kein Erfolg werden wird. Die Konsumentinnen und Konsumenten haben die VR-Technologie nur zögerlich angenommen, und möglichweise tagen in ein paar Jahren nur Zuckerberg, der Kommunikationschef von Facebook, Nick Clegg, und die COO des Social-Media-Riesen, Sheryl Sandberg, in einem ansonsten leeren Metaversum. Aber Goldman Sachs prognostiziert, dass die VR- und AR-Industrie bis 2025 einen Wert von 80 Milliarden Dollar pro Jahr erreichen könnte, bei einer kumulativen jährlichen Wachstumsrate von 40 bis 80 Prozent. Glaubt man diesen Prognosen, wird das Metaversum mehr sein als nur eine belanglose PR-Masche, mit der Meta ein paar mehr Brillen verkaufen will.
Unsere Arbeit, unser Sozialleben und unsere Unterhaltung spielen sich zunehmend auf digitalen Plattformen ab, die dazu konzipiert sind, all das zu monetarisieren. Die dem Metaversum zugrundeliegende Idee besteht darin, die Aneignung menschlichen Lebens auf jeden Teilaspekt unserer Existenz auszuweiten. Meta will sich von einem globalen sozialen Netzwerk zu einer digitalen Infrastruktur des täglichen Lebens entwickeln.
Im Jahr 2005 war Facebook für Zuckerberg noch lediglich ein »Online-Verzeichnis«, in dem man »Personen nachschlagen und Informationen über sie finden« kann. Facebook war im Wesentlichen eine Datenbank, auf der man Informationen über andere Menschen abfragen konnte. Daneben hatte sich das Unternehmen eine soziale Mission gegeben: Angeblich ging es darum, größtmögliche Transparenz zu schaffen. Zuckerberg erklärte damals, dass »der erweiterte Zugang zu Informationen und das Teilen von Informationen unweigerlich bedeutsame Veränderungen bewirken würde.«
In den folgenden Jahren wurde Facebook nicht mehr als digitales Werkzeug präsentiert. Fortan sollte es Menschen die Möglichkeit verschaffen, sich zu verbinden, ihre Erfahrungen zu teilen und einander zu begegnen. Nach den politischen Umbrüchen des Jahres 2016 begann Zuckerberg, Facebook in geradezu epochalen Begriffen zu beschreiben. Schließlich stelle es die globale Kommunikationsinfrastruktur in einem global-historischen Prozess bereit: »Dies ist der Kampf unserer Zeit. Die Kräfte der Freiheit, der Offenheit und der globalen Gemeinschaft kämpfen gegen die Kräfte des Autoritarismus, des Isolationismus und des Nationalismus.«
Am 22. Juni 2017 verkündete Zuckerberg auf dem allerersten Facebook Communities Summit eine Änderung des Leitbilds von Facebook: von der Verbindung von Einzelpersonen zum Aufbau einer globalen Gemeinschaft. Sein Schwenk in Richtung Metaversum ist der nächste logische Schritt. 2017 bezeichnete Zuckerberg Facebook-Gruppen als digitale Infrastruktur des gesellschaftlichen Lebens im 21. Jahrhundert. Jetzt will Meta sich einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz verschaffen, indem es die nächste Generation der Infrastruktur für das personifizierte Internet liefert.
Zuckerberg verfolgt das Ziel, nicht länger nur eine Dienstleistung anzubieten, die wir nutzen – Meta soll die Infrastruktur werden, in der wir leben.
Meta soll das unsichtbare Medium werden, das unsere gesamte Existenz durchdringt. Es will nicht mehr eine Wahlmöglichkeit für Nutzerinnen und Nutzer sein, sondern vielmehr der Raum, in dem uns Wahlmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Mit anderen Worten: Meta soll nicht das Unternehmen sein, das eine Veranstaltung sponsert, sondern das Stadion, in dem sie stattfindet. Unter der Holdinggesellschaft Meta soll dabei ein florierendes Ökosystem von miteinander verbundenen Produkten und Dienstleistungen entstehen, welches sich nahtlos in eine hybride Welt eingliedert, um an jedem Punkt des Systems mühelos Gewinne abzuschöpfen.
Wir könnten dann Spiele spielen, Inhalte herunterladen und uns für Dienste anmelden, und alle Kosten würden automatisch von unseren Konten abgebucht. Bank- und Anlageprodukte würden in die Welt des Metaversums integriert, sodass ein Teil unseres Gehalts automatisch in die Währung dieser Welt umgewandelt würde.
Konzerne müssten um Anteile an dieser Welt konkurrieren, und der Anreiz, vertikale und horizontale Monopole zu schaffen, wäre noch größer. Die Unternehmen könnten Hürden für Dienste errichten, die nicht mit dem Metaversum kompatibel sind. Für die Nutzenden wäre es somit attraktiver, in dem von Meta eingegrenzten Bereich zu verbleiben, in dem alles übertragbar und miteinander verbunden ist.
Die Vorstellung, dass Plattformen neutrale Vermittlungsstellen sind, die Transaktionen erleichtern, war schon immer irreführend. Doch mit dem Metaversum gehört dieser Anschein endgültig der Vergangenheit an. Schließlich sollen Unternehmen im Metaversum eine aktivere Rolle bei der Gestaltung der digitalen Architektur virtueller Welten spielen. Schon die heutigen Plattformen sind komplexe soziale und wirtschaftliche Umgebungen, die durch jahrzehntelange sozialpsychologische Forschung entwickelt wurden. Aber in diesen neu entstehenden Welten werden die Tech-Mogule endgültig die Regeln festlegen und umfangreiche Systeme schaffen, um Nutzerinnen und Nutzer zu einem für das Unternehmen profitablen Verhalten zu bewegen.
