12. März 2025
Lisa Poettinger darf in Bayern nicht Lehrerin werden, weil sie sich gegen den Kapitalismus einsetzt. Im JACOBIN-Interview erklärt sie, dass das Problem weit über den Freistaat hinausgeht, und wagt einen Blick in die Zukunft der Meinungsfreiheit in Deutschland.
Klimaaktivistin Lisa Poettinger
In Bayern mehren sich seit einigen Jahren Berufsverbote gegen linke Aktivistinnen und Aktivisten. Das bayerische Kultusministerium und der Verfassungsschutz intervenieren immer wieder, um die Anstellung im Staatsdienst und Universitätsbetrieb zu verhindern.
Besonders aktuell ist der Fall Lisa Poettinger. Das Kultusministerium verweigert der Lehramtsstudentin das Referendariat. Der Vorwurf: die Verwendung kommunistischer Sprache und die Mitgliedschaft in einer potenziell verfassungsfeindlichen Organisation. Bundesweit arbeiten bürgerliche Politikerinnen und Politiker an Gesetzesverschärfungen, die dabei helfen sollen, vermeintliche Extremistinnen und Extremisten aus dem Staatsdienst auszuschließen. Es deutet sich eine Rückkehr in die dunkle Zeit der Berufsverbote an.
Lisa, Du hast erfolgreich Lehramt studiert, das bayerische Kultusministerium verweigert Dir aber ein Referendariat, unter anderem wegen der angeblichen »Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen«. Worauf stützt sich das Ministerium bei dieser Anschuldigung?
In Bayern muss man einen Fragebogen zur Verfassungstreue ausfüllen, in dem auch die Mitgliedschaften abgefragt werden. Ich engagiere mich seit über drei Jahren öffentlich im Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München, das seit circa einem Jahr auf dieser Liste steht. Also habe ich bei Mitgliedschaft »Ja« angekreuzt – ob eine Mitgliedschaft in einem offenen Treffen ohne feste Strukturen überhaupt möglich ist, ist schon fragwürdig, aber für solche Zwischenpositionen ist auf dem Fragebogen kein Platz.
Da der Verfassungsschutz das Klimatreffen auf seiner Liste als (potenziell) verfassungsfeindlich führt, sieht das Kultusministerium dies dann auch als gegeben an. Dabei scheint es egal zu sein, dass der Verfassungsschutz seine Einstufung nicht weiter begründet oder dass der Verfassungsschutz selbst eine hoch dubiose Geschichte von Verwicklungen mit Rechtsextremen hat – man denke an die NSU-Morde.
Das Kultusministerium führt auch die Verwendung von »Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie« an. Konkret soll es um das Wort »Profitmaximierung« gehen, dass Du in einem Interview zu den Klimaprotesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in München benutzt haben sollst. Du hast gegenüber dem Kultusministerium dazu Stellung bezogen, wie ist Deine Argumentation?
Als ich das gelesen habe, musste ich schon ordentlich lachen. Von einem Ministerium, das sich um Bildung kümmert, erwarte ich mir schon mehr Differenzierung und Wissenschaftlichkeit. Wir, also der Soli-Kreis, mein Anwaltsteam und ich, haben darauf reagiert, indem wir aufgeführt haben, dass der Begriff »Profitmaximierung« ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff ist, der von unterschiedlichsten Ökonominnen und Ökonomen bis hin zum Papst verwendet wird.
»Bayern legt vor, die anderen Bundesländer ziehen nach. So ist das zumindest häufig, wie man auch an den autoritären Polizeigesetzen sieht, die die Versammlungsfreiheit stark beschneiden.«
Darüber hinaus kritisieren wir, dass eine solche Haltung seitens des Ministeriums und Verfassungsschutzes dazu dienen kann, jegliche Kritik am profitmaximierenden Wirtschaften zu kriminalisieren. Profitmaximierung verursacht aber sämtliche Krisen wie etwa Klimakrise, Faschisierung, Krieg, die Teuerung des Lebens. Es ist notwendig, dass wir uns dagegen wehren (dürfen).
Schon 2016 wurde versucht, ein Berufsverbot durch die Hintertür gegen den Medienwissenschaftler und linken Aktivisten Kerem Schamberger zu erwirken. Der bