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27. Oktober 2025

Das politische Erbe des »ärmsten Präsidenten der Welt«

Pepe Mujica war dafür bekannt, dass er noch als Präsident von Uruguay ein bescheidenes Leben führte. Weit mehr als eine persönliche Marotte, war dies Teil seiner demokratischen Überzeugung: dass die Regierenden sich nicht über das Volk erheben dürfen.

Während seiner gesamten Amtszeit wirkte Pepe wie ein Opa, der spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Während seiner gesamten Amtszeit wirkte Pepe wie ein Opa, der spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

IMAGO / Aton Chile

Ende 2023 traf ich den »ärmsten Präsidenten der Welt«. Ich hatte ihn bereits zehn Jahre zuvor bei einer Veranstaltung in Washington gesehen, aber damals war er unerreichbar von einer begeisterten Menschenmenge umgeben – er schüttelte Hände, machte Selfies, streichelte Babys über die Köpfe. Man hätte meinen können, er sei ein Popstar und nicht ein fast achtzigjähriger Präsident eines kleinen südamerikanischen Landes. Pepe – der ehemalige Guerillakämpfer, politische Gefangene, später Präsident, virales Phänomen, Philosoph, Blumenzüchter, Überlebenskünstler – faszinierte die Menschen.

Als ich endlich die Gelegenheit hatte, persönlich mit José »Pepe« Mujica zu sprechen, war er nicht mehr Präsident von Uruguay und hatte aufgrund seiner nachlassenden Gesundheit auch sein Amt im Senat des Landes niedergelegt. Wir trafen uns in El Quincho de Varela, in einem bescheidenen Raum mit Strohdach, der um einen Feuerplatz herum gebaut war und sich in unmittelbarer Nähe von Pepes Farm befand. Im Laufe der Jahre war dieser Ort zu einer geradezu heiligen Stätte geworden: Politikerinnen, Aktivisten, Prominente und Denker von der amerikanischen Bürgerrechtlerin Angela Davis bis zum brasilianischen Präsidenten Lula da Silva waren hier zu Besuch. Als ich eintrat, fühlte ich mich wie in der Klause eines Einsiedlers in den Bergen. Wir sprachen über den Stand sozialer Bewegungen und unseren Platz in der Geschichte. Obwohl er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, hatte Pepe immer noch Neugierde für soziale Bewegungen im Ausland und war offen für neue Ideen.

Es ist leicht zu verstehen, warum Mujica auf viele Menschen eine Faszination ausübte. Nachdem er 2009 Staatsoberhaupt geworden war, weigerte er sich, in den Präsidentenpalast zu ziehen. Stattdessen entschied er sich dafür, in seinem baufälligen Drei-Zimmer-Bauernhaus am Rande von Montevideo zu bleiben – bewacht von lediglich zwei Polizisten und seiner dreibeinigen Hündin Manuela. Der Botaniker kümmerte sich weiterhin um seine Blumenzucht, fuhr selbst mit einem hellblauen VW Käfer Baujahr 1987 zur Arbeit, spendete 90 Prozent seines Gehalts für wohltätige Zwecke und begann seine Amtszeit mit weniger als 2.000 Dollar auf seinem Konto. Diese Zurückhaltung und der Verzicht auf materielle Annehmlichkeiten verschafften ihm den Ruf als bescheidenster Staatschef der Welt.

Mujica war zuvor Mitglied einer bewaffneten marxistischen Revolutionsbewegung gewesen und verbrachte nach dem Militärputsch 1973 mehr als ein Jahrzehnt in Einzelhaft. Als 1985 die uruguayische Demokratie wiederhergestellt wurde, kam er aus dem Gefängnis, setzte sich für Abrüstung ein und sprach sich für Fortschritt durch parlamentarische Politik aus. Er war Mitbegründer des linken Movimiento de Participación Popular (MPP) und begann seinen politischen Aufstieg: Anfang der 2000er Jahre wurde er hochrangiges Kabinettsmitglied und 2009 schließlich selbst zum Präsidenten gewählt. Während seiner fünfjährigen Amtszeit führte er ein strenges Regiment, sorgte mit bedeutenden progressiven Reformen für internationale Schlagzeilen und dafür, dass sein Land sowohl bei ökonomischen als auch bei sozialen Indikatoren stark zulegte. Nach seiner Präsidentschaft war er weiter als einer der einflussreichsten Senatoren des Landes tätig.

Während seiner gesamten Amtszeit wirkte Pepe wie ein Opa, der spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Stets hatte er Stories und Lehren aus dem Leben, der Geschichte und der Philosophie zur Hand. Er präsentierte sich nicht als Politiker und sprach auch nicht wie einer. Er bereitete keine Gesprächsthemen vor und trug fast nie einen Anzug. Es war, als wäre er ein Nachbar, der sich in einer Bar unterhält oder auf dem Marktplatz Mate trinkt. In Interviews antwortete Mujica auf klischeebehaftete Fragen mit einer Mischung aus fast schon respektloser Offenheit und philosophischen Abschweifungen und warf dabei immer wieder hintergründige Weisheiten ein.

