13. Juli 2020
Bong Joon Hos Film Parasite wurde dafür gefeiert, dass er die Klassenunterschiede hervorhebt, die die südkoreanische Gesellschaft spalten. Aber seine Darstellung des Lebens der arbeitenden Klasse zeigt auch ein tieferes Übel des Kapitalismus – die Art und Weise, wie die ständige Jagd nach Arbeit unsere grundlegende Menschenwürde untergräbt.
Geheimnisvoll: Der reiche Geschäftsmann Herr Park (Lee Sun Kyun) und seine Frau Yeon-kyo (Cho Yeo Jeong) wissen nicht alles über ihre neuen Dienstboten.
Bong Joon Hos Film Parasite, der im Oktober letzten Jahres in den deutschen Kinos angelaufen ist, war unter Kritikerinnen genau wie Zuschauern ein riesiger Erfolg. Nachdem er zur Premiere in Cannes die goldene Palme gewann, wurden allein in Südkorea über zehn Millionen Tickets verkauft, was ihn auf den vierten Platz der erfolgreichsten Filme 2019 katapultierte.
Mit einem weltweiten Umsatz von über 120 Millionen US-Dollar ist Parasite – Bong Joon Hos siebter Film – jetzt schon sein erfolgreichster. Weil die Filme des Regisseurs oftmals durch randständige Charaktere gekennzeichnet sind, die den Kampf gegen die Herrschaftsverhältnisse aufnehmen (wie beispielsweise Barking Dogs Never Bite, und kürzlich erst Snowpiercer), wurde auch Parasite als klare und deutliche Kritik an den ungleichen Wohlstandsverhältnissen der koreanischen Gesellschaft überschwänglich gelobt.
Der Film (Achtung: Spoiler) wird weitgehend als Sinnbild für die grassierenden Klassenungleichheiten und die allgemeine Frustration über den Mangel an sozialen Aufstiegsmöglichkeiten in einem der reichsten Länder Asiens verstanden. Auch in Jacobin lobte Eileen Jones Parasite als einen Film, der über vereinfachte allegorische Annäherungen hinausgeht. Sie behauptete, dass er »die Erfahrungen einer Familie der untersten Klasse herauskristallisiert, welche die Gelegenheit nutzt, den Aufstieg zu schaffen und dies auf eine Weise zeigt, dass es weh tut«.
In der New York Times beschrieb Brian X. Chen den Film als eine Konfrontation zwischen »den Betuchten und den Habenichtsen«, und deutet den Betrug der Familie Kim als Rache an der »Bitterkeit und Frustration« in einer Gesellschaft, die so konstruiert ist, dass nur die Wohlhabenden zum Erfolg gelangen können. Scott Mendelson nannte den Film eine »brutale soziale Stellungnahme« gegenüber dem Leben der Reichen. Dieses sei auf die Arbeit der ungesehenen Unterprivilegierten angewiesen, die »sich kaum das Leben in eben jener Zivilisation leisten können, deren Grundlagen sie erarbeiten«.
Die Begegnung der Kims mit den Parks in Parasite ist in der Tat eine ziemlich offensichtliche Metapher für die Klassenantagonismen innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft. Doch wenn der Fokus einzig und allein auf den materiellen Wohlstand gelegt wird, läuft man Gefahr, eine feine und letztlich niederschmetterndere Kritik zu vernachlässigen, die in Bong Joon Hos Film schlummert. Denn Parasite richtet die Aufmerksamkeit auch auf die Entwürdigung, den Verlust an Selbstachtung und die soziale Gestalt der arbeitenden Klasse, da unsere Arbeit und unser aller Leben durch die harten Dynamiken des neoliberalen Kapitalismus immer mehr gefährdet wird.
