08. März 2021
Es bringt nichts, danach zu fragen, warum Obdachlosigkeit trotz großen Reichtums in unseren Gesellschaften existiert. Denn die Superreichen sind genau der Grund für dieses Problem.
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Palo Alto, das surrende und piepende Herz des Silicon Valley, hat ein Problem mit Obdachlosigkeit. Dort, wo sich Mark Zuckerberg, Larry Page und andere Superreiche niedergelassen haben, müssen Familien in Autos und Garagen schlafen. Ein Drittel aller Schulkinder hat kein festes Zuhause. Doch Palo Alto hat noch ein weiteres Problem: In den Vierteln der Besserverdienenden greift der Leerstand um sich. Die Leute leeren die Briefkästen ihrer abwesenden Nachbarn und beklagen das »soziale Loch«, das ihr fast ganzjähriges Fernbleiben hinterlässt. Reihenweise stehen hier unbewohnte Häuser, wie man es sonst nur aus verarmten Städten wie Detroit oder Flint kennt. Warum werden nun ausgerechnet wohlhabende Viertel mitten im Silicon Valley von diesem Problem heimgesucht?
Ganz einfach: Die Reichen machen sich rar. Palo Alto ist eine von vielen Städten weltweit, die sich mit dem Problem von »Geisterhäusern« und »Zombie-Vierteln« konfrontiert sehen: Immobilien, die von vermögenden, oft ausländischen Investorinnen und Investoren aufgekauft werden, um als persönliche Zweit-, oft genug aber auch als Dritt-, Viert- oder Fünftwohnungen zu dienen, und die monatelang leer stehen, während gleichzeitig bitterer Mangel an Wohnraum für Normalverdienende besteht.
Diese Entwicklung reicht von Orten wie dem Skigebiet Aspen in Colorado, wo sich Superreiche so viele Häuser unter den Nagel gerissen haben, dass sich die Stadt, so der Ex-Bürgermeister Mick Ireland, wie »ausgehöhlt« anfühlt; über New York, wo die Fenster vieler Luxus-Wohnkomplexe nachts Dunkel bleiben; bis nach London, wo Investoren, die Wohnungen kaufen, nur um sie in Erwartung von Wertsteigerungen leer stehen zu lassen, den Unmut der Öffentlichkeit auf sich gezogen haben.
Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Knight Frank, eine globale Beratungsfirma für die Immobilienbranche, veröffentlichte 2019 eine Umfrage unter 600 Privatbankiers und Vermögensberatern über den Lebensstil ihrer ultrareichen Kundinnen und Kunden mit einem Vermögen von über 30 Millionen Dollar. Im Durchschnitt besaßen sie 3,63 Wohnsitze, 42 Prozent von ihnen hatten Wohnungen im Ausland und weitere 22 Prozent wollten binnen eines Jahres eine solche erwerben.
Die Präsenz von reichen, überwiegend abwesenden Hauskäufern hat negative Auswirkungen, die über die bloße Verschwendung von Wohnraum hinausgehen. Wenn lokale Immobilienmärkte globalisiert werden, bedeutet das, dass die Wohnungspreise völlig vom örtlichen Lohnniveau entkoppelt werden. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 steigen die Mieten in einer Stadt stark an, sobald ortsfremde Investorinnen und Investoren 10 Prozent des Wohnraums erwerben. Zugleich sinkt und der Lebensstandard der Anwohnerschaft. Wer schon länger eine Immobilie besitzt, profitiert zwar von steigenden Hauspreisen, die Mieterinnen und Mieter trifft es aber nur umso härter, während junge Menschen den Einstieg in den Wohnungsmarkt überhaupt nicht mehr schaffen.
Das Problem wird sich noch weiter verschlimmern. Immer mehr Menschen müssen die Städte und Gemeinden verlassen, in denen sie oft die längste Zeit ihres Lebens gewohnt haben, nur um sie leer zu hinterlassen. Nicht nur das Sozialleben bricht zusammen, Steuereinnahmen und wirtschaftliche Aktivität bleiben ebenso aus.
Zu fragen, wie es Obdachlose und verlassene Häuser geben kann, wo doch die Superreichen leben, führt nirgendwo hin. Denn diese Probleme bestehen genau aufgrund der Superreichen.
Das Problem leerstehender Luxuswohnungen beunruhigt Regierungen und Stadtverwaltungen weltweit – doch nicht immer fällt die Reaktion entschlossen aus. Das besonders betroffene Vancouver belegte 2016 Wohnungskäufe von Ausländern mit einer Sondersteuer von 15 Prozent, aber Expertinnen weisen darauf hin, dass diese durch Unterhändler umgangen werden kann und den bereits angerichteten Schaden nicht lindert. Neuseelands Regierung hat 2018 den Verkauf von Immobilien an Ausländer ohne inländischen Wohnsitz komplett untersagt, während Australien, Singapur und Großbritannien ihre bestehenden Regeln zumindest verschärft haben.
Nach der Brandkatastrophe am Grenfell Tower in London von 2017 ergriff die Stadt kurzfristig radikalere Maßnahmen und kaufte 68 Luxuswohnungen, um die Überlebenden unterzubringen. Was die chronische Obdachlosigkeit angeht, werden solchen Maßnahmen jedoch fast nie erwogen.
Regierungen hätten es durchaus in der Hand, etwas gegen das Problem zu unternehmen – es fehlt nur der politische Wille. In den USA werden Hausbesitzer aus der Arbeiterklasse regelmäßig enteignet, um Football-Stadien oder Ölpipelines zu bauen. Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen ist hingegen keine Priorität, und erst recht nicht, wenn man dafür der internationalen Elite weh tun müsste.
Für die Superreichen haben die Grenzen von Nationalstaaten einfach nicht dieselbe Bedeutung wie für den Rest von uns. Sie besitzen überall auf der Welt Häuser und Wohnungen und verfügen über Investorenvisa, die von einigen Agenturen gar als Schlüssel zu »globaler Staatsbürgerschaft« beworben werden. Wer nur reich genug ist, kann sich auch einfach einen Pass kaufen, so wie der ultrarechte Milliardär Peter Thiel.
Dass man die Reichen überall mit offenen Armen empfängt, während migrierende Arbeiterinnen und Geflüchtete auf der ganzen Welt von brutalen Grenzregimen drangsaliert werden, spricht Bände.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.