»Alles in allem war Mujica, der im Frühjahr 2025 im Alter von 89 Jahren verstarb, eine seltene Spezies in der Politikerkaste. Er war nicht nur äußerst beliebt, sondern auch politisch geschickt, ein inspirierender Redner und ein effektiver Verwalter.«

Als er darauf hingewiesen wurde, dass sein Lebensstil für einen Präsidenten ungewöhnlich sei, sagte er schulterzuckend: »Das ist die Schuld der anderen Präsidenten, nicht meine. […] Sie leben wie die [reiche] Minderheit in ihren Ländern. Aber Republiken wurden gegründet, um ein Konzept zu verteidigen: Niemand steht über einem anderen. [Republiken] waren eine Antwort auf den Feudalismus und die absoluten Monarchien: gegen die Herrschaften mit gepuderten Perücken, roten Teppichen und Vasallen, die Fanfaren bliesen, wenn der Gutsherr auf die Jagd ging, all das. In der Demokratie geht es darum, dass die Mehrheit regiert.« Pepe betonte stets: »Ich lebe wie die Mehrheit der Menschen in meinem Land. [...] Andernfalls wird man von seinem Lebensstil beeinflusst.«

Alles in allem war Mujica, der im Frühjahr 2025 im Alter von 89 Jahren verstarb, eine seltene Spezies in der Politikerkaste. Er war nicht nur äußerst beliebt, sondern auch politisch geschickt, ein inspirierender Redner und ein effektiver Verwalter. Seine Ideale hat er nie verkauft. Pepe widersetzte sich allen zynischen Erwartungen: Er verwässerte weder seine Politik, um die Zustimmung der Mitte zu gewinnen, noch wurde er selbstverliebt in die eigene Macht. Er war strikt demokratisch; und als seine Gesundheit nachließ, zog er sich konsequent aus der Politik zurück und machte Platz für eine jüngere Generation von Progressiven – darunter den 2024 zum Präsidenten gewählten Yamandú Orsi. Obwohl Pepe einen Sinn für praktische Lösungen hatte, blieb er seinen Idealen immer treu, kritisierte weiterhin den Status quo und drängte darauf, den Kampf fortzusetzen.

Mujica ist nun verstorben, aber Menschen auf der ganzen Welt, die für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit einstehen, können nach wie vor viel von ihm lernen. Vor allem zeigte er, wie Bewegungen ihre Vertreter in Ämter bringen und sich den Widersprüchen der parlamentarischen Politik stellen können, ohne den grundlegenden Kampf für eine bessere Welt aufzugeben.

Seine Weigerung, so zu leben, wie es für Menschen in hohen Ämtern typisch ist, war kein Schauspiel. Sie stand vielmehr für eine andere Form der demokratischen Regierungsführung, die ausschließlich auf der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk – und nicht gegenüber den Eliten – beruht.

Wer war Pepe Mujica?

Der seit seiner Kindheit »Pepe« genannte José Alberto Mujica Cordano wurde 1934 auf einem kleinen Bauernhof westlich von Montevideo geboren. In den 1940er Jahren war die Armut auf dem Land in Uruguay extrem. Noch bevor der zukünftige Präsident sechs Jahre alt wurde, verstarb sein Vater und seine Familie verlor den Hof. Mujica wuchs in geografischer und politischer Randlage eines Landes auf, dessen während des Zweiten Weltkriegs boomende Wirtschaft schnell zusammenbrach, als sich Europa beim Wiederaufbau verstärkt nach innen wandte und keine Agrarprodukte aus Lateinamerika mehr nachfragte.

Im Norden Uruguays litten die Cañeros (Zuckerrohrpflanzer) unter grausamen Arbeitsbedingungen; während des wirtschaftlichen Abschwungs kam es zu Hungersnöten. Die von Wut und Verzweiflung getriebenen Gewerkschaftsbildungen dieser Arbeiter in Kombination mit dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 radikalisierten den jungen Mujica. Bald brach er mit seinem frühen Aktivismus in der Jugendorganisation der Partido Nacional, einer der zwei seit jeher dominierenden Regierungsparteien Uruguays, und schloss sich den Tupamaros an, einer leninistischen Stadtguerillabewegung, die sich aus politischen Aktivisten, Gewerkschaftern, Studierenden und ehemaligen Cañeros zusammensetzte.

Die Gruppe wurde in den 1960er Jahren durch gewagte Aktionen wie Sabotage, Banküberfälle, Entführungen und Waffenraubzüge gegen Polizei, lokale Eliten und ausländische Akteure berühmt-berüchtigt. Doch 1972 brachen die Tupamaros unter der harten Repression durch Militär und Polizei zusammen. Ab 1973 übernahm eine brutale Militärdiktatur die Kontrolle über das Land und regierte Uruguay zwölf Jahre lang. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wurde Pepe von der Polizei gesucht. Er wurde sechsmal angeschossen und insgesamt viermal verhaftet – zweimal konnte er bei Massenausbrüchen aus dem Gefängnis fliehen.

