18. Mai 2023
Die Militärputschisten, die den Sudan mit Gewalt überziehen, wurden zuvor von westlichen Regierungen unterstützt. Die einzige Hoffnung für das Land sind seine Widerstandskomitees, die die Notversorgung der Bevölkerung sicherstellen und gegen den Krieg mobilisieren.
In Assuan, im benachbarten Ägypten, werden Hilfspakete zusammengestellt. Nachdem an der Grenze keine internationalen Organisationen vor Ort waren, sprangen lokale Initiativen ein, um gestrandete Geflüchtete zu versorgen, 03. Mai 2023.
IMAGO / XinhuaSeit Wochen wird der Sudan von einer Welle der Gewalt erfasst, nachdem der Machtkampf zwischen den rivalisierenden Militärführern Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo, besser bekannt als Hemeti, zu einem bewaffneten Konflikt eskalierte. Hunderte von Menschen wurden bereits getötet, Tausende verletzt. Mehr als 300.000 Geflüchtete mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen.
»Westliche Regierungen hatten den Putsch legitimiert und versucht, seine Anführer in Verhandlungen einzubinden. Der aktuelle Konflikt beweist, dass dieser Ansatz gescheitert ist.«
Die Generäle Hemeti und al-Burhan verbündeten sich 2021 und verübten einen Militärputsch gegen die sudanesische Revolutionsbewegung, die für die Demokratie im Land mobilisierte. Nun bekämpfen sie sich gegenseitig mit Waffengewalt.
Die USA und andere westliche Regierungen hatten den Coups legitimiert und anschließend versucht, seine Anführer in Verhandlungen einzubinden. Der aktuelle Konflikt beweist, dass dieser Ansatz gescheitert ist. Diese Strategie verfolgten sie jedoch nicht erst seit dem Putsch: Seit 2019 haben Diplomatinnen und Diplomaten die Partnerschaft und die Aufteilung der Macht zwischen den beiden Generälen mit Nachdruck gefördert. Die Begründung hierfür lautete, dass das Land dadurch wieder zu einer zivilen Regierungsform zurückfinden würde.
Doch die Widerstandskomitees, die den Diktator Omar al-Bashir gestürzt haben, organisieren den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten vor dem jüngst aufgeflammten Konflikt. Ihre Anstrengungen bereiten den Boden für eine bessere Zukunft für den Sudan und seine Menschen.
Seit Wochen wird die sudanesische Hauptstadt Khartum massiv hochgerüstet. Soldaten und Militärfahrzeuge des Sudanesischen Militärs (SAF) und der Rapid Support Forces (RSF) hatten das Bild der Hauptstadt und vieler weiterer Städte bereits vor dem Coup von 2021 geprägt. Bei den RSF handelt es sich um Paramilitärs, die auf die Janjaweed-Milizen in Darfur zurückgehen.
Doch die aktuelle Eskalation hat eine andere Qualität, steht sie doch in starkem Kontrast zu der offiziellen Berichterstattung, derzufolge zwischen den ehemaligen militärischen Partnern und der gescheiterten Übergangsregierung große Fortschritte erzielt worden seien. Ein entscheidender Punkt auf der Agenda war die Fusion der SAF und der RSF.
Am Morgen des 15. April brachen zwischen der von al-Burhan angeführten SAF und Hemetis RSF Kämpfe aus. Innerhalb von vier Stunden bombardierten Flugzeuge des Militärs die Hauptstadt. Beide Seiten betreiben Einrichtungen inmitten von Wohngebieten. Darunter fallen unter anderem auch das Armeehauptquartier und verschiedene Gebäude, die die RSF als Kasernen nutzt, was die Hauptstadt zum Pulverfass machte.
Hinter dem Slogan der Protestierenden, »Die Armee zurück in die Baracken, die RSF auflösen!«, steht nunmehr nicht mehr nur die Forderung, das Militär solle sich aus der Politik heraushalten. Nun geht es auch um einen tatsächlichen physischen Rückzug der Kämpfer aus Wohngebieten.
Seit mehr als einem Jahr, beginnend mit dem Coup am 25. Oktober 2021, organisiert der sudanesische Widerstand wöchentliche Kundgebungen durch Nachbarschaftskomitees. Die Demonstrierenden fordern kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung, öffentliche Sicherheit, einen Rückzug des Militärs und eine Auflösung der RSF.
