05. August 2024
Podemos wurde vor zehn Jahren als Anti-Establishment-Partei gegründet, um der Unzufriedenheit der breiten Massen eine Stimme zu geben. Doch schon bald wurde die Partei von progressiven Akademikern dominiert. Die Folge: Die Arbeiterklasse fühlt sich von der Partei nicht vertreten.
Pablo Iglesias zählt zu den Gründern von Podemos.
In diesem Jahr feiert Podemos ihren zehnten Geburtstag. Die Partei entstand drei Jahre nach der 15M-Bewegung, den Massenprotesten in Spaniens Großstädten gegen die Austeritätspolitik. In den ersten Tagen schien damals alles möglich zu sein: Podemos lag in nationalen Umfragen schon bald mit über 20 Prozent der potenziellen Stimmen an der Spitze. Es sah ganz danach aus, als könnte die neue linke Kraft die sozialdemokratische PSOE überholen und ein Erdbeben im Parteiensystem auslösen, das seit dem Übergang zur Demokratie in den späten 1970er Jahren relativ stabil gewesen war.
Doch es hat sich viel geändert. Heute hat die Podemos-Fraktion im spanischen Kongress nur noch vier Abgeordnete (auf ihrem Höhepunkt waren es 71). Bei den EU-Parlamentswahlen im Juni traten Podemos und die Abspaltung Sumar getrennt an und erreichten lediglich 3,3 beziehungsweise 4,7 Prozent.
Podemos trat vor zehn Jahren mit einer populistischen Strategie an, die von der Arbeit des politischen Theoretikers Ernesto Laclau inspiriert war. Man wandte sich von traditionellen Argumentationsmustern, Diskursen und Symboliken der Linken ab und versuchte, das »Volk« beziehungsweise die »normalen Leute« zu erreichen. Doch schon nach den ersten Erfolgen kam es zur Spaltung in zwei gegensätzliche Fraktionen innerhalb der Partei.
»Der Stern von Podemos leuchtete hell – und verglühte ebenso schnell.«
Die erste Gruppe unter Pablo Iglesias (Pablismo) trat zunehmend für eine Rückkehr zu einer offen linken Identität ein. Die andere große Führungspersönlichkeit von Podemos, Íñigo Errejón, versammelte stattdessen diejenigen hinter sich, die den weniger klaren populistischen Kurs beibehalten wollten. Für den Errejonismo war es das Ziel, durch einen absichtlich vieldeutigen Diskurs möglichst breiten Zuspruch beim Wahlvolk zu erzielen. Die Anhänger dieser Strömung spalteten sich schließlich von Podemos ab und gründeten eine eigene Gruppe (Más País), die inzwischen Teil des Sumar-Bündnisses ist.
Der Stern von Podemos leuchtete hell – und verglühte ebenso schnell. Sicherlich gab es ungünstige äußere Bedingungen für die Partei: ein parlamentarisches System und ein Wahlgesetz, das die Dominanz der zwei großen Volksparteien begünstigt, sowie eine beispiellose Medien- und Strafverfolgungskampagne, die darauf abzielte, die Partei zu diskreditieren. Darüber hinaus tauchten im Zuge des beeindruckenden Anfangserfolgs von Podemos bald rechte Parteien auf, die auf ähnliche Weise versuchten, aus den Krisen in der spanischen Gesellschaft Kapital zu schlagen.
Angesichts des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums verschob sich der öffentliche Fokus darüber hinaus im Jahr 2017 von der Wirtschaftskrise auf die drohende Abspaltung der Region. Damit änderte sich auch das Narrativ der Opposition: statt »das Volk gegen die Elite« hieß es nun eher »Katalonien gegen Spanien«.
Die internen Faktoren für den Niedergang von Podemos wurden ebenfalls umfassend analysiert: Diverse Beobachterinnen und Beobachter kritisierten das vertikale Organisationsmodell, den ständigen (internen) Wahlkampfmodus, den »Führerkult« und die schlechte Wahrnehmung von außen aufgrund der ständig schwelenden internen Konflikte.
