09. Oktober 2021
Eine der größten journalistischen Bomben seit Jahren: 12 Millionen Akten über das obere 1 Prozent und ihre juristischen Tricks, um Steuern zu entgehen.
Geleakte Dokumente belegen: für die Reichen gelten andere Regeln als für alle anderen.
Am vergangenen Wochenende veröffentlichte das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) die Pandora Papers, eine beeindruckend umfangreiche Sammlung privater Finanzunterlagen, die das weltumspannende Geschäft der Vermögensverschleierung und Steuervermeidung durch Superreiche offenlegt. Die Leaks, die fast 12 Millionen Dateien umfassen und die Namen von vierzehn Staatsoberhäuptern beinhalten, sind nur der jüngste Beweis für etwas, das vielen schon lange klar gewesen ist: Eine zunehmend transnational vernetzte Elite spielt inzwischen nur noch nach ihren eigenen Regeln und nutzt ein komplexes Netzwerk von Steueroasen und juristischen Schlupflöchern, um ihre Reichtümer für sich zu behalten.
Chuck Collins ist Direktor des Programms zu Ungleichheit und Gemeinwohl am Institute for Policy Studies und Autor des 2021 erschienenen Buches The Wealth Hoarders: How Billionaires Pay Millions to Hide Trillions. Nach der Veröffentlichung der Pandora Papers sprach Luke Savage von JACOBIN mit Collins über die Leaks, die globale Vermögensverschleierung und darüber, wie diesen Aktivitäten entgegengetreten werden kann.
Kannst Du uns für den Anfang etwas über den Hintergrund der Pandora Papers sagen? Was genau geht aus ihnen hervor und welche Tragweite haben sie verglichen mit ihrem jüngsten Pendant, den Panama Papers?
Die Pandora Papers sind das Ergebnis eines massiven Datenleaks, das die geheimen Hütchenspiele und Steuervermeidungsstrategien der Superreichen der Welt aufdeckt – also von Menschen mit Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar.
Sie sind das Ergebnis der »größten journalistischen Kollaboration aller Zeiten«: Es waren 600 Journalistinnen und Journalisten aus 170 Ländern beteiligt, die von der ICIJ koordiniert wurden. Zwei der größten Medienpartner waren die Washington Post und der Guardian – und es lohnt sich, einen Blick auf die reichhaltige Berichterstattung zu werfen, insbesondere beim letzteren. Meine Aufgabe in diesem Zusammenhang bestand darin, ausländische Reporterinnen und Reporter im Vorfeld der Veröffentlichung über das System der Vermögensverschleierung in den USA zu informieren.
Die Pandora Papers sind ein größeres Leak als die Panama Papers. Bei letzterem handelte es sich um Daten einer einzelnen panamaischen Anwaltskanzlei: Mossack Fonseca. Die Pandora-Leaks hingegen stammen aus den vertraulichen Unterlagen von vierzehn verschiedenen Offshore-Vermögensdienstleistern in der Schweiz, Singapur, Zypern, Samoa, Vietnam und Hongkong sowie von Firmen in bekannten Steuerparadiesen wie Belize, den Seychellen, den Bahamas und den Britischen Jungferninseln.
Diese Firmen helfen wohlhabenden Einzelpersonen und großen Konzernen bei der Gründung von Trusts, Stiftungen, Unternehmen und verschiedenen anderen Rechtsformen in Niedrigsteuerländern und Steueroasen. Zu den großen Namen, die von den Leaks betroffen sind, gehören König Abdullah II. von Jordanien, der US-Milliardär Robert Smith, der ehemalige britische Premierminister Tony Blair und Shakira.
In den Pandora Papers wurden fast 12 Millionen Dateien dieser Firmen analysiert, darunter durchgesickerte E-Mails, Memos, Steuererklärungen, Kontoauszüge, Passkopien, Diagramme von Unternehmensstrukturen, heimliche Kalkulationen und geheime Grundstücksverträge. Einige benennen erstmals die wirklichen Eigentümerinnen und Eigentümer der undurchsichtigen Briefkastenfirmen. Diese Datensätze werden noch wochen- und monatelang für neue Erkenntnisse sorgen.
Steuervermeidung ist eine komplexe Angelegenheit, insbesondere da es sich um eine Elite handelt, die zunehmend global agiert. Welche Methoden standen den in den Pandora Papers benannten Personen zur Verfügung, um ihren Reichtum zu verbergen?