Zunächst der Plot. In Parasite dringt eine verarmte Arbeiterfamilie, die Kims genannt, durch eine Reihe genialer Betrügereien in die Welt der Reichen ein. Als ihr Sohn Ki-woo durch seinen Freund einen lukrativen Job als Nachhilfelehrer für die Tochter einer wohlhabenden Familie, den Parks, angeboten bekommt, sagt er zu. Doch Ki-woo sieht sich mit dem kleinen Problem konfrontiert, keinen Universitätsabschluss zu besitzen, da seine Familie die Studiengebühren dafür nicht aufbringen konnte. Da die Parks nur einen Studenten akzeptieren würden, taucht er mit einer Immatrikulationsbescheinigung auf, die seine künstlerisch veranlagte Schwester für ihn gefälscht hat.
Überrascht von der Naivität der Reichen entwickelt Ki-woo eine Reihe von Intrigen á la Mission Impossible, mit dem Ziel, seine gesamte Familie bei den Parks zu beschäftigen. Ki-woos Schwester, Ki-jeong, wird die Kunsttherapeutin des schrulligen und etwas schwierigen Sohns der Parks. Ki-woos Vater, Ki-taek, wird als persönlicher Chauffeur der Familie angestellt. Ki-woos Mutter, Chung-sook, bringt sich als das neue Mädchen für alles ein, nachdem sie die langjährige Haushälterin verdrängt hat.
Indem sie ihre Familienverhältnisse verheimlichen, verlassen sie durch ihre neuen Jobs in wenigen Wochen die scheinbar aussichtslose Armut. Auf einem Arbeitsmarkt, dem es an stabilen, gutbezahlten Stellen fehlt, wo die Arbeiterinnen und Arbeiter oft auf selbständige Erwerbstätigkeit oder Gelegenheitsarbeiten zurückgreifen, bei denen sie nicht rechtlich abgesichert sind, haben die Kims den Jackpot geknackt.
Die Kims verkörpern die Misere der arbeitenden Klasse in Südkorea. Sie leben zusammengepfercht in einer schäbigen Kellerwohnung in Seoul, wo sie jede Nacht von Betrunkenen belästigt werden, die neben ihrem Küchenfenster auf die Straße urinieren. Ihr Leben steht in krassem Kontrast zu dem der wohlhabenden Parks, die das seltene Privileg genießen, ein luxuriöses, eingezäuntes Zuhause mit einem großflächigen, landschaftlich gestalteten Vorgarten zu haben (in dicht bevölkerten Städten wie Seoul praktisch unbekannt).
»Die arbeitende Figuren in Parasite verinnerlichen die Logik des Spätkapitalismus.«
Doch die Symbolik in Parasite geht noch weiter. Die Kims überleben mit billiger Imbiss-Pizza, und selbst wenn sie Geld haben, feiern sie mit dem Buffet in einer Gaststätte für Taxifahrerinnen und Taxifahrer – eine günstige Möglichkeit, eine kalorienreiche Mahlzeit einzunehmen. Diese Symbolik bleibt den Kinogängern in Seoul nicht verborgen. Seoul ist eine der zehn teuersten Städte der Welt, mit den höchsten Lebensmittelpreisen in Asien. Die Parks hingegen füllen ihren Kühlschrank mit Sprudelwasser und geben ihrem Hund luxuriöses Biofutter und japanische Krabbensticks zu fressen.
Die Ernährungsweisen der Wohlhabenden und der Armen verweist in der Tat eindrücklich auf die Ungleichheiten in der koreanischen Hauptstadt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018, an der 1.023 Einwohnerinnen und Einwohner teilgenommen haben, erhalten über 20 Prozent der einkommensschwachen Einwohnerinnen und Einwohner Seouls durch ihre Ernährungsweise keine ausreichenden Nährstoffe – eine viermal höhere Zahl als die des Landesdurchschnitts.
Darüber hinaus leiden zehn Prozent der einkommensschwachen Bevölkerung an Nahrungsunsicherheit, was bedeutet, dass sie keinen verlässlichen Zugang zu den Nahrungsmitteln haben, die sie brauchen, um ein gesundes, aktives Leben zu führen. Ebenso wie die mangelhafte Auswahl an Frischwaren befördert dies eine Situation, in der die arme Bevölkerung Seouls verstärkt an Bluthochdruck, Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkrankheiten leidet.
