08. Juli 2021
Nicht gegeneinander ausspielen, sondern zusammendenken: Was heute in der Analyse von Klasse und »Race« gefordert wird, hat der marxistische Soziologe Oliver Cromwell Cox schon vor Jahrzehnten vorgemacht.
Cox hielt die Spaltung der arbeitenden Klasse für die »Superwaffe« der Herrschaft des Kapitals.
Wie kann man Antirassismus mit Klassenpolitik verbinden? In einer Zeit, in der sich die politischen Kämpfe entlang der Achse von Identität und Klasse spalten, ist eine scharfe Analyse ihrer Wechselbeziehung notwendiger denn je. Obwohl immer wieder gefordert wird, Klasse und Race nicht getrennt voneinander zu betrachten, konzentrieren sich politische Analysen dennoch meist entweder auf das eine oder das andere als zentrales strukturierendes Element der Geschichte wie auch der Gegenwart.
Bereits in den 1930er Jahren beschäftigte sich Bertolt Brecht hierzulande mit dem Verhältnis von Klasse und Rassismus. Er fragte sich, warum seine liberalen Freundinnen und Freunde nicht sehen konnten, dass der Rassismus »essentiell für die Eroberung von Märkten und Rohmaterialien« war. Sie vertraten hingegen die Ansicht, der Kapitalismus könne auf den Rassismus »verzichten« und auch dann noch weiterhin die Massen ausbeuten.
Brecht hielt das für eine Fehleinschätzung. In seinen Augen war der Rassismus nicht optional, nicht »einfach nur eine andere Form« der Politik, sondern die direkte »Konsequenz der Klassenkonflikte«. Das »faschistische Prinzip« fordere, dass »Klassenkonflikte in ethnische Konflikte umgewandelt werden«, so Brecht.
In mehreren seiner Stücke versuchte Brecht darzustellen, wie Rassismus und Klasse ineinander greifen, so zum Beispiel in Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (1932-36). Aber wie so viele seiner Stücke lief es nur für ein paar Wochen und wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr inszeniert. Brechts Zeitgenosse war Oliver Cromwell Cox, ein Soziologe und Marxist aus den USA, dessen Denken auf derselben Analyse gründete.
Cox wurde 1901 in Trinidad geboren und wanderte 1919 in die USA aus, wo er Wirtschaft und Soziologie an der Universität von Chicago studierte. Nach seinem Studium arbeitete er an diversen Historisch afroamerikanischen Colleges und Hochschulen (HBCUs), zuerst am Wiley College in Texas und dann am Tuskegee Institute in Alabama. Nach 21 Jahren an der Lincoln Universität in Missouri verbrachte er das letzte Jahr seines Lebens an der Wayne State Universität.
Während sein Hauptwerk Caste, Class, and Race (1948) direkt zum Bestseller avancierte, wurden seine Schriften ebenso schnell zum Ziel antikommunistischer Propaganda. Cox’ Ruf litt unter dem Antikommunismus der amerikanischen Regierung, die mit der Roten Angst Politik machte. Das FBI führte eine immense Akte über ihn und das liberale soziologische Establishment lehnte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seiner Arbeit ab.
Im Laufe der 1950er und 60er verfasste er eine ganze Serie von Schriften über die Funktion von Race in der Geschichte des Kapitalismus. Cox starb 1974 und posthum erschien sein zweites bedeutendes Buch Race Relations, welches allerdings nur eine kleine Leserinnenschaft erreichte. Trotz seiner bedeutsamen Forschung geriet Cox weitestgehend in Vergessenheit.
Betrachtet man sein Werk aus der heutigen Perspektive, wird deutlich, wie relevant seine Arbeit für gegenwärtigen Debatten ist. Wir wiederholen heute dieselben Diskurse, die Cox und seine Arbeit damals umringten. Ein Blick auf Cox und seine Schriften kann uns in diesen aktuellen Diskussionen weiterbringen.
Cox’ intellektuelle Zeitgenossen warfen ihm vor, er würde ökonomistisch argumentieren und die Dimension der Diskriminierung vernachlässigen. Gordon Allport, der mit seiner berühmten Studie The Nature of Prejudice von 1954 gegen Cox anschrieb, bestand darauf, dass Vorurteile »mehrfachen Ursprungs« seien und auch so verstanden werden müssen – er argumentierte damals gemäß eines Verständnisses von Ungleichheit, das wir heute »intersektionell« nennen würden. Allport warf Cox vor, er würde nach einer einzelnen Ursache für den Rassismus suchen – die Klasse. Allport nannte dies die »Ausbeutungs-Theorie der Diskriminierung« und schuf damit die Grundlage, für den zeitgenössischen Begriff des »Klassenreduktionismus«.
