13. Februar 2025
Jeder Tag, an dem Österreich – vorerst – nicht von Herbert Kickl regiert wird, ist ein Gewinn. Aber ausruhen können wir uns darauf nicht.
FPÖ-Chef Kickl legt den Regierungsbildungsauftrag vorerst ab, Wien, 12. Februar 2025.
Das Wichtigste zuerst: Herbert Kickl wird nicht Kanzler von Österreich. Die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind am Mittwoch gescheitert. Zum zweiten Mal in den letzten viereinhalb Monaten konnten sich österreichische Parteien nicht auf ein Regierungsprogramm einigen.
Schon Anfang Januar platzte die geplante Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Das Worst–Case–Szenario schien damit unausweichlich: ein rechtsextremer Kanzler, der das Land gemeinsam mit einer radikalisierten ÖVP als Juniorpartner regieren würde.
Dass das vorerst nicht passiert, ist für Geflüchtete, Frauen, Queers und alle Beschäftigten in Österreich eine gute Nachricht. Aber für Jubel ist es zu wenig. Denn die FPÖ wurde nicht durch linke Gegenstrategien verhindert und damit langfristig kleingehalten. Genau sowenig hat die ÖVP plötzlich ihr angebliches christlich-soziales Gewissen wiederentdeckt. Im Gegenteil: Politisch sind sich die Parteien in vielen Dingen einig, vor allem bei Angriffen auf den Sozialstaat oder dem Umgang mit Geflüchteten. Letztendlich ging es der ÖVP in erster Linie um die Zuteilung politischer Posten. Aber auch außenpolitische Forderungen der Blauen, die Österreich international in Verruf bringen könnten, waren ihr zu viel.
Während anfänglich noch demonstrative Einigkeit bekundet wurde, drangen in den ersten Wochen der FPÖ-ÖVP-Gespräche kaum Informationen an die Öffentlichkeit, die einen Einblick hinter die Kulissen gewährt hätten. Je länger verhandelt wurde, desto häufiger war in den Medien von einem großen »Misstrauen« zwischen ÖVP und FPÖ die Rede. Anders als 2017, wo Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache eine fast symbiotische Geschlossenheit signalisierten, standen sich FPÖ und ÖVP dieses Mal mit großem Argwohn gegenüber. Und das, obwohl ihre Politik sich in vielen Bereichen stark überschneidet, gerade im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik treten die Parteien quasi deckungsgleich auf.
»Aber Kickls Scheitern ist kein Knittelfeld und auch kein Ibiza. Nichts deutet darauf hin, dass sich die Partei in den nächsten Monaten nennenswert dezimiert.«
Ein internes Verhandlungspapier, das am Wochenende an die Öffentlichkeit gelangte, zeigte, dass es in einigen anderen politischen Bereichen Unstimmigkeiten gab. Dazu zählt vor allem die Außen- und Europapolitik. In einem letzten Versuch, sich durchzusetzen, übergab die ÖVP der FPÖ ein Papier mit »Grundlinien«, in der sie etwa eine »klare proeuropäische Positionierung« forderte. Gescheitert sind die Koalitionsgespräche primär dennoch nicht an den Inhalten. Wichtiger dürfte gewesen sein, dass die ÖVP, die zuvor den Kanzlersessel an Kickl abgetreten und sich mit dem Vizeposten begnügt hatte, die verbliebenen Reste ihres Machtanspruchs in sich entdeckte. Die Freiheitlichen bestanden sowohl auf das Finanz- als auch das Innenministerium, die ÖVP hielt dagegen. In diesem Streit ging es primär um Postenbesetzungen, aber auch darum, Österreich politisch nicht zu isolieren.
Dass die ÖVP verhindern wollte, dass das Innenministerium in die Hände der Freiheitlichen übergeht, ist ein No-Brainer: Das letzte Mal, als Herbert Kickl Innenminister war, stürmten bewaffnete Polizisten das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Dabei wurden bergeweise sensible Daten beschlagnahmt, auch von internationalen Partnerdiensten. In der Konsequenz beendeten ausländische Geheimdienste ihre Kooperation mit Österreich. Deutsche Politikerinnen und Politiker hatten schon kurz nach der Wahl mit dem Ende einer Geheimdienst-Kooperation gedroht. Worauf sich die Volkspartei da einließ, hätte ihr also schon vorher klar sein müssen.
Ironisch ist, dass es in der vergangenen Woche der ÖVP-Wirtschaftsflügel war, der lautstark Kritik an der FPÖ äußerte. Wir erinnern uns: Das ist der Teil der ÖVP, der sich besonders für eine Blau-Schwarze Koalition starkgemacht hatte, um nicht Andreas Bablers sozialdemokratische Minimalanforderungen mittragen zu müssen. Am Freitag veröffentlichte etwa der Wirtschaftsbund ein Schreiben, in dem er erklärte, Kickls »Festung Österreich wäre ein Käfig für die heimische Wirtschaft«. Am Dienstag legte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer nach, der in der Kronenzeitung betonte, wie wichtig »demokratische Grundprinzipien« in Österreich seien. »Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit«, so Mahrer.
Neuwahlen, Expertenregierung, Minderheitsregierung, ein erneutes Zusammenraufen von ÖVP, SPÖ und NEOS oder Grünen – wie es in Österreich weitergeht, ist offen. Im Januar sind die Umfragen für die FPÖ noch einmal in die Höhe geschossen, teilweise bis auf 37 Prozent.
Ob ihr die aktuelle Unsicherheit geschadet hat, ist noch unklar. Aber Kickls Scheitern ist kein Knittelfeld und auch kein Ibiza. Nichts deutet darauf hin, dass sich die Partei in den nächsten Monaten nennenswert dezimiert. Aber gleichzeitig ist jeder Tag, an dem Herbert Kickl nicht Kanzler von Österreich ist, eine Verschnaufpause. Die wiederum muss jetzt genutzt werden, um eine politische Alternative zu den Rechtsextremen zu schaffen, die ihnen langfristig den Wind aus den Segeln nimmt.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.