Während einer Szene in der Mitte des Films, als Ki-taek Herrn Park zu einer Verabredung fährt, gibt er sich als alteingesessenen Chauffeur aus, indem er eine Geschichte über die Liebesbeziehung zu seinem Beruf erfindet. Herr Park nickt und antwortet: »Ich respektiere Menschen, die über einen langen Zeitraum in derselben Sparte arbeiten«. Ähnliche Themen professioneller Verbindlichkeit, »einen Plan zu haben« und eigenverantwortlich zu handeln, tauchen im Film immer wieder auf.
Als Ki-woo auf dem Weg zu seinem Vorstellungsgespräch mit seinem gefälschten Dokument beim Eingang steht, sagt er zu seinem Vater: »Ich betrachte dies nicht als Straftat. Irgendwann werde ich diese Universität besuchen. Sagen wir, ich habe die Unterlagen schlicht und ergreifend ein bisschen früher erhalten.« Daraufhin antwortet sein Vater: »Oh, dann hast du also einen Plan!« Als der Nachbar über ihnen sein WLAN-Passwort ändert, fragt Chung-sook ihren Mann: »Unsere Telefonleitung ist tot. Nun auch unser WLAN. Also, was ist dein Plan?«
Später, als die Wohnung der Kims überflutet wird und sie schließlich in einer Turnhalle übernachten, sagt Ki-taek zu seinem Sohn: »Ki-woo, weißt du, welcher Plan niemals scheitert? Keinen Plan zu haben. Weißt du warum? Wenn du dir einen Plan machst, wird das Leben niemals so laufen.«
Bei den älteren Einwohnerinnen und Einwohnern Seouls dürfte diese Szene Erinnerungen an die wiederkehrenden Überflutungen im nahegelegenen Stadtteil Mangwon der 1980er Jahre hervorrufen, einer einkommensschwachen Gegend, die an eine Mülldeponie grenzt. Die Stadt kümmerte sich wohlwissend nicht um die Deiche, die den Han-Fluss zurückhalten sollten. Dadurch kam es zu verheerenden Überflutungen, die das Leben der dort lebenden Armen und Alten auf den Kopf stellten. Die Anwohnerinnen und Anwohner Mangwons reichten eine Sammelklage gegen die Stadt ein und gewannen eine Wiedergutmachung. Daraus entstanden die »Anwälte für eine demokratische Gesellschaft«, die erste Organisation menschenrechts- und demokratieorientierter Anwälte in Südkorea.
»Südkorea hat eine starke und stolze Arbeiterbewegung, doch gab es noch nie eine linke Regierung, welche die Arbeitsrechte des Landes hätte umschreiben können.«
Im gesamten Verlauf des Films wird die Prekarität des Stadtviertels der Kims mit der Geborgenheit und Sicherheit kontrastiert, die sich die Parks durch ihren angehäuften Wohlstand erkauft haben. Herrn Park weiß nicht, dass Kim Ki-taek und seine Familie eine ganze Reihe von Jobs versucht haben, um über die Runden zu kommen, bevor sie durch ihren Schwindel bei den Reichen Anstellung fanden. Der Film beginnt mit einer Szene, in der die Kims in der Küche sitzen und Pizzakartons für ein in der Nähe gelegenes Restaurant falten – ein prekärer Akkordlohn-Job, um ein paar Dollar zu verdienen. Zuvor erwähnt Ki-taek noch, dass er auch für eine Brathähnchen-Kette, einen taiwanesischen »King Castella«-Laden sowie für einen Daeri-Fahrdienst gearbeitet hat.
Daeri-Fahrerinnen und Fahrer fahren nachts betrunkene Menschen in ihren eigenen Autos nach Hause, eine übliche Arbeitsform im Rahmen von Gastarbeiter-Verträgen, die von den Unterbeschäftigten südkoreanischer Städte ausgeübt wird. Sie sind gezwungen den ganzen Tag auf Abruf zur Verfügung zu stehen, meistens warten sie dabei auf den Straßen, ohne jede Möglichkeit sich auszuruhen, sich vor schlechtem Wetter zu schützen, geschweige eine Toilette zu benutzen. Die Mehrheit der Vollzeitfahrerinnen und -fahrer verdienen weniger als 1.750 US-Dollar pro Monat und berichten von zahlreichen gesundheitlichen Problemen wie Haltungsschäden, Erschöpfung und Überlastung.
