20. September 2021
Olaf Scholz und Annalena Baerbock zielen eine Woche vor der Wahl auf Rot-Grün, während Armin Laschet offenbar bereits aufgegeben hat. An der Bevölkerung reden die Parteien des Zentrums jedoch alle vorbei.
Mehr Einigkeit als Unterschiede: In der Debatte zeigte sich einmal mehr, wie sehr sich die Parteien des politischen Zentrums inhaltlich gleichen.
Das letzte Triell der Kontrahenten von SPD, CDU und Grünen begann mit einem Einspieler auf der Straße. Die Passanten fassen zusammen: Kandidaten und Programme überzeugen nicht, die Parteien gleichen sich zu sehr, der Wahlkampf ist langweilig. Damit ist in den ersten Minuten bereits alles gesagt. Denn in der gestrigen Debatte bestätigten Scholz, Baerbock und Laschet den Eindruck der Menschen noch einmal eindeutig.
Überraschend war allerdings, dass das Thema soziale Gerechtigkeit gerade auf den Privatsendern Prosieben, Sat.1 und Kabel Eins direkt zu Beginn eine halbe Stunde – und damit ein Drittel der gesamten Sendezeit – einnahm. Bei Armut, Mindestlohn und Hartz IV fragten die Moderatorinnen genauer nach. Linda Zervakis etwa wollte von Olaf Scholz wissen: »Was kostet denn ein Leben in Würde, 500 Euro?« Auch die Tatsache, dass die SPD die Hartz-Gesetze selbst zu verantworten hat, blieb dabei nicht unerwähnt.
Den zugespitzten Fragen von Linda Zervakis und Claudia von Brauchitsch konnten sich die drei Kandidierenden nur schwer entziehen, was das letzte Triell insgesamt zum spannendsten, weil konkretesten machte. In keiner der vorigen Runden wurde den Themen soziale Gerechtigkeit, Pflege, Corona und sogar rechtsextreme Anschläge neben der dominanten Klimafrage so viel Raum gegeben. Dadurch wurde allerdings auch klar, dass sich die Parteien nur in wenigen Bereichen voneinander unterscheiden.
Auch diese erfrischend andere Diskussionsführung hat weder erstaunliche Antworten zutage geführt noch einen Einfluss auf den aktuellen Trend: In den Umfragen nach dem Triell führt Scholz weiterhin deutlich vor Laschet und Baerbock als überzeugendster Kandidat. Nur der eindeutige Wunsch nach Rot-Grün wurde an diesem Abend so stark bekräftigt wie noch nie in diesem Wahlkampf.
In der Sozialpolitik schien es zwischenzeitlich so, als hätten sich Scholz und Baerbock bereits vor der Sendung auf Rot-Grün unter seiner Kanzlerschaft eingeschworen. Gemeinsam verständigte man sich in der Sendung darauf, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben, eine Kindergrundsicherung einzuführen und das Sanktionsregime zu reformieren – keine Entschuldigung für die Agendapolitik, eher zaghafte Versuche ihrer Überwindung unter dem Namen »Bürgergeld« (SPD) und »Garantiesicherung« (Grüne). Das ist kein krasser Bruch mit der Politik der Großen Koalition. Das ist maximal eine sozialpolitische Nachkorrektur.
Baerbock, die öfter von Kindern und Alleinerziehenden sprach als eine Kita-Leiterin, schien die Kanzlerschaft für sich bereits aufgegeben zu haben. Scholz konnte sich weitestgehend zurücklehnen und überließ ihr die inhaltlichen Ausführungen als auch die Angriffe auf Armin Laschet. Der von Baerbock viel beschworene Aufbruch bleibt vermutlich nicht nur an diesem Abend aus.
Aufgegeben hat auch Armin Laschet, der es fertig brachte, mit der längsten Redezeit beeindruckend wenig zu sagen. Weiterhin laviert er sich wie ein trotziges Kind durch die Endzüge dieses Wahlkampfs. Selten sagt er Konkretes und wenn, dann nimmt er es mit den Fakten nicht so genau (erneut griff er Baerbock beim Thema Steuererhöhungen an, was sie wieder korrigieren musste). Für Scholz und Baerbock war es damit besonders leicht, sich gemeinsam von diesem etwas trotteligen und zuweilen lügenden Rheinländer abzugrenzen. Doch wirklich gekämpft hat in diesem Wahlkampf niemand. Das herbeigesehnte rot-grüne Bündnis kristallisiert sich nun erst auf den allerletzten Metern heraus – jetzt, wo man sich immer eindeutiger zutraut, die CDU aus der Regierung rauskegeln zu können.
Doch auch das ist kaum von Bedeutung, wenn sich SPD und CDU etwa bei der Klimapolitik so sehr angenähert haben, dass sie sich kaum voneinander unterscheiden. So fordern beide Parteien, die Kohleförderung noch bis 2038 weiter zu betreiben. Scholz versuchte, sich mithilfe von technischen Finessen über die Hydrolyse oder der EEG-Umlage aus der Schlinge zu ziehen, die wirklich zentralen Fragen ließ er jedoch unbeantwortet: Wie will er die Jobs, die in der fossilen Stromversorgung wegfallen werden, tatsächlich retten und wie will er die ambitionierten Klimaziele erreichen, wenn seine größere Sorge doch zu sein scheint, möglichst schnell die Schulden wieder abzutragen? Darauf liefert der mögliche nächste Kanzler den Menschen in diesem Land keine Antworten. Er windet sich fortwährend und befindet sich auch tatsächlich in einem Dilemma, weil das nun von ihm ersehnte Duo aus Roten und Grünen noch keine Mehrheit hat. Er wird vermutlich entweder auf die FDP angewiesen sein und in einer Ampelkoalition Teile des Programms in den Wind schießen müssen oder er wird das unbeliebte rot-grün-rote Bündnis eingehen, wonach es trotz allen Linksrutsch-Warnungen der Konservativen weiterhin nicht aussieht.
So bleibt der Eindruck, den die Passanten auf der Straße zu Beginn des Triells formulierten, unweigerlich nach dem Ende der Sendung haften: Die Parteien des politischen Zentrums haben sich derart aneinander angenähert, dass Unterschiede nur noch in Teilbereichen erkennbar werden. Das Spektrum der Kandidaten, die zur Wahl stehen, reicht von technokratischer Führung (Scholz) über zaghafte familienfreundliche Politik (Baerbock) bis hin zu einem inhaltlichen wie führungsmäßigen Totalausfall (Laschet). Scholz profitiert davon, sich als der passendste Nachfolger für den Merkelismus positionieren zu können. Doch den zentralen Anforderungen unserer Zeit wird diese Politik nicht gerecht. Das haben alle drei Trielle und der gesamte Wahlkampf bisher eindrucksvoll bewiesen.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.