»Zwischen 2005 und 2019 erlebte Uruguay eine Phase robusten sowie breitenwirksamen Wachstums. Das Land wurde als Erfolgsgeschichte der Region gefeiert.« 

1972 wurde er zum letzten Mal gefasst. In den folgenden zwölf Jahren wurden Mujica und andere politische Gefangene zwischen geheimen Orten hin- und hergeschoben und in Isolationshaft gehalten. Pepe verbrachte zwei Jahre in einem feuchten Loch und sieben Jahre ohne jegliches Lesematerial. Er ertrug Monate mit hinter dem Rücken mit Draht gefesselten Händen und überlebte lange Zeiträume in völliger Dunkelheit, abgeschnitten von jeglichem menschlichen Kontakt. Er sprach mit sich selbst und halluzinierte. Nur Spinnen und Ameisen leisteten ihm Gesellschaft.

Anfang der 1980er Jahre begann die Diktatur schließlich an Macht zu verlieren. Geschwächt wurde sie durch die Wirtschaftskrise, den massiven zivilen Widerstand und den wachsenden internationalen Druck. Diverse Bewegungen – darunter Massenstreiks, Studierendenproteste und eine stärker werdende Menschenrechtsbewegung – zwangen das Regime, Verhandlungen mit der Opposition aufzunehmen. Nachdem 1985 eine demokratische Einigung erzielt worden war, konnte wieder eine zivile Regierung die Führung übernehmen. Im selben Jahr wurde der damals fünfzigjährige Mujica im Rahmen einer Generalamnestie für politische Gefangene freigelassen. Pepe kehrte nach mehr als einem Jahrzehnt der Gefangenschaft in ein verändertes Land zurück. Er fand eine Demokratie vor, die zwar noch fragil war, aber auch wieder offen für soziale und politische Auseinandersetzungen.

Der Übergang zur parlamentarischen Politik löste Ende der 1980er Jahre intensive interne Debatten unter Aktivisten aus. Mujica hat sich nie für seine Beteiligung am bewaffneten Kampf entschuldigt; er habe damals eine notwendige Reaktion auf staatliche Repression und systemische Ungerechtigkeit darin gesehen. Er betonte allerdings auch, dieser Kampf sei kein Allheilmittel – letztendlich habe er sich als ebenso ineffektiv für gesellschaftlichen Wandel erwiesen wie die zivilgesellschaftliche Politik in dieser Zeit. »Der bewaffnete Kampf kann kein Lebensziel sein«, argumentierte er. »Unter bestimmten Umständen mag er wie ein Weg nach vorne erschienen sein – aber er kann nicht ewig andauern. Denn Gesellschaften können nicht auf dieser Grundlage aufgebaut werden. Das ergibt keinen Sinn.«

In den folgenden zwei Jahrzehnten wurde Mujicas Partei MPP zur einflussreichsten politischen Kraft in der uruguayischen Politik. Sie unterschied sich von anderen Parteien durch ihre ausgeprägte Basisarbeit, ihre hocheffiziente Wahlkampfmaschinerie und ihre klar definierte progressive Ideologie. 1989 schloss sie sich einer Allianz namens Frente Amplio an. Im Jahr 2004 erzielte dieses Bündnis einen bahnbrechenden Sieg: Im Zuge der Finanzkrise von 2002, die die Wirtschaft Uruguays erschüttert und das Vertrauen der Bevölkerung in die politische Führung stark untergraben hatte, wurde Tabaré Vázquez – ein ehemaliger Onkologe und Bürgermeister von Montevideo – mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Es war das erste Mal in der Geschichte Uruguays, dass jemand außerhalb der beiden etablierten Parteien des Landes die Präsidentschaft errang.

»Während die meisten Präsidenten die Presse auf Distanz hielten, habe Mujica Reporter als Gleichgestellte verstanden. Auf Auslandsreisen verzichtete er auf Sicherheitspersonal und verließ sein Hotelzimmer des Öfteren im Pyjama, um mit den Journalisten an der Hotelbar etwas zu trinken.«

Die Erfolge der ersten Frente-Amplio-Regierung führten zu weiteren Siegen. 2009 wählte Uruguay einen noch progressiveren Präsidenten: Pepe Mujica. Uruguayische Präsidenten dürfen keine zwei Amtszeiten hintereinander absolvieren, doch das Bündnis gewann drei Präsidentschaftswahlen in Folge. So amtierte Mujica von 2010 bis 2014 und dann erneut Tabaré Vázquez in einer zweiten Amtszeit von 2015 bis 2019. Die beiden Präsidenten wurden zu wichtigen Teilen der sogenannten Pinken Welle – den Wahlsiegen mehrerer linksgerichteter Kräfte in Lateinamerika in den 2000er und frühen 2010er Jahren, die die neoliberale Orthodoxie in Frage stellten und das Thema soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund stellten.

