05. April 2021
Der Osteraufstand von 1916 folgte der Vision eines demokratischen Irlands. Der Kampf um Unabhängigkeit war auch eine Rebellion gegen soziale Ungleichheit.
Die Vorbereitung des »Easter Rising«. Mary Spring Rice und Molly Childers versorgen die Irish Volunteers 1914 mit Gewehren aus Deutschland.
Die irische Geschichtsschreibung ist sich bis heute uneins darüber, wie die Ereignisse von 1916 bis 1932 zu bewerten sind und ob es sich dabei um eine Revolution handelte.
Fianna Fáil, lange Zeit die stärkste politische Partei in Irland, vertrat eine Auffassung des Aufstands, die der Legitimation des modernen irischen Staates diente. Doch diese Erzählung ist einseitig und nationalistisch: Etwa rechnet sie Patrick Pearse, einen der Anführer des Aufstands, und seine Zeitgenossinnen irreführender Weise dem konservativen Katholizismus des 20. Jahrhunderts zu.
Ihre Rivalin innerhalb der irischen Bourgeoisie, die Partei Fine Gael, vertritt dagegen einen konstitutionellen Nationalismus, von dem die Home-Rule-Bewegung geprägt war. Weil sie der britischen Herrschaft in Irland weniger kritisch gegenübersteht, neigt sie dazu, den Aufstand von 1916 herunterzuspielen oder sogar als tragischen Zwischenfall darzustellen.
Die irische Linke sollte sowohl das traditionelle als auch das revisionistische Narrativ zurückweisen. Denn in einer Zeit wiederauflebenden Widerstands der arbeitenden Klasse auf der Insel braucht es eine andere Auseinandersetzung mit Irlands revolutionärer Episode: Eine, die den Kampf um Unabhängigkeit in den Kontext der demokratischen und sozialen Revolution einordnet, nach der viele der an diesem Kampf beteiligten Menschen strebten.
Irlands Revolution war in erster Linie national. Sie ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, wird ihrer Komplexität jedoch nicht gerecht. Das liegt nicht allein an ihren starken proletarischen und internationalistischen Einflüssen, sondern vor allem daran, dass die Wirtschaftsordnung der Kolonialherrschaft die nationale, die demokratische und die soziale Frage in Irland eng miteinander verwoben hatte.
Die Rebellion der United Irishmen von 1798, die von der Französischen Republik unterstützt wurde, war für die sich in der Folge entwickelnden radikalen Bewegungen ein inspirierendes Ereignis. Während häufig auf die politische Bedeutung des Aufstands verwiesen wird, werden seine wirtschaftlichen Auswirkungen oft außer Acht gelassen. Nachdem sie den Aufstand niedergeschlagen hatte, schränkte die britische Regierung die irische Souveränität innerhalb ihres Imperiums erheblich ein und löste das unabhängige irische Parlament, umgangsprachlich »Grattans Parlament« genannt, durch das Unionsgesetz (»Act of Union«) von 1800 auf. Wenngleich diese Initiative die beiden Königreiche zu einer größeren Union zusammenführte, bestand ihre eigentliche Wirkung darin, eine direkte, koloniale Herrschaft über Irland zu errichten.
Das hatte verheerende Folgen für die südirische Wirtschaft. Noch im Jahr 1800 war Dublin als Regierungssitz, Handels- und Finanzzentrum sowie als Hauptumschlagplatz der Textilindustrie die zweitgrößte Metropole des weltgrößten Imperiums. Mit der Installation der direkten britischen Herrschaft wurden die fiskalischen und ökonomischen Entscheidungsbefugnisse wieder nach Westminster übertragen und die Zölle auf irische Waren angehoben. Das führte zu einer Abwanderung irischer Landsleute und ihrer Einkünfte nach Großbritannien. Innerhalb von sechzig Jahren stieg Dublin auf den sechsten Platz der bevölkerungsreichsten Städte im Vereinigten Königreich ab.
Die britische Regierung führte Zölle ein, um ihre Industrien zu stützen. Wenn es dagegen um staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zum Wohle der Allgemeinheit ging, verfolgte sie einen Laissez-faire-Ansatz. Das trug zur Großen Hungersnot von 1845 bis 1852 bei. Der Export von Waren aus Irland auf das britische Festland wurde selbst dann noch fortgesetzt, als eine Million Menschen starben und eine weitere Million auswanderten. Dazu schrieb der Graf von Clarendon, Oberster Leutnant von Irland, 1847 an den Premierminister: »Niemand würde es heute noch wagen, die Tatsache zu bestreiten, dass Irland den Londoner Getreidehändlern geopfert wurde ... und dass es nicht zu dieser Notlage gekommen wäre, wenn man den Export von irischem Getreide verboten hätte.«
Die Hungersnot sorgte nicht nur dafür, dass sich die Bevölkerung der Insel halbierte. Außerdem veränderte sie die wirtschaftliche Struktur des landwirtschaftlich geprägten Irlands nachhaltig, indem sie riesige, zuvor von kleinbäuerlichen Betrieben bewirtschaftete Landstriche leerfegte. Im Jahr 1841 waren nur 18 Prozent der Agrarbetriebe in Irland größer als fünfzehn Hektar. Zehn Jahre später waren es bereits 51 Prozent. In diesem Vakuum entstand eine mächtige Klasse von Pachtbauern.
