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24. Juni 2025

Spanien hat recht, sich der NATO-Aufrüstung zu widersetzen

Im Vorfeld des NATO-Gipfels hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez angekündigt, er werde keine 5 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben. Damit ist er eine der wenigen Stimmen der Vernunft gegen die Remilitarisierung Europas.

Pedro Sánchez auf einer Pressekonferenz beim NATO-Gipfel im Juli 2024.

Pedro Sánchez auf einer Pressekonferenz beim NATO-Gipfel im Juli 2024.

IMAGO / NurPhoto

Am vergangenen Donnerstag hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez gewissermaßen mit den Führungen anderer NATO-Staaten gebrochen. Er weigerte sich ausdrücklich, 5 Prozent des spanischen BIP für Rüstung aufzuwenden. Seit US-Präsident Donald Trump im Januar sein Amt angetreten hat, fordert er eine massive Erhöhung des Ausgabenziels von aktuell 2 Prozent. Diese Forderung ist im Zuge der Pläne seiner Regierung zu verstehen, die US-Militärpräsenz in Europa zu reduzieren. Viele NATO-Mitglieder sehen die 5-Prozent-Verpflichtung inzwischen als notwendig an, um Trump bei der Stange zu halten. Die gemäßigt linke Koalitionsregierung in Spanien hingegen warnt vor einem unkritischen Wettrüsten in Europa.

Nach dem aktuellen Entwurf von NATO-Generalsekretär Mark Rutte sollen die Mitgliedsstaaten bis 2032 mindestens 3,5 Prozent ihres BIP für traditionelle Verteidigung ausgeben sowie zusätzlich 1,5 Prozent für weiter gefasste Sicherheitsthemen wie Cybersicherheit und Grenzkontrollen. Rutte verkauft diesen »Kompromiss« als mehr Flexibilität für die Staaten, während das schlagzeilenträchtige 5-Prozent-Ziel faktisch beibehalten wird. Dieser Ansatz passt weitgehend zu den historisch hohen Ausgabenzielen, die in Deutschland und Frankreich in den vergangenen Monaten diskutiert wurden. Ruttes Vorschlag würde für die meisten südeuropäischen Regierungen allerdings bedeuten, dass sie ihre Haushalte für Rüstung und Verteidigung innerhalb von sieben Jahren mehr als verdoppeln müssten.

Das gilt auch für die Regierung Sánchez: Spaniens Verteidigungsausgaben lagen 2024 bei lediglich 1,3 Prozent (der niedrigste Wert aller NATO-Mitgliedstaaten). In einem Brief an Rutte vor dem heute beginnenden NATO-Gipfel legte Sánchez dar, warum er das 5-Prozent-Ziel ablehnt. Er betonte, dieser Ansatz sei »mit unserem Sozialstaat unvereinbar« und nur durch »Steuererhöhungen für die Mittelschicht sowie Kürzungen bei öffentlichen Diensten und Sozialleistungen für die Bürgerinnen und Bürger« möglich. Und er erinnerte: »Es ist das legitime Recht jeder Regierung, zu entscheiden, ob sie bereit ist, diese Opfer zu bringen. […] Als souveräner Verbundpartner entscheiden wir uns dagegen.«

»Beim NATO-Gipfeltreffen droht Sánchez die direkte Konfrontation mit Trump.«

Darüber hinaus wies er in seinem Brief darauf hin, dass ein solches Ziel lediglich die Abhängigkeit Europas von US-Waffen verstärken würde. Insbesondere merkte er an, »durch den […] überstürzten Kauf von Standardwaffen« werde ein »erheblicher Teil« der Ressourcen europäischer Staaten an »außereuropäische Lieferanten fließen, wodurch sie auch daran gehindert werden, ihre eigene Industriebasis auszubauen«.

