08. Mai 2021
Glaubt man der landläufigen Erzählung, könnte man meinen, der Kampf gegen den Faschismus wäre vor allem von Männern ausgetragen worden. Die Geschichte zeichnet ein anderes Bild.
Die sowjetische Scharfschützin Ljudmila Pawlitschenko, 1942.
Die Idole der White Supremacy – der Ideologie der weißen Vorherrschaft – geraten immer mehr Verruf, weil zunehmend auch die dunklen Seiten einst gepriesener »Helden« immer mehr ans Licht kommen. Das gilt nicht nur für die amerikanischen »Gründerväter«, sondern auch für Figuren, die sich dem Kampf gegen den deutschen Faschismus und den Holocaust anschlossen. Männer wie Churchill, Stauffenberg oder Schindler waren an imperialen Eroberungen und räuberischer Ausbeutung beteiligt. Hollywood präsentiert uns zwar gerne fantastische Heldengeschichten des Widerstands gegen den Nazismus – von Inglorious Basterds bis zu Jojo Rabbit –, doch Filme wie diese sind auffallend wenig daran interessiert, konkrete Beispiele aus der realen Welt in das Bewusstsein des Publikums zu holen.
Die andere Seite scheint diesen Erinnerungsverlust nicht erlitten zu haben, wie die Zahl der noch existierenden Denkmäler für Nazis und ihre Kollaborateure auf der ganzen Welt beweist. Wenn sich die Mainstream-Presse mal an übersehene Berichte von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern gegen den Faschismus heranwagt, dann in einer Weise, die die identitären Attribute der Beteiligten in den Vordergrund stellt, und sie von ihren politischen Motivationen loslöst.
Die Geschichte der zahllosen antifaschistischen Kämpfenden wurde durch die noch im Zweiten Weltkrieg einsetzende Rhetorik des Kalten Krieges verdrängt – die häufig von einem faschistischen Anti-Kommunismus geprägt war. In der Vergangenheit finden sich tatsächlich nicht hauptsächlich opportunistische und kompromittierte weiße Männer (wie der oben erwähnte Stauffenberg), sondern vor allem der Mut und die Tapferkeit von Frauen, Kindern, Menschen mit Behinderung und ethnischen Minderheiten, die alle entweder zur totalen Unterwerfung oder Ermordung durch die Nazis und ihre faschistischen Verbündeten bestimmt waren. An realen Vorbildern mangelt es also nicht – allerdings haben die ideologischen Schatten des Kalten Krieges verhindert, dass das Licht auf die richtigen Stellen strahlt.
An der Geschichte von Frauen, Kindern, Menschen mit Behinderung und ethnischen Minderheiten, die gegen den Faschismus kämpften, verdeutlicht sich ein weiterer Fehlschluss der Totalitarismustheorie. Bei allen zu verurteilenden Exzessen des Stalinismus und seiner Säuberungen blendet der Totalitarismus-Diskurs den altersdiskriminierenden, sexistischen und rassistischen Charakter des Faschismus aus, der bewusst ganze Menschengruppen ins Visier nahm – insbesondere Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung. Vergleichbares ist im sowjetische Kommunismus nie geschehen. Die folgenden Beispiele aus der sowjetischen Erinnerungskultur zeigen, dass Frauen, Kinder, Minderheiten und Menschen mit Behinderung, die für ihre eigene Befreiung und für die Befreiung aller kämpften, ganz besonders gefeiert, gewürdigt und erinnert wurden.
Nicht nur Opfer
Bis heute wird in populären Darstellungen von Filmen bis zu Podcasts, das Andenken an Kämpfende aus bedrängten und verletzlichen Gruppen gering geschätzt. Der deutsche faschistische Völkermord an den Roma und der Massenmord an Andersdenkenden erhält nur wenig Beachtung, noch unbekannter sind die massenmörderischen Pläne, die sich gegen die Osteuropäerinnen und Osteuropäer richteten. Auch über das Vorhaben einer fast absoluten Unterwerfung und Entfernung der Frauen aus dem öffentlichen Leben ist wenig bekannt. Der »Generalplan Ost« sah eine »Säuberung« von 80 Prozent der einheimischen Bevölkerung Osteuropas vor. Auch innerhalb Deutschlands selbst begann das NS-Regime, Frauen von Anfang an von Richterämtern auszuschließen und ging allmählich dazu über, ihnen die höhere Bildung zu verbieten. In den späten 1930er Jahren nahmen neue Gymnasien keine Schülerinnen mehr auf.