Neben all den externen und internen Faktoren für den Niedergang von Podemos ist ein Element aber weitgehend übersehen worden: ein gewisser kultureller Elitarismus. Dieser war von Anfang an vorhanden, trat aber später sehr viel deutlicher und in neuen Formen zutage, als Podemos vom eher populistischen Lager zu einer konventionelleren linken Haltung zurückkehrte. Es ist ein Problem, das viele zeitgenössische linke Kräfte in ganz Europa in unterschiedlichem Maße zu betreffen scheint, und daher eine genauere Untersuchung verdient. Um dieses Problem zu verstehen, sollten wir uns kurz die theoretischen Grundlagen von Podemos ansehen – und wie sie sich entwickelt haben.
Laclau definierte Populismus als die Konstruktion einer Grenze, die die Gesellschaft um einen einzigen Widerspruch herum polarisiert: das »Volk« gegen einen »Feind«, der beschuldigt wird, die Forderungen des Volkes systematisch zu ignorieren und zu hintertreiben. Der Populismus dient als Mittel zur Artikulation diverser Missstände in der Auseinandersetzung mit einer Elite. Wenn unterschiedliche Gruppen einen gemeinsamen Feind haben, hören sie auf, sich als untereinander verschieden zu betrachten. So entsteht eine neue Identität, ein neues politische Subjekt, dessen Entstehen zuvor aufgrund interner Spaltungen unmöglich war. Politische, wirtschaftliche oder soziale Krisen können einen solchen Prozess begünstigen oder beschleunigen, denn sie schüren die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und bieten so einen fruchtbaren Boden für die Entstehung einer Frontalopposition gegen das »Establishment« oder die »Elite«.
Dies impliziert zwei Dinge. Erstens müssen die jeweiligen Besonderheiten und Eigenarten der unterschiedlichen Gruppen zumindest teilweise beiseitegelassen werden, um die Entstehung eine solchen neuen gemeinsamen Identität zu ermöglichen. Zweitens muss jede Person, die die Führung des Volkes anstrebt, als dessen »echter« Vertreter identifizierbar sein. Deswegen müssen solche Personen ihre eigenen spezifischen Eigenschaften und Präferenzen zurückstellen, ein gewisses Maß an Zweideutigkeit beibehalten und die Narrative, die sie nach außen präsentieren, sorgfältig auswählen. Anders gesagt: Wenn sie zum Gesicht oder Symbol einer solchen breiten Masse werden wollen, müssen sie gewissen Spielraum und Flexibilität zeigen (eine »leere Signifikante« sein, wie Laclau dies nannte).
»Die Gründer von Podemos haben verstanden, dass sich nur wenige Menschen mit dem Vokabular der Linken identifizieren können – egal, wie sehr die Linke auch die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheit verteidigen mag.«
Die Schlüsselfrage ist also: Wie bringt man Millionen von Menschen dazu, sich mit einer Person oder einer Partei zu identifizieren, sich hinter sie zu stellen? Die Gründer von Podemos haben verstanden, dass sich nur wenige Menschen in Spanien mit dem von der Linken traditionell gewählten Vokabular identifizieren können – egal, wie sehr die Linke auch die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheit verteidigen mag.
Dementsprechend stellten sie nicht nur die Programmatik »das Volk gegen die Elite« in den Mittelpunkt ihres Diskurses, sondern gaben auch traditionelle Zeichen und Symbole auf. So wurde beispielsweise die erhobene Faust durch das Victory-Zeichen ersetzt und als Parteifarbe statt des klassisch-sozialistischen Rot Lila gewählt. Die Ansprache war direkt und umgangssprachlich; Fachjargon, technische Begriffe und die alten Slogans der traditionellen Linken wurden vermieden.