Zwischen 2005 und 2019 erlebte Uruguay eine Phase robusten sowie breitenwirksamen Wachstums. Das Land wurde als Erfolgsgeschichte der Region gefeiert. Die Sozialausgaben stiegen deutlich an. So gab es ein breit ausgebautes Transferprogramm, das über 30 Prozent der Haushalte erreichte, sowie umfassende Gesundheitsreformen, die einen universellen, gerechten Zugang zu medizinischer Versorgung sicherstellten. Die Maßnahmen trugen zu einem beeindruckenden Rückgang der Armut bei: von fast 40 Prozent im Jahr 2005 auf unter neun Prozent 2019. Damit war Uruguay das Land mit der geringsten Armut und Ungleichheit in ganz Südamerika.

2019 begann sich Pepes Gesundheitszustand zu verschlechtern und er entschied sich, nicht für eine weitere Amtszeit als Präsident zu kandidieren. Kurz darauf zog er sich vollständig aus der offiziellen Politik zurück, setzte jedoch sein politisches Engagement bis zu seinem Lebensende fort. So half er im Februar 2024 bei der Organisation eines transnationalen Treffens progressiver Aktivistinnen, Gewerkschaftsvertreter und gewählter Politikerinnen im brasilianischen Foz do Iguaçu, bei dem zu mehr Internationalismus in Lateinamerika aufgerufen wurde.

Authentizität mit Substanz

Aus Pepes Geschichte lassen sich viele Lehren ziehen. Es gibt jedoch drei Aspekte, die sich auch über Lateinamerika hinaus verallgemeinern lassen. Eine erste Lehre ist, dass Authentizität auch vom größten PR-Team nicht »designt« und gekauft werden kann. In der Wahlpolitik und der politischen Interessenvertretung wird oft die Binsenweisheit wiederholt, dass man authentisch zu den Menschen sprechen muss, die man vertreten möchte. Anders gesagt: Sie müssen das Gefühl haben, dass man einer von ihnen ist. Pepe hat jedoch gezeigt, dass die wahre Substanz von Authentizität in der getätigten Politik an sich liegt – in der tatsächlichen Arbeit, den Bemühungen, den Entscheidungen.

Mujica hat demonstriert, dass Authentizität mehr ist als nur Messaging oder Selbstdarstellung: Sie ist eine Folge des tatsächlich gezeigten politischen Engagements. Sein global rezipiertes Image als »der ärmste Präsident der Welt« war kein PR-Gag. Er pflegte gemeinsam mit seiner Partnerin Lucía Topolansky (die selbst Politikerin und Senatorin sowie Vizepräsidentin war) während seiner vierzig Lebensjahre nach der Diktatur einen kargen Lebensstil. Das war weniger eine Entscheidung als vielmehr ein Abbild dafür, was er als seine Verpflichtung gegenüber dem uruguayischen Volk und der Welt ansah.

Bevor er die Präsidentschaft gewann, wurde Pepe von einem Großteil der uruguayischen Mainstream-Medien als ungeeigneter Kandidat angesehen. Er erschien als zu ruppig. Mujica war zwar charismatisch, aber er beging immer wieder Fauxpas und brach mit den etablierten Normen für gewählte Amtsträger. Politische Kommentatoren sahen seine Weigerung, die Insignien und Privilegien seines hohen Amtes anzunehmen, als Beweis dafür, dass es ihm an Seriosität mangele. Mujica jedoch sprach mit Stolz über seine minimalistische Lebensweise. Er erklärte: »Ich bin nicht arm. Meine Definition von arm sind diejenigen, die zu viel brauchen. Denn wer zu viel braucht, ist nie zufrieden.«

Es war eine besondere Weltanschauung, geprägt von gelebter Erfahrung und beeinflusst von den Erkenntnissen der marxistischen politischen Ökonomie. In einem bewegenden Interview erläuterte er seine Philosophie weiter: »Entweder schafft man es, mit sehr wenig glücklich zu sein – mit leichtem Gepäck, denn das Glück liegt in einem selbst –, oder man wird nichts erreichen.« Da wir jedoch »eine konsumorientierte Gesellschaft geschaffen haben und die Wirtschaft immer weiter wachsen muss – denn wenn sie das nicht tut, ist das eine Tragödie –, haben wir einen Berg überflüssiger Bedürfnisse geschaffen«. Dabei müssten Dinge stets erneuert werden; Leben sei lediglich »kaufen und wegwerfen, während wir in Wirklichkeit unsere Lebenszeit verschwenden«.

Ein Journalist, der über mehrere uruguayische Präsidenten berichtet hat, erzählte mir, wie Mujica sich von anderen abhob – sogar von seinem Parteigenossen, dem Präsidenten Tabaré Vázquez. Während die meisten Präsidenten die Presse auf Distanz hielten, habe Mujica Reporter als Gleichgestellte verstanden. Auf Auslandsreisen verzichtete er auf Sicherheitspersonal und verließ sein Hotelzimmer des Öfteren im Pyjama, um mit den Journalisten an der Hotelbar etwas zu trinken.