Die Fahrerinnen und Fahrer in Daegu gründeten bereits im Jahr 2005 ihre eigene Gewerkschaft. Doch auf nationaler Ebene wurden ihnen die Gewerkschaftsrechte durch die letzte Regierung unter Lee Myung-bak und die kürzlich abgesetzte Park Geun-hye mit Verweis auf ihren Gastarbeiterstatus verweigert. Trotz anfänglicher Versprechungen durch den amtierenden Präsidenten Moon Jae-in wurde den Daeri-Fahrerinnen und Fahrern 2017 vom Arbeitsministerium erneut die Erlaubnis verwehrt, sich als nationale Organisation zu registrieren.
Das könnte sich jedoch bald ändern. Im November 2019, in Reaktion auf den verstärkten Druck der Arbeiterinnen und Arbeiter, darunter die Daeri-Fahrerinnen, Essenslieferanten und Golf-Caddy-Fahrerinnen, wurde ihr Status in einer Reihe von Gerichtsurteilen als »Arbeiter« statt »Gastarbeiter« durch die südkoreanische Verfassung anerkannt. Daraus eröffnet sich für sie aller Wahrscheinlichkeit nach das Recht zur Gewerkschaftsgründung. Für die seit über einem Jahrzehnt um das Recht zur Gewerkschaftsgründung kämpfenden Daeri-Fahrerinnen und Fahrer bedeutet dies, Tarifverhandlungen führen zu können. Dies könnte für sie das Ende von Hungerlöhnen zur Folge haben. Ohne diese Rechte wäre es für die Daeri-Fahrerinnen und Fahrer in der Tat eine ziemliche Herausforderung »über einen längeren Zeitraum in derselben Sparte zu arbeiten«, wie es Herrn Park so schätzte.
Zur Mitte des Films kommt es zu einer dramatischen Wendung, als die verdrängte Haushälterin Moon-gwang zurückkehrt. Während die Parks über das Wochenende verreist sind, fleht sie Chung-sook an, sie ins Haus zu lassen. Angeschlagen, zerzaust und außer sich stürzt sie in einen geheimen Raum im Kellergeschoss, und das Publikum erfährt, dass sich der Ehemann Geun-sae dort seit vier Jahren vor Kredithaien versteckt. Nachdem die Kims aus ihrer eigenen Kellerbehausung in das palastähnliche Anwesen der Parks geflohen sind, erfahren sie, dass sich unter ihnen im Keller eine andere proletarische Familie in einer noch miserableren Existenz durchschlägt.
Geun-sae erklärt, dass ihre missliche Lage allein seine Schuld sei. Er hatte sich von einem Kredithai Geld geliehen, um eine »King Castella«-Konditorei zu eröffnen, ein Backwaren-Trend, das in Taiwan seinen Ursprung hatte und 2017 nach Korea übergeschwappte. Aufgrund niedriger Gründungskosten war es relativ günstig, die King Castella-Läden zu eröffnen, und einige Südkoreanerinnen und Südkoreaner setzten ihre gesamten Ersparnisse aufs Spiel, um durch den Trend an Reichtum zu gelangen. Bald war der Markt übersättigt und die Castella-Blase platzte. Hunderte, wenn nicht tausende Menschen blieben auf massiven Schulden sitzen und hatten keinerlei Möglichkeit diese zurückzuzahlen.