Podemos konzentrierte sich auf aufsehenerregende Werbekampagnen und den Aufbau einer attraktiven Marke. Dies stand im Gegensatz zu dem eher verschachtelten, schwerfälligen und unzugänglichen Stil der traditionellen Linken. Die Partei verstand, dass ein Wahlkampf nicht nur eine Phase ist, in der »geerntet« wird, was in den vergangenen Jahren der politischen Organisation gesät wurde. Vielmehr können im Wahlkampf politische Identitäten in einem schnelleren Tempo aufgebaut und so neue Unterstützung gewonnen werden. Podemos wollte mehr als eine »moralische Integrität« beweisen, von der sich viele Menschen ohnehin nicht angesprochen fühlten.
Gleichzeitig versuchte Podemos, den vermeintlichen »gesunden Menschenverstand« sowie populäre Narrative in den Vordergrund zu stellen. So sprach man beispielsweise unumwunden von der Liebe zur Heimat und präsentierte sich sogar als die einzige wirklich »patriotische Bewegung« (obwohl dieser Begriff seit der Franco-Ära traditionell mit der Rechten assoziiert wurde). Das Ziel war es, eine Art neue, frische spanische Identität zu schaffen, die ihre Wurzeln in einem populär-nationalen Bewusstsein hat. Ziel war es nicht nur, Legitimität zu erlangen, sondern auch die spanische Identität in progressiver Weise neu zu interpretieren und sie so von konservativen Erzählmustern »zurückzuerobern«.
Wer vom »Establishment« spricht, stellt sich vermutlich eine Welt mit dicken weichen Teppichböden, gut gebügelten Anzügen, höflicher Sprache und den tadellosen Umgangsformen großer Staatsführer vor. Pierre Ostiguy nennt das die »hohe« Ebene der Politik. In Zeiten der Stabilität, in denen Regierungen die Forderungen des Volkes ausreichend erfüllen und daher als legitim angesehen werden, wird von den Regierenden erwartet, dass sie sich derart staatsmännisch-gediegen (um nicht zu sagen pompös) geben. Ostiguy erklärt aber weiter: Wenn am Status quo gerüttelt wird, beispielsweise durch Krisen, und die Staatsführung an Legitimität verliert, neigen neu aufstrebende Führungspersönlichkeiten dazu, sich von diesem staatsmännischen Image zu entfernen und zu versuchen, mehr handfeste »Volkstümlichkeit« zur Schau zu stellen.
Dann fokussieren sie sich mit Stolz auf das vermeintlich »Niedere«, das Plebejische oder gar Proletenhafte (wobei die jeweiligen Merkmale von Land zu Land unterschiedlich sind). Dementsprechend beinhaltet eine populistische Strategie nicht nur eine deskriptive Ebene – also die Betonung auf unerfüllte Forderungen mit dem Ziel, eine neue Identität zu schaffen und den gemeinsamen Feind in Form der Elite zu benennen – sondern auch eine performative Ebene: Das »gemeine Volk« muss sich in den Umgangsformen, der Sprechweise und dem Handeln des potenziellen Führers selbst erkennen. Es geht also nicht nur um den wörtlichen Inhalt der Rhetorik, sondern um die Rhetorik und das Auftreten an sich. Wir sehen dies an Personen wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Javier Milei: Alle drei sind für ihre derbe und direkte Art bekannt. Sie gelten als Männer, »die sagen, was ist« und kein Problem damit haben, kontroverse oder politisch inkorrekte Statements abzugeben.
»Als Resultat der Krise 2008 und der anschließenden Rezession sahen sich Millionen von Menschen als gescheiterte Individuen, die für ihren eigenen plötzlichen Ruin selbst verantwortlich sind.«
Diese Identifikation mit einem Führer oder einem politischen Projekt erinnert an die Freud’schen Überlegungen zum Über-Ich. Das Subjekt, mit dem wir uns politisch identifizieren, hat dabei eine doppelte Natur: Es muss unerreichbar und gleichzeitig nachahmbar sein. Es ist immer ungreifbar und in gewisser Weise übergeordnet. So funktioniert es als moralisches Ideal. Es muss uns aber auch nahe genug sein, um irgendwie nachahmbar zu sein. Das befriedigt unsere eigenen narzisstischen Bedürfnisse, da wir uns mit der jeweiligen Führungsfigur identifizieren können. Andersherum gilt: Wenn ein Vorbild unerreichbar wird, erscheint es als rein repressives Element; es erzeugt Gefühle der Minderwertigkeit und Frustration. Langfristig schwindet der Wunsch, einem solchen Modell nachzueifern, und die gespürte Überlegenheit von »denen da oben« wird als nicht gerecht empfunden. Dann entsteht ein politischer Raum für neue Führungspersönlichkeiten.
