28. Juli 2024
Seit den 1990er Jahren wird die Politik in Palästina von der Rivalität zwischen Fatah und Hamas geprägt. Doch zuvor war die größte Konkurrenz für die Fatah die palästinensische Linke.
George Habasch, Arzt und Gründer der PFLP.
In aktuellen Diskussionen über die palästinensische Politik findet die palästinensische Linke wenig Beachtung. Ihre wichtigsten Fraktionen scheinen an den Rand gedrängt. Dabei haben sie in der Vergangenheit einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung geleistet. Das Fehlen einer progressiven Option neben den beiden konservativen, nationalistischen Parteien Fatah und Hamas trägt zu der ausweglosen politischen Situation bei, in der sich die Palästinenserinnen und Palästinenser heute befinden.
Um die derzeitige Marginalisierung der Linken zu verstehen, sollten nicht nur bekannte historische Faktoren berücksichtigt werden (wie der Zusammenbruch der Sowjetunion oder der Aufstieg des politischen Islam). Vielmehr war auch die Unfähigkeit, altbekannte Probleme wie die innerlinke Zersplitterung oder das Primat des palästinensischen Nationalismus über die Klasse zu überwinden, ein wichtiger Grund für den Niedergang der palästinensischen Linken.
Ende der 1960er Jahre hatten bewaffnete Organisationen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) in Beschlag genommen und sie zur wichtigsten institutionellen Plattform der modernen palästinensischen Nationalbewegung gemacht. Die Fatah von Jassir Arafat entwickelte sich zur dominierenden Fraktion in dieser Gruppe. Mit der Einführung einiger wichtiger politischer Neuerungen erlangte sie unter den palästinensischen Geflüchteten im Exil große Popularität.
Die Fatah vertrat die Idee, dass der palästinensische Nationalismus und die eigene politische Handlungsfähigkeit unabhängig von der Bevormundung anderer arabischer Staaten sein sollten – und dass der bewaffnete Kampf das wichtigste Instrument sei, um die Befreiung Palästinas zu erreichen. Mehrere andere Fraktionen schlossen sich der Fatah innerhalb der PLO an. Unter diesen bildeten diejenigen, die sich auf marxistische Ideen beriefen, lange Zeit die größte Opposition zur PLO-Führung. Als die bewaffneten Organisationen 1969 die volle Kontrolle über die PLO erlangten, zeigten sich in der palästinensischen Linken allerdings schon einige der langjährigen Probleme, die ihren weiteren Werdegang prägen sollten.
»Die palästinensische Linke hat in der Vergangenheit einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung geleistet.«
Die wichtigste linke Organisation in der PLO war (und ist immer noch) die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). In ihrer Anfangszeit wurde sie von George Habasch geführt, einem Arzt aus der Stadt Lydda im heutigen Zentralisrael. Habasch war auch als hakim al-thawra, »der weise Mann der Revolution«, bekannt – ein Spitzname, der auf seinen beruflichen Hintergrund (hakim bedeutet im Arabischen der Levante »Arzt«) sowie auf seine charismatische Führungsrolle anspielte.
Die PFLP wurde 1967 gegründet als die palästinensisch-nationale Kraft einer der wichtigsten transnationalen Organisationen im arabischen Raum, der Bewegung der arabischen Nationalisten (BAN). In den 1960er Jahren hatte sich die BAN dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser angenähert, der sich für einen panarabischen Nationalismus und die Einigung aller arabischen Menschen einsetzte. Für die BAN bedeutete dies auch einen Linksruck gegenüber der traditionell-nationalistischen Ausrichtung, da Nasser selbst sich stark auf das Konzept eines »arabischen Sozialismus« bezog.
