21. März 2025
Unser Kolumnist Ole Nymoen wird in der Presse gescholten, weil er nicht für Deutschland in den Krieg ziehen würde. Wir haben ihn gefragt, was er davon hält, wenn Rheinmetall VW-Werke übernimmt, und wo er Verbündete im Kampf gegen die Wehrpflicht sieht.
JACOBIN-Kolumnist und Buchautor Ole Nymoen.
Nachdem Schwarz-Rot ein panzerförmiges Loch in die Schuldenbremse gestanzt hat, ist die deutsche Wirtschaft jetzt auf Kurs, kriegstüchtig zu werden. Die Begründung? Trump drohe damit, sich von der NATO zu distanzieren und lasse die westliche Wertegemeinschaft im Regen stehen. Nun liege es an Deutschland, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen.
Aber nicht nur der Wirtschaft, auch den Menschen wird nun mehr abverlangt. Sei es als Beschäftigte, die länger arbeiten, als Bürger, die sich hinter die Regierung stellen, oder Jugendliche, die der Bundeswehr beitreten sollen. Die zweite Zeitenwende ist nichts für schwache Gemüter, alle werden von den ehemaligen Hardlinern des Individualismus dazu aufgefordert, sich als Menschen zurückzunehmen, um das große Ganze zu beschützen.
Denn: »Deutschland ist es wert.« Das zumindest entgegnete der Jugendoffizier der Bundeswehr David Matei am Montag in der Polit-Talkshow Hart aber fair unserem Kolumnisten Ole Nymoen, dessen Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit kürzlich erschienen ist. Wir haben mit ihm über die aktuelle politische Lage gesprochen und ihn gefragt, warum er sich nicht mit dem deutschen Staat identifiziert.
Dein Buch heißt Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde, aber weder Europa noch die Demokratie sind Länder. Würdest Du für die auch nicht kämpfen?
Der Titel ist natürlich zugespitzt. Ich bin kein Patriot, ich bin kein Nationalist, aber es geht nicht nur um Deutschland. Und in der Tat, ich würde weder für den sogenannten Wertewesten noch für Deutschland sterben.
»Es wird gerade eine Weltordnung infrage gestellt. Das ist natürlich beängstigend, aber auch diese Weltordnung bestand aus Gewalt.«
Kann man Dein Buch lesen und überzeugt werden, auch wenn man Deine ziemlich fundamentale Kritik am Nationalstaat nicht teilt?
Die Frage ist: Wie offen gehen die Leserinnen und Leser an das Buch ran? Es gibt ja auch Menschen, die wollen sich durchaus mal in ihrer Meinung erschüttern lassen oder sind bereit, gottgegebene Tatsachen zu hinterfragen. Das heutige Deutschland beispielsweise ist ja kein Zusammenschluss freier Menschen. Das ist einfach nicht die Art und Weise, wie Staaten zusammenkommen. Staaten sind im Regelfall das Ergebnis von Kriegen der Geschichte. Ich glaube, dass das Argumente sind, denen sich auch andere Menschen öffnen könnten.
Hast Du keine Angst vor russischer Fremdherrschaft?
Angst davor habe ich nicht, da ich einen russischen Angriff für unrealistisch halte. Als eine Verschlechterung meiner Lebensumstände würde ich es sicherlich wahrnehmen. Die Frage ist, ob man dafür sein Leben herzugeben bereit wäre, das zu verhindern. Und ich muss ehrlich sagen: Nein, ich bin lieber lebendig als tot.
Du hast das Buch sicher geschrieben, als Trump noch nicht wieder im Oval Office saß. Nach der Wahrnehmung vieler europäischer Politiker sind die USA kein verlässlicher Bündnispartner mehr. Manche Leute sagen, Europa sei autoritären Mächten schutzlos ausgeliefert. Ändert die Tatsache, dass Trump die westliche Wertegemeinschaft anscheinend auflöst, irgendwas an Deiner Meinung?