Die lukrativsten Unternehmen im digitalen Kapitalismus waren bisher im Grunde Werbefirmen. Apple schaffte es zwar immer noch, hochwertige Produkte zu verkaufen. Das Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus von Konzernen wie Google und Facebook zielt jedoch darauf ab, den Menschen kostenlose Dienstleistungen im Austausch für ihre Daten anzubieten, die dann analysiert und verkauft werden.
Der Metaversum-Kapitalismus wird dazu führen, dass sich die großen Technologieunternehmen stärker auf Hardware und Infrastruktur konzentrieren, da der Besitz des Systems, innerhalb dessen andere Dienste angeboten werden können, immer wertvoller wird. Dabei geht es nicht nur um das Sammeln von Daten, sondern auch um den Besitz der Server und digitalen Welten. Bereits jetzt haben die großen Tech-Konzerne damit begonnen, viel Geld für Unterwasser-Internetkabel und Rechenzentren auszugeben, um die Kosten für den Datentransport zu senken. Alphabet und Amazon haben jeweils fast 100 Milliarden Dollar in solche Infrastrukturen und andere Sachwerte investiert. Die Vorstellung, dass Tech-Unternehmen das schlanke Geschäftsmodell von Nike und anderen großen Outsourcing-Unternehmen übernehmen, ist inzwischen überholt.
Zudem werden verschiedene Einnahmequellen erschlossen und auch die Bedeutung von Daten und Werbung verändert sich. Im ersten Quartal 2021 wurden 97,2 Prozent der Gesamteinnahmen von Facebook durch das Werbegeschäft erzielt. Das Metaversum bietet ein viel breiteres Spektrum an Einnahmequellen – von der Hardware, auf der es betrieben wird, bis hin zu den Spielen, Diensten und Inhalten, die darin angeboten werden. Meta kann Inhalte auf der Basis von Abonnements anbieten, virtuelles Eigentum und Erlebnisse verkaufen, und von anderen Unternehmen Geld dafür verlangen, um im Metaversum stattfinden zu dürfen. Daten werden weiterhin zu Werbezwecken genutzt werden, doch diese Einnahmequelle wird nur noch eine unter vielen sein.
Plattformunternehmen, die bisher nur einen einzigen Dienst angeboten haben, werden in Zukunft dazu übergehen, eine Reihe von Diensten anzubieten. Wie das Metaversum zwischen konkurrierenden Technologieunternehmen aufgeteilt sein wird, bleibt abzuwarten. Es ist schwer vorstellbar, dass Meta seinen Konkurrenten erlauben wird, sich in einem Teil des Metaversums niederzulassen oder mit Meta zu gleichen Bedingungen zu konkurrieren. Aber andere werden voraussichtlich gerne investieren, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass sich die Hardware rentiert.
Große Investitionen in VR- und AR-Technologie werden auch einen größeren Bedarf an prekären und schlecht bezahlten »Mikroarbeiterinnen und -arbeitern« schaffen, die mit Online-Auftragsarbeiten die Algorithmen trainieren. Der Motor des Metaversums wird die physische und sehr reale Welt ausbeuterischer Arbeit sein, vor allem von Arbeitenden im Globalen Süden. Wie Phil Jones kürzlich in seinem Buch Work Without the Worker (Arbeit ohne den Arbeiter) argumentiert hat, ist die »verborgene Stätte der Automatisierung« in Wirklichkeit »ein weltweit verknüpftes Netz von Geflüchteten, Menschen, die in Slums leben, und Menschen, die durch Verelendung oder per Gesetz gezwungen sind, das maschinelle Lernen von Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon anzutreiben.«
Wird das Metaversum verantwortungsvoll aufgebaut werden? Nein, natürlich nicht. Es wird auf die für Meta profitabelste Weise erschaffen werden. Alle Probleme, die auftauchen, werden mit PR »gelöst«, während der Konzern Profite in Rekordtempo macht. Wer kümmert sich schon um das Zetern einiger Politikerinnen und Politiker, wenn einem nicht nur die digitale Infrastruktur dieser Welt, sondern das gesamte Metaversum gehört?
Zuckerbergs Metaversum ist eine Welt, in der sich die Nutzerinnen und Nutzen nahtlos von einer unternehmenseigenen Plattform auf eine andere bewegen. Der Facebook-Gründer hat der Öffentlichkeit versichert, dass dieses neueste Projekt verantwortungsbewusst und in Partnerschaft mit anderen entwickelt werden wird. Doch angesichts der von der Whistleblowerin Frances Haugen enthüllten Beweise für Fehlverhalten werden selbst Zuckerbergs engste Verbündete Zweifel an diesen Beteuerungen haben.
James Muldoon ist Dozent für Politikwissenschaften an der Universität von Exeter und Autor des in Kürze erscheinenden Buches »Platform Socialism: How to Reclaim Our Digital Future From Big Tech«.
James Muldoon ist Dozent für Politikwissenschaften an der Universität von Exeter und Autor des in Kürze erscheinenden Buches »Platform Socialism: How to Reclaim Our Digital Future From Big Tech«.