Die internationale Diplomatie, die ihre Anstrengungen vor allem auf Gespräche zwischen den Putschisten fokussierte, nahm die Demonstrierenden nicht ernst. Ihre Forderungen wurde für unrealistisch und naiv erklärt. Doch die Widerstandskomitees setzten ihre Arbeit vor Ort fort. Sie protestierten gegen das Coup-Regime und beteiligten sich am landesweiten Verhandlungsprozess über die Zukunft des Sudan.
»Die Tatsache, dass sowohl SAF als auch RSF die Sprache der Revolution imitieren, zeigt, dass die revolutionären Organisationen die sudanesische Politik verändert haben.«
Mehr als achttausend solcher Komitees nahmen an diesem Prozess teil, der in der Revolutionären Charta zur Etablierung des Volkssouveränität mündete. Diese sieht einen grundlegenden Wiederaufbau der Regierung vor – angefangen bei lokalen Gremien bis hin zu einer Legislative auf Landesebene, die die Regierung wählen und überwachen würde.
Die Komitees präsentierten ihre Agenda als Pfad zu nachhaltigem Frieden, der die wichtigsten Probleme der sudanesischen Bevölkerung adressieren und den Menschen gleichen Zugang zum Prozess der politischen Entscheidungsfindung gewähren würde. Karrierepolitiker aus dem In- und Ausland ignorierten und verlachten ihre Vision.
Als die Kämpfe ausbrachen, war es die politische Erfahrung der breiten Organisierung der Bevölkerung, die die sudanesischen Menschen rettete. Die Nachbarschaftskomitees von Khartum veröffentlichten am zweiten Tag der Auseinandersetzungen eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihre Position verdeutlichten: »Wir sind nicht neutral, da wir friedlichen Widerstand gegen die Militarisierung unseres Landes leisten«, verkündeten sie.
Die Erklärung brandmarkte al-Burhan und Hemeti als Feinde der Sudanesischen Revolution und rief die Bevölkerung dazu auf, sich zu organisieren und selbst zu versorgen. Diese Einstellung ist immer noch weitverbreitet, obwohl SAF und RSF beide Propagandakampagnen gestartet haben, die ihre Partikularinteressen mit denen der sudanesischen Bevölkerung und ihrer Revolution gleichsetzen.
Die Tatsache, dass sowohl SAF als auch RSF die Sprache und Forderungen der Revolution imitieren, um für ihre eigene Kriegsführung Propaganda zu machen, zeigt, dass die revolutionären Organisationen – die von den meisten internationalen Beobachtern ignoriert wurden – die sudanesische Politik verändert haben. Diese Propagandakampagnen hatten allerdings kaum Erfolg, da sich die Widerstandsfront weiterhin um die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen kümmert.
Trotz des Versprechens der SAF auf einen schnellen Sieg über die »Rebellen« dauern die Kämpfe an, während die RSF damit prahlt, die »Putschisten« übertrumpft zu haben. In Wahrheit ist kein baldiges Ende der Auseinandersetzungen in Sicht.
Die RSF hat weitere Teile der Hauptstadt eingenommen, darunter Krankenhäuser und Kraftwerke. Die SAF ging gnadenlos vor und verübte Luftangriffe auf Wohngebiete und Schulen.
Die Priorität der Armee war es, den Präsidentenpalast und den landesweiten Radiosender zurückzuerobern. Weniger Anstrengungen wurden unternommen, um die RSF aus Krankenhäusern, Kraftwerken und anderen Einrichtungen zu vertreiben, von denen die Menschen einen unmittelbaren Nutzen haben.
»Während Khartums fragile Infrastruktur kollabierte, begannen Nachbarschaftsgruppen, zuvor geschlossene Kliniken wieder in Betrieb zu nehmen.«
Die sudanesische Armee verfügt seit Jahrzehnten über einen Großteil des Staatshaushalts. Nun zeigt sich, dass es sich dabei um eine weitere öffentliche Institution handelt, die durch Korruption, mangelnde Effizienz und den Aufstieg einer privaten Alternative – in diesem Fall den Milizen der RSF – geschwächt wurde.
Vor Ort bildeten sich nachbarschaftliche Vereinigungen auf Messenger-Apps wie Whatsapp, die sich um die Versorgung der Menschen kümmern. Unter anderem wurden darüber Informationen dazu geteilt, welche Geschäfte und Bäckereien geöffnet haben, wie es um die Verfügbarkeit von Wasser und Strom steht und über welche sicheren Fluchtwege gefährliche Stadtteilen verlassen werden können.