Diese Art von Geschichten sind in Südkorea weit verbreitet. Der Mangel an stabiler Vollzeitbeschäftigung mit Vorsorgeleistungen treibt Familien dazu, ihr eigenes Geschäft zu gründen, in der Hoffnung, ihre Kinder auf die Uni zu schicken und sich mit ein paar Ersparnissen zur Ruhe zu setzen. Im Jahr 2017 war ein beträchtlicher Anteil von 25,4 Prozent der Südkoreanerinnen und Südkoreaner freiberuflich beschäftigt – eine erheblich höhere Rate als die durchschnittlich 15,3 Prozent der OECD-Länder. Oftmals betreiben sie Unternehmen wie Brathähnchenrestaurants und Gemischtwarenläden.
Die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter kommen ohnehin gerade so über die Runden und bei über 8.000 Schließungen von Hähnchenrestaurants pro Jahr stürzen sich viele durch das Scheitern des Familiengeschäfts noch tiefer in die Verschuldung und Verzweiflung. Diese Verzweiflung ist für tausende südkoreanische Kinobesucherinnen und -besucher eine bekannte Erfahrung und sie bildet den Hintergrund, vor dem sich das Leben der beiden in Kellern hausenden Familien in Parasite offenbart. In Geun-saes extremen Fall treibt ihn diese Verzweiflung wortwörtlich unter die Erde.
Als Ki-taek, der Vater der Kims, sich schließlich im geheimen Keller verstecken muss, wird er Zeuge des verstörenden und sonderbaren Rituals Geun-saes, sich bei Herrn Park zu bedanken. Geun-sae steht vor der aus einem Finanzmagazin herausgerissenen Seite, die Herrn Park als »CEO des Jahres« vorstellt, und dankt ihm für »Essen und Unterkunft« – gefolgt von dem Ausruf »Respekt!«. Als Ki-taek Zeuge dieser Situation wird, fragt er perplex: »Das machst du jeden Tag?« Daraufhin gesteht Geun-sae, dass er den Parks täglich Dankesbekundungen per Morsezeichen sendet, indem er die Lichtschalter vom Keller aus manipuliert. Unfähig Parallelen zwischen Geun-saes und der eigenen misslichen Lage zu ziehen, fragt Ki-taek ihn: »Wie kannst du an so einem Ort leben? Was wirst du künftig tun? Hast du keinen Plan?«
Szenen der Dankbarkeit und der unverdienten Anerkennung für die »Güte« der Reichen ziehen sich durch den gesamten Film. Nach dem die ganze Kim-Familie bei den Parks angestellt ist, schlägt Ki-taek beim Abendessen vor, dem großen Herrn Park ein Gebet der Dankbarkeit für das Einkommen auszusprechen, mit dem er die Familie versorgt.
Die arbeitende Figuren in Parasite verinnerlichen die Logik des Spätkapitalismus – daraus ergibt sich, dass Menschen wie die Kims ihre eigene Armut als selbstverschuldet und nicht als Konsequenz eines Systems betrachten, dass auf Ausbeutung und immerwährendem Elend basiert. In Parasite äußert sich diese Logik im unverdienten »Respekt« gegenüber den Reichen durch die Armen aus den Kellerbehausungen – was sie davon abhält, untereinander eine gemeinsame Identität zu finden und aus Solidarität Widerstandskraft zu schöpfen.
Abgesehen davon, dass Parasite schlicht ein großartiger Film ist, kommt er deshalb beim Publikum so gut an, weil er die wirtschaftliche Ungleichheit beleuchtet, die wiederholt durch die Kellerwohnung der Kims in Erinnerung gerufen wird. Während einer angespannten Szene bemerkt das jüngste Familienmitglied der Parks, dass der Fahrer, die Haushälterin und die zwei Lehrerinnen alle gleich riechen – eine Konsequenz aus dem modrig, feuchten Geruch der Wohnung der Kims, welcher an ihrer Kleidung haftet. In einer ganzen Reihe von Artikeln, Tweets und Facebook-Posts, die sich auf den Filmstart bezogen, symbolisiert die Kellerwohnung der Kims die kollektiven Erfahrungen der unterprivilegierten Klassen Seouls. Erfahrungen, die jenen, die in Wohlstand und wirtschaftliche Privilegien hineingeboren wurden, gänzlich unbekannt sind.