Ja, aufgrund der transnationalen Vernetzung der globalen Vermögenselite und der Mobilität ihres Kapitals haben Superreiche, die ihr Vermögen verstecken wollen, eine Vielzahl von Möglichkeiten. Sie können es sich leisten, raffinierte Fachleute der »Vermögensschutzindustrie« – Steueranwälte, Vermögensverwalterinnen, Wirtschaftsprüfer – zu engagieren oder »Family Offices« zu gründen, um ihr dynastisches Familienvermögen über Generationen hinweg zu verwalten.
Im Wesentlichen handelt es sich aber um den altbekannten Werkzeugkasten der Vermögensverschleierung: Bankkonten und anonyme Briefkastenfirmen in Staaten oder Territorien mit nur wenigen Vorschriften, was die Offenlegung von Eigentumsstrukturen angeht, zivilrechtliche Stiftungen (nicht zu verwechseln mit wohltätigen Stiftungen) und Trusts. Diese Treuhandgesellschaften sind mitunter so umgestaltet und manipuliert worden, dass nicht mehr klar wird, wem welche Vermögenswerte gehören und was wie besteuert werden sollte. (In meinem Buch The Wealth Hoarders gehe ich ausführlich darauf ein, warum Treuhandgesellschaften so ein großes Problem darstellen.)
Ein kürzlich von ProPublica veröffentlichter Bericht hat enthüllt, wie die Hälfte der hundert reichsten Menschen der USA ein komplexes Treuhandsystem namens Grantor Retained Annuity Trusts (kurz GRATs) verwendet, um zukünftig anfallende Erbschaftssteuern zu vermeiden. Das beantwortet alle Fragen, wofür dieses System gut sein soll.
Aufgrund dessen, woher die Leaks stammen, sind die Wohlhabenden der USA in den Pandora Papers etwas unterrepräsentiert.
Es stimmt, dass die Pandora Papers nicht viele Namen US-amerikanischer Superreicher enthalten. Das liegt daran, dass diese Leaks von Offshore-Vermögensberatungsfirmen in zwölf Ländern stammen, die nicht zu den Orten gehören, in denen US-Bürgerinnen und Bürger mit Vorliebe Finanzdienstleistungen zum »Vermögensschutz« in Anspruch nehmen.
Bedauerlicherweise waren keine Vermögensberatungsfirmen aus den USA von diesen Leaks betroffen. (Wer bei einer dieser Firmen arbeitet, kann sich gern vertraulich an uns wenden!) Immerhin haben mehr als 700 Unternehmen, deren Verbindungen in den Pandora Papers aufgedeckt wurden, Eigentümerinnen und Eigentümer aus den USA. Die Geschichte ist also noch nicht auserzählt.
Man kann aber sicher sein, dass sie dieselben Instrumente nutzen wie auch alle anderen Steuerhinterzieher auf der Welt: Offshore-Banken, anonyme Briefkastenfirmen und undurchsichtige Treuhandgesellschaften. Die große Neuigkeit ist aber, dass die USA selbst ein wichtiges Steuerparadies geworden sind. Frühere Enthüllungen – wie die Panama Papers und die Paradise Papers – haben den falschen Eindruck erweckt, dass die meisten dieser finanziellen Hütchenspiele »offshore« stattfinden würden, in kleinen Ländern mit geringer Bankenregulierung.
Die Systeme, die wohlhabende Menschen nutzen, sind uns schon länger bekannt – neu ist jedoch die Enthüllung der Identitäten von 206 Inhabern von Trusts, die in bestimmten US-Bundesstaaten gegründet wurden. Wir können also Geschichten über echte Menschen erzählen, viele mit anrüchigen Biografien, die das System der USA für ihre Geschäfte nutzen.
Eines dieser Steuerparadiese innerhalb der USA ist der Bundesstaat South Dakota. Was hat es damit auf sich?
Milliardäre lieben South Dakota deshalb so sehr, weil dort ein Instrument entwickelt wurde, das die Reichen als Dynasty Trust bezeichnen. Ein Dynasty Trust ist eine Art von Treuhandfonds, die darauf ausgelegt ist, das Vermögen länger zu bewahren als gewöhnliche Trusts – manchmal über Jahrhunderte oder sogar unbegrenzt. Sie werden meistens in Bundesstaaten wie South Dakota gegründet, weil diese ihre Gesetze zur Beschränkung der Lebensdauer von Trusts ausgesetzt oder geändert haben. (Wer sich für die Details interessiert, kann sie in einem von Kalena Thomhave und mir mitverfassten Hintergrundpapier nachlesen.)