Vom wirtschaftlichen Rückschlag dezimiert und durch die Hungersnot traumatisiert, entwickelte sich Irland als fruchtbarer Boden für einen Aufstieg der katholischen Kirche. Der Klerus entstammte überproportional häufig den Großgrundbesitzerfamilienn oder dem Bürgertum – den Teilen der irischen Gesellschaft, die sich Bildung für ihre Kinder leisten konnten.
Viele Menschen betrachteten die Kirche, die ebenfalls von der britischen Imperialmacht unterdrückt wurde, als eine verlässlichere Verbündete als die Regierung und zogen die Anteilnahme an den kirchlichen Institutionen dem Staat vor. Die Verbundenheit mit der Kirche wurde zusätzlich durch ihre Mitwirkung an den Initiativen gegen den Act of Union und für die sogenannte Katholikenemanzipation verstärkt, welche die Beschränkungen der Bürgerrechte vor allem in Sachen freier Religionsausübung und Zugang zu öffentlichen Ämtern für die römisch-katholische Bevölkerung schrittweise verringerte und schließlich aufhob.
Die Macht der Kirche wuchs ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als sie mit der Veröffentlichung des Syllabus errorum von Papst Pius IX. ihre deutlichste anti-moderne Wendung nahm. Die Enzyklika, in der der Papst eine Reihe von Thesen als verwerflich verurteilte, griff unter anderem den Sozialismus sowie die »völlig falsche Idee einer sozialen Regierung« an und untermauerte eine Soziallehre, die Armut als ein moralisches Problem verstand, das sich am wirkungsvollsten durch Nächstenliebe mildern ließe. Dieser Philosophie folgend wurde die Kirche zu einer mächtigen Gegnerin fortschrittlicher Reformen.
Das Erstarken der katholischen Kirche hatte auch Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stellung der Frauen. Obwohl sie auch damals alles andere als frei waren, arbeiteten Frauen im Irland vor der Hungersnot häufig auf Bauernhöfen oder konnten durch ihre Fertigkeiten im Weben und Spinnen sogar ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit erlangen. Doch dann machte die Industrialisierung diese Fähigkeiten überflüssig, während das wachsende Aufkommen großer Landwirtschaftsbetriebe zugleich den Bedarf nach der Arbeitskraft der Frauen verringerte. Die katholische Kirche schrieb ihnen eine neue Rolle zu: Die Frau sollte von nun an das religiöse Oberhaupt der Familie sein. Sie war aufgefordert, ihre Rolle im Haushalt zu übernehmen und ihre Kinder zum Glauben zu erziehen.
Bis zum frühen 20. Jahrhundert hatte Irlands wirtschaftlicher Niedergang zu einer weit verbreiteten Verelendung geführt. Die Slums von Dublin gehörten zu den schlimmsten der Welt. Die Sterblichkeitsrate lag bei 27,6 pro 1.000 Personen und damit höher als in Kalkutta. Mehr als 20.000 Menschen lebten in Ein-Zimmer-Wohnungen, die sich oft noch in den prächtigen viktorianischen Häusern der früheren Aristokratie befanden – eine schmerzliche Erinnerung an den Wohlstand, den die Stadt zu diesem Zeitpunkt längst verloren hatte.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen aus dem Traum, Irland von der unmittelbaren, kolonialen Herrschaft und dem damit verbundenen Elend zu befreien, zwei politische Vereinigungen hervor: Der Geheimbund der Fenier und die Home Rulers. Obwohl es zahlreiche Überschneidungen zwischen den Gruppen gab und sie auch in ihren Kämpfen zum Beispiel für eine Bodenreform teils gemeinsame Ziele verfolgten, trennten sich die Wege der beiden Gruppierungen, nachdem die Aufstände von 1798 gescheitert waren.
