03. März 2022
Die militärische Aufrüstung der Bundeswehr ist sinnlos und gefährlich. In diesen Tagen sollte die Klimabewegung ein Sondervermögen für den Klimaschutz und ein sofortiges Gas-Embargo fordern.
Unverbaute Rohre der Pipeline Nord Stream 2
So viel Einigkeit gab es im Parlament selten: Unter Standing Ovations verkündete Olaf Scholz am Sonntag im Bundestag Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Aufstockung des Bundeswehretats um 100 Milliarden Euro. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz stellte sich an die Seite des Bundeskanzlers. Wenn Scholz eine umfassende »Ertüchtigung der Bundeswehr« wolle, werde die Union diese auch gegen Widerstände durchsetzen, so Merz. Nur die LINKE und die AfD applaudierten nicht mit, was Merz dazu veranlasste, den Widerspruch »von ganz links und ganz rechts« gemäß der Hufeisentheorie zusammenzuwerfen. Tatsächlich sprach jedoch auch die AfD-Abgeordnete Alice Weidel von einer »runtergerüsteten« Bundeswehr und einer »marginalisierten Rüstungsindustrie«. Wie gesagt: so viel Einigkeit gab es selten.
Die Unterstützung der Waffenlieferungen an die Ukraine, die sich bei einer Friedensdemonstration mit Hunderttausenden Teilnehmenden am Sonntag in Berlin auch in Redebeiträgen und auf Transparenten zeigte, ist nachvollziehbar. Bei Waffenlieferungen an ein Land, dass sich in einer laufenden militärischen Auseinandersetzung befindet, stellt sich jedoch die Frage, mit welchem Ziel die Ukraine langfristig militärisch ausgerüstet werden soll. Die unmittelbare Verteidigung gegen Putins Angriffskrieg ist ein berechtigtes Anliegen. Doch sofern kein schnelles Ende des Krieges bevorsteht, würde die Ukraine durch andauernde Kriegshandlungen seitens Russlands und mit Waffenlieferungen aus dem Westen in einen langfristigen militärischen Konflikt gezogen werden, um Russland im Sinne westlicher Machtinteressen zu schwächen. Damit hätte man ein Paradebeispiel für einen Stellvertreterkrieg geschaffen, in dem der Westen Putins Einfluss im ehemaligen Ostblock mit militärischen Mitteln zu schmälern versucht.
Die Waffenlieferungen sind in der aktuellen Situation noch ambivalent zu beurteilen, für die monströse Aufrüstung der Bundeswehr gilt das nicht. Sie ist sinnlos und gefährlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wiederbewaffnung der BRD und die Stationierung von Nuklearraketen auf deutschem Boden gegen den Widerstand durch drohende Generalstreiks von der CDU und schließlich auch der SPD durch eine Grundgesetzänderung durchgepeitscht. Mit einem im Grundgesetz verankerten Sondervermögen würde die Bundesrepublik heute wieder nach einer militärischer Spitzenstellung in Europa und der Welt streben. Doch mit welchem langfristigen Ziel?
Als Verteidigungsarmee würde die Bundeswehr vor allem dann aktiv werden, wenn an den territorialen Grenzen oder auf deutschem Bundesgebiet Kriegshandlungen stattfinden. In Zeiten des Kalten Kriegs und der innerdeutschen Grenze war ein solches Szenario nicht ausgeschlossen. Doch mittlerweile ist die Bundesrepublik, mit Blick auf die Landkarte, »von Freunden umzingelt«, wie Friedrich Genscher es ausdrückte. Die aktuelle Aufrüstungsdebatte bezweckt vielmehr eine endgültige Loslösung vom Paradigma einer passiven Verteidigungsarmee. Deutschland soll als Teil der NATO die ökonomischen und politischen Interessen des Westens mit militärischen Mitteln aktiv verteidigen – und zwar weltweit.
Seit der Erfindung der Atombombe durch die USA und ihrer weltweiten Verbreitung kann ein Konflikt zwischen unterschiedlichen geopolitischen Machtblöcken nicht mehr militärisch gelöst werden – es sei denn durch einen globalen Nuklearkrieg. Die Aufrüstung der Bundeswehr und die Stationierung von Atomraketen in der Bundesrepublik und in den östlichen NATO-Staaten trägt zu einem »Gleichgewicht des Schreckens« bei, nicht jedoch zu einer Schwächung Putins oder einer Entschärfung und gar Lösung des Konflikts.
