14. Dezember 2020
Verkannte Köstlichkeiten: vom kleinen Fleisch-Snack bis zum Festessen bietet die Ostküche alles, was das Herz begehrt.
Als ich vor Jahren der bayerischen Tristesse entsagte, kam ich nicht nur ziemlich geschichtsvergessen, sondern auch kulinarisch ahnungslos in Berlin an. Dem Haushalt einer alleinerziehenden Mutter mehrerer Kinder entwachsen, orientierte sich die mir bekannte Küchenpraxis an drei Prinzipien: Minimalismus, Bezahlbarkeit und Wiederholung. Ein Hang zur Sinnesfreude und die späte Bekanntschaft mit meinem aus Kampanien stammenden, pausenlos mediterrane Gerichte zubereitenden Erzeuger veranlassten mich jedoch, ehrgeizig gegen die alte Formel anzukochen. Trotz dieser Leidenschaft brauchte es eine Dekade und einige Nachhilfe in historischen Klassenfragen, bis schließlich mein Interesse an der Küche der ehemaligen DDR geweckt wurde. Dabei begegnete ich nicht nur einigen meiner Lieblingszutaten, sondern auch den genannten Prinzipien vollbeschäftigter Mütter auf ganz neue Weise.
Als überregionale Speerspitze der DDR-Küche kam das Ragout fin ganz oben auf meine Liste. Genau genommen bereitete ich Würzfleisch zu, für das anstelle des »feineren«, damals jedoch raren Kalbfleischs gegartes Schweinefleisch mit Pilzen in einer Mehlschwitze gratiniert wird. Bevor man dann die Käsehaube durchsticht, wird die heiße Delikatesse noch in Worcestersauce gebadet. Ein Hidden Champion im Osten, zeigt sich Letztere hier von ihrer vielleicht besten Seite. Fazit: Veritables Soulfood, das Flexitarier zur Sünde treibt!
Kulinarische Einflüsse kamen auch aus den Bruderstaaten in das sozialistische Ostdeutschland, um dort adaptiert zu werden. Darunter auch die süß-säuerliche Nummer eins unter den DDR-Suppen: Soljanka. Unausweichlich sind hier Gewürzgurken und Paprikaschoten, was aber dazwischen noch so rumschwimmt, variiert je nach Region und Wurstfach. So habe auch ich die Gelegenheit genutzt, um die Restbestände meiner Ostküchen-Eskapade zu verbraten – darunter Landwurst, etwas Speck mit Letscho und sogar Mett vom Igel. Und doch: Am Ende löffelte ich ein feines Süppchen, das nach allerlei neuen Variationen ruft.
Nicht zu verwechseln mit dem pilzigen Pendant aus der BRD, wagt das Jägerschnitzel Ost die Kombination aus panierter Jagdwurst, Spirelli und Tomatensauce. Die Tomaten kommen dabei gern aus Ketchupflaschen, diese wiederum traditionell aus Werder. So sehr dieses einfache Gericht für die DDR steht, lassen sich – wie so oft – Parallelen zur Heimat ziehen. So standen in den 1960er Jahren Nudeln mit Ketchup regelmäßig auch auf den Tischen bayerischer Arbeiterinnenfamilien. Allerdings: Der leicht beißende Geschmack frittierter Wurst übertrifft den raubeinigen Leberkäse auf der Intensitätsskala doch um einiges.
Als Ende der 1960er Jahre die staatlich organisierte industrielle Hühnermast hochgezogen wurde, um Broiler (im Westen: Brathähnchen) für alle Bürgerinnen und Bürger der DDR zu garantieren, wurde damit zugleich auch der Konsum von Eiern angeregt. Dazu kam die verbreitete Vorliebe für große Mengen Bautz’ner-Senf, als Beilage das beste Knollengewächs des Landes, und es entstand, was nicht nur damals Familien im Osten, sondern unter anderem auch mich heute glücklich macht. Dazu: einen Eierlikör, weil – warum nicht.