»Einige Linke bezeichnen Mujica hinter vorgehaltener Hand nach wie vor als Caudillo, als eine Art ›starker Mann‹. Dennoch: Seine Lebensweise blieb nah an jener der einfachen Menschen und verschaffte ihm eine kritische Perspektive, wenn er Ratschläge von hochdekorierten Fachleuten und der Wirtschaftselite erhielt.«

Er nutzte diese Beziehungen und Freundschaften zur Presse jedoch nicht, um sein eigenes Image aufzubessern. Als ihm eine Frage zu seiner Regierungsbilanz in Sachen Armut in Uruguay gestellt wurde, weigerte Mujica sich, sich selbst zu loben. »Wir haben ziemlich viele Menschen aus extremer Armut befreit«, räumte er immerhin ein, »aber wir haben sie nicht zu Bürgern gemacht – wir haben sie nur zu besseren Konsumenten gemacht. Und das ist unser Versagen.«

Dennoch sprechen die Zahlen für sich: Unter Mujica sank die Armutsquote von 21 auf 9,7 Prozent, die Reallöhne stiegen um fast vier Prozent pro Jahr und das BIP pro Kopf wuchs um durchschnittlich 4,4 Prozent jährlich. Die Sozialausgaben erhöhten sich von 21 auf 23 Prozent des BIP, wodurch das soziale Sicherheitsnetz erweitert und die staatlichen Leistungen für Arbeiter- und Mittelschichtfamilien gestärkt wurden. Auch die Ungleichheit verringerte sich: Der reale Mindestlohn stieg um 37 Prozent, während der Anteil des reichsten Zehntels am Nationaleinkommen um mehr als zehn Prozent [sechs Prozentpunkte] abnahm. Nach allen gängigen Maßstäben hat Mujica somit die Kernversprechen der Linken erfüllt. Er weigerte sich lediglich, die Lorbeeren dafür anzunehmen.

Pepes Lebensstil spiegelte genau wider, wer er war und welche politischen Verpflichtungen er gegenüber der Gesellschaft hatte. Die Lehre daraus ist: Unsere Anführer sollten uns nicht nur vertreten, sondern Teil von uns sein und bleiben. Entscheidend ist, wie sie in einer wechselseitigen Beziehung zu uns stehen – wie sie uns Respekt entgegenbringen und wie sie ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft erfüllen.

Allzu oft erleben wir in der Politik das Gegenteil. Politikerinnen und Politiker, die einst zu uns gehörten, suggerieren, dass wir ihnen für ihren persönlichen Erfolg Respekt schulden. In Wirklichkeit haben sie jedoch einen Ausweg aus ihrer sozialen Herkunft gefunden – eine Loslösung von genau den Gemeinschaften, die sie zu vertreten vorgeben. Indem sie die Insignien ihres Amtes, die Protokolle und Privilegien annehmen, binden sie sich an ihre Machtposition und bilden eine materielle Verbundenheit mit der Elite. Irgendwann verfallen sie dann dem Glauben, dass die Wiederwahl das Einzige ist, was zählt.

Eine materielle Verbundenheit mit der Mehrheit kann dazu beitragen, diese Tendenzen, die mit der Ausübung staatlicher Macht einhergehen, abzumildern. Sicherlich wird man ohne ein gewisses Maß an Machtstreben nicht Präsident; und einige Linke bezeichnen Mujica hinter vorgehaltener Hand nach wie vor als Caudillo, als eine Art »starker Mann«. Dennoch: Seine Lebensweise blieb nah an jener der einfachen Menschen und verschaffte ihm eine kritische Perspektive, wenn er Ratschläge von hochdekorierten Fachleuten und der Wirtschaftselite erhielt.

Rechenschaft braucht Strukturen

Die zweite Lektion, die wir von Pepe lernen können, betrifft die Frage, wie man sicherstellt, dass persönliche Überzeugungen zu politischen Ergebnissen führen. In modernen demokratischen Systemen ist es schwierig, echte Rechenschaftspflicht gegenüber der Arbeiterklasse und sozialen Bewegungen zu wahren. Immer wieder haben Aktivisten es geschafft, ihnen freundlich gesinnte Politiker in Ämter zu bringen – nur um dann mitansehen zu müssen, wie diese dem Druck von Unternehmen und Neoliberalen nachgaben.

Oder umgekehrt versuchen Politiker, die Kontrolle über ein politisches System zu erkämpfen und zu halten – und wenden sich dabei letztlich dem Autoritarismus zu. Es gibt zu wenige institutionelle Mechanismen, die es gewählten Amtsträgern ermöglichen, diese Entwicklung zu vermeiden und eine konsequent progressive Politik durchzusetzen, insbesondere wenn sie auf anhaltenden Widerstand seitens der Medien, der Unternehmen und des politischen Establishments stoßen.