Die Ampel-Koalition einerseits und die CDU und AfD andererseits sind sich derweil nicht nur hinsichtlich der Aufrüstung der Bundeswehr einig, sondern auch in der Fortführung der Erdgasgeschäfte mit Russland. Das energiepolitisch ohnehin entbehrliche Milliardengrab Nord Stream 2 wurde zwar gestoppt, doch durch Nord Stream 1 und andere Leitungen fließt weiterhin russisches Gas. Beim SWIFT-Ausschluss Russlands wurde peinlich genau darauf geachtet, dem Handel mit Erdgas und weiteren Energieimporten aus Russland nicht die ökonomische Grundlage zu entziehen.
Doch ein Importstopp von Gas könnte den russischen Staat unmittelbar finanziell schwächen. Das träfe vor allem die russischen Staatskonzerne und die Oligarchen-Clique um Putin. Die deutsche Wirtschaft könnte ein Gas-Embargo laut einer Studie des IFW Kiel vermutlich gut verkraften. Selbst wenn es zu Energieengpässen kommen sollte, müssten in einem solchen Fall nicht überlebensnotwendige Industrien zeitweise mit weniger Energie versorgt oder gedrosselt werden. Steigende Energiepreise, die in einem solchen Fall zu befürchten wären, müssten zudem durch Umverteilungsmaßnahmen abgefedert werden. Klar ist, dass die Menschen in Deutschland zunächst weiter heizen können und die Menschen in Russland unter einem Gas-Embargo nicht unmittelbar leiden sollen. Ein Gas-Embargo könnte der einzige Schritt sein, um noch eine Kehrtwende einzuleiten. Sicher ist: mit militärischen Mitteln gibt es in diesem Konflikt keine Lösung.
Ein Gas-Embargo kann jedoch nur ein erster Auftakt für eine radikale Kehrtwende in der Energie- und Klimapolitik sein. Während für den Klimaschutz noch ein Budget aus den Mitteln zur Bewältigung der Corona-Pandemie zusammengeschustert werden musste, werden 100 Milliarden für eine nie dagewesene Aufrüstung der Bundeswehr über Nacht ohne gesellschaftliche oder parlamentarische Debatte beschlossen.
Zwar wird Wirtschaftsminister Robert Habeck wohl bald einen Plan vorstellen, der neben einer kurz- und mittelfristigen Stärkung von Braunkohle und Flüssiggas auch einen ambitionierteren Ausbau der erneuerbaren Energien vorsieht. Doch die Schuldenbremse und die Absage an eine Vermögensteuer und andere Umverteilungsmaßnahmen wird weiter bestehen. Das Geld für die Energiewende wird aus anderen Teilen des Haushalts zusammengekratzt werden müssen und wird voraussichtlich einen harten Sparkurs zur Folge haben.
Aufgabe der Klimabewegung wäre es jetzt, gegen diese neoliberale Programmatik zu mobilisieren und ein Sondervermögen für den Klimaschutz anstatt für die Bundeswehr zu fordern. Wie der neue IPCC-Bericht drastisch vor Augen führt, bedarf es nie dagewesener Investitionen und einer Transformation aller Wirtschaftssektoren, um den Klimakollaps zu verhindern. Die Schuldenbremse ist damit nicht vereinbar und muss abgeschafft werden. Gleichzeitig brauchen wir eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkommen, um den ökologischen Umbau sozial abzufedern.
»100 Prozent Erneuerbare statt 100 Milliarden für die Bundeswehr«, wäre die Forderung der Stunde. Denn eine linke Antwort auf den Ukraine-Konflikt muss sich auch als ein sozial-ökologisches Gegenprojekt zu einem grünen Neoliberalismus aufstellen, der nun auch die militärische Aufrüstung in sein Hegemonieprojekt integriert. Wir müssen eine Alternative formulieren, die mit dieser neoliberalen Programmatik bricht und den Kampf für eine Energiewende und gegen die Klimakrise auch zu einem zentralen sicherheitspolitischen Anliegen macht.
Samuel Decker ist heterodoxer Ökonom und in sozialen Bewegungen aktiv.
Samuel Decker ist heterodoxer Ökonom und in sozialen Bewegungen aktiv.