Die Home-Rule-Bewegung versuchte die erlittene Niederlage ungeschehen zu machen. Anfangs angeführt von der Protestant Ascendancy – der anglikanischen herrschenden Klasse von Großgrundbesitzern, Geistlichen und Geschäftsleuten –, wollten sie sowohl das unabhängige irische Parlament wiederherstellen als auch die politische Macht wiedererlangen, die an den irischen Adel und die kapitalistische Klasse verloren gegangen war. Der Kampf um die Verteilung von Ländereien im späten 19. Jahrhundert sorgte dafür, dass die Ascendancy weitgehend durch eine andere, katholisch geprägte herrschende Klasse ersetzt wurde, die nur darauf wartete, die Macht an sich zu ziehen: Es waren die Landpächter, die sich zuvor Besitz- und Kaufrechte gesichert hatten. Nach einer vorübergehenden Spaltung der Bewegung erlangte die katholische Elite um die Jahrhundertwende die Vormachtstellung.
Dieser Teil der irischen Gesellschaft war stark in der Industrie und in den kaufmännischen Berufsständen vertreten und schickte seinen Nachwuchs auf exklusive, oft von Jesuiten geführte Schulen. Dort sah man sich der Wiederbelebung nicht so sehr der irischen Kultur als vielmehr der protestantischen Herrschaft verpflichtet. Ihr Vorbild war John Redmond, der Anführer der Irish Parliamentary Party, der sich seiner katholischen, adeligen Abstammung rühmte.
Unter Redmonds Führung wurde die Home Rule Party von einer Gruppe von Imperialisten dominiert, die fantasievolle Vorstellungen davon hegten, dass Irland eine Art Juniorpartner des British Empire werden könnte. Der Abgeordnete Thomas Kettle fasste ihre imperialen Visionen am treffendsten zusammen, als er feststellte, dass Home Rule »auf zwei Füßen zum Triumph schritt, einem irischen und einem imperialen Fuß«.
Die Ziele der Fenier waren andere. Sie wollten die Forderung einer unabhängigen Republik von 1798 verwirklichen. Im Jahr 1867 erklärten sie: »Der Boden Irlands, der gegenwärtig im Besitz einer Oligarchie ist, gehört uns, dem irischen Volk, und uns muss er zurückgegeben werden.«
Die geheime Fenier-Bewegung, die größtenteils aus einfachen Handwerkern sowie städtischen Arbeitern bestand, war radikaldemokratisch, antiaristokratisch und gewissermaßen antiklerikal; sie war durch ihre zahlreichen europäischen und transatlantischen Verbindungen internationalistisch aufgestellt und nahm auch in der Landfrage eine revolutionäre Perspektive ein.
Der Fenianismus, so schrieb James Connolly später, war »ein erwiderndes Pochen im irischen Herzen auf jenes Pulsieren im Herzen der europäischen arbeitenden Klasse anderer Länder, das die Internationale Arbeiterassoziation hervorgebracht hat.« Tatsächlich orientierten sich die Fenier zwecks ideologischer Inspiration und institutioneller Unterstützung an der proletarischen Reformbewegung der Chartisten und den zeitgenössischen europäischen Sozialisten.
In ihrer merkwürdigerweise in Vergessenheit geratenen Proklamation von 1867 waren die Fenier ausdrücklich säkular. Sie vermieden es, sich auf die religiöse Gemeinschaft zu berufen und forderten stattdessen eine »vollständige Trennung von Kirche und Staat«. Außerdem widersetzten sie sich der Vorstellung, dass es sich bei ihrem Kampf um einen Kampf der Iren gegen die Engländer handelte. Vielmehr wandten sie sich gegen »aristokratischen Heuschrecken, egal ob Engländer oder Iren« und stellten sich an die Seite der englischen Arbeiterklasse: »Was euch betrifft, Arbeiter Englands, so wünschen wir uns nicht nur eure Herzen, sondern auch eure Waffen.«
Aber die gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen waren für eine solche programmatische Ausrichtung ungünstig. Zwei Dinge hätten den Feniern Rückenwind verschaffen können, um zu einer Massenbewegung anzuwachsen: Eine stärker organisierte irische Arbeiterklasse und ein bedeutsamer Einfluss des Sozialismus in der britischen arbeitenden Klasse – doch das war zu diesem Zeitpunkt beides nicht gegeben.