Es wird gerade eine Weltordnung infrage gestellt. Das ist natürlich beängstigend, aber auch diese Weltordnung bestand aus Gewalt. Es war eine Gewalt, die die USA und ihre Verbündeten ausüben durften. Nun ist es unsicher, wie die USA sich in Zukunft verhalten werden, aber ich halte es für unrealistisch, dass es zu einem Ende dieser Nachkriegsordnung kommt. Allenfalls wird man sich mehr auf China fokussieren.
Du würdest nicht für Dein Land kämpfen, sagst Du. Aber hast Du Verständnis mit anderen Deutschen oder Ukrainern, die das machen würden?
Ich kann verstehen, wenn Leute teilweise sagen, sie sind nicht bereit, Verschlechterungen ihrer Lebensumstände durch ein anderes Regime hinzunehmen. Dass sie dafür bereit sind zu kämpfen, verstehe ich abstrakt. Das Perfide ist aber, dass der Staat einem diese Option nicht lässt.
In der Ukraine ist es so, dass seit Kriegsbeginn das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt ist. Wer darauf pocht, der kommt, wenn es gut läuft, ins Gefängnis. Wenn es schlecht läuft, wird man einfach trotzdem eingesackt und ist ein paar Wochen später an der Front.
Und das ist gar nichts, was jetzt besonders ukrainisch ist. Ich glaube, kein Staat kann anders. Jeder Staat muss bereit sein, über die Leichen seiner Bürger zu gehen, ansonsten ist er kein Staat und kann als Staat in dieser Welt nicht bestehen bleiben. Und da ist die Frage, die man sich als Bürger stellen kann: Ist das eigentlich wirklich eine sinnvolle Art gesellschaftlicher Organisation?
»Es ist ein Wahnsinn, dass konkurrierende Staaten auf so unsinnige Art und Weise menschliche Arbeitskraft und Naturgüter verschwenden – und zwar nur zur Herstellung von Mordsmaterial, mit dem sich dann ganz sicher nicht die Politiker die Köpfe einschlagen werden.«
Ist nicht dieser ganze Argumentationsstrang total individualistisch? Braucht es nicht eine Idee eines Gemeinwesens, das man auch zu schützen bereit ist?
Ich glaube nicht, dass ich einem Kollektiv gegen den Rest der Welt angehöre, mit den Leuten, mit denen ich zufällig in einen Nationalstaat hineingeboren worden bin. Es gibt nichts, was mich besonders vom Rest der Welt trennt und mit allen anderen Deutschen eint.
Vielmehr ist es so, dass es in jedem Staatsvolk eine ungeheure Menge Widersprüche gibt, insbesondere ökonomische Widersprüche, die aufeinanderprallen. Diese Idee, dass ein Staatsvolk ein Verbund von Menschen wäre, die irgendeine Gemeinsamkeit hätten, außer dass sie demselben Staat unterstehen, halte ich für falsch.
Hat nicht jeder Staat das Recht auf Selbstbestimmung, das man auch mal verteidigen muss? Ist Souveränität nichts Schützenswertes?
Die Frage ist: Was ist das für eine Souveränität? Die Souveränität des Staates ist die Souveränität der Herrschaft über die Menschen, die im Staat leben. Und der einzige Grund, warum im Krieg Menschen aufeinandergehetzt werden, ist, weil diese Souveräne namens Staaten ihre Ansprüche permanent neu definieren, permanent versuchen, ihre Machtansprüche zu erweitern. Und ich würde in der Tat sagen: Diese Souveränitätsansprüche der konkurrierenden Nationalstaaten sind der Grund für das Elend der meisten Menschen dieser Welt. Das gilt ja nicht nur militärisch, es gilt auch ökonomisch.
Staaten befinden sich nur im Ausnahmefall im militärischen Widerstreit. Im Regelfall wird die Konkurrenz ökonomisch ausgetragen. Wenn der deutsche Staat seine Wettbewerbsfähigkeit, man könnte auch sagen, seine ökonomische Souveränität sicherstellen will, dann muss er auch mal bereit sein, den Leuten das Arbeitslosengeld zu kürzen. Dann verordnet VW seinen Beschäftigten noch mal Lohnverzicht, denn irgendwo anders in der Welt wird ja auch billiger produziert. Also ich glaube nicht, dass diese Welt konkurrierender Souveräne gut ist für die Menschen, die in dieser Welt leben.