Allport glaubte, dass die klassenorientierte Analyse von Cox »Schwächen in den Details« aufweise, da Vorurteile kein »ausschließlich ökonomisches Phänomen« seien. In den Beispielen, die er aufführte, um dieses Argument zu stützen, verwies Allport nicht auf die ungleiche Behandlung von der auch gut situierte Schwarze betroffen sind. Stattdessen argumentierte er, dass arme Schwarze »nicht niedriger gestellt seien als [arme] Weiße. Ihre Hütten sind nicht kleiner, ihre Einkommen nicht geringer, ihre private Infrastruktur ist dieselbe. Dennoch ist ihre soziale und psychologische Position niedriger.«
Allports Verständnis weißer Privilegien erscheint hier als eine Abwandlung dessen, was W.E.B. Du Bois als »psychologischen Lohn« des Weißseins bezeichnete. Woran es Allports psychologischer Theorie jedoch mangelte, war die Einsicht, dass die herrschende Klasse aus der Spaltung der Arbeiterinnenklasse erhebliche Vorteile ziehen konnte. Er übersah, was diese Art »psychologischer Kriegsführung« innerhalb der arbeitenden Klasse zu verrichten vermochte.
Cox’ konzentrierte sich auf das Konzept der »race relations«, welches er für weniger statisch hielt als Begriffe wie Race oder Rassismus. Zeitlebens wurde ihm daher vorgeworfen, er würde die Bedeutung von Klasse priorisieren und im Gegenzug den Rassismus vernachlässigen. Seine Kritiker ignorierten systematisch, dass er versuchte, beides im Kontext der amerikanischen Politik zusammenzudenken.
1973 blickte Cox auf seine Karriere zurück und bemerkte, dass er einen »Aufschrei der traditionellen Studierenden der ›race relations‹« kommen sah. Diese Traditionalistinnen und Traditionalisten hatten ihm immer wieder »ökonomischen Determinismus« und »Marxismus« vorgeworfen. Cox, so der Tenor, versuche die »race relations« ausschließlich auf die Ebene der Ökonomie zu reduzieren.
»Sein zentrales Anliegen war eine Klassensolidarität für Ausgebeutete.«
Laut Cox mangelte es diesen Kritikerinnen an der Geduld, sich den ökonomischen Belangen zu widmen. Sie konzentrierten sich eher auf »psychologische und politische Vorfälle«, welche ihnen »mindestens genauso relevant« erschienen, um den Rassismus der Gegenwart zu erklären, wie der Klassenbegriff.
Cox’ Kritiker bestanden darauf, dass »das Problem des Rassismus eher an vielen Fronten angegangen werden müsse als an einer«. Genau wie andere sogenannte »Klassenreduktionisten« von heute, lehnte Cox jedoch selbst die Rhetorik der »einen Front« ab und verschrieb seine ganze Karriere einer detaillierten Analyse der Funktionsweisen der »race relations« in den USA. Seine Arbeit ist ein ideales Beispiel dafür, wie eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Überschneidungen von Race und Klasse aussehen muss.
Cox verstand die kontinuierliche Bemühung, Race und Klasse voneinander zu trennen als den verdeckten Versuch, die arbeitende Klasse zu entzweien und gegeneinander auszuspielen. Sein zentrales Anliegen war eine Klassensolidarität für Ausgebeutete. Diesen rassifzierten Antagonismus betrachtete Cox als die gefährlichste Waffe der herrschenden Klasse, um das Proletariat zu spalten.
Für Cox war dieser Antagonismus ein integraler Bestandteil der Unterdrückung der arbeitenden Klasse, da »er sich im kapitalistischen System zu einer grundsätzlichen Funktionslogik entwickelt hatte«. Der besondere Charakter des amerikanischen Rassismus »entstand mit dem Ende der Sklaverei und aus der damit einhergehenden Frage heraus, wie die Schwarze Bevölkerung weiterhin proletarisiert bleiben könne«. Cox kämpfte an vielen Fronten gegen etablierte Definitionen des Rassismus, insbesondere gegen jene, die unter Soziologen der Chicago School vorherrschend war, wo er in den 1930ern selbst forschte. (Einer seiner Kommilitonen war Milton Friedman.)