Es ist daher umso bezeichnender, dass sich Frauen dem Kampf gegen den Faschismus mit besonderer Entschlossenheit stellten. Insbesondere als Scharfschützinnen und Jagdfliegerinnen, denen die Wehrmacht den Spitznamen»Nachthexen«gab, übertrafen sie mitunter das Leistungsniveau ihrer männlichen Kollegen. Am legendärsten war vielleicht Ljudmila Pawlitschenko, eine von einer Million Frauen, die an vorderster Front kämpften. »Lady Death« – wie sie genannt wurde – brachte Hunderte zur Strecke und sie reiste während des Krieges durch den Westen, um Unterstützung für eine zweite Front gegen die Nazis in Frankreich zu mobilisieren. Das stieß besonders bei den Briten auf Ablehnung. Pawlitschenko war die erste Sowjetbürgerin, die von einem US-Präsidenten empfangen wurde. Die US-Presse war damals allerdings weit davon entfernt, den Grundstein für ein ehrliches Gedenken an sie zu legen. Statt nach ihren Leistungen wurde sie nach ihrer Rocklänge gefragt und man erkundigte sich nach der Farbe ihrer Unterwäsche.
Hinter den Frontlinien in den besetzten Ländern wurden Partisaninnen und Partisanen von Frauen inspiriert oder angeführt. Tatsächlich leisteten diese Gruppierungen nicht nur den effektivsten Widerstand gegen den Faschismus, sie wurden auch zu einer der Institutionen der modernen europäischen Geschichte, in der die Gleichberechtigung der Geschlechter am weitesten fortgeschritten war. Diese Partisaninnen und Partisanen hatten nicht den Luxus, die Schlacht aus der Vogelperspektive beobachten zu können und viele von ihnen konnten weder auf direkte staatliche Unterstützung noch auf Verbindungen zu mächtigeren Verbündeten bauen. Sie waren oft Einzelpersonen, die mit dem Rücken zur Wand standen, aber bereit waren, zu den Waffen zu greifen und sich diesem großen Kampf anzuschließen. Die 25 Partisanendivisionen auf sowjetischem Territorium leisteten dazu einen entscheidenden Beitrag. Doch es gab auch unabhängige oder kleinere Einheiten, die auch angesichts heftigster Widerstände weiter kämpften.
Eine bekannte Partisanin war Roza Papov, eine sephardische Jüdin aus Sarajevo, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg als Ärztin arbeitete. Sie diente direkt unter Tito im ehemaligen Jugoslawien, dem einzigen europäischen Land, in dem es den Partisaninnen und Partisanen gelang, sich von den Nazis zu befreien. Papov wurde mit der Rekrutierung und dem Aufbau der Feldlazarette beauftragt. Später, nach dem Krieg, wurde sie zur Generälin befördert – eine solche hatte es vor ihr in diesem Teil Europas noch nicht gegeben.
Die karikierenden Fantasien von Tarantino in Inglorious Basterds verzerren die Vergangenheit und übersehen die realen Geschichten von Untergrundkommandos, die es tatsächlich auf Faschisten abgesehen hatten. Eine davon war die Sephardin Wioleta Jakowa aus Sofia, die einen mit den Nazis verbündeten bulgarischen General und den bulgarischen Polizeichef umbrachte. Erst nach einem heftigen Schusswechsel konnte Jakowa gefangen genommen werden.
