14.12.2020
Wir brauchen wirklich nicht noch mehr narzisstische Texte, die erzählen, wie es ist, ein Ossi zu sein.
Von Ines Schwerdtner
Nicht wenige Karrieren gründen darauf, aus der eigenen Identität einen Verkaufsschlager zu machen. Das ist nicht per se verwerflich, nützt aber den Menschen nichts, die diese Identität teilen, aber von der Karriere nichts abbekommen. In den letzten Jahren baute so eine ganze Generation von Journalistinnen und Autoren ganz auf ihr Ostdeutschsein. Sie erkannten, dass da etwas anders war an ihnen, das natürlich zum Ausdruck gebracht werden musste. Und es verkaufte sich praktischerweise auch ganz gut.
Findige Zeitungsmacher haben aus dieser Idee der ganz besonderen Identität gleich eine eigene Rubrik gemacht: die Zeit im Osten. Natürlich nur im Osten als Beilage in der großformatigen Zeitung enthalten – am Ende würden die Wessis noch etwas erfahren und vielleicht empört das Abo kündigen, weil das ja alles mit ihrer Identität nichts zu tun hat. Warum aber sollte eine Reportage von der polnischen Grenze die Stuttgarter nicht interessieren? Vielleicht hat ja jemand in Cottbus ähnliche Erfahrungen mit dem Strukturwandel gemacht wie jemand in Bochum.
Aber nein. Man leistet sich sogar einen Korrespondenten für den Osten, weil man natürlich »authentisch« aus diesem anderen Land berichten will. Der Einheit leistet man wahrlich einen Bärendienst mit dieser ewig weitergeführten Trennung. In der wohl gutgemeinten Absicht, ostdeutsche Geschichten zu erzählen, gibt man sich selbst ganz westlich und verbannt genau diese Erfahrungen in einen Teil der Zeitung, dem man selbst lieber nicht zu nahe kommen will. Das Anderssein wird zelebriert und bewusst festgezurrt. Die Auseinandersetzung hat kein Ziel, sie ist Selbstzweck.
Wie ist es also, ostdeutsch zu sein, wie fühlt es sich an? Auf Spurensuche gehen meist diejenigen, die es sich leisten können oder meinen, etwas zu sagen zu haben. Am liebsten sprechen sie dabei über sich selbst. Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein von Jana Hensel und Wolfgang Engler ist eines dieser Bücher, aber es ließen sich zig weitere anführen, die alle dieselbe Geschichte erzählen: Ostdeutsche Erfahrungswelten sind durch den Zusammenbruch des Systems vollkommen anders als westdeutsche. Eigentlich eine banale Feststellung, die aber bedeutungsschwanger immer wieder ausgebreitet werden muss. Von »Erfahrungsräumen« und »Identitäten« ist da bei Hensel die Rede, von Konflikten mit den Eltern (ist das spezifisch ostdeutsch?) und Übersetzungsleistungen ins Westdeutsche. Man habe sich als diese »in der marginalisierten Position Sprechenden« besser selbst kennengelernt als die Westdeutschen das von sich sagen könnten.
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