Nach der vernichtenden Niederlage im Krieg gegen Israel 1967 verlor Nassers Panarabismus seine Glaubwürdigkeit als wichtigster Akteur der arabischen Einigung sowie für die palästinensische Befreiungsbewegung. Dadurch entstand neuer Raum für Gruppierungen wie die Fatah, die darauf drängten, die Palästinenser müssten ihren Kampf für die Befreiung selbst (an-)führen. Habasch und seine Anhänger verstanden, dass sich der Wind innerhalb der BAN änderte. Im Dezember desselben Jahres gründeten sie die PFLP als genuin palästinensische Organisation.
Doch schon in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens kam es zu Spaltungen in der PFLP. Zunächst verließ Ahmad Dschibril, ein früherer Offizier der syrischen Armee, 1968 kurz nach seinem Beitritt die Organisation und gründete das sogenannte PFLP-Generalkommando. Dschibril hatte wenig Interesse an den ideologischen Debatten der PFLP und war mehr an der Organisation des bewaffneten Widerstands interessiert.
Möglicherweise noch schmerzhafter als Dschibrils Abspaltung war die Entscheidung des damaligen linken Flügels der PFLP, die Organisation 1969 zu verlassen und sich Nayef Hawatmeh anzuschließen. Der jordanische Staatsbürger Hawatmeh und seine Anhängerschaft, die sich vor allem um die Zeitschrift al-Hourriah scharte, waren mit der autoritären Führung von Habasch nicht einverstanden, die sie darüber hinaus als »zu weit rechts stehend« ansahen.
Vermutlich spielten bei der Spaltung persönliche Rivalitäten eine größere Rolle als ideologische Differenzen: Hawatmeh ärgerte sich über Habaschs Popularität und dessen charismatische Ausstrahlung. Nachdem er sich das Wohlwollen von Arafats Fatah gesichert hatte – insbesondere mit Blick auf libanesische Büros für seine Genossen – verließ Hawatmeh die PFLP und gründete die [später so genannte] Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP). Mit der Namenswahl sollte die vermeintlich undemokratische Führung der früheren Stammorganisation hervorgehoben werden.
»Im Gegensatz zur Fatah strebte die PFLP nicht nur die Befreiung Palästinas an. Vielmehr glaubte sie an eine Revolution, die den Sozialismus in der gesamten Region herbeiführen und reaktionäre Regime stürzen sollte.«
Habasch stand nun mit einer geschrumpften Organisation da, die sich aber immer noch relativ großer Beliebtheit erfreute. Ebenso zeigte sich die Parteibasis loyal zu ihrem Generalsekretär. 1969 veröffentlichte die PFLP ihr politisches Manifest und übernahm darin den Marxismus-Leninismus als offizielle Ideologie. Ebenso fanden sich Einflüsse zeitgenössischer Strömungen des globalen Marxismus: Dem Maoismus und den Geschehnisse in Vietnam maßen Habasch und seine Genossen eindeutig Vorbildfunktionen bei.
Im Gegensatz zur Fatah strebte die PFLP (wie auch die DFLP) nicht nur die Befreiung Palästinas und die Schaffung eines demokratischen Staates in ganz Palästina an. Vielmehr glaubte sie darüber hinaus an eine umfassendere Revolution, die den Sozialismus in der gesamten Region herbeiführen und die »arabischen reaktionären Regime« stürzen sollte. In dieser Perspektive wurden sowohl die arabischen Reaktionäre als auch der Zionismus als lokale Handlanger des globalen Imperialismus unter Führung der USA verstanden.
In den späten 1960er Jahren richteten sowohl die PFLP als auch die DFLP ihren Hass vor allem gegen das Haschemitische Königreich Jordanien. Dort hatte die PLO damals ihr Hauptquartier und die Palästinenser sahen dort die besten Chancen, ein »arabisches Hanoi« zu schaffen, um den Guerillakrieg gegen Israel zu unterstützen.
Trotz der ideologischen Unterschiede zur Fatah bekannte sich die PFLP zu denselben gemeinsamen Werten und Praktiken, die den Kern der PLO-Charta bildeten. Damit erkannte die PFLP den Vorrang der Ideen an, die die Fatah als erste in die nationale Bewegung eingebracht hatte – insbesondere den palästinensischen Nationalismus.