Dies ist nach Freud die Erklärung für die »Massenpsychologie«: Das Kollektiv findet in seinem charismatischen Führer eine Art externalisiertes, verkörpertes gemeinsames Über-Ich. Eine solche Führungsperson ist jemand, den man nachahmt und in dessen Spiegelbild man sich besser fühlt als im rein moralischen Spiegelbild des Establishments. Als Resultat der Krise 2008 und der anschließenden Rezession sahen sich Millionen von Menschen als gescheiterte Individuen, die für ihren eigenen plötzlichen Ruin selbst verantwortlich sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Politikerinnen und Politiker an beiden Enden des politischen Spektrums auftauchen würden, um ein neues Narrativ zu bieten, in dem die Menschen ihr Schicksal auf eine andere Art und Weise verstehen (oder umdeuten) können. Das lindert Schuldgefühle und Frustration.
Wie Thomas Piketty in seinem brillanten Kapital und Ideologie darlegt, hat sich die soziodemografische Zusammensetzung der Linken und ihrer Anhängerschaft im Westen seit den 1970er Jahren erheblich verändert. Bis dahin richtete die Linke sich mit ihrem Ansatz vor allem an die Arbeiterklasse. Von dort erhielt sie ihre wichtigste Wahlunterstützung, während die Rechte sich sowohl auf die wirtschaftlichen als auch die kulturellen Eliten stützte. Doch der Trend wendete sich. Die Linke sprach immer mehr die kulturellen Eliten an, während die Arbeiterschaft sich zunehmend ihrer Stimme enthielt. Das galt bis kürzlich, als dann der Rechtspopulismus begann, diese vernachlässigten und frustrierten Wählerinnen und Wähler anzusprechen und für sich zu gewinnen.
Spanien ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme; hier verlief der Prozess etwas anders: die PSOE genießt weiterhin relativ hohe Unterstützung unter den arbeitenden Menschen, einschließlich der Schichten mit niedrigerem Bildungsniveau. Im Gegensatz dazu setzt sich die Wählerschaft von Izquierda Unida und Podemos aber überwiegend aus Akademikerinnen und Akademikern zusammen. Der stereotypische spanische Linke besitzt einen gewissen Grad an »kulturellem Kapital«: eine komplizierte und schwer verständliche Ausdrucksweise und eine Ästhetik, mit der die eigene ideologische Positionierung ebenso wie die eigenen hochkulturellen Konsumgewohnheiten gefeiert werden.
»Dies führte zu einem Diskurs, der den Partikularismus gegenüber dem Universalismus privilegiert und den Wählern ein hohes Maß an kulturellem Kapital abverlangt, damit sie sich überhaupt auf diesen Diskurs einlassen können.«
Diese Merkmale können wir als kulturellen Elitarismus bezeichnen. Wie Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron dargelegt haben, erhalten Eliten jeglicher Couleur ihren elitären Status durch die Anhäufung von sogenannten »Elitegütern«, die Exklusivität und Distinktion vermitteln. In materieller Hinsicht bedeutet dies Luxus und hohe Preise; in kultureller Hinsicht eine eingeschränkte Zugänglichkeit zu Thematiken, wobei die kulturellen Eliten diesen Zugang nicht absichtlich einschränken (müssen).