Außergewöhnliches politisches Talent allein reicht also nicht aus. Ohne strukturelle Unterstützung stehen die Chancen für Enttäuschung sehr gut. Ohne eine dauerhafte, unabhängige Struktur hinter und über die Wahlkämpfe hinaus kann Rechenschaft gegenüber der Allgemeinheit nicht garantiert werden.

»Wenn Organisationen versuchen, ihre Basis einzubeziehen, geschieht dies in der Regel in einer begrenzten beratenden Funktion, zum Beispiel durch die Aufnahme eines symbolischen Vertreters der Basis in ein Vorstandsgremium – von dem dann freilich erwartet wird, dass er sich anpasst und den Beschlüssen der Führung zustimmt.«

Zweifellos war Pepe Mujica ein außergewöhnliches politisches Talent, aber es war die einzigartige Struktur der Frente Amplio mit ihrer Rechenschaftspflicht, die es ihm ermöglichte, standhaft zu bleiben und immer wieder auf seine Basis einzugehen. Sie ist ein bedeutendes Beispiel für eine echte Massenbewegung in Lateinamerika. Durch die Schaffung von Mechanismen, die sie eng an die Interessen und Anliegen ihrer Anhängerinnen und Anhänger an der Basis binden, ist die Frente eine besonders wertvolle Blaupause für ernsthaft partizipative Politik.

Dabei ist die Frente Amplio keine Partei im strikten Sinne. Sie ist ein Zusammenschluss aus politischen Bewegungen, darunter die MPP, in Verbindung mit einem Netzwerk lokaler Basiskomitees. Diese Basisgruppen organisieren Mitglieder in ihren Nachbarschaften, regen Debatten an, mobilisieren Unterstützung und stellen eine direkte Verbindung zwischen unterschiedlichen Nachbarschaften, Communities und Gemeinden mit der Parteiführung her. Die Komitees sind außerdem der Ausgangspunkt für ehrenamtliche Arbeit im Wahlkampf. Darüber hinaus treffen sie sich regelmäßig, um politische Vorschläge zu diskutieren und Delegierte zu wählen, die dann wiederum an wichtigen nationalen Entscheidungsprozessen teilnehmen. Die Hälfte der Delegierten im Nationalen Plenum (dem höchsten Entscheidungsgremium der Frente Amplio) sowie eine große Zahl in anderen verantwortungsvollen Positionen stammen aus diesen Basiskomitees.

Obwohl die Komitees heute nicht mehr so aktiv sind wie früher, prägen sie weiterhin die interne Dynamik der Frente Amplio, sie schaffen und stärken ein ungewöhnlich hohes Maß an politischer Beteiligung. Die interne Entscheidungsgewalt in der Koalition basiert nämlich nicht ausschließlich auf den bei den Parlamentswahlen erzielten Stimmenanteilen: Das System belohnt Gruppierungen, die starke, aktive lokale Netzwerke aufbauen können. In der Praxis funktioniert dies nicht immer perfekt: Die Komitees werden manchmal ignoriert oder sie werden übermäßig parteiisch. Dennoch wird ein Maß an Rechenschaftspflicht gegenüber den Wünschen der Basis erreicht, das in der modernen Wahl- und Parteipolitik selten zu finden ist.

Diese Struktur war für Mujicas Aufstieg von entscheidender Bedeutung. Gemäßigte Fraktionen innerhalb der Frente Amplio – meist wohlhabendere Angehörige der Mittelschicht und Staatsbeamte – standen ihm oft misstrauisch gegenüber. Diese Gruppen hatten erheblichen Einfluss und stellten Führungskräfte wie Tabaré Vázquez, diverse Finanzminister und viele der Politik- und Verwaltungsfachleute der Allianz. Doch obwohl sie für den Mainstream attraktiv waren und immense Ressourcen zu Verfügung hatten, wurde dies durch die etablierte interne Struktur der Frente Amplio ausgeglichen, da den Stimmen organisierter Aktivistinnen und Aktivisten ein ähnliches Gewicht gewährt wurde.

»Mujica war sowohl politisch versiert als auch eng genug mit seiner Basis vernetzt, um offen auf diese externen Forderungen zu reagieren. Er erkannte die Dynamiken, blieb flexibel und vermied es, sich starr an einen festgelegten Plan zu halten.«

Diese Struktur trug nicht nur zum politischen Aufstieg Mujicas bei, sondern sorgte auch dafür, dass er nach seinem Amtsantritt in die Verantwortung genommen werden konnte. Es waren diese Organisationsstrukturen – und nicht nur seine persönlichen Überzeugungen –, die dafür sorgten, dass Mujica mit den Gemeinschaften, die ihn an die Macht gebracht hatten, in enger Verbindung blieb.