Trotz ihrer Rolle als Hardliner-Opposition blieb die PFLP dem PLO-Rahmenwerk über Jahrzehnte hinweg treu. Die Organisation bekräftigte immer wieder die Priorität der nationalen Dimension ihres Kampfes gegenüber einem revolutionär-sozialistischen Kurs.
Mit ihren Aufrufen zu einer »arabischen Revolution« griffen PFLP und DFLP das arabisch-nationalistische Erbe der Bewegung Arabischer Nationalisten auf, gerieten aber auch in Konflikt mit der Fatah. Deren Führung wollte sicherstellen, dass Jordanien eine freundlich gesinnte und sichere Basis für die PLO bleibt und den dortigen Herrscher nicht gegen sich aufbringen. Gerade die PFLP wurde hingegen während ihrer revolutionären Jahre bis etwa 1972 weltweit für ihre sogenannten »externen Operationen« bekannt – insbesondere für die Flugzeugentführungen, mit denen Personen wie Leila Chaled zu globalen revolutionären Ikonen stilisiert wurden.
»Im Libanon begann für die gesamte PLO eine neue politische Phase, in der Revolution und bewaffneter Kampf nun mit Diplomatie einhergingen.«
Damit erreichte die PFLP zwar ihr Ziel, die weltweite Aufmerksamkeit auf den palästinensischen Kampf zu lenken, aber sie schürte auch die Konfrontation zwischen der PLO und den jordanischen Machthabern. Im September 1970 löste die Landung von drei entführten Flugzeugen auf dem ehemaligen britischen Luftwaffenstützpunkt Dawson’s Fields eine Krise aus. König Hussein wies die Armee an, gegen die bewaffneten palästinensischen Organisationen vorzugehen. Nach diesem »Schwarzen September« setzten sich die Zusammenstöße bis 1971 fort. Letztendlich wurde die PLO gezwungen, ihr Hauptquartier ins libanesische Beirut zu verlegen.
Im Libanon begann für die gesamte PLO eine neue politische Phase, in der Revolution und bewaffneter Kampf nun mit Diplomatie und der Entwicklung von Institutionen einhergingen. 1974 machte die PLO diesen Ansatz zu ihrer offiziellen Linie.
Die Organisation erklärte das Ziel, eine »kämpferische palästinensische nationale Autorität über jeden Teil des befreiten Landes« zu errichten. Mit dieser Wortwahl deutete sie bereits an, dass man eine Zweistaatenlösung akzeptieren würde. Tatsächlich war die DFLP die erste palästinensische Gruppierung gewesen, die einen solchen politischen Ansatz vorschlug. Die Fatah schloss sich der Idee schnell an.
Die PFLP hingegen lehnte die neue Linie ab, da sie sie als ein »Abweichen« von der PLO-Charta betrachtete. Habaschs Organisation befand sich in einem Dilemma: Sie war hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität gegenüber dem allgemeinen PLO-Rahmen und ihrer Rolle als radikale Opposition. Die Unterstützung für die PFLP in der Bevölkerung beruhte zu einem großen Teil auf der kompromisslosen Haltung zur palästinensischen Befreiungsfrage und dem Gefühl, die PFLP könne eine revolutionäre Rolle spielen. In Jordanien hatte es für die PFLP eine echte Chance gegeben, einen revolutionären Wandel einzuleiten. Im Libanon hingegen war es schwieriger, ein Gleichgewicht zwischen ihren beiden wichtigsten politischen Zielen herzustellen.
Doch auch im Libanon boten sich für die palästinensische radikale Linke einige revolutionäre Möglichkeiten: Die lokale Libanesische Nationalen Bewegung unter der Führung von Kamal Dschumblat wollte das traditionelle System der Staatsmacht überwinden und sah in der bewaffneten palästinensischen Präsenz einen potenziellen Partner. Während die Fatah versuchte, nicht in die internen Auseinandersetzungen im Libanon hineingezogen zu werden, sahen die PFLP und die DFLP in Dschumblats Bewegung eine weitere Chance, die Revolution in einen arabischen Staat zu tragen.