In der Folge scheiterte ihr Aufstand von 1867, und auch die anschließende Dynamit-Kampagne der Fenier erwies sich als unpopulär. Anstatt eine soziale Revolution anzufachen, gaben die Fenier ihren Kontrahenten neuen Auftrieb. Ihre gewaltsamen Akte verschafften der irischen Nationalbewegung eine Reihe von Märtyrern und lenkten die Aufmerksamkeit der Briten auf die Notwendigkeit von Reformen, um historische Ungerechtigkeiten etwa in der Landfrage zu beseitigen. Doch nachdem die Fenier die Koordinaten der irischen Politik verschoben hatten, wurden sie nach und nach an den Rand gedrängt oder von der aufstrebenden Home Rule Party vereinnahmt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts unterstützte der Großteil der Nationalbewegung die Strategie, die irische Selbstbestimmung auf parlamentarischem Weg zu erlangen. Selbst nachdem 1886 und 1893 zwei Gesetzesentwürfe gescheitert waren, glaubten die irischen Nationalisten weiterhin daran, dass die Irish Parliamentary Party Westminster davon überzeugen würde, Irland die Selbstbestimmung zu gewähren. Eine Reihe von Bodengesetzen verschaffte vielen katholischen Pachtbetrieben Rechtssicherheit und Eigentümerschaft und beförderte zugleich den Niedergang der Protestant Ascendancy. Diese Entwicklungen galten als Beleg dafür, dass der konstitutionelle Nationalismus wichtige Interessengruppen wirkungsvoll vertreten konnte.
Den Gegenpol zu den beiden irisch-nationalistischen Vorhaben stellte die protestantische Bewegung der Unionisten dar. Diese sprach sich gegen die Unabhängigkeit des mehrheitlich katholischen Irland aus und war insbesondere im Nordosten des Landes stark vertreten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts richteten sich die Trennlinien zwischen Nationalismus und Unionismus zunehmend entlang der Konfessionen aus.
Der Aufstand von 1798 war seinerzeit von protestantischen Republikanern wie Wolfe Tone angeführt worden. Er propagierte die Einigkeit von »Katholiken, Protestanten und Dissidenten«, diente aber nichtsdestotrotz einer Bewegung zur Verteidigung der Protestant Ascendancy in mehrheitlich katholischen Gebieten als Inspiration.
Die sogenannten Oranier entstanden in Armagh in Nordirland und breiteten sich daraufhin in den nördlichen Landkreisen aus. In ihrem Versuch, protestantische Privilegien gegenüber der katholischen Bevölkerung zu behaupten, brachten sie dort ansässige anglikanische Grundbesitzer und Pächter zusammen, die bis dahin im Streit gelegen hatten. Mit einem Akt, der bereits spätere Konflikte erahnen ließ, nahm die Britische Regierung den Oranier-Orden in seine Reservearmee auf, um die Widerständigkeit und den Idealismus der Aufständischen zu brechen.
Das Unionsgesetz und die Entwicklung des katholischen Nationalismus waren der Auftakt einer Ära sich vertiefenden Spaltung zwischen dem Nordosten und dem Rest Irlands – gepaart mit der Bereitschaft der britischen Eliten, die Ängste der protestantischen Bevölkerung zu instrumentalisieren, um die katholische Revolte zu bekämpfen und die imperialen Bestrebungen voranzutreiben.
Diese Spaltung hatte auch ein ökonomisches Ungleichgewicht zur Folge: Während die Wirtschaft im Süden schwächelte, verband ein industrielles Handels-Dreieck zwischen Belfast, Glasgow und Liverpool die wirtschaftlichen Kräfte des Nordostens mit denen des British Empire.
Der Aufstieg des protestantischen, industriellen Bürgertums widerlegte die noch 1911 vom irischen Sozialisten James Connolly geäußerte Einschätzung, es gäbe in Irland »keine ökonomische Klasse, deren Interessen mit der Union verbunden« seien.
Connolly sah das Aufkommen des protestantischen Oranier-Ordens als ein Begleitphänomen des Untergangs des Landadels. Deshalb war er blind für die materiellen Voraussetzungen des des vor allem in Ulster angesiedelten Unionismus sowie für den Erfolg des industriellen Bürgertums bei der Erlangung der politischen Kontrolle über diese von klassenbezogenen, geografischen und ideologischen Widersprüchen durchdrungen Bewegung. Die geteilte Abneigung gegen die Bedeutungszuwachs einer katholischen oder in Dublin ansässigen herrschenden Klasse schuf das Fundament für eine klassenübergreifende, britische Ulster-Identität, die schließlich zum Grundpfeiler des irischen Unionismus werden sollte.
Die Gründung des Ulster Unionist Council (UCC) im Jahr 1905 – die durch den Oranier-Orden mit seinen Beziehungen zu den britischen Torys unterstützt wurde – unterstrich einerseits den organisatorischen Zerfall des südirischen Unionismus und begründete andererseits eine formale politische Ausdrucksform der Klassengrenzen überspannenden Ulster-britischen Identität.
Dies führte zu einer ausgeprägt ethnisierten Oppositions-Politik, die erstmals ins Rampenlicht trat, als 1912 über 237.000 Männer und 234.000 Frauen im Protest gegen Home Rule die sogenannte Ulster-Vereinbarung unterzeichneten. Im Jahr 1913 errichteten die Ulster-Unionisten mit der Unterstützung prominenter britischer Militärs und des Tory-Oppositionsführers Andrew Bonar Law eine paramilitärische Einheit, die Ulster Volunteer Force (UVF), um bewaffneten Widerstand zu organisieren.