Txema Guijarro, verteidigungspolitischer Sprecher von Sánchez’ Koalitionspartner Sumar, erklärte gegenüber Jacobin: »Wir reden hier über ein willkürliches Ziel, das nicht auf einer Analyse unserer echten Sicherheitsbedürfnisse basiert.« Das sei »in völligem Widerspruch zum Ziel, die strategische Unabhängigkeit Europas von den USA zu stärken«. Er kritisierte weiter: »Aber andere Länder, sogar die am höchsten verschuldeten wie Italien, scheinen sich dem anzuschließen und unbedingt gehorchen zu wollen.«

Tatsächlich erscheint Sánchez vor dem NATO-Gipfel am heutigen 24. Juni innerhalb des transatlantischen Bündnisses isoliert. Nur der britische Labour-Premier Keir Starmer hat sich noch nicht öffentlich zu den anderen Staats- und Regierungschefs gesellt. Doch während Trump nun damit droht, jedem Land, das sich nicht auf seine 5-Prozent-Forderung einlässt, zusätzliche Zölle aufzuerlegen, hat Sánchez gewichtige innenpolitische Gründe – nicht zuletzt einen Korruptionsskandal in seiner sozialdemokratischen Partei PSOE –, sich weiterhin zu weigern. Als Sánchez im April, ebenfalls auf diplomatischen Druck der Trump-Regierung, eine sofortige Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 10,4 Milliarden Euro angekündigt hatte, wurde ihm offenbar schmerzlich bewusst, dass eine weitere Rüstungszusage ein Schritt zu weit für seinen linken Partner Sumar oder auch die katalanischen und baskischen Partner im Parlament (auf die die PSOE ebenfalls angewiesen ist, um ihre Mehrheit zu halten) wäre.

Einerseits hat Sánchez also das Problem, das einige seiner engsten Vertrauten in Spanien in einen Korruptionsskandal verwickelt sind, und er ums politische Überleben seiner Koalition kämpfen muss. Andererseits droht beim heutigen Gipfeltreffen die direkte Konfrontation mit Trump. Mit seiner Weigerung, noch mehr Geld für Rüstung auszugeben, ist Sánchez nun einer der allerletzten verbliebenen Mitte-Links-Politiker in der EU, die gegen den Militarismus-Strom schwimmen.

Ein schwieriger Balanceakt

Sánchez’ isolierte Position steht im Kontrast zu 2020, als er eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen über die EU-Wiederaufbauhilfe nach der Pandemie (NextGeneration EU) spielte. Damals war er Teil eines vereinten südeuropäischen Blocks, zu dem auch gleichgesinnte Staatschefs aus Italien und Portugal gehörten, die sich für das bis dahin beispiellose Konjunkturprogramm einsetzten, das erstmals durch gemeinsame EU-Schulden finanziert wurde. Im Mittelpunkt der Programme stand die Förderung staatlicher Investitionen in die grüne Wende, Digitalisierung und die Sozialpolitik (wenn auch in einem Rahmen, der stark auf öffentlich-private Partnerschaften ausgerichtet war). Sánchez hatte damit deutlich gemacht, dass er in einer Koalition mit der linken Unidas Podemos immerhin eine moderat sozialdemokratische Agenda umsetzen konnte.

Doch seit Trumps Rückkehr ins Amt und den anschließenden Drohungen seiner Regierung, das westliche Militärbündnis aufzukündigen, wird das Tempo der EU-Reaktionen von den Ländern des sogenannten Weimarer Dreiecks – Frankreich, Deutschland und Polen – vorgegeben. In den angespannten ersten Momenten im Februar und Anfang März, als Vertreter der Trump-Regierung vorübergehend gewisse Militärhilfen für die Ukraine aussetzten und eine umfassende Neugestaltung der Beziehungen zu Russland andeuteten, war es auf beiden Seiten des Atlantiks schwierig, zwischen reiner Rhetorik und tatsächlichen Absichten zu unterscheiden. So forderte Deutschlands Kanzler Friedrich Merz in der Nacht seines Wahlsiegs am 23. Februar zwar »Unabhängigkeit« von Trumps Amerika und warnte, die NATO laufe Gefahr, gänzlich zu verschwinden. Gleichzeitig kündigte er aber bekanntlich an, künftig würden die Rüstungsausgaben erhöht und von der deutschen Schuldenbremse ausgenommen.