»Nach 1982 schien den linken Gruppen jeglicher Raum für revolutionäre Initiativen genommen worden zu sein.«
Als 1975 der libanesische Bürgerkrieg ausbrach, war klar, dass die PLO nicht unbeteiligt bleiben würde; schließlich galt ein Schusswechsel mit palästinensischen Kämpfern als Auslöser des Konflikts. Die libanesischen Milizen, die von konservativen Fraktionen, insbesondere den christlichen Maroniten, kontrolliert wurden, fürchteten ihrerseits die politische und demografische Bedrohung, die die PLO im Libanon darstellte. Diverse palästinensische Organisationen mischten kräftig im Krieg mit. Ihr Hauptziel war es, den neuen Zufluchtsort, den sie im Libanon errichtet hatten, zu schützen.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre half die Solidarität mit anderen Palästinensern der PFLP, ihre Differenzen mit dem Rest der nationalen Bewegung zu überbrücken. Der revolutionäre Umbruch wich dem nationalen Überlebenskampf als Hauptziel.
Die zweite israelische Invasion des Libanon im Jahr 1982 (nachdem mit der ersten bereits 1978 ein Teil des Südlibanon besetzt worden war) markierte einen Wendepunkt in der Geschichte der PLO insgesamt und der palästinensischen Linken im Speziellen. Angesichts der israelischen Belagerung sah sich die PLO gezwungen, ihre Basis in Beirut zu verlassen und ins ferne Tunis umzuziehen. Ebenso verlegten die PFLP und die DFLP ihre Hauptquartiere ins syrische Damaskus, wo das Regime von Hafiz al-Assad allerdings ein deutlich restriktiveres Umfeld für die palästinensische Linke bot.
Nach 1982 schien den linken Gruppen jeglicher Raum für revolutionäre Initiativen genommen worden zu sein. Der bewaffnete Kampf, wie er bis dahin praktiziert worden war, hatte zwar internationale Aufmerksamkeit für die nationale Bewegung, aber weder eine Befreiung Palästinas noch eine Revolution in der arabischen Welt gebracht. Die Fatah und die PLO-Führung setzten nun strikt auf Diplomatie und strebten eine Anerkennung durch die USA an, um in diesem Zuge direkte Verhandlungen mit Israel aufnehmen zu können.
»Die PFLP und die Linke im Allgemeinen sahen die Chance, die Differenzen mit der Fatah zu überwinden und die eigene revolutionäre Glaubwürdigkeit zu erneuern.«
Die PFLP ihrerseits wollte diese neuerliche Hinwendung zur Diplomatie nicht akzeptieren, war aber auch nicht in der Lage, eine alternative Vision vorzuschlagen. Hinzu kam, dass George Habasch nach einem Schlaganfall im Jahr 1980 nicht mehr in der Lage war, seine Führungsrolle wie zuvor auszuüben.
Der Ausbruch der Ersten Intifada im Jahr 1987 stellte dann die Gelegenheit dar, einen Ausweg aus der politischen Sackgasse zu finden. Der Bürgeraufstand in den besetzten Gebieten verlagerte das Gleichgewicht innerhalb der PLO von der Diaspora in die eigentliche Heimat. Für die PLO-Führung waren die Geschehnisse vor allem ein neues Druckmittel in ihren diplomatischen Bemühungen. Die PFLP und die Linke im Allgemeinen hingegen sahen die Chance, die Differenzen mit der Fatah zu überwinden und die eigene »revolutionäre Glaubwürdigkeit« zu erneuern.
