14. Dezember 2020
Im Osten steckt bereits alles, was wir für linke Politik brauchen. Dafür müssen wir nur an tiefe Überzeugungen anknüpfen.
Eine sozialistische Partei, die Erfolg haben will, muss ein positives Bild des Ostens vermitteln, in dem die Menschen sich aufmachen, die heimischen Landstriche wiederzubeleben.
In Anbetracht der politischen Situation im Osten kann man als fortschrittlich gesinnter Mensch schon mal verzweifeln. Die Neue Rechte sahnt nicht nur bei Wahlen ab, sondern vermag es geschickt, ihr Weltbild und ihre Politikangebote mit den Abwertungs- und Deklassierungserfahrungen großer Teile der ostdeutschen Bevölkerung zu verbinden und so tief in die Vorstellungswelt der Menschen einzudringen. »Tja«, könnte man da sagen, »die Ossis sind einfach fremdenfeindliche und rassistische Provinzler, die noch nicht gelernt haben, was Demokratie und Toleranz bedeutet.«
Doch diese arrogante Attitüde – zumeist vorgetragen von Westdeutschen, die nie einen Fuß in ostdeutsche Gefilde gesetzt haben, aber auch zunehmend von linken und liberalen Ostdeutschen – bringt uns nicht nur nicht weiter, sondern führt uns in die Irre. Denn wie ließe sich dann erklären, dass SPD, Grüne und Linke / PDS bei den Wahlen zwischen 1994 und 2009 im Osten zusammen 53 bis 61 Prozent erreichten? Selbst 2013, nach dem kompletten Zusammenbruch der SPD im Osten, kamen die drei Parteien noch auf 45 Prozent. Das Potenzial für einen solidarischen und zukunftsgewandten Osten ist also da. Nur wie können wir es wiederbeleben?
Wie jedes linke politische Projekt muss auch das Programm einer demokratischen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung an die Vorstellungswelten der Bevölkerung und der arbeitenden Klasse anknüpfen. Andernfalls hängen noch die besten Vorhaben lose in der Luft und die arbeitende Klasse kann unsere tollen, am Reißbrett entworfenen Vorschläge nicht auf die eigene Lebenssituation beziehen, geschweige denn unsere Vorstellungen zu ihren eigenen machen.
Linke neigen allzu oft dazu, die alltäglichen Einstellungen der arbeitenden Klasse als falsch und vom Kapitalismus verhunzt abzutun. Sie ergehen sich in radikaler Kritik und Pose und schmettern den verdutzten proletarischen Ossis das ewige Lied vom falschen Bewusstsein entgegen. Diese szenelinke Strategie führt uns aber in die politische Bedeutungslosigkeit und nicht zu einer Massenbewegung, die die Herrschenden angreift und ein besseres Leben für die arbeitende Klasse erkämpft.
Unterhält man sich mit einem gewöhnlichen Ostdeutschen mittleren Alters über Politik und die Lage des Landes, bekommt man zumeist Folgendes zu hören: »Nach der Wende wurden wir von vorne bis hinten verarscht. Von heute auf morgen haben sie uns die Wessis vor die Nase gesetzt, in jedem Betrieb und in jedem Amt, weil wir selber angeblich nichts wussten und nichts konnten. Dann wurde man vor die Tür gesetzt und musste zusehen, wo man bleibt. Alles haben sie platt gemacht.« Diese Erzählung, die von Herabsetzung und Verachtung handelt, aber auch von Selbstbehauptung und der Abwehr gegen die marktradikale Schocktherapie, die vom westdeutschen Kapital und seinen Handlangern durchexerziert wurde, ist hunderttausendfach in Kneipen und bei Familienabenden zu vernehmen.
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Politikwissenschaftler, arbeitet in Berlin in der politischen Bildung