Das zeigt: Als hochrangige Politiker aus EU-Staaten damals von strategischer Unabhängigkeit von den USA sprachen, ging es wohl eher darum, die eigene Bevölkerung weichzuklopfen und auf mehr Aufrüstung sowie mehr Militärhilfe für die Ukraine vorzubereiten. Da die EU in den kommenden zehn Jahren kaum die Rolle der USA bei der militärischen Aufklärung sowie bei Luft- und Seestreitkräften übernehmen kann, gehen gerade Länder wie Polen und die baltischen Staaten offensichtlich davon aus, dass Washington weiterhin der wichtigste Garant für ihre Sicherheit bleiben wird.

»Der spanische Ministerpräsident gehört zu den lautstärksten Befürwortern engerer wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen zu China innerhalb der EU.«

Darüber hinaus haben sowohl Merz als auch sein Vorgänger Olaf Scholz weitere EU-Finanztransfers nach dem NextGeneration-Vorbild zur Finanzierung einer ernsthaften Ausweitung der militärisch-industriellen Basis in der EU ausgeschlossen. Stattdessen sieht der 800 Milliarden Euro schwere Plan ReArm Europe der Europäischen Kommission vor, den größten Teil der Rüstungsausgaben (650 Milliarden Euro) auf die bereits hoch verschuldeten nationalen Haushalte zu verteilen. Dafür hat Brüssel ähnlich dem deutschen Beispiel entschieden, die Verteidigungsausgaben könnten in den kommenden vier Jahren von den EU-Haushaltsregeln ausgenommen werden.

Sánchez hat sich bis vergangene Woche bei Fragen nach einer EU-weiten Aufrüstung meist zurückgehalten. Er hat sich entschieden, bestimmten Veranstaltungen wie dem Gipfeltreffen der »Koalition der Willigen« im vergangenen Monat in Kiew nicht beizuwohnen. Auch hier spielt die Innenpolitik eine Rolle: Derartige Auftritte hätten die Aufmerksamkeit der Medien noch mehr auf Politikansätze gelenkt, die in Spanien nicht die gleiche öffentliche Akzeptanz findet wie anderswo auf dem Kontinent. Hinter den Kulissen hat Sánchez damit einen schwierigen Balanceakt vollführt, bei dem er die verschiedenen Elemente seiner Regierungskoalition im eigenen Land bei Laune halten und sich gleichzeitig an die sich verschiebenden Grenzen des EU-Mainstreams anpassen musste.

Als Mitte-Links-Politiker, dessen gesamtes Verständnis von guter Regierungsführung mit den multilateralen Strukturen der EU verknüpft ist, hat Sánchez in den ersten Monaten der Trump-Präsidentschaft den neuen Militärkeynesianismus der EU zumindest nicht direkt in Frage gestellt. Stattdessen hat er, um seine siebenjährige Bilanz größerer Sozialausgaben zu sichern, auf mehr Flexibilität bei den Verpflichtungen Spaniens im Rahmen von ReArm Europe gedrängt und gleichzeitig betont, dass neue Verteidigungsausgaben »mit den sozialen, ökologischen und internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vereinbar sein müssen«.

Er hat auch immer wieder dafür plädiert, ReArm Europe in ein breiteres Sicherheitskonzept umzugestalten, das auch Investitionen in Bereiche wie kritische Infrastruktur, Zivilschutz und Cybersicherheit umfasst. Vor allem im Vorfeld des EU-Gipfels im März gab es seinerseits echte Bemühungen, die Ausgabenpläne der EU ausgewogener zu gestalten. Sánchez betonte damals auch, dies würde den besonderen Sicherheitsbedürfnissen Südeuropas eher gerecht werden. Dasselbe Argument konnte er dann auch im eigenen Land vorbringen, um die Kontroverse um die neuen Verteidigungsausgaben zu entschärfen. So gelang es ihm, die historisch große Aufstockung des spanischen Militärbudgets in einem etwas sanfteren Licht darzustellen.