Früh in seiner Karriere beschäftigte sich Cox mit der Arbeit von Gunnar Myrdal. Myrdals 1944 erschienenes Buch An American Dilemma: The Negro Problem and Modern Democracy – ein 1.550-seitiger Bestseller, finanziert von der Carnegie Corporation – definierte Rassismus »als zentrales Problem im Herzen der Amerikanerinnen und Amerikaner«.
In der Geschichte des Antirassismus markierte dieses Buch einen Wendepunkt: Es bezog sich nicht länger auf offenkundig rassistische Aussagen und Taten, gegen die rechtlich vorgegangen werden konnte, sondern vielmehr auf die Strukturen unterhalb der Oberfläche – auf ein System von Überzeugungen, das von Akteurinnenen und Akteuren losgelöst und deshalb noch heimtückischer und allumfassender ist.
Myrdal bezeichnete Rassismus als die »emotionale Matrix«, die die Gesellschaft strukturierte, Vorurteile wucherten überall. Er nutze das naheliegendste Analysewerkzeug für Race in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die Kaste. Myrdal zog Analogien zur indischen Gesellschaft und beschrieb den Rassismus der USA als Teil einer viel älteren Geschichte der Diskriminierung – einer Geschichte, die lange vor dem Aufstieg des Kapitalismus begann.
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war das Konzept der Kaste das vorherrschende Analysewerkzeug, um die gesellschaftliche Funktion von Race zu verstehen. In den 1960ern wurde dieser Ansatz jedoch von den Erklärungsmodellen des institutionellen Rassismus abgelöst. Heute macht die Theorie der Kaste wieder Schlagzeilen. Isabel Wilkerson bietet mit ihrem Narrativ von »Amerikas bestehendem Kasten-System« eine aktuelle Variante dieser Theorie, die sie in einem Beitrag für das New York Times Magazine wie auch in ihrem Buch Caste: The Origins of Our Discontents darlegt.
Wilkerson beschreibt den Mord an George Floyd als Bestandteil eines »unsichtbaren Gerüsts, eines Kasten-Systems« und stützt sich auf Myrdals Theorie aus den 1940er Jahren. Ein »unterbewusster Code von Anweisungen«, schreibt Wilkerson, unterliege dem indischen Kasten-System, genauso auch in Nazi-Deutschland oder den USA. In den 350 Worten, die Wilkerson Oliver Cromwell Cox’ Analyse der Kaste in ihrem 500 Seiten starken Buch widmet, verunglimpft sie ihn als »umstritten«, »streitsüchtig« und »feindselig«.
Cox verbrachte einen Großteil seines Schaffens damit, das ahistorische Verständnis von Race als Kaste zu bekämpfen – ein Verständnis, das seiner Ansicht nach den spezifischen Kontext des amerikanischen Rassismus ignorierte. Die Vertreterinnen der Kasten-Theorie sahen eine Analogie zwischen den Brahmanen und den kapitalistischen Sklavenhaltern, zwischen einer religiösen Ordnung, die auf Ungleichheit aufbaut, und einem Rechtsystem, das –zumindest in Worten – auf Gleichheit basiert. Die Kasten-Theoretiker, ebenso wie der heutige Afro-Pessismismus, halten an einer sehr statisches Vorstellung von Rassismus fest; für Cox hingegen war nichts »instabiler als die ›race relations‹« der USA.
Für Cox bestand die heimtückischste Analogie zwischen Race und Kaste »in der Annahme, das eine lebenslange Mitgliedschaft in den entsprechenden Gruppen bestehe«. Diese Sicht impliziere, dass Schwarze und Weiße »gleichermaßen daran interessiert« seien, ihre Hautfarbe und so auch ihre gesellschaftliche Trennung zu schützen. Das Anliegen der Kasten-Theorie, so Cox, sei es »Schwarze und Weiße in zwei antagonistische Gruppen zu teilen«; eine Struktur, »die ganz den Interessen der Ausbeuterinnen und Ausbeuter entspricht«.