Die Ritualisierung von Kultur, die sie für die meisten Menschen unzugänglich macht, hängt mit dem »Erwerb«, dem Erlernen dieser Kultur selbst zusammen. Alle Eliten erlernen gewisse Umgangsformen, die sie von anderen Menschen unterscheiden und abgrenzen. Dies kann spezifische sprachliche Ausdrucksformen, Referenzen auf kulturelle Nischen und ähnliche Formen der Identifikation beinhalten. Bourdieu nennt dies den »Habitus«.
Kultureller Elitarismus ist natürlich nicht gleichzusetzen mit wirtschaftlichem Elitarismus. Insbesondere in der heutigen Welt ist die Zugehörigkeit zur kulturellen Elite keinesfalls eine Garantie für ökonomischen Wohlstand. Dennoch stellt diese Zugehörigkeit ein erhebliches Hindernis für die Identifikation von und mit Menschen dar, die zwar über ebenso geringe finanzielle Mittel, aber über ein anderes kulturelles Kapital verfügen.
Im Laufe der kurzen Geschichte von Podemos haben einige Personen in der Führungsriege einen starken kulturellen Elitarismus an den Tag gelegt. In Anlehnung an Ostiguys Terminologie könnte man sagen: diese Personen waren anfangs zwar in der Lage, sich von einem gewissen Gebaren und bestimmten Haltungsmustern zu distanzieren, mit denen die Linke gemeinhin identifiziert wird, konnten letztlich aber das Elitäre, das »Hohe« nicht wirklich aufgeben und das »Niedere« nicht glaubwürdig verkörpern. Das machte es für viele Arbeiterinnen und Arbeiter schwierig, sich mit der Podemos-Führung zu identifizieren. Paradoxerweise war es die Fraktion von Errejón, die trotz ihrer erklärten populistischen Strategie eine besonders deutliche Haltung der kulturellen Überlegenheit an den Tag legte: schließlich bildete sie einen geschlossenen Club, der oft als unzugänglich, undurchsichtig und exklusiv wahrgenommen wurde.
Personen wie Errejón und seine wichtigsten Verbündeten demonstrierten eine so hohe Intellektualität und kulturelle Haltung sowie eine solche Art zu sprechen und sich zu kleiden, dass sie einen tiefen Graben zwischen sich und dem »gemeinen Volk« gruben. Im Gegensatz zum lateinamerikanischen Linkspopulismus, den sie als Vorbild für sich beanspruchten, übernahmen diese (vermeintlich) populistischen Podemos-Führer vielmehr die Verhaltensmuster der urbanen, hochgebildeten Eliten. Daher erschien dieser Populismus im Gegensatz zum mitreißenden, wenn auch manchmal unorganisierten, chaotischen und »dreckigen« Überschwang des lateinamerikanischen Linkspopulismus (sowie der europäischen Rechten!) nicht authentisch. Es war vielmehr ein »im Labor entwickelter Populismus«. Er erschien zu durchdacht, zu gewollt, zu aseptisch. Seine Ursprünge als eine von Akademikern erdachte Strategie waren nicht zu übersehen.
Dadurch wurde es für das anvisierte und vielbeschworene »Volk« schwieriger, sich mit dem politischen Projekt Podemos zu identifizieren. Führungspersonen müssen irgendwie »höher« stehen, um zur Nachahmung anzuregen. Das legitimiert und stärkt ihre Führung. Sie dürfen aber nicht zu weit über dem Volk stehen, sodass ihnen nicht mehr nachgeeifert werden kann und sie buchstäblich »abgehoben« erscheinen. Aufgrund ihres kulturellen Elitarismus schienen die Podemos-Führer aber genau das zu sein. Es gelang ihnen, beim Wahlvolk eine gewisse Bewunderung, aber keine politische Identifikation zu erzeugen. Dies führte schließlich zum Scheitern des Versuchs, tatsächlich populistisch und populär zu agieren. Beim anfänglichen Aufstieg der Partei gelang es noch, diese bestehenden Widersprüche zu verschleiern. Doch sie waren zu bedeutsam, um nicht zum Vorschein zu kommen, als die Partei sich größeren politischen Herausforderungen [namentlich der Regierungsbeteiligung] gegenübersah und ihre bisherige Ambiguität im Diskurs aufgab.