Die Strukturen in anderen Ländern mögen es schwierig machen, eine solche Organisationsform zu replizieren. Doch Aktive können Schritte in diese Richtung unternehmen, indem sie innerhalb der Organisationen interne Demokratie durchsetzen. Wir können fragen: Inwiefern kodifizieren Institutionen wie Parteien – über den reinen Wahlkampf hinaus – ihre Rechenschaftspflicht gegenüber sozialen Bewegungen? In der Welt der NGOs, der Politikforschung und der Lobbyarbeit gibt es viele Ansätze, die vorgeben, die Interessen der einfachen Menschen widerzuspiegeln, aber in Wirklichkeit von den Entscheidungen von Nonprofit-Vorständen, philanthropischen Geldgebern und politischen Beratern bestimmt werden. Wenn Organisationen versuchen, ihre Basis einzubeziehen, geschieht dies in der Regel in einer begrenzten beratenden Funktion, zum Beispiel durch die Aufnahme eines symbolischen Vertreters der Basis in ein Vorstandsgremium – von dem dann freilich erwartet wird, dass er sich anpasst und den Beschlüssen der Führung zustimmt.

Stattdessen sollten Gruppen dem Beispiel der Frente Amplio folgen und den Aufbau von Strukturen priorisieren, mit denen gewählte Personen von denjenigen Menschen, die sie ins Amt gebracht haben, nicht nur unterstützt, sondern auch in die Pflicht genommen werden. Ohne eine solche dauerhafte Infrastruktur werden progressive Führungsfiguren stets allein gegen Systeme kämpfen müssen, die darauf ausgelegt sind, sie zu absorbieren, zu kooptieren oder zu isolieren.

Den Druck aufrechterhalten

Der Fokus auf interne Rechenschaftsstrukturen setzt sich fort in der dritten Erkenntnis, die wir aus Mujicas Karriere ziehen können: der Bedeutung aktiver und unabhängiger sozialer Bewegungen außerhalb der gewählten Regierung oder politischen Partei.

Mujicas persönliche Überzeugungen und die Organisationsstruktur der Frente Amplio haben seinen Führungsstil geprägt. Allerdings ging die treibende Kraft hinter vielen der progressiven Reformen Uruguays während seiner Präsidentschaft von einer breiteren Palette an Kräften aus, die außerhalb der Machtzentren wirkten. Die Forderungen sozialer Bewegungen – der »Druck von außen« – erwiesen sich als entscheidend dafür, einige besonders bedeutende Veränderungen herbeizuführen.

Kürzlich sprach ich mit einem einstigen engen Berater von Pepe, einem überzeugten Leninisten und vormaligen Beamten. Es war ihm sichtlich peinlich zuzugeben, dass es in Uruguay keine formelle Kaderstruktur oder eine strenge Struktur der Mitbestimmung durch Bewegungen gibt, die über reine Wahlkampfbündnisse hinausgeht. Obwohl die Frente Amplio über eine starke Basis verfügt, seien ihre Beziehungen zur Zivilgesellschaft und zu breiteren sozialen Bewegungen eher sporadisch, oft informell, manchmal sogar antagonistisch gewesen. Selbst unter der progressivsten Regierung wurden wichtige Entscheidungen letztlich von Mujica und seinem inneren Kreis getroffen.

»Dies ist eine wichtige Lektion für soziale Bewegungen, die progressiven Wandel herbeiführen wollen: Verbündete in den Ämtern zu haben, selbst einen Präsidenten mit echtem politischem Engagement für die Bevölkerung, reicht nicht aus.« 

Allerdings waren viele der Erfolge von Mujicas Präsidentschaft ursprünglich nicht von ihm selbst angestrebt worden. Die Legalisierung von Marihuana, legale Schwangerschaftsabbrüche und die gleichgeschlechtliche Ehe wurden zu symbolträchtigen Reformen seiner Regierung, standen jedoch zunächst nicht auf seiner persönlichen Agenda. Vielmehr waren sie das Ergebnis des Drucks gut organisierter sozialer Bewegungen.

Mujica war sowohl politisch versiert als auch eng genug mit seiner Basis vernetzt, um offen auf diese externen Forderungen zu reagieren. Er erkannte die Dynamiken, blieb flexibel und vermied es, sich starr an einen festgelegten Plan zu halten. Die Reformen sollten zu einigen der wichtigsten Errungenschaften während seiner Amtszeit werden – aber er musste dazu gedrängt werden, sich für sie einzusetzen.

Die Legalisierung von Marihuana beispielsweise wurde von diversen Aktivistinnen und Aktivisten vorangetrieben, die sowohl gegen festgefahrene internationale Drogenpolitikansätze als auch gegen den lokalen Konservatismus ankämpften. Gruppen wie die Asociación de Estudios de Cannabis del Uruguay und Proderechos organisierten Demonstrationen, lobbyierten bei Gesetzgebern und hielten das Thema in den Medien präsent. Auf lange Sicht machte dies Veränderungen politisch trag- und umsetzbar. Ihre Bemühungen trafen mit dem wachsenden Druck zusammen, kreative Strategien zur Bekämpfung des Drogenhandels zu finden, nachdem der von den USA angeführte »War on Drugs« offensichtlich gescheitert war.