Myrdal hingegen verortete das Problem in einem nicht näher definierten »weißen Vorurteil«, das Schwarze in »niedrige Lebensstandards zwingt«. (Zu der Armut von Menschen, die keinen Vorurteilen ausgesetzt waren, hatte er wenig zu sagen.) Myrdal argumentierte, die niedrigen Lebensstandards dienten den Weißen als Beweis für die vermeintliche Minderwertigkeit von Schwarzen und rechtfertigten so bestehende Ressentiments.
Dies beschrieb Myrdal als einen Teufelskreis. Auf dessen Basis begründete Daniel Patrick Moynihan später sein bekanntes Konzept der »underclass« – eine Theorie, die er in seinem Buch The Negro Family: The Case for National Action (1965) entwickelte.
Cox glaubte, dass Myrdal und den anderen Vertretern der Kasten-Theorie das Verständnis fehlte für die »materiellen Interessen, welche rassistische Vorurteile stützen und am Leben halten«. Fast 200 Seiten seines Buches Caste, Class, and Race widmete er der Brandbreite von Werkzeugen, die den Ausbeuterinnen und Ausbeutern zu Verfügung stehen, um den Rassismus weiter zu befeuern: Gesetze, Beleidigungen, Polizeigewalt, Lynchmord und ein ausgedehntes und adaptionsfähiges System der Erniedrigung. Cox fasste die Situation so zusammen: »Kapitalisten haben ein Interesse daran, ihre Arbeitskräfte ausbeutbar zu halten und ein Mittel dazu ist es, sie zu erniedrigen«.
Das sei jedoch keine stabile Situation. Die herrschende Klasse müsse hart dafür arbeiten, die Vorurteile aufrecht zu erhalten: »Zuerst muss eine Kapitalistin Menschen und deren Ressourcen ausbeuten; darauf folgt die mehr oder weniger absichtliche Entwicklung von abwertenden sozialen Einstellungen der Massen und der Öffentlichkeit gegenüber der Gruppe, deren Ausbeutung angestrebt wird.«
Cox beschreibt wie »der ausbeuterische Akt zuerst komme und das Vorurteil folge«. Dies war die Basis für sein Verständnis der Sklaverei in den USA: Um »menschenunwürdige Arbeit zu rechtfertigen, bestehen die Ausbeuter darauf, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter von Natur aus minderwertig sind.«
Cox warf Myrdal vor, er würde die »offensichtlichste Schlussfolgerung« aus dem Bestehen des Rassismus systematisch ignorieren – genau die Schlussfolgerung, »vor der es der kapitalistischen herrschenden Klasse graut«. Der rassifizierte Antagonismus, schreibt Cox, »ist eine Zustand, der sowohl von den armen Weißen und den armen Schwarzen hergestellt und aufrechterhalten wird«. Die Kaste ist für das Verhältnis der Ausbeutung deswegen so effektiv, weil es die Illusion erweckt, weiße Arbeitgeberinnen und weiße Arbeiter stünden auf derselben Seite. Und aus genau diesem Grund befeuerten die Arbeitgeber die »Aggression von armen Weißen gegen Schwarze«.
»Cox argumentiert, dass die ›wichtigste Waffe‹ der herrschenden Klasse die Teilung der Schwarzen und weißen Arbeiterinnen und Arbeiter ist.«
Auch wenn es mit unserem heutigen Verständnis von Race nur schwer nachvollziehbar ist: In der Mitte des letzten Jahrhunderts waren Sex und Ehe ein viel debattiertes Thema. Auch in den Analysen Myrdals spielte es eine zentrale Rolle. Für Myrdal manifestierte sich Diskriminierung hauptsächlich darin, dass Sexualität und Ehen zwischen weißen Frauen und Schwarzen Männern gesellschaftlicher Kontrolle unterstellt wurden. Auch hier vermutete Cox ein offensichtliches Werkzeug, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu spalten.
Cox zufolge boten Ehen zwischen Schwarzen und weißen Proletarierinnen und Proletariern die Chance, »die Möglichkeiten der Ausbeutung dieser Klasse« zu reduzieren. Wenn Schwarze durch solche Ehen »weiß würden«, wären die kapitalistischen Profiteure »nicht mehr in der Lage, den Hass der Massen gegen sie zu schüren und würden ihre wichtigste Waffe bei der Gewinnmaximierung durch die Ausbeutung Schwarzer und weißer Arbeiterinnen und Arbeiter in den Südstaaten verlieren«.