Die erste Intifada war jedoch auch die Geburtsstunde der ersten palästinensischen Organisation außerhalb der PLO, die breite Unterstützung in der Bevölkerung fand: Die islamische Widerstandsbewegung Hamas wurde kurz nach dem Ausbruch der Aufstände gegründet und präsentierte sich schnell als die neue radikale palästinensische Alternative. Dies bedrohte nicht nur den alles überragenden Status der PLO, sondern brachte auch die Rolle der palästinensischen Linken, insbesondere der PFLP, ins Wanken. Schließlich hatte sich diese bisher stets als die einzige wahre, harte Opposition gegenüber der Fatah positioniert.
Hinzu kamen weitere wichtige Ereignisse in den frühen 1990er Jahren, die Auswirkungen auf die gesamte Linke hatten. Insbesondere der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 untergrub offensichtlich die Glaubwürdigkeit aller marxistischer Parteien weltweit. Auf palästinensischer Ebene führte dieses Ereignis allerdings nicht zu größeren Veränderungen in der ideologischen und organisatorischen Ausrichtung der linken Organisationen. Nur die Palästinensische Kommunistische Partei benannte sich in Palästinensische Volkspartei um und gab sich ein sozialdemokratisches Profil.
Die PFLP schien angesichts der großen globalen Veränderung und der durch die Intifada veränderten lokalen Situation besonders inaktiv zu bleiben: Auf ihrem fünften nationalen Kongress 1993 versäumte es die Bewegung, ihre Vision für eine sozialistische Transformation zu aktualisieren. Stattdessen hielt man weiter an der ideologischen Erklärung von 1969 fest.
Gleichzeitig ignorierte die altgediente Führungsriege, dass sich im Zuge der Intifada neue Kräfte [wie die Hamas] herausgebildet hatten, die in den palästinensischen Hauptorganisationen nicht angemessen vertreten waren.
Im Spätsommer 1993 verkündeten die PLO-Führung und die israelische Regierung im Rahmen des Oslo-Abkommens, dass ein System für einen Friedensprozess geschaffen worden sei. Die palästinensische Linke wurde von dieser Wendung der Ereignisse überrumpelt. Die PFLP und die DFLP (ebenso wie die Hamas) lehnten das geheime Abkommen ab, das in der norwegischen Hauptstadt erzielt worden war. Lediglich eine kleine Gruppe innerhalb der DFLP verließ die Organisation, gründete die Palästinensische Demokratische Union (FIDA) und unterstützte Arafats Initiative.
Als der (vermeintliche) israelisch-palästinensische Friedensprozess voranzuschreiten schien und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet wurde, bemühten sich die PFLP und die DFLP darum, mit der Hamas und anderen oppositionellen Gruppierungen eine Koalition gegen die PA zu bilden. Diese Initiative erwies sich als kurzlebig, da Linke und Islamisten wenig Gemeinsamkeiten fanden und das gegenseitige Misstrauen nicht überwinden konnten. Im Laufe der 1990er Jahre fanden sich sowohl die PFLP als auch die DFLP allmählich mit der neuen Situation ab. Während sie offiziell an ihrer Ablehnung des Oslo-Prozesses festhielten, suchten sie in der Praxis pragmatisch nach Wegen, diese neue Realität politisch zu beeinflussen.
Parteimitglieder durften in die unteren Ränge der PA-Bürokratie eintreten, während viele Spitzenpolitiker im Rahmen des Friedensprozesses eine Rückkehr nach Palästina erwogen. So konnte beispielsweise Abu Ali Mustafa, stellvertretender Generalsekretär der PFLP, 1999 in das Westjordanland zurückkehren – um vor Ort den Widerstand in den besetzten Gebieten zu organisieren, wie es in offiziellen PFLP-Erklärungen hieß.
»Die zweite Intifada im September 2000 besiegelte die Marginalisierung der palästinensischen Linken.«
Gleichzeitig verließen jedoch viele linke Aktivisten ihre frühere Gruppe und wurden in den wie Pilze aus dem Boden schießenden NGOs tätig. Die Linke betrachtete diese Organisationen als das neue Bollwerk des Widerstands gegen die Besatzung und den wachsenden Autoritarismus der PA. Doch die Abhängigkeit von westlicher Finanzierung und die damit verbundenen Bedingungen beraubten die NGOs eines Großteils ihres progressiven Potenzials. Im Rahmen der NGO-Arbeit wurde der Aktivismus zunehmend professionalisiert und man befasste sich meist mit einzelnen Spezialthemen.