Kurz gesagt hat South Dakota in den 1980er Jahren seine Gesetze geändert, um wohlhabende Menschen anzuziehen, die ihr Geld in Trusts parken wollten (auf dieselbe Art versuchte man damals auch den Finanzdienstleister Citigroup und die Kreditkartenindustrie anzulocken). Einige weitere Bundesstaaten wie Wyoming und Alaska folgten diesem Beispiel. Heute floriert in South Dakota eine private Treuhandbranche, die Reichen dabei hilft, ihre Vermögen zu horten. Diese Treuhandindustrie hat wiederum die Politikerinnen und Politiker des Bundesstaates, einschließlich ihrer Kongressabgeordneten, in ihren Bann gezogen.
Ich freue mich natürlich über die viele kritische Berichterstattung, die sich auf South Dakota konzentriert. Aber es gibt noch andere Bundesstaaten, die in Sachen Transparenz ähnlich zu wünschen übrig lassen. Inzwischen liefert sich fast die Hälfte der US-Bundesstaaten einen Wettlauf darum, wer seine Gesetze am besten ändern kann, um es den Reichen recht zu machen.
Du trittst seit langem für eine Steuerreform in den USA ein. Das Problem ist aber offensichtlich internationaler Natur. Kann die Wirksamkeit der traditionellen nationalen Maßnahmen irgendwie ausgeweitet werden, oder bedarf es ganz neuer globaler Institutionen, um wirklich gegen die Art von Steuervermeidung vorgehen zu können, die in den Pandora Papers aufgedeckt wurde?
Unter dem gegenwärtigen globalen System, in dem das Kapital in die Dunkelheit abtauchen kann und Dutzende von Ländern und Territorien darum konkurrieren es zu beherrbergen, wird es schwer sein, die Reichen effektiv zu besteuern. Es wird immer Orte wie die Cook-Inseln geben, die bereit sind, ihre Souveränität zu verkaufen und ihre Anforderungen immer weiter zu senken, um diese Reichtümer anzuziehen. Aber die USA sind offensichtlich ein wirtschaftlicher Goliath, der größere Verantwortung und mehr Möglichkeiten hat, das System in Ordnung zu bringen.
Gesetze auf Bundesebene könnten die schwachen Gesetze der Bundesstaaten bezüglich Unternehmensberichterstattung und Treuhandrecht außer Kraft setzen. Auch das wäre nicht einfach zu bewerkstelligen, aber doch immerhin möglich. Ende 2020 verabschiedete der Kongress beispielsweise den Corporate Transparency Act, der LLCs [GmbHs nach US-amerikanischem Recht] dazu verpflichtet, ihre tatsächlichen Eigentümerinnen und Eigentümer gegenüber der Strafverfolgungsbehörde des Finanzministeriums offenzulegen.
Die USA sollten eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um ihre eigenen Steuerparadiese dicht zu machen und die Bildung von Dynasty Trusts und GRATs zum Zweck der Steuervermeidung und der dynastischen Erbfolge zu verbieten oder zu erschweren. Trusts mit Vermögenswerten über einer bestimmten Höhe sollten in ein öffentliches Register eingetragen und die Begünstigten offengelegt werden. Auch könnte auf Bundesebene ein Gesetz erlassen werden, das Trusts mit unbegrenzter Laufzeit verbietet und ihre Lebensdauer begrenzt.
Außerdem sollten sich die USA an der Ausarbeitung globaler Verträge und Handelsabkommen beteiligen, die zur Verbesserung der Transparenz von Unternehmen genutzt werden könnten. Wenn sich zum Beispiel die USA und Großbritannien mit dem Ziel zusammentun würden, die Standards anzuheben (anstatt sie weiter zu senken), und Transparenz als Teil des Handels und anderer wirtschaftlicher Aktivitäten durchsetzen würden, hätte dies eine enorme Wirkung.
Für eine globale Mindeststeuer für Unternehmen, wie sie die G20-Länder derzeit erkunden, müsste es eine länderspezifische Steuerberichterstattung geben. Dann müsste beispielsweise ein Unternehmen wie Apple offenlegen, was es in jedem einzelnen Land zahlt, wie viel Umsatz es macht, wie viele Angestellten es hat und so weiter. Das sind alles mögliche Ansatzpunkte, um Veränderungen anzustoßen.
Die Pandora Papers werden einiges in Bewegung bringen. Aber es wäre gut, noch ein paar Leaks bei US-Konzernen zu haben, um das Bild zu vervollständigen.
Chuck Collins ist Direktor des Programms zu Ungleichheit und Gemeinwohl am Institute for Policy Studies, Redakteur bei inequality.org und Autor von »The Wealth Hoarders: How Billionaires Pay Millions to Hide Trillions«.
Chuck Collins ist Direktor des Programms zu Ungleichheit und Gemeinwohl am Institute for Policy Studies, Redakteur bei inequality.org und Autor von »The Wealth Hoarders: How Billionaires Pay Millions to Hide Trillions«.