Die Anhängerinnen und Anhänger des Home-Rule-Nationalismus reagierten im Folgejahr mit einer eigenen Machtdemonstration: Sie gründeten die Irish Volunteers. Bis Mitte 1914 konnten die Irish Volunteers fast 200.000 Mitglieder verzeichnen, was John Redmond zu einem Versuch veranlasste, die effektive Kontrolle über das provisorische Führungsgremium der Organisation zu übernehmen.
In diesem Moment brach der Erste Weltkrieg aus und trieb die beiden bürgerlich-nationalistischen Gruppierungen im Wettkampf um die Gunst des British Empire nach Kontinentaleuropa: Die Home Rulers taten das in der Hoffnung, Unterstützung für ihre eingeschränkte Selbstverwaltung zu gewinnen; die Anhängerinnen und Anhänger des Unionismus in der Hoffnung, genau dies zu verhindern. Dadurch entstand Raum für radikalere Strömungen, die zudem von der zunehmenden Unpopularität des Krieges profitierten konnten.
Die verbliebenen National Volunteers, eine Abspaltung der Irish Volunteers unter John Redmond, hielten an einem irischen Republikanismus fest. Darin standen sie der Bewegung der Fenier aus dem 19. Jahrhunderts nah. Ihnen gehörten Teile des neu entstandenen gebildeten Kleinbürgertums an – allen voran der katholische Schullehrer, Dichter und irische Wortführer Patrick Pearse.
Die Führung dieses separatistischen Aufgebots befürwortete einen bewaffneten Aufstand gegen die britische Herrschaft in Irland, war jedoch gespalten in zwei Lager: Das »passive« Lager – angeführt von Bulmer Hobson und Eoin MacNeill – wollte einen Aufstand nur dann unterstützen, wenn im Zuge dessen die Volunteers entwaffnet oder die Wehrpflicht eingeführt würde, um die britische Armee im Krieg zu unterstützen. Das »aktive« Lager – angeführt vom Fenier-Veteranen Tom Clarke und dem Organisator der Irisch-Republikanischen Bruderschaft (IRB), Seán MacDiarmada, – war hingegen entschlossen, einen Aufstand anzuzetteln, während sich England im Krieg befand.
Der größere Einsatz des letzteren Lagers für die irische Unabhängigkeit zeigte sich an seiner Abwendung von der Mehrheitsposition zur Frage nach der Unterstützung der imperialen Kriege Großbritanniens. Einer Tradition folgend, die auf Wolfe Tones Pamphlet zum Spanischen Krieg von 1790 zurückging, begründeten diejenigen, die sich dem Kampf verweigerten, einen neuen politischen Handlungsrahmen für eine Bewegung, die für einen vollständigen Bruch mit England eintrat.
In dieser Bewegung fanden sich auch radikale Formen des Republikanismus wieder. Darunter waren auch sozialistisch inspirierte Vorkämpfer wie Thomas Ashe, ein im südirischen Kerry geborener Lehrer, der Direktor an einer Schule im Norden Dublins wurde. Er führte später das Volunteer-Bataillon in Fingal an und geriet 1912 durch seine Unterstützung für die gewerkschaftliche Organisierung der dort ansässigen Landarbeiterinnen und Landarbeiter in direkten Konflikt mit dem Home-Rule-Abgeordneten Thomas Kettle, der außerdem über Landbesitz in der Gegend verfügte.
Als inoffizielle nationalistische Vorläuferbewegung vor Kriegsausbruch war der Republikanismus weniger von der Kirche beeinflusst. Obwohl der Katholizismus in Pearses politischem Denken eine zentrale Rolle spielte, war der fenische IRB seiner Verfassung nach säkular. In seinen Reihen gab es liberale, atheistische, protestantische und jüdische Menschen. Darüber hinaus nahm der bestehdende katholische Nationalismus eher private Formen des Glaubensbekenntnisses an, anstatt sich an der Kirche zu orientieren – zumal der Klerus den Fenianismus und seine politischen Methoden vehement ablehnte.
Diese relative Freiheit von kirchlichem Einfluss ermöglichte auch weitaus progressivere Positionen im Kampf um die gesellschaftliche Stellung der Frau. Während die Home Rulers das Frauenwahlrecht ablehnten, zählte der Republikanismus Aktivistinnen für das Frauenwahlrecht wie Hanna Sheehy-Skeffington und Mary MacSwiney zu seinen Führungsfiguren. Die große Mehrheit der neu gegründeten Frauenarmee, Cumann na mBan, lehnte Redmonds Aufruf zum Krieg von 1914 ab.