In klarem Gegensatz dazu verbreiterte die Hamas in dieser Zeit ihre soziale Basis durch ein großes Netzwerk von Basisorganisationen, die nicht von externer Finanzierung abhängig waren und so die Unterstützung der Bevölkerung für die Partei mobilisieren konnten. Die linken Gruppierungen hingegen hatten an Mitgliedern verloren und ihre Opposition schien zahnlos. Schließlich hatten sich sowohl die PFLP als auch die DFLP praktisch mit der Fatah versöhnt und das Oslo-Abkommen stillschweigend akzeptiert.
Die zweite Intifada im September 2000 besiegelte die Marginalisierung der palästinensischen Linken. In dem militarisierten Aufstand konnten die bewaffneten Zweige von PFLP und DFLP nicht mit der Stärke der Al-Qassam-Brigaden der Hamas oder der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden der Fatah mithalten.
Im Jahr 2000 trat Habasch von seinem Amt zurück, und Abu Ali Mustafa wurde Generalsekretär der PFLP. Mustafa betonte, die PFLP müsse die »Reorganisation des Widerstands« in den besetzten Gebieten beeinflussen. Lange währte seine Amtszeit nicht, denn der neue PFLP-Führer wurde bei einem israelischen Luftangriff auf sein Büro in Al-Bireh im August 2001 getötet.
Während die Intifada weiter tobte, wählte die PFLP Ahmad Sa’adat, einen Führer des PFLP-Ablegers im Westjordanland, zum neuen Generalsekretär. Doch auch Sa’adat konnte kurz darauf seine Führungsrolle nicht mehr ausüben: Zunächst verhaftete ihn die PA im Jahr 2002 wegen seiner Rolle bei der Ermordung des israelischen Ministers Rechaw’am Ze’ewi. Die israelische Armee brachte Sa’adat später aus dem PA-Gefängnis in eines ihrer eigenen Gefängnisse, wo er bis heute einsitzt.
Die zweite Intifada ging 2005 zu Ende. Die Führung der PFLP befand sich danach in schlechtem Zustand. In der DFLP bekleidete derweil der alternde Hawatmeh weiterhin das Amt des Generalsekretärs, befand sich aber in Damaskus, weit weg von den palästinensischen Gebieten. In den hektischen Jahren nach der zweiten Intifada und Arafats Tod 2004 schien die palästinensische Linke in der Zange zwischen der aufstrebenden Hamas und der zersplitterten Fatah, die aber immer noch die wichtigste Kraft in der Palästinensischen Autonomiebehörde war.
Die dürftigen Ergebnisse der linken Fraktionen bei den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat (dem Parlament der Palästinensischen Autonomiebehörde) im Jahr 2006 zeigten auf, dass sie nicht in der Lage waren, in der wachsenden Polarisierung der palästinensischen Politik eine bedeutende Rolle zu spielen. Die PFLP erhielt etwas mehr als vier Prozent der Stimmen und damit drei von 132 Sitzen. Die DFLP trat mit einer gemeinsamen Liste mit der Volkspartei und der FIDA an. Diese gewann mit knapp drei Prozent zwei Sitze. Die Palästinensische Nationale Initiative von Mustafa Barghouti, einem Ex-Führer der Volkspartei, der bei den Präsidentschaftswahlen 2005 gegen Mahmoud Abbas angetreten war, erhielt ebenfalls zwei Sitze.
Die Hamas war der Wahlsieger. Ihre Rivalität mit der Fatah verschärfte sich zu einem harten Konflikt zwischen den beiden Gruppen. Die palästinensische Linke versuchte dabei, eine vermittelnde Rolle zu spielen, konnte aber den Verlauf der Ereignisse nicht beeinflussen. Die Linke verurteilte 2007 die Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas, kritisierte aber auch die Mitverantwortung der Fatah für die Eskalation der Krise.