Die Probleme blieben auch nach der Spaltung innerhalb von Podemos deutlich sichtbar. Der Errejonismo blieb nominell der populistischen Strategie treu, scheiterte aber daran, dies auch in der Praxis umzusetzen, also sich das »Niedere« und Plebejische glaubhaft zu eigen zu machen. Der Pablismo seinerseits entschied sich dafür, die populistische Haltung aufzugeben und zur klassisch-linken Identität zurückzukehren. Dies geschah zunächst mit Blick auf das allgemeine Erscheinungsbild, das Vokabular und die Symbolik. Dieser Wandel wurde durch den massiven Zustrom loyaler Kader der Kommunistischen Jugend erleichtert, der von Pablo Iglesias selbst vorangetrieben wurde. Von der anfänglichen frischen und unorthodoxen Haltung – die es für die Gegner schwierig machte, Podemos im Rahmen alter ideologischer Schemata zu bekämpfen – kehrte die Partei in die stereotype Rolle einer typischen radikal-linken Protestkraft zurück. Das spiegelte sich auch in der Sprache der beiden wichtigsten Parteiführerinnen, Ione Belarra und Irene Montero, wider.
»Der Populismus von Podemos wurde im Labor entwickelt. Er erschien zu durchdacht, zu gewollt, zu aseptisch. Seine Ursprünge als eine von Akademikern erdachte Strategie waren nicht zu übersehen.«
Der Wandel ging einher mit einer Übernahme der Talking Points der neuen radikalen Linken: eine Konzentration auf Identitätspolitik und das Eintreten für Minderheitenrechte, moralisierende Mikropolitik und verschiedene Glaubenssätze eines radikalen Progressivismus. Dies führte zu einem Diskurs, der den Partikularismus gegenüber dem Universalismus privilegiert und den Wählern ein hohes Maß an kulturellem Kapital abverlangt, damit sie sich überhaupt auf diesen Diskurs einlassen können. Die Argumente und Diskussionen verlagerten sich somit vom Ansprechen der »normalen Leute«, von Kritik an Korruption und der sozioökonomischen Lage hin zu einer Art aktivistischem und moralistischem Purismus. Insbesondere wurde der angesprochene Versuch, die nationale Identität Spaniens neu zu definieren, aufgegeben. Damit entschied sich Podemos, nicht mehr für das »große Ganze«, sondern für einzelne Teile und Partikularinteressen einzustehen.
Es ist bezeichnend, dass das Problem des kulturellen Elitarismus beide Flügel von Podemos betraf. Der Pablismo bemühte sich zwar, weniger »hochtrabend« zu erscheinen als der Errejonismo, doch das Aufnehmen einer von politischen Gegnern eifrig als spanische Version der US-amerikanischen »Wokeness« bezeichneten Haltung führte zu einer Verschiebung hin zu einem Diskurs, der ein erhebliches kulturelles Kapital erfordert, um inklusiv und zugänglich zu sein und Identifikation zu schaffen.
Der argentinische Schriftsteller Ernesto Sabato schrieb einst über den Sturz von Präsident Juan Domingo Perón und die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Intellektuellen und der ärmeren Menschen im Land: »In jener Nacht im September 1955, während Ärzte, Großgrundbesitzer und Schriftsteller in einem Saal lautstark den Sturz des Tyrannen feierten, sah ich in einer Ecke der Küche, wie den beiden indigenen Frauen, die dort arbeiteten, die Tränen in die Augen stiegen [...] Was könnte das Drama unseres Heimatlandes deutlicher beschreiben als diese geradezu symbolische Szene? Viele Millionen Enteignete und Arbeiter vergossen in diesem für sie harten und düsteren Moment Tränen. Die beiden weinenden indigenen Frauen in der Küche in Salta standen stellvertretend für zahlreiche bescheidene, einfache Landsleute.«
Ist diese beschriebene Situation nicht eine Analogie zu der Unfähigkeit der europäischen Linken, denjenigen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, die sie zu vertreten vorgibt? Spiegelt sich darin nicht das Unvermögen wider, sich mit den Wünschen, Frustrationen und Lebensweisen der »einfachen Landsleute« zu befassen, sie zu verstehen und sich mit ihnen zu solidarisieren?