In Widersprüche verstrickt

Laut La Vanguardia glaubte Sánchez nach dem EU-Gipfel im März, wo sein Vorschlag für eine breitere Ausrichtung von ReArm Europe abgelehnt wurde, trotzdem weiterhin, dass es Spielraum für eine teilweise »spanische Ausnahmeregelung« geben könnte, also ein weniger umfangreiches Aufrüstungsprogramm. Angesichts des heutigen NATO-Gipfels und des seit Anfang April von Trump ausgeübten Drucks sah sich Sánchez’ innerer Kreis jedoch auch gezwungen, eine erste Kehrtwende in Richtung mehr Verteidigungsausgaben vorzubereiten. Diese Woche könnte es dementsprechend Schritte geben, die einerseits als Entgegenkommen gegenüber den USA fungieren und mit denen andererseits die Reaktion der spanischen Öffentlichkeit sowie der Verbündeten der PSOE im Parlament ausgetestet werden können.

Die Spannungen mit Washington hatten im April einen Höhepunkt erreicht, als Sánchez in derselben Woche mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping zusammentraf, in der Trump an seinem »Liberation Day« umfassende Zölle ankündigte. Der spanische Ministerpräsident gehört zu den lautstärksten Befürwortern engerer wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen zu China innerhalb der EU. Vor Sánchez’ Treffen mit Xi machte US-Finanzminister Scott Bessent deutlich, Spanien würde sich mit einer solchen Haltung »selbst ins Knie schießen«. Bei einem weiteren angespannten Treffen ein paar Tage später in Washington drängte Bessent den spanischen Finanzminister Carlos Cuerpo zu einer klaren Zusage in Sachen Rüstungsausgaben.

Zehn Tage nach seiner Reise nach Peking kündigte Sánchez dann tatsächlich eine beispiellose Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 10,4 Milliarden Euro an. Damit erreicht Spaniens Militärbudget noch in diesem Jahr das bisherige NATO-Ausgabenziel von 2 Prozent des BIP – und nicht erst 2029, wie bisher geplant. Somit werden die Verteidigungsausgaben massiv erhöht (und steigen gegenüber 2024 um 50 Prozent), gleichzeitig beinhaltet dies aber auch fast 5 Milliarden Euro für »allgemeine Sicherheitsausgaben«. Tatsächlich kann ein Großteil der spanischen Investitionen nach den NATO-Richtlinien nicht als Verteidigungsausgaben eingestuft werden: Verpflichtungen wie die 1,75 Milliarden Euro für Notfall- und Katastrophenmanagement scheinen bewusst ausgewählt, um das Paket auch für Sumar (trotz deren Protesten) akzeptabel zu machen.

»Sánchez hat seit Beginn der israelischen Operationen im Gazastreifen konsequent die propalästinensischste Position unter den EU-Spitzen eingenommen.«

Die Kritik der stellvertretenden Ministerpräsidentin Yolanda Díaz von Sumar fiel tatsächlich recht verhalten aus. Sie drohte auch nicht mit einem Koalitionsausstieg. Dennoch wächst die Wut in den Reihen der Koalitionspartner über die deutlich höheren Militärausgaben. Die kommunistisch geführte Izquierda Unida erklärte ihre »absolute Ablehnung der Entscheidung des Kabinetts« und betonte, dass diese »nicht dem Geist entspricht, in dem die Regierung 2023 gebildet wurde«. Am nächsten Tag drohte sie mit dem Austritt aus der Koalition (in der sie immerhin einen Kabinettsposten innehat), nachdem bekannt geworden war, dass das Innenministerium einen Vertrag über den Kauf von 15 Millionen Schuss Munition von einem israelischen Unternehmen unterzeichnet hatte.