»Einige prominente Persönlichkeiten der palästinensischen Politik aus den Reihen der Linken stiegen auf, wie Chalida Dscharrar von der PFLP.«
In den darauffolgenden Jahren konzentrierten sich die palästinensischen Linksfraktionen weiterhin auf ihre Versöhnungsbemühungen. Die Mitgliederzahlen gingen ebenso zurück wie ihr Einfluss auf die palästinensische Gesellschaft. Zwar stiegen einige prominente Persönlichkeiten der palästinensischen Politik aus den Reihen der Linken auf, wie Chalida Dscharrar von der PFLP. Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in den besetzten Gebieten und des zunehmenden Autoritarismus im Gazastreifen und im Westjordanland unter der Last der Besatzung waren die linken Gruppierungen jedoch nicht in der Lage, eine alternative Vision für die Befreiung vorzuschlagen und entsprechende Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren.
Eine ideologische und organisatorische Erneuerung haben die größeren Gruppen der Linken bis heute nicht geschafft: So hat die PFLP beispielsweise den inhaftierten Sa’adat immer wieder als Generalsekretär bestätigt und damit indirekt bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, eine neue Führungspersönlichkeit zu finden, die die Parteiangelegenheiten von außerhalb der Gefängnismauern leiten könnte.
Generell bleibt die Unfähigkeit der Linken, ihre Vision für die palästinensische Befreiung zu erneuern, ein zentrales Problem. Die linken Parteien binden sich, wie auch viele andere palästinensische Organisationen, nach wie vor an althergebrachte Ansichten, die in den 1960er Jahren entstanden sind. Sie haben es versäumt, eine neue Alternative zu entwickeln, die von den historischen Paradigmen des palästinensischen Nationalismus abweicht und sich auf die wirklichen, aktuellen Kernwidersprüche der Palästinafrage an sich und der palästinensischen Nationalbewegung konzentriert.
Entsprechende Fragestellungen wären beispielsweise: Wie kann eine institutionelle Plattform geschaffen werden, die tatsächlich eine legitime und umfassende politische Vertretung des palästinensischen Volkes ermöglicht? Wie kann eine Vision für Selbstbestimmung entwickelt werden, die sich von einer vermutlich unmöglichen Zweistaatenlösung löst? Wie können die kolonialen Machtverhältnisse, die nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern in ganz Israel/Palästina bestehen, analysiert und eine politische Antwort darauf gegeben werden? Wie können die palästinensischen Exilanten wieder verstärkt politisch vertreten und beteiligt werden?
Es mag irrelevant erscheinen, über solche Fragen nachzudenken, solange der israelische Krieg in Gaza andauert und kein Ende in Sicht ist. Langfristig gesehen ist das Schaffen einer wirklich tragfähigen palästinensischen politischen Programmatik jedoch ein wichtiger Baustein im Kampf um tatsächliche Gleichberechtigung und Selbstbestimmung für alle Palästinenserinnen und Palästinenser.
Die palästinensische Linke in ihrer ganzen Vielfalt könnte auf ihr historisches und intellektuelles Erbe innerhalb der nationalen Bewegung zurückgreifen, um neue Perspektiven für die großen Probleme in der Palästinafrage zu entwickeln. Doch die traditionellen Organisationen, Bewegungen und Parteien scheinen einen Großteil ihrer politischen Glaubwürdigkeit eingebüßt zu haben. Und sie zeigen wenig Interesse an einer ernsthaften Erneuerung. Es bleibt also die Frage offen, ob linke Ideen und Praktiken in den bestehenden Strukturen nochmals wirksam werden können – oder ob neue institutionelle Wege gefunden werden müssen.
Francesco Saverio Leopardi ist Autor des Buches »The Palestinian Left and Its Decline: Loyal Opposition«. Er lehrt an der Universität Padua.