Als Cannabis-Aktivisten Anfang der 2000er Jahre begannen, sich zu organisieren, war die öffentliche Meinung zunächst gegen sie: Zwei Drittel der uruguayischen Bevölkerung lehnten eine Legalisierung ab. Mujica selbst äußerte Vorbehalte. In einem Interview sagte er: »Glauben Sie nicht, dass ich Marihuana verteidigen würde. […] Liebe ist die einzige gesunde Sucht auf der Erde. Alle anderen Süchte sind eine Plage, nur dass ihre Schäden unterschiedlich stark sind.« Die Legalisierungsbewegung konnte dennoch an Einfluss gewinnen, indem sie ihr Anliegen mit einer umfassenderen Strategie für mehr Rechte verband, die von Studierenden, LGBTQ-Gruppen, Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Kräften unterstützt wurde.

Im Jahr 2012 führte die zunehmende Angst vor Gewalt in den Städten zu einer intensiven Sicherheitsdebatte. Die Legalisierung wurde inzwischen in vielen Kreisen als Sicherheitsmaßnahme verstanden sowie als Möglichkeit, die Profitquellen der Drogenkartelle trockenzulegen und Cannabis von härteren Drogen abzugrenzen. 2013 war Uruguay dann das erste Land der Welt, das Marihuana für den Privatkonsum legalisierte. Letztendlich waren es die Unterstützung von Mujica und die Mehrheit der Frente Amplio im Kongress, die das Legalisierungsgesetz über die Ziellinie brachten. Doch vor allem war es die unermüdliche Organisierung der sozialen Bewegungen, die das Thema Marihuana-Legalisierung von einer randständigen, argwöhnisch betrachteten und unpopulären Forderung in einen politischen Erfolg verwandeln konnte.

»Ich habe meine Jahre damit verbracht, zu träumen, zu kämpfen, zu ringen.«

Dies ist eine wichtige Lektion für soziale Bewegungen, die progressiven Wandel herbeiführen wollen: Verbündete in den Ämtern zu haben, selbst einen Präsidenten mit echtem politischem Engagement für die Bevölkerung, reicht nicht aus. Soziale Bewegungen treiben politische Gestaltungsmöglichkeiten voran, erweitern das Overton-Fenster und zwingen gegebenenfalls gewählte Amtsträger, ihre Komfortzone zu verlassen. Politische Macht, selbst wenn sie von wohlmeinenden Personen ausgeübt wird, wird durch institutionelle Trägheit, gegenläufige Interessen und Grenzen des politischen Willens eingeschränkt.

Die Geschichte Uruguays unterstreicht die Bedeutung von anhaltendem Druck, strategischer Agitation und öffentlichem Engagement. Ziel muss es sein, Themen über Wahlzyklen hinaus sowie auch innerhalb der Machtkorridore immer präsent zu halten. Verbündete in öffentlichen Ämtern mögen Türen öffnen, aber Bewegungen müssen sie durchschreiten. Mujica beschrieb sich selbst oft als zurückhaltend, sogar skeptisch, aber er war auch ungewöhnlich offen für Druck von außen und von unten. Im Gegensatz zu Politikern, die sich nach ihrer Amtsübernahme abschotten, hielt Mujica die Tür immer einen Spaltbreit offen.

Noch viel zu lernen

Das Vermächtnis von Pepe Mujica besteht nicht nur aus den Gesetzen, die unter seiner Führung verabschiedet wurden, sondern auch aus der Art und Weise, wie er eine andere Form der Politik verkörperte: eine bodenständige Politik, eine Politik mit strikter Rechenschaftspflicht und eine Politik der demokratischen Teilhabe. Er betonte, dass echte Führungsstärke aus Erfahrungen aus dem gelebten Alltag hervorgehen muss und dass demokratische Institutionen nur dann gedeihen können, wenn die Zivilgesellschaft stark genug ist, um die Machthaber immer und immer wieder zur Rechenschaft zu ziehen.

Im Jahr 2024 offenbarte Mujica bei Orsis Wahlsiegfeier den Versammelten, dass er mit dem Tod kämpft: »Ich bin ein alter Mann, der kurz davor steht, sich auf eine Reise zu begeben, von der man nicht zurückkehrt. Aber ich bin glücklich! […] Denn wenn meine Hände nicht mehr hier sind, wird es Tausende andere geben, die den Kampf weiterführen. Mein ganzes Leben lang habe ich gesagt, dass die besten Führer diejenigen sind, die ein Kollektiv hinterlassen, das sie bei weitem übertrifft – und heute seid ihr alle hier.«

Kurz darauf fügte er im Rückblick auf sein Leben hinzu: »Ich habe meine Jahre damit verbracht, zu träumen, zu kämpfen, zu ringen. Sie haben mich windelweich geprügelt und noch viel mehr. Das ist egal; ich habe keine Rechnungen zu begleichen.«

Guillermo »Guille« Bervejillo ist Senior Research Associate am Whirlwind Institute und Research Fellow am Ayni Institute. Der Wirtschaftsgeograf, Autor und Aktivist befasst sich mit lateinamerikanischer Geopolitik, politischer Ökonomie und sozialen Bewegungen.