Während die Kämpfe andauerten und Khartums fragile Infrastruktur kollabierte, begannen diese Gruppen damit, zuvor geschlossene Kliniken wieder in Betrieb zu nehmen. Während die Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstadt in andere Regionen flüchteten, organisierten Widerstandskomitees im ganzen Land die Unterbringung der Geflüchteten sowie ihre Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten.
Entlang der Straßen, die aus Khartum in andere Landesteile führen, versorgten Jugendliche Menschen auf der Flucht mit Wasser und Lebensmitteln und luden sie in ihre Dörfer ein. Als tausende flüchtende Sudanesinnen und Sudanesen an der ägyptischen Grenze strandeten, wo keine internationale Organisationen präsent waren, sprangen mehrere Initiativen ein. Das Widerstandskomitee der nächstgelegenen Stadt, Dongola, organisierte einen Versorgungskonvoi ins Grenzgebiet.
In Khartum koordinieren die neugegründeten Notaufnahmen inzwischen die Wiederherstellung der Stromversorgung mit Technikern. Diese und weitere Beispiele zeigen, dass die Widerstandkomitees den Slogan »Nein zum Krieg« durch praktische Lebenshilfe für die Menschen ergänzt haben.
Internationale Diplomatinnen und Diplomaten sind aus Khartum geflohen und in die neue Interimshauptstadt Port Sudan weitergereist. Ohne das Scheitern ihres bisherigen Ansatzes kritisch zu reflektieren, setzten sie ihre Gespräche mit beiden Konfliktparteien fort und verkündeten einen Waffenstillstand nach dem anderen, die allesamt scheiterten. Die Bevölkerung macht sich über diese Ankündigungen inzwischen lustig und scherzt darüber, dass mit jedem Waffenstillstand alles nur noch schlimmer werde.
»Im Namen des Realismus haben Diplomaten eine Machtstruktur befördert, die SAF und RSF Zugang zu Sudans Waffen und Vermögen sicherten.«
Es sind dieselben Diplomaten, die den Menschen des Sudan ein gescheitertes »Partnerschaftsabkommen« mit dem Militär aufzwangen und den Friedensvertrag von Juba aushandelten, auf den sich der Coup direkt zurückführen lässt. Erst verhalfen sie den Generäle mit ihren Kriegen und Militärputschen zu Legitimation. Jetzt spielen sie sich als Experten auf, die am besten wüssten, wie man die Gewalt beendet, ohne dafür geradezustehen, dass ihre Strategie katastrophal gescheitert ist. Es ist daher kaum darauf zu hoffen, dass von der internationalen Gemeinschaft ein positiver Beitrag zu erwarten wäre.
Dies gilt nicht nur für Sudan, sondern auch für viele anderen Konfliktzonen der Welt, wo die korrupte Logik der internationalen Diplomatie Deals mit Kriegsverbrechern über die Behebung der Ursachen für Ungerechtigkeit und Konflikte priorisiert hat. Im Namen des »Realismus« haben Diplomaten eine Machtstruktur befördert, die SAF und RSF Zugang zu Sudans Waffen und Vermögen sicherten – offenbar in der Erwartung, dass sie diese Ressourcen nicht dazu verwenden würden, um ihre Macht zu festigen.
Ein wirklich realistischer und nachhaltiger Ansatz angesichts des Kriegs geht hingegen von der sudanesischen Bevölkerung aus. Je mehr sie Kontrolle über ihr eigenes Leben und ihre eigenen Ressourcen übernimmt, desto stärker wird die Macht der Generäle schwinden. Dieses revolutionäre Szenario bietet die Chance auf ein Ende der Kämpfe durch die Organisation einer landesweiten Widerstandsfront.
Die etablierten internationalen Organisationen werden die sudanesische Bevölkerung dabei niemals unterstützen: Sie haben kein Interesse an echter Demokratie im Land, die den Willen des Volks umsetzt. Die Sudanesinnen und Sudanesen können sich nur Hilfe von anderen Revolutionärinnen und Kämpfern für Frieden und Gerechtigkeit erhoffen, die von der internationalen Diplomatie Rechenschaftspflicht und die Einhaltung ethischer Prinzipien einfordern können. Die Unterstützung unserer Genossinnen und Genossen weltweit ist von entscheidender Bedeutung, um zu verhindern, dass eine internationale Intervention im Sudan weitere Zerstörung anrichtet. Es bleibt dabei: »Nein zum Krieg, ja zu den Menschen!«
Muzan Alnee ist Mitbegründer des Innovation, Science and Technology Think Tank for People-Centered Development (ISTinaD) – Sudan.