Die andere radikale Bewegung, die in den von den Home Rulers hinterlassenen Raum eindrang, war die der Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie war im Zuge des sogenannten Dublin Lockouts von 1913 erwacht, als Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Stadt ausgesperrt wurden, um die Ausbreitung der Gewerkschaftsbewegung zu verhindern. Damals kämpften 20.000 Arbeiterinnen und Arbeiter gegen dreihundert Arbeitgeber, die von dem Home Ruler William Martin Murphy angeführt wurden. Nun verfügte sie über eine eigene Streitmacht, die Irish Citizen Army (ICA), die dem Schutz von Streikenden diente.
Diese hatte in James Connolly einen herausragenden Anführer gefunden. Ihm war es gelungen, die national-demokratischen, sozialen und ökonomischen Fragen in einer republikanisch-sozialistischen Ideologie zusammenzuführen, was ihn als einen der herausragenden Theoretiker des Marxismus der Zweiten Internationale ausweist. Durch seine Schriften und die Gründung der Labour Party arbeitete Connolly an der Formung des entstehenden Klassenbewusstseins in Irland.
Connolly war Befürworter eines revolutionären Aufstands und hatte außerdem umfassend über die radikalen Traditionen des Fenianismus geschrieben. Damit befand er sich in einer idealen Position, um die Bewegung der arbeitenden Klasse in Irland mit denjenigen Teilen der irischen Nationalbewegung zusammenzubringen, die sich geweigert hatten, sich an den imperialen Abenteuern Großbritanniens in Kontinentaleuropa zu beteiligen.
Bei seinem Versuch, die Voraussetzungen für einen solchen Schulterschluss zu schaffen, machte Connolly einige große Zugeständnisse. Der bedeutendste dieser Kompromisse war die Abmilderung seiner Position zum deutschen Imperialismus – ein Schritt, der ihn mit sozialistischen Bewegungen in anderen Ländern in Konflikt brachte.
Dennoch war Connolly in der Lage, führende Persönlichkeiten wie Patrick Pearse und Organisationen wie die Irisch-Republikanischen Bruderschaft (IRB) zu beeinflussen und dem Osteraufstand einen plebejischen Geist zu verleihen, der ihn scharf von dem konservativen Nationalismus abhob, den er zurückdrängte.
In seiner Schilderung des Osteraufstands von 1916 schrieb der prominente irische Schriftsteller George William Russell unter dem Pseudonym AE, dass »es die Arbeiterbewegung war, das die Leidenschaft zur Revolte beitrug. Sie beklagt einen wirklichen Missstand. Der kulturschaffende Teil der Gesellschaft rüttelt nie mehr als ein Prozent eines Landes auf. Nur wenn eine gewaltige Ungerechtigkeit die Arbeiterinnen und Arbeiter antreibt, vereinigen sich ihre Anliegen mit allen anderen Anliegen.«
Zwar war die Proklamation von 1916 rechts von Fabianismus und radikalem Fenianismus angesiedelt, jedoch sah sie ein unabhängiges Irland vor, das der Beteiligung von Frauen, der sozialen Gleichheit und der Volkssouveränität mehr Platz einräumen sollte. Lenin verteidigte den Aufstand gegen Kritik an der Allianz zwischen Kleinbürgertum und arbeitender Klasse und argumentierte: »Wer eine ›reine‹ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben.«
Er beobachtete zutreffend, dass die Teilnahme von etwa 210 Freiwilligen der Irish Citizen Army (ICA) an den Aufständen der Osterwoche, kombiniert mit den Hinrichtungen von Connolly und seinem Stellvertreter Michael Mallin, der Arbeiterbewegung eine einflussreichere Rolle in der politischen Ordnung nach dem Aufstand verschaffen würde.
Der Osteraufstand genoss zunächst keine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Aber zwei Jahre nach seiner Niederschlagung waren die Ansichten, die er zum Ausdruck gebracht hatte, in der irischen Politik vorherrschend geworden.
Die Androhung der Wehrpflicht löste im April 1918 den größten Streik in der irischen Geschichte aus, der das Land fast vollständig lahmlegte. Im Dezember schlug Sinn Féin – die aus dem Umständen heraus die politische Interessenvertretung der nationalistischen Bewegung geworden war – die Irish Parliamentary Party: Sie gewann bei den Parlamentswahlen 73 Sitze gegenüber sechs Sitzen für die Home Rule Party.