Auf der anderen Seite Europas, in den Niederlanden, war Hannie Schaft Mitglied eines Widerstandsrates. Dort half sie dabei, Ausweisdokumente zu beschaffen, die versteckte Jüdinnen und Juden dringend benötigten. Sie war außerdem Mitglied eines Mordkommandos, das oft mit dem Fahrrad unterwegs war. Jede Aktion, die das Leben von Kindern gefährden könnte, lehnte sie ab. Den holländischen Kollaborateur, der die Liste der Jüdinnen und Juden der Stadt Haarlem an die Nazis übergab, ermordete sie persönlich. Kaum zwei Wochen vor Kriegsende wurde sie gefangen genommen und anhand ihres roten Haaransatzes identifiziert. Sie wurde aus nächster Nähe exekutiert, war aber zunächst nur verwundet und erwiderte ihren Mördern: »Ich schieße besser.«
Einige Frauen schlossen sich schon in sehr jungem Alter den Widerstandskämpfen an. Als die Nazis in Weißrussland einmarschierten, verbrachte die aus Leningrad stammende 15-jährige Zina Portnowa gerade die Sommerferien bei ihrer Großmutter in Wizebsk. Sie schloss sich der Partisaneneinheit der »Jungen Rächer« an und begann als Tellerwäscherin in der örtlichen deutschen Offiziersmesse zu arbeiten. Dort vergiftete sie die Suppe von über hundert Faschisten. Sie selbst überlebte, weil sie bei der Vernehmung selbst einen Schluck davon trank, um einer Verhaftung zu entgehen. Von ihrer Großmutter wieder gesund gepflegt, wurde wenig später ihre gesamte Einheit verraten und fast alle dreißig von ihnen ermordet. Auf der Suche nach dem Verräter, wurde sie festgenommen. Während des Verhörs ergriff sie die Mauserpistole des Gestapo-Mannes, der sie aufgegriffen hatte, und erschoss ihn sowie zwei weitere Beamte. Zina Portnowa wurde anschließend bei einem Fluchtversuch selbst angeschossen und monatelang inhaftiert und gefoltert, wobei man ihr sogar die Augäpfel herausstach. Nun erblindet versuchte sie sich vor ein Auto zu werfen, wurde aber von deutschen Ärzten versorgt, damit die Folter fortgesetzt werden konnte. Ihre Kameradinnen und Kameraden hat sie dennoch nie verraten.
Das Schwarzbrot der Geschichte
Fälle wie jene von Zina Portnowa gab es fast nur an der Ostfront, wo die Kinder ganzer Länder ihrer Unschuld beraubt und ihr Alltag von Terror bestimmt war. Diese jungen Kämpferinnen und Kämpfer wurden bei den Sowjets später als Pionierheldinnen und -helden geehrt. Sie waren Jugendliche, die es geschafft hatten, den faschistischen Angriff auf ihre Welt aufzuhalten. Ihr Widerstand, der im Westen weitgehend vergessen wurde, war frei vom Egoismus, den Allüren oder kleinkarierten Konflikten der Erwachsenen – was einige dazu veranlasste, ihn als »das Schwarzbrot der Geschichte« zu bezeichnen. Die Jugendlichen zeigten einen unbezwingbaren Willen, um den Widerstand hochzuhalten, den sie, gemäß ihres damaligen Slogans, »für ihre Freunde« leisteten.
Marat Kasej aus Minsk überlebte sowohl seinen Vater, der in den 1930er Jahren bei der »Säuberung« ermordet wurde, und auch die Erhängung seiner Mutter durch die Deutschen im Jahr 1942. Er nahm sich seine Mutter zum Beispiel und beherbergte und versorgte Partisaninnen und Partisanen. Durch Kasejs geringe Größe gelang ihm die Flucht durch die feindlichen Linien, um Verstärkung zu holen. Überlebende erinnerten sich daran, wie dieser Teenager – selbst als er verwundet war – die Soldaten zum Kampf anspornte. Schließlich wurden er und sein Kommandant bei einem Aufklärungseinsatz von Deutschen umzingelt. Der Erwachsene wurde sofort erschossen. Den Jungen aber wollten sie lebend fassen. Der 14-Jährige zündete jedoch eine Granate über seinem Kopf, nahm einige Faschisten mit ins Jenseits, und schützte damit seine Kameradinnen und Kameraden.