Eine ähnliche Überlegung finden wir in den Gefängnisheften von Antonio Gramsci. Er kritisierte die italienischen Intellektuellen, diese hätten sich von ihren Landsleuten entfernt und würden sich lieber mit abstrakten Modellen beschäftigen, die keinen Bezug zu den tagtäglich gelebten Erfahrungen der einfachen Menschen haben. Seiner Ansicht nach sei es notwendig, »Eliten von Intellektuellen eines neuen Typs hervorzurufen, die direkt aus der Masse hervorgehen und gleichwohl mit ihr in Kontakt bleiben, um zu ›Korsettstangen‹ derselben zu werden«.
»Wir brauchen eine Linke, die weitverbreitete Gefühle anspricht und in der Lage ist, mit eben jenen Menschen in Kontakt zu treten, die die wichtigsten Adressaten linker Politik sein sollten – arbeitende Menschen.«
Grob gesagt war dies auch der Ansatz, der die Kommunistische Partei Italiens nach und nach zur populärsten, tief im Volk verhafteten und bei Wahlen erfolgreichsten derartigen Partei im Westen machte. Uns erscheint es heute so, dass die Aufmerksamkeit für das »normale Volk« (zumindest teilweise) verlorengegangen ist und dass sich viele Linke mehr oder weniger bewusst darauf konzentrieren, ihren Status als kulturelle Elite zu bewahren.
Die Entwicklung von Podemos zeigt, wie dieses Problem selbst die erfolgreichsten und interessantesten Versuche, die linke Politik zu erneuern, behindern kann. Der populistische Moment der 2010er Jahre, in denen im Fahrwasser der Wirtschaftskrise eine starke Polarisierung möglich war, ist wahrscheinlich vorbei. Derzeit scheint es eine Rückkehr zur früheren Links-Rechts-Achse zu geben. Dennoch hat die Erfahrung mit dem Populismus uns etwas gelehrt, das wir nicht vergessen dürfen: Die Linke sollte sich nicht zu weit von dem »Niederen« entfernen. Es gilt, eine elitäre Nischen-Linke zu vermeiden, mit der sich nur diejenigen (wenigen) Menschen identifizieren können, die über ein großes kulturelles Kapital verfügen.
Wir müssen daher auf eine populäre, eine populistische Linke im besten Sinne des Wortes hinarbeiten. Das bedeutet: Eine Linke, die weitverbreitete Gefühle anspricht und in der Lage ist, mit eben jenen Menschen in Kontakt zu treten, die die wichtigsten Adressaten linker Politik sein sollten – also mit den arbeitenden Menschen, mit der gesellschaftlichen Mehrheit. Das beinhaltet zwei Dimensionen: Wir müssen nicht nur inhaltlich sozialpolitische Programme vorschlagen, die die Menschen aus der wirtschaftlichen Misere befreien, sondern auch eine politische Ästhetik an den Tag legen, mit der sich die Menschen unabhängig von ihrem kulturellen Kapital identifizieren können.
Das ist keine leichte Aufgabe. Sie widerspricht den Trends, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Linken verfestigt haben. Ein solcher Wandel ist schwierig, aber er ist auch dringend notwendig.
Jacopo Custodi ist Politikwissenschaftler an der Scuola Normale Superiore und Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der Georgetown University. Zu seinen Büchern gehören »Un’idea di Paese. La nazione nel pensiero di sinistra« (Castelvecchi, 2023) und »Radical Left Parties and National Identity in Spain, Italy and Portugal« (Palgrave, 2024).
Samuele Mazzolini ist Forscher für Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Ca’ Foscari in Venedig.
Raúl Rojas-Andrés ist Dozent für Soziologie an der Universität von La Coruña, Spanien.