Die Unterstützung, die Lenin gegenüber Irland bekundet hatte, wurden im Winter 1918 erwidert, als im Dubliner Mansion House eine Kundgebung mit Tausenden von teilnehmenden Personen zur Unterstützung der bolschewistischen Revolution stattfand. Zu den Rednerinnen gehörten Constance Markievicz von Sinn Féin, die bald zur ersten Reigerungsministerin in der »westlichen« Welt gewählt werden sollte. Außerdem sprachen Tom Johnston von der Labour Party und William O'Brien von der Irish Transport and General Workers Union (ITGWU). Außerdem kam ein sowjetischer Vertreter zu Wort, der am Ende seiner Rede zu dem vom irischen Sozialisten Jim Connell geschriebenen Lied »Red Flag« anhob.
Im Januar 1919 versammelten sich die neu gewählten Sinn-Féin-Abgeordneten, die sich geweigert hatten, ihre Sitze im britischen Parlament einzunehmen, um in Dublin ihre Unabhängigkeit zu formalisieren. Sie erklärten ihre Treue zur Proklamation von 1916 und gründeten ein unabhängiges Parlament mit dem Namen Dáil, und teilten den »freien Nationen der Welt« mit, es bestehe ein »Kriegszustand zwischen Irland und England«. Die Streitkräfte der Bewegung bildeten die Irisch-Republikanische Armee (IRA) – der Unabhängigkeitskrieg hatte begonnen.
Obwohl die Labour Party den Wahlen von 1918 fernblieb, um Sinn Féin die Möglichkeit zu geben, sie zu einem Referendum über die Unabhängigkeit zu machen, war es ihr Anführer Tom Johnston, der das Programm des unabhängigen Dáil schrieb. Dieses Programm spiegelte die demokratischen und sozialen Umwälzungen wider, die die Revolutionen in der Nationalfrage vorantrieben. Es proklamierte, dass »die Souveränität der Nation sich nicht nur auf alle Männer und Frauen der Nation erstreckt, sondern auf alle materiellen Besitztümer, den Boden der Nation und alle ihre Ressourcen, allen Reichtum und alle Reichtum erzeugenden Prozesse innerhalb der Nation.« Das Programm besagte auch, dass alles Recht auf Privateigentum dem öffentlichen Recht und Wohl untergeordnet werden muss.
Einen Monat später hisste der Gewerkschafter Peadar O'Donnell die rote Flagge über einer Nervenheilanstalt in Monaghan und rief einen der ersten Sowjets außerhalb Russlands aus. Die Forderungen der arbeitenden Klasse, die die Obrigkeit in Panik versetzten, beinhalteten eine Verkürzung der Arbeitswoche um fast die Hälfte und gleichen Lohn für Männer und Frauen.
Doch die Unruhen hatten erst begonnen. Im April 1919 wurde die viertgrößte Stadt der Insel mit der Gründung des Limerick Soviet unter die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter gebracht. Nachdem ein Versuch der IRA, einen hungerstreikenden Freiwilligen und Gewerkschafter zu retten, mit dem Tod eines Polizisten endete, verhängten die Briten das Kriegsrecht über die Stadt. Davon unbeeindruckt rief das Limerick United Trades and Labour Council einen Generalstreik aus und nahm alle Angelegenheiten der Stadt – von der Lebensmittelversorgung bis zum Gelddruck – in die Hand.
Diese Ereignisse beschränkten sich nicht auf nationalistisch geprägte Gebiete. Im Januar 1919 stand die nordöstliche Stadt Belfast im Zentrum einer Bewegung für kürzere Arbeitszeiten, die sich auf die großen Industriestädte Englands auswirkte. Nur wenige Tage nachdem zwanzigtausend Werft- und Maschinenbauarbeiter für eine 44-Stunden-Woche gestreikt hatten, übernahm ein Komitee aus Arbeiterinnen und Arbeitern die Stromversorgung der Stadt und legte Beschränkungen für Transport und Handel fest.
Der Streik endete mit einer teilweisen Beilegung – in den Wochen davor hatte die Stadt jedoch viele Merkmale eines Sowjets angenommen. Der Anblick von hunderttausend Menschen, die am 1. Mai dieses Jahres demonstrierten, zeigte, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in Belfast für die revolutionäre Welle offen waren, die über Europa hinwegfegte.
Begünstigt durch einen Zentralstaat, der so handlungsunfähig war, dass er keine Einkommenssteuern einzutreiben vermochte, sowie durch die Existenz einer Volksarmee, die die Staatsgewalt herausfordern konnte, blühten die Organisationen der Arbeiterklasse kurzzeitig auf. Insgesamt wurden in diesen Jahren an über hundert Orten auf der ganzen Insel Sowjets ausgerufen – von Gaswerken in Tipperary über Minen in Leitrim, von Gießereien in Dublin bis zu Getreidemühlen in Cork.