Und zu sagen, ich bin souverän, wenn jemand aus meinem eigenen Volk mich regiert, halte ich für Unfug. Ich fühle mich nicht souverän, wenn Friedrich Merz den Sozialstaat kaputtkürzt. Ich fühle mich auch nicht souverän, wenn aufgerüstet wird und die Wirtschaft zur Kriegswirtschaft wird, ganz im Gegenteil.
Das ist eine Sache, bei der viele Menschen in Deutschland mit Migrationsgeschichte, gerade aus Osteuropa, sicher eine andere Meinung haben. Ist Dein Buch nur für Bio-Deutsche?
Manche Journalisten tragen ihre postsowjetische Identität vor sich her, aber schweigen dazu, wie es in den Ländern gerade aussieht. Hunderttausende ukrainische Männer verstecken sich in ihren Wohnungen und haben Angst, auf offener Straße zwangsrekrutiert und an die Front verschleppt zu werden. Die scheinen es ähnlich zu sehen wie ich – und ganz bestimmt nicht, weil die Lust haben, unter Putins Regime zu leben. Aber am Ende des Tages sagen sie auch: Lieber lebendig als tot. Und diese Freiheit lässt ihnen ihr Staat nicht.
Was hältst Du von dem zuletzt beschlossenen Schuldenpaket?
Erstmal ist es bemerkenswert, dass das, was man jahrelang für unmöglich erklärt hat, nun geht. Der Staat macht Schulden in riesigem Ausmaß. Aber, um etwas zu produzieren, was im besten Fall nicht verkonsumiert wird. Im schlimmsten Fall ist Krieg und dann werden sie tatsächlich zum Töten von Menschen benutzt.
»Dadurch, dass man das Gefühl hatte, Krieg sei weit weg, hat sich keine neue Antikriegsbewegung aufgebaut.«
Das heißt, man wendet Staatskredit auf, um etwas gesellschaftlich nicht Nutzbringendes zu schaffen. Man ist also durchaus auch bereit, eine gewisse inflationäre Politik in Kauf zu nehmen für diesen Zweck. Das war in den vorherigen Jahren undenkbar. Investitionen in Klimapolitik hätten dagegen die Inflation sogar gesenkt und den Menschen geholfen.
Das größte deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall hat jüngst vorgeschlagen, stillstehende VW-Anlagen zu übernehmen. Was sagst Du dazu?
Da wurden vorher Autos hergestellt, die von normalen Menschen gekauft wurden. Wenn jetzt Panzer produziert werden sollen, haben die normalen Leute davon gar nichts. Dass das zwei Paar Schuhe sind, was die Sinnhaftigkeit angeht, halte ich für offensichtlich.
Auch viele progressive Ökonomen begrüßen das Schuldenpaket, da es sich voraussichtlich positiv auf die deutsche Konjunktur auswirken wird. Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hingegen meint, Deutschland versuche vergeblich, mit so einem Militärkeynesianismus ein neues Wirtschaftsmodell zu schaffen, weil die Automobilbranche langsam ins Stocken kommt. Wo stehst Du in der Frage?
Die Aufrüstung wird zwar vielleicht ein BIP-Wachstum zur Folge haben, aber der konsumierbare Ressourcenpool für die Gesellschaft steigert sich überhaupt nicht. Es ist ein Wahnsinn, dass konkurrierende Staaten auf so unsinnige Art und Weise menschliche Arbeitskraft und Naturgüter verschwenden – und zwar nur zur Herstellung von Mordsmaterial, mit dem sich dann ganz sicher nicht die Politiker die Köpfe einschlagen werden.
Denkst Du, die Wehrpflicht, die beispielsweise die CSU wieder fordert, ist auch ein Mittel, um billige Arbeitskräfte einzubinden?