Cox argumentiert, dass die »wichtigste Waffe« der herrschenden Klasse – zu der auch liberale Ideologen wie Myrdal zählen – die Teilung der Schwarzen und weißen Arbeiterinnen und Arbeiter ist. Das Hauptanliegen der herrschenden Klasse sei es, »die Möglichkeit einer gemeinsamen Interessensbildung« zwischen armen Weißen und armen Schwarzen zu unterbinden.
Cox appellierte arme Weiße dazu, ein »anderes System des Denkens« anzuerkennen, als jenes, das durch die Kategorie Race definiert ist. Schwarze hingegen sollten verstehen, »dass ihre Interessen im Kampf um politische Macht an die Interessen von gewöhnlichen weißen Menschen gekoppelt seien«. Diese Erkenntnis wollte die bürgerliche Soziologie nicht annehmen. Das liberale Establishment hasst, so Cox, nichts mehr, als »der breiten Masse die Interessen von weißen und Schwarzen Arbeiterinnen und Arbeitern zu vermitteln«.
Cox vertrat die These, dass es das »extreme Bestreben« des liberalen soziologischen Verständnisses von Race sei, »Schwarze Männer ... an der Ausbeutung der Allgemeinheit partizipieren zu lassen«. Es gehe, so Cox, also darum, dass Schwarzen die gleiche Freiheit gewährt werden solle wie reichen Weißen, andere auszubeuten. Die liberale Soziologie, so folgerte er, »wolle lediglich den rassistischen Aspekt des Ausbeutungssystems eliminieren«, aber das System ansonsten intakt halten.
Myrdals Reaktion auf diese Analyse mag einem heute bekannt vorkommen. Er bemerkte, dass er immer dieselbe Resonanz erhalte, wann immer er mit Schwarzen über den Kommunismus spreche: »Auch nach einer Revolution wird dieses Land immer noch voller Cracker [Anm. d. Red.: abwertende Bezeichnung für arme weiße Bevölkerungsschichten, besonders aus ländlichen Gegenden] sein«.
»Cox wurde von seinen Kritikerinnen und Kritikern wiederholt vorgeworfen, ›kommunistische Propaganda‹ zu veröffentlichen.«
Ta-Nehisi Coates legte seine eigene Version dieser Erzählung vor, als er die USA mit Europa verglich. In den europäischen Ländern, so Coates, wurde »ein höherer Mindestlohn, eine gesetzliche Krankenversicherung und eine günstige Hochschulbildung etabliert. Haben diese Maßnahmen den Rassimus verschwinden lassen?«
Cox hingegen beharrte darauf, dass es »nach einer sozialistischen Revolution keine ›Cracker‹ und keine ›[N-Worte]‹ mehr geben würde, da es für diese Stereotype keine soziale Notwendigkeit mehr geben würde«. Der Rassismus bestehe aufgrund der Notwendigkeit einer allzeit verfügbaren und fügsamen Reservearmee. Sobald diese Notwendigkeit aufgehoben sei, würden Race und Rassismus ihre Ursächlichkeit verlieren.
Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung von Cox’ Caste, Class, and Race hätte kaum schlechter sein können: Es erschien 1948, zu Beginn der anti-kommunistischen Wende bei den Linken und den Rechten. Obwohl die erste Auflage innerhalb eines Jahres ausverkauft war, weigerte sich der Verlag Doubleday, eine zweite zu drucken. Er ließ das Buch sukzessive vom Markt verschwinden und die Wissenschaft ignorierte es.
Cox, der stark in die Lehre eingebunden war und kaum Zugang zu Fördermitteln hatte, wurde von seinen Kritikerinnen und Kritikern wiederholt vorgeworfen, »kommunistische Propaganda« zu veröffentlichen. 1949 richtete das Komitee für unamerikanische Umtriebe (HUAC) ein kritisches Auge auf »subversives« Material auf Universitätsgeländen. Cox wurde daraufhin zur Zielperson mit einer immensen FBI-Akte.
In den 1950ern erschien eine Reihe von neuen, einflussreichen soziologischen Bestsellern über die Wohlstandsgesellschaft, die den Kern eines neuen liberalen Konsenses bildeten. Die Generation von David Riesman, Vance Packard, William F. Whyte und J. K. Galbraith war in ihrer Forschung und Anschauung antikommunistisch. In einer seiner kontroversesten Schriften attackierte Cox Riesmans Mitarbeiter Nathan Glazer, der an The Lonely Crowd mitgewirkt hatte. Glazer, der später zusammen mit Moynihan an Beyond the Melting Pot arbeitete, verschrieb sich einer pluralistischen Anschauung, die Cox ablehnte.