Auch im ländlichen Irland erreichten die Proteste – befeuert durch den Wunsch der Pächterinnen und Kleinbauern nach einer Neuverteilung des Bodens und der Arbeiterinnen und Arbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen – neue Ausmaße.
Im Juni 1919 sperrten Großbauern in den ländlichen Grafschaften Meath und Kildare fast dreitausend Arbeiterinnen und Arbeiter aus. Die Auseinandersetzung eskalierte zu einem bewaffneten Kampf, der später als die Schlacht von Fenor bekannt wurde. Es brauchte schließlich 400 britische Soldaten, um sicherzustellen, dass der Viehtransport fortgesetzt werden konnte. Ähnliche Konfrontationen entbrannten im folgenden Jahr in Castletownroche in der südwestlichen Grafschaft Cork, wo die britischen Autoritäten den Einfluss der »Roten« in der Landwirtschaft beklagten.
Viehtreibereien und Landbeschlagnahmungen im Westen des Landes breiteten sich »rasend wie ein Präriefeuer« aus, wie es der Historiker Desmond Greaves ausdrückt. Sie erreichten Galway, Mayo und Roscommon. Insgesamt wurden in dieser Zeit etwa 70 »große Häuser« in Brand gesteckt, als der Hass auf Großgrundbesitzer und Großpächter immer mehr in den Vordergrund trat.
Die Zunahme von Ausmaß und Intensität der Arbeitskämpfe fiel mit einer Eskalation der IRA-Kampagne zusammen. Republikanische Anführer wie Mick Fitzgerald, Sekretär seines örtlichen ITGWU-Zweigs, ermutigten zu direkten Aktionen in Land- und Lohnkämpfen.
Obwohl es keine politische Strategie gab, die Kämpfe zusammenzuführen, entwickelten sich die Unabhängigkeitsbewegung und die Kämpfe der arbeitenden Bevölkerung parallel zueinander. Am stärksten verschmolzen die Kämpfe in den Generalstreiks von 1919 und 1920: Der erste forderte die internationale Vereinigung und Selbstbestimmung der Arbeiterinnen und Arbeiter, der zweite die Freilassung der politischen Gefangenen.
Der irische Unabhängigkeitskrieg war dem Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter keineswegs abträglich: Bei den Kommunalwahlen im Januar 1920 errang Labour 324 Sitze, während Sinn Féin 422, die Unionisten 297 und die Nationalist Party 213 Sitze einnahmen. Für einen kurzen Moment, in dem sich die National- und die Klassenfrage überschnitten, bestand in Irland nicht nur die Möglichkeit der Unabhängigkeit, sondern auch die einer sozialen Revolution.
Über ein Jahrhundert später sind viele der einschneidendsten Ereignisse vergessen, die Irlands Revolution zu einer grundlegenden Herausforderung für die bestehende Gesellschaftsordnung machten. Die Debatte über den Osteraufstand bewegt sich hauptsächlich zwischen engem Nationalismus und pro-imperialer Revision.
Doch die Gespenster der revolutionären Vergangenheit Irlands suchen die Mächtigen bis heute heim. Als der Taoiseach Enda Kenny 2014 die Bewegung gegen die Einführung von Wassergebühren als »Mob« bezeichnete, benutzte er die gleiche Terminologie, die der antisozialistische Polemiker Father Robert Kane 1910 gegen die Arbeitenden verwendete.
In Erwiderung auf Kane reagierte James Connolly, der den revolutionären Geist der Ära verkörperte, indem er »die politische und soziale Bilanz der Geschichte dieses Mobs im Vergleich mit den anderen Klassen« verteidigte:
»In seinem Vorwärtsmarsch hat der Mob die Welt verändert und vermenschlicht. Mit einem Schwung seiner schmutzigen, abgenutzten Hand hat er den Pranger, die Daumenschraube, das Rad, die Stiefel voll brennendem Öl, den Schraubstock des Folterers und den Scheiterhaufen in die Vergessenheit der Geschichte verbannt. Bei dieser zivilisierenden, humanisierenden Arbeit musste der Mob zu allen Zeiten dem Hass und dem Widerstand von Königen und Adligen begegnen und bezwungen.«
Wie in so vielen anderen Revolutionen ließ auch in Irlands nationaler Revolution die besitzende Klasse, die ebenfalls von Unabhängigkeit profitieren würde, andere Leute den Kampf für sie austragen. Ein Jahrhundert später steht die soziale Revolution gegen diese Klasse immer noch aus.
Während wir diese vorantreiben, sollten wir uns an Irlands Tradition des proletarischen Kampfes und an die Worte erinnern, die James Connolly zu ihrer Verteidigung schrieb: »All hail, then, to the mob, the incarnation of progress!« – Es lebe der Mob, die Verkörperung des Fortschritts!