Steinmeier wollte schon vor Jahren ein Gesellschaftsjahr, also dass Männer und Frauen entweder zum Bund oder in zivilen Berufen arbeiten müssen. Und das halte ich auch für eine realistische Option. Das wird sicherlich dann auch ein erfolgreicher Lückenfüller sein. Denn die Bundeswehr kann bislang noch nicht so viel ausbilden. Und gerade jetzt, in solch angespannten sicherheitspolitischen Zeiten, wird sowieso kaum einer dieser Wehrpflicht nachkommen wollen. Also werden dann alle in die zivilen Berufe gehen und dann kann der Staat die Berufe, die er sonst kaputtspart, ein bisschen auffüllen, mit billigen Arbeitskräften.
Siehst Du Verbündete in der deutschen Gesellschaft für den Kampf gegen die Wehrpflicht? Und wie viel Hoffnung hast Du in die deutschen Jugendorganisationen?
Also wenn wir über die parteinahen Jugendorganisationen sprechen, sind die Jungen Liberalen wahrscheinlich die, die neben der Linksjugend am ehesten gegen eine Wehrpflicht zu mobilisieren wären. Der Chef der Grünen Jugend Jakob Blasel hat öffentlich gesagt, wer nicht bereit wäre, Europa mit der Waffe zu verteidigen, sei unsolidarisch. Und bei der SPD höre ich bislang nicht viel gegen die Wehrpflicht. Wahrscheinlich, weil man selbst Angst davor hat, sich den Vorwurf einzufangen, man sei ein vaterlandsloser Geselle und habe unrealistische Vorstellungen. Ich meine, da sind ja auch viele Leute dabei, die noch mal parteiintern aufsteigen wollen.
»Es gibt Hebel, an denen man ansetzen kann, und mit denen man dem Staat seine Entschlossenheit, nicht zu kämpfen, klarmachen kann.«
Es gibt in Deutschland eine Friedensbewegung, aber da sind wenige junge Menschen dabei. Dadurch, dass man das Gefühl hatte, Krieg sei weit weg, hat sich keine neue Antikriegsbewegung aufgebaut. Da sind zwar noch viele aus den älteren Generationen, weil die noch miterlebt haben, was Krieg bedeutet. Und je weiter man davon wegkommt, desto weniger Nachwuchs gibt es. Das ist natürlich auch ein Problem für eine öffentlichkeitswirksame Bewegung.
Was können junge Menschen tun, um sich gegen die Wehrpflicht oder gegen die Aufrüstung im Allgemeinen zu wehren?
Zuallererst können alle jungen Männer einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung vorbereiten – auch wenn sie ihn noch nicht abschicken sollten. Besser ist es derzeit, nicht auf dem Schirm der Behörden zu erscheinen. Stand jetzt ist jedenfalls im Grundgesetz verankert, dass man den Kriegsdienst verweigern kann. Das heißt, auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde man nur zu zivilen Zwecken einberufen werden. Wenn man in der Nähe der Front als Sanitäter arbeitet, ist das auch sehr, sehr gefährlich. Aber es ist immer noch besser, als im Schützengraben zu liegen. Und man sendet dadurch dem Staat ein ganz klares Signal: Nicht mit mir!
Und es gibt zivilgesellschaftliche Organisationen und Widerstand. Ich war letztes Jahr bei einer Tagung von Studierenden, die sich dagegen stark machen, dass die Zivilklausel an Universitäten gekippt wird. Diese Klausel sorgt bislang dafür, dass die Universitäten nicht militärischen Zwecken dienen müssen. Es gibt Hebel, an denen man ansetzen kann, und mit denen man dem Staat seine Entschlossenheit, nicht zu kämpfen, klarmachen kann.
Das mögen nur viele Tropfen auf den heißen Stein sein, aber es ist sicherlich besser, als nichts zu tun. Und es macht klar, dass man dafür nicht zu haben ist. Denn das kann ich den jungen Leuten nur sagen: Man lebt nur einmal. YOLO!
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.