Doch was Bong Joon Hos Kritik am Leben im Kapitalismus so vernichtend erscheinen lässt, ist nicht der bloßen Tatsache geschuldet, dass er die Ungleichheiten aufzeigt, sondern vielmehr die Darstellung der Demoralisierung unter den Arbeiterinnen und Arbeiter im Neoliberalismus allgemein. Gefangen in Kreisläufen der Armut, sind die Kims immer auf der Jagd nach einem Job, einem freien WLAN-Signal und einem Weg, um dem Lumpengeruch zu entkommen, der sie als Arme stigmatisiert. Immerzu hecken sie neue Pläne aus, um eine Lebensgeschichte zu schreiben, die Respekt verdient.
Das Leben der Parks hingegen steht für Beständigkeit und Stabilität. Sie leben in einem historischen Gebäude, welches von einem berühmten Architekten designt wurde – der Stolz darüber äußert sich kontinuierlich in Gesprächen mit Besucherinnen und Besuchern. Sie erfreuen sich am Luxus, die Abende gemeinsam zu verbringen und unternehmen Wochenendtrips, um Geburtstage zu feiern.
Die Kims und Millionen andere Arbeiterinnen und Arbeiter in Südkorea wären weniger dem Druck ausgesetzt, unter solchen prekären Arbeitsbedingungen zu arbeiten, wenn die Regierung einen besseren Arbeitsschutz durchsetzen würde. Südkorea hat eine starke und stolze Arbeiterbewegung, doch gab es noch nie eine linke Regierung, welche die Arbeitsrechte des Landes hätte umschreiben können. Trotz anfänglicher Wahlversprechen hat der amtierende Präsident Moon Jae-in bisher wenig geliefert und die Arbeiterinnen und Arbeiter balancieren weiterhin mehrere Jobs, nur um über die Runden zu kommen.
Dadurch parodiert Bong Joon Hos Film meisterhaft die neoliberale Kultur der Eigenverantwortlichkeit, die die südkoreanische Gesellschaft durchdringt. Sie ermahnt die Arbeiterinnen und Arbeiter, die volle Verantwortung für ihre finanziellen Belange zu übernehmen, während sie sie gleichzeitig als Menschen brandmarkt, die weder Respekt noch Menschlichkeit verdient haben, wenn der Kapitalismus ihr Leben auf den Kopf stellt. Ki-taeks Aussage, dass es das beste sei »keinen Plan zu haben«, ist eine Diagnose für das Leben in Südkorea nach der neoliberalen Umstrukturierung: Wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter vereinzelt und isoliert werden, verlieren sie die Fähigkeit, Zukunftspläne zu schmieden, um sich sicher und geborgen zu fühlen, und ihrem Leben Bedeutung und Zweck zu geben. Über kurz oder lang schlagen einige um sich.
In Südkorea wurde der Film positiv aufgenommen, da eine ganze Reihe sozialer Probleme, wie hemmungslose Gentrifizierung, innerstädtische »Neubelebung« von Niedriglohn-Vierteln, Luftverschmutzung, steigende Lebenshaltungskosten, und die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt unter vielen jungen Leuten ein Gefühl des Verrats hervorgerufen hat. Laut einer Studie im September 2019 haben nur 23 Prozent der Menschen in ihren 20ern aus der unteren Mittelklasse angegeben, dass sie bezüglich der Verbesserung ihrer Lebensqualität optimistisch seien.
In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass das südkoreanische Publikum die heuchlerische Situation wiedererkennt, in der von Individuen gefordert wird, »einen Plan zu haben«, ohne einen klaren Weg zur Stabilität aufzuweisen. Dass es Parasite auch bei den Kinobesucherinnen und -besuchern des Westens so gut ankam, deutet darauf hin, dass die dargestellten Verhältnisse in Seoul gar nicht so weit von dem entfernt sind, was Menschen auf der ganzen Welt erleben.
Max Balhorn ist Doktorand an der Chung-Ang-Universität in Seoul, wo er über die Umweltgeschichte Südkoreas in der Nachkriegszeit forscht.