06. Dezember 2024
Franziskus ist der wohl linkeste Papst in der Geschichte. Das ändert nicht die Welt, aber es ist ein Fortschritt.
Papst Franziskus kritisiert ein »Wirtschaftsmodell, das auf dem Profit gründet und nicht davor zurückscheut, den Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten«.
»Nervensägen werden dringend gebraucht«, schrieb einmal die Theologin Margot Käßmann und wünschte sich, dass »Christinnen und Christen solche Nervensägen sind«. Gerade, wenn es um »Recht geht, um Menschenwürde, um Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung«, würden Nervensägen benötigt, »die nach Sinn, nach Würde, nach Gerechtigkeit fragen«.
Im Katholizismus stellt die sogenannte Soziallehre diese Fragen. Seit 1891, als Papst Pius XIII die erste Sozialenzyklika veröffentlichte, gibt sie wieder, welche sozialen Implikationen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sich aus dem christlichen Glauben ergeben. Kaum ein Papst hat in der Vergangenheit die Soziallehre derart prominent in der öffentlichen Debatte platziert wie Papst Franziskus – und er war damit für viele Konservative, Liberale, Superreiche und Politiker genau die »Nervensäge«, die Margot Käßmann sich gewünscht hat.
In seiner ersten Enzyklika, Evangelii Gaudium, plädierte Papst Franziskus im Jahr 2013 für eine Kirche, die offen ist für die Nöte der Menschen – und das inmitten einer »Krise des gemeinschaftlichen Engagements«. Eine Ursache dieser Krise fand er auch in unserer rücksichtslosen Art des Wirtschaftens: »Diese Wirtschaft tötet« – dieser Satz aus der ersten Enzyklika des Papstes machte Schlagzeilen. Franziskus sah in unserem Modell, das den Profit über den Wert des menschlichen Lebens stellt, eine Verletzung des Gebotes »Du sollst nicht töten« und mahnte uns an, unsere Prioritäten zu überdenken. Gleich im Anschluss machte er die skandalöse Beobachtung, es sei »unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung.« Zu dieser Ausschließung galt es, entschieden »Nein« zu sagen.
»Papst Franziskus spricht Dinge an, die viele Menschen selbst fühlen und durchgemacht haben, die aber für einen Großteil der Elite des Globalen Nordens wie ›plumper Populismus‹ gegen ›die Marktwirtschaft‹ erscheint.«
Papst Franziskus kommt, anders als alle seine Vorgänger, aus dem Globalen Süden. In seiner argentinischen Heimat erlebte er, welche zerstörerischen Kräfte dem neoliberalen Kapitalismus innewohnen und wie sie über Menschen und Gesellschaften hinwegfegen. Man spürte seit seinem Amtsantritt, dass er radikal an die Wurzeln des Evangeliums zurückgeht. Seine erste Reise führte ihn 2013 auf die kleine italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, dem zentralen Anlaufpunkt für Migrantinnen und Flüchtlinge aus Afrika. Bei dem Besuch kritisierte er die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« – was er in seiner Enzyklika Laudato si’ im Jahr 2015 nochmals unterstrich – und zeigte sich solidarisch mit den Ausgestoßenen und Ausgegrenzten.
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Patrick Kaczmarczyk ist Ökonom an der Universität Mannheim, wirtschaftspolitischer Berater bei der UNCTAD und Autor des Buches Raus aus dem Ego-Kapitalismus (Westend, 2023).