30. März 2023
So einfach ist es nicht. Der Export macht den Unterschied.
»Im Süden dominierten lange Zeit die Linkspopulisten und im Norden die Rechtspopulisten.«
Illustration: Andreas FaustPandemie, Ukraine-Krieg, Energieknappheit, die Rückkehr der Inflation, das Klima – die schnelle Abfolge von Problemlagen mit ganz unterschiedlichen Verteilungsimplikationen hat zuletzt auch Europas Populisten herausgefordert. So begann etwa Giorgia Melonis Aufstieg in Opposition zur Technokratenregierung von Mario Draghi nicht mit einer Corona-Verharmlosungsstrategie, mit der sich die Lega unter Matteo Salvini verspekuliert hatte, sondern mit dem ständigen Ruf nach einer noch härteren und konsequenteren Lockdown- und No-Covid-Politik. Und nun löst sich vor unseren Augen die für die PiS- und Fidesz-Regierung so wichtige europapolitische Vetokoalition zwischen den ungarischen und polnischen Rechtspopulisten angesichts ihrer ganz unterschiedlichen Haltung zum russischen Angriffskrieg auf.
Während im Nachwirken der Finanz- und dann der Eurokrise zunächst Linkspopulisten im Süden Europas an die Macht kamen – etwa Syriza oder Podemos –, bescherte die damit zeitlich überlappende Migrationskrise der polnischen PiS im Oktober 2015 einen Wahlsieg und verhalf der AfD im Jahr 2017 zu ihrem Einzug in den Bundestag, was vor allem als Antwort auf den Versuch Merkels und Junkers zu werten war, im Bruch mit etablierten Abstimmungsregeln im Europäischen Rat EU-weite verbindliche Verteilungsquoten für Flüchtlinge durchzusetzen.
Doch während die Folgen der Euro-Krise ab 2017 in den vormaligen Krisenländern nur noch abgeschwächt spürbar waren – in Ländern wie Griechenland, Italien, Spanien kehrte das Wirtschaftswachstum zurück, die staatliche Refinanzierung war in Zeiten der Nullzinsen deutlich unproblematischer geworden, die Spreads im Euroraum zurückgegangen –, traten andere Probleme in den Vordergrund, und mit ihnen andere politische Akteure, die aus ihnen elektoral Honig saugen konnten.
Hinzu kamen die Entzauberung und Abnutzungserscheinungen durch die Kompromisszwänge des Regierens und die damit verbundenen Enttäuschungen, die populistische Parteien vermutlich härter als etablierte Parteien treffen. Und von diesen Etablierten gibt es zugleich in einigen Parteiensystemen gar nicht mehr so viele, sodass der Protest nun wesentlich zwischen den populistischen Polen hin- und her pendelt: Fratelli und Co. folgen auf Movimento 5 Stelle plus Lega – eine Koalition, die ja selbst schon ein ganz seltsames populistisches Mischwesen aus Links und Rechts darstellte. Abzuwarten bleibt, ob auch in Spanien bald das Pendel zurückschwingen wird, und auf PSOE und Podemos eine Koalition aus Partido Popular und Vox folgen könnte.
Nur PiS und Fidesz scheinen weiterhin relativ unangefochten. Beide Parteien kamen zeitversetzt an die Macht: Orbán im Kontext der Finanzkrise 2010, die Kaczynskis fünf Jahre später in dem, was als Migrationskrise wahrgenommen wurde. Beide Länder haben sich über den betrachteten Zeitraum wirtschaftlich gut entwickelt. Im Jahr 2018 betrugen die BIP-Wachstumsraten in Ungarn und Polen jeweils 5,4 und 5,9 Prozent. Bis 2021 ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt unter der PiS-Regierung, also seit 2015, um 5.500 US-Dollar gestiegen, und seit 2010 um den exakt gleichen Betrag unter der Fidesz-Regierung. Wenn der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen behauptete, »populistische Revolten erheben sich selten in guten Wirtschaftszeiten««, dann wird man diese Einschätzung wohl ergänzen und entscheidend qualifizieren müssen: Vor allem scheinen sich populistische Revolten in guten Wirtschaftszeiten weniger vor einer Abwahl fürchten zu müssen.
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Philip Manow ist Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Bremen. Er forscht zu Wohlfahrtsstaaten, der europäischen Integration, der politischen Theorie, dem Populismus und dem deutschen politischen System.