Diese Drohung veranlasste Sánchez dazu, den Vertrag mit dem israelischen Unternehmen umgehend aufzukündigen und zu versichern, er habe davon nichts gewusst. Doch es zeigen sich weitere Widersprüche in seiner Sicherheitspolitik: Zwar hat Sánchez betont, dass nur 19 Prozent der neuen Ausgaben für Waffen verwendet würden und insbesondere auf Investitionen in digitale und Telekommunikationsprogramme verwiesen. El País berichtet allerdings, dass die 700 Millionen Euro, die für die Modernisierung der Feldfunksysteme des Militärs vorgesehen waren, erneut an ein Konsortium gehen würden, zu dem auch das israelische Rüstungsunternehmen Elbit gehört. Dabei hat Sánchez seit Beginn der israelischen Operationen im Gazastreifen konsequent die propalästinensischste Position unter den EU-Spitzen eingenommen – und ging am 14. Mai sogar so weit, Israel als »völkermörderischen Staat« zu bezeichnen. Dennoch kauft sein Verteidigungsministerium weiterhin Waffen und Ausrüstung von israelischen Unternehmen, da es keine Alternativen gebe. Dieser Widerspruch dürfte durch die jüngste Aufstockung der Verteidigungsausgaben verstärkt werden.

Mehr noch: Mit der abrupten Erhöhung der Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben um 10,4 Milliarden Euro stößt Sánchez bereits an die Grenzen seines ausdrücklichen Versprechens, »keinen einzigen Cent an Sozial- oder Umweltausgaben zu kürzen«. Um eine drohende Regierungskrise zu vermeiden, wurde die Haushaltsreform für die erhöhten Verteidigungsausgaben nicht dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Dies wurde damit begründet, dass es sich lediglich um eine Umwidmung bereits bewilligter Mittel handele: Diese würden laut Regierung neben höheren Steuereinnahmen und Effizienzgewinnen vor allem aus bisher nicht angezapften Töpfen des NextGeneration-Programms stammen, die ursprünglich für andere Prioritäten wie die Energiewende vorgesehen waren.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Spanien nur wenige Tage nach der Ankündigung dieser Aufstockung der Verteidigungsausgaben den schlimmsten Stromausfall seit Jahrzehnten in Europa erlebte. Dieser war auf Schwächen im privatisierten Stromnetz und unzureichende Investitionen in teure Speicherbatterien im Zuge des Erneuerbare-Energien-Ausbaus zurückzuführen. Der schrumpfende finanzpolitische Spielraum der Regierung Sánchez hat zwar noch nicht zu direkten Kürzungen im Sozialstaat oder bei Ausgaben für den Umweltschutz geführt. Er wird jedoch sicherlich die Möglichkeiten der Regierung einschränken, die Mittel in diesen Bereichen in Zukunft aufzustocken. Dies gilt umso mehr, als die schwache parlamentarische Mehrheit der Regierungskoalition wenig Handlungsspielraum für die in ihrem Wahlprogramm angekündigten progressiven Steuerreformen lässt.

Der Druck wächst

Sollte die 5-Prozent-Verpflichtung beim heutigen NATO-Gipfel angenommen werden, würde dies die Lage in Spanien noch komplizierter machen. In jedem Fall hat der Druck von US- und NATO-Vertretern auf Sánchez im letzten Monat zugenommen. Im Mai betonte Rutte, Spanien werde das 5-Prozent-Ziel »ohne Zweifel« einhalten. Nach einem Treffen mit dem spanischen Außenminister gab US-Außenminister Marco Rubio eine Woche später eine Erklärung ab, in der er »Spanien dringend aufruft, sich seinen Verbündeten anzuschließen und 5 Prozent seines BIP für die Verteidigung bereitzustellen«.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich in dem Bemühen, Trumps Bedingungen für die Fortsetzung der US-Sicherheitsgarantie zu akzeptieren, im Vorfeld des NATO-Gipfels weitgehend auf Debatten über den Zeitrahmen für das Erreichen des »3,5 plus 1,5-Prozent-Ziels« beschränkt. Rutte bevorzugt eine Frist von sieben Jahren mit verbindlichen Jahreszielen, während Kanada und die westeuropäischen Staatsführungen diese Frist auf ein Jahrzehnt verlängern wollen und mehr Flexibilität bei den jährlichen Steigerungen wünschen.