»Das Problem mit dem neuen Pluralismus bestand für Cox darin, dass er die Rückkehr in eine vormoderen Ordnung forderte.«
Am Ende seines Lebens setzte sich Cox stark für einen assimilatorischen und integrativen Schwarzen Protest ein und gegen die »Black Nationalists« und Pluralisten. Er ordnete sich in die Linie Martin Luther Kings ein, denn diese Bewegung sei die, wie er es nannte, »echte SCLC, SNCC und CORE« [Anm. d. Red.: schwarze Bürgerrechtsbewegungen]. Cox widersprach rigoros der »militanten« Aussage der Nationalistinnen und Nationalisten, dass es »seit 1860 keinen wirklichen Wandel des sozialen und ökonomischen Status von Schwarzen gegeben habe«. Die Veränderungen, die sich tatsächlich vollzogen hatten, waren hart erkämpft worden und zeigten sich in dem Einzug von Schwarzen in den Mainstream des amerikanischen städtischen Lebens.
Das Problem mit dem neuen Pluralismus bestand für ihn darin, dass er die Rückkehr in eine vormoderen Ordnung forderte – und das gerade zu einem Zeitpunkt, in dem Schwarze kurz davor standen, einen gewissen Grad an Freiheit in der modernen bürgerlichen Gesellschaft zu gewinnen. Wie Adolph Reed Jr. und andere argumentierten, profitierten Frauen, Schwarze und andere Minderheiten überproportional von der wachsenden ökonomischen Gleichheit der Nachkriegszeit. Sie enthob sie der Armut und eröffnete ihnen den Weg in die Mittelklasse. Dieser Aufstieg vollzog sich in einer Geschwindigkeit, die in der US-Geschichte bis heute unvergleichbar bleibt.
Cox gehörte zu einem kleinen Kreis linker Kritikerinnen und Kritiker der 1960er, die glaubten, dass sich antirassistische Bewegungen mit verrufenen Theorien eines rassifizierten Essentialismus gemein machten. Einflussreiche Pluralismus-Theoretiker wie Nathan Glazer seien, so Cox, falsche Freunde für die Linke.
Für Glazer war die Welt nicht entlang ideologischer Grenzen gespalten, sondern entlang ethnischer Grenzen. Aus seiner Sicht hatte die Soziologie die Realität der Ethnizität zu lange ignoriert. Integration könne niemals gelingen. Wenn diese gefordert wurde, dann gefährde das die »pluralistischen Institutionen«. Dabei werde lediglich eine »unterpriviligierte Gruppe« in die »Gemeinschaft der Bevorteilten integriert«.
Die pluralistische Wende, der Moment, in dem Race zu einem »Konstrukt« wird, aber gleichzeitig auch zu einem scheinbar unveränderlichen Fakt, ist derjenige, der unsere Ära eingeläutet hat. So wie der Rassismus Arbeiterinnen und Arbeiter davon abhält, sich durch die Identifizierung geteilter Interessen und gemeinsamer Feinde zu ermächtigen, so droht der gegenwärtige Antirassismus Solidarität zu verunmöglichen. Das zeigt sich auch in der teilweisen Kompatibilität von Kapitalinteressen und der Antirassismusbewegung.
Wie sähe die heutige Linke aus, wenn ihre intellektuelle Identität von Cox geprägt worden wäre und nicht von seinen Zeitgenossen Theodor Adorno, Herbert Marcuse, Jean-Paul Sartre und Michel Foucault? Anstatt das Proletariat zu vergessen, hätte sie sich vielleicht darauf konzentriert, Solidarität über rassifizierte Grenzen hinweg aufzubauen. Wenige haben auf Cox gehört als er noch am Leben war. Heute könnte er genau der Denker sein, den wir in einem Moment brauchen, in dem die Linke geschlagen am Boden liegt.
Todd Cronan lehrt Kunstgeschichte an der Emory University. Er ist der Autor von »Against Affective Formalism: Matisse, Bergson, Modernism«.
Todd Cronan lehrt Kunstgeschichte an der Emory University. Er ist der Autor von »Against Affective Formalism: Matisse, Bergson, Modernism«.