Eine andere Form des Widerstands war eher geistig als materiell. Davon gab es zweifellos unzählige, nie aufgezeichnete Fälle. Daran zeigt sich auch, wie untrennbar der Holocaust mit der Kriegsgeschichte der sowjetischen Länder verbunden ist – auf eine Art und Weise, die im angelsächsischen Raum schwer zu begreifen ist. Abram Pinkerson, ein jüdischer Junge aus Bessarabien – eines von vielen musikalischen Wunderkindern unter den osteuropäischen Jüdinnen und Juden – war schon mit fünf Jahren ein virtuoser Geigenspieler. Der Junge stammte vom allerersten Arzt seiner Gegend ab und lebte ohne seinen Vater, der ebenfalls Arzt war und nun bei den sowjetischen Streitkräften diente. Nach der deutschen Invasion im Jahr 1942 wurden Abram und seine Gemeinde zusammengetrieben, um von den Todesschwadronen der Nazis hingerichtet zu werden. Örtliche Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner wurden als Publikum herangekarrt, um sie abzuschrecken und einzuschüchtern. Als seine Gruppe an den Rand des Massengrabes getrieben wurde, nahm der 11-jährige Abram seine Geige heraus und begann »Die Internationale« zu spielen – ein Lied der Hoffnung, das den Feinden furchtlos entgegenhallte, gespielt von einem, der zu jung war, um eine Waffe zu halten.
Um in den Reihen der Roten Armee zu kämpfen und die faschistische Gefahr zurückzudrängen, wurden zahlreiche Minderheiten aus ganz Zentralasien und Sibirien mobilisiert. Sie wurden als »barbarische asiatische Horden« verteufelt. Es ist ihnen zu verdanken, dass der größte Teil Europas seine Freiheit erlangte und dass die Verluste nicht noch viel höher waren. Die Heldentaten von Michail Dewjatajew stehen hierfür beispielhaft ein. Er war ein ethnischer Mordwine, wurde abgeschossen und zunächst in Lodz und dann im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Dort gelang es ihm, die Identität eines verstorbenen sowjetischen Soldaten anzunehmen. Während er auf der V2-Raketenbasis in Peenemünde Zwangsarbeit verrichten musste, gelang es ihm und einer Gruppe von sowjetischen Mitgefangenen, einen Wachmann auszuschalten und dessen Uniform anzunehmen. Sie kaperten außerdem noch einen H22-Bomber des Kommandanten. Als sie von der Insel flogen, mussten sie sowohl die deutsche als auch die sowjetische Verteidigung abwehren. Dewjatajew und seiner Crew gelang es, entscheidende Informationen über die V1 und V2 – die sogenannten Vergeltungswaffen – zu liefern, die Tausende britische Zivilisten das Leben gekostet hätte.
Die Nazis ermordeten systematisch Menschen mit Behinderungen. In der Tatsache, dass mehrere sowjetische Kämpferinnen und Kämpfer nach ihrer Verstümmelung weitermachten, schwingt daher eine gewisse poetische Gerechtigkeit. Das sowjetische Kampfflugzeug-Ass Aleksey Maresyev etwa überlebte, nachdem er hinter den feindlichen Linien abgeschossen wurde, eine 18-tägige Wanderung zurück zu seiner Truppe. Wegen einer Blutvergiftung und Wundbrand schien eine Genesung hoffnungslos und ihm wurden beide Beine amputiert. Es klingt unglaublich, aber kaum mehr als ein Jahr später kehrte Mareseyev als Pilot zurück. Er trug Prothesen und absolvierte weitere 80 Kampfeinsätze.
Diese Heldinnen und Helden aus der Geschichte zu tilgen, ist eine Form des Revisionismus. Sie übermitteln uns nicht nur eine Erzählung über den andauernden, jahrhundertelangen Kampf gegen den Faschismus, sondern sie bilden auch einen Grundpfeiler des Feminismus, der Ermächtigung von Kindern und des aufstrebenden Internationalismus. Als zu viele es vorzogen, wegzuschauen, haben sie der Nachwelt eine Lektion in echter Solidarität erteilt. Sie bildeten kleine Lichtfunken inmitten der Dunkelheit – und hinterließen so ein Erbe für eine bessere Menschheit.
Adam J. Sacks hat einen MA und einen PhD in Geschichte von der Brown University und einen MS in Pädagogik vom City College der City University of New York.