Einzig und allein Spanien hat sich öffentlich gegen die Erhöhung an sich ausgesprochen. Die spanische Regierung hofft auf eine gemeinsame Erklärung auf dem Gipfel, die so vage formuliert ist, dass sie ohne größere innenpolitische Krise unterzeichnet werden kann. Schon vor dem großen Korruptionsskandal in der PSOE hatten die heimischen Koalitionspartner Druck gemacht. Die Izquierda Unida nimmt dabei erneut eine härtere Haltung ein als andere Elemente innerhalb der Sumar-Allianz: »Wenn Spanien die von Trump geforderte brutale Aufrüstung akzeptiert, wäre es für Izquierda Unida unmöglich, in der Regierung zu bleiben«, warnte der kommunistische Führer Enrique Santiago Anfang Juni per Twitter. Auch die Podemos-Vorsitzende Ione Belarra kritisierte Sánchez und sagte ihm im Parlament ins Gesicht: »Dir fehlt der Mut, Nein zu Donald Trump zu sagen.«

»Sanchez griff die Grundprämisse des neuen Militärkeynesianismus an, nämlich dass höhere Militärausgaben bei anhaltenden Kürzungen in anderen Bereichen des Staates einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung bewirken würden.«

Aber: Nachdem Sánchez am vergangenen Mittwoch Ruttes endgültigen Entwurf der gemeinsamen Erklärung erhalten hatte, gab er – inmitten der schwersten Krise seiner siebenjährigen Amtszeit – ein scharf formuliertes Schreiben heraus, in dem er die NATO-Vorgaben ablehnt und ankündigt, Spanien werde seine Verteidigungsausgaben nicht weiter erhöhen. Ebenfalls griff er erstmals die Grundprämisse des neuen Militärkeynesianismus an, nämlich dass höhere Militärausgaben bei anhaltenden Kürzungen in anderen Bereichen des Staates einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung bewirken würden. Dem hielt er entgegen, Ruttes Plan werde nicht nur »die derzeitige Umleitung europäischer Ersparnisse in ausländische Märkte verschärfen«, sondern auch das Wirtschaftswachstum verlangsamen, weil »Investitionen aus wichtigen Bereichen mit höheren Multiplikatoreffekten als die Verteidigungsindustrie (wie Bildung, Gesundheitswesen, digitale Technologie) abgezogen würden«.

Sánchez hofft nun, dass andere Staaten, die möglicherweise ebenfalls Bedenken gegen das 5-Prozent-Ziel hegen, auf dem Gipfel ihre Ablehnung zum Ausdruck bringen werden. Gleichzeitig könnte es ihm gelingen, eine mögliche Konfrontation mit Donald Trump zu nutzen, um seine demoralisierte Basis daheim wieder zu begeistern. Der Korruptionsskandal hat sowohl innerhalb seiner eigenen Partei als auch in der breiteren progressiven Wählerschaft eine Vertrauenskrise in Sánchez’ Führungsstärke ausgelöst. Wenn er sich gegen Trumps harte Diplomatie behauptet, dürfte ihm dies einen erheblichen Schub geben.

Vor zwei Jahren, als die aktuelle Koalitionsregierung überraschend wiedergewählt wurde, galt Spanien als Ausnahme in einem nach rechts driftenden Europa. Sánchez stach dabei als ein besonderer sozialdemokratischer Politiker hervor, der von der Kooperation mit linken Kräften profitieren konnte. Auch in der Außenpolitik war er in der EU meist ein Außenseiter, wenn er den Völkermord in Gaza kritisierte und sich nicht an der Kriegshetze gegen den Iran beteiligte. Doch da sich nun der gesamte politische Mainstream in Europa unter Trumps Führung für Militarisierung und Aufrüstung zu entscheiden scheint, schrumpft der Handlungsspielraum für Sánchez immer weiter.

Eoghan Gilmartin ist Journalist und Übersetzer, der für »Jacobin« und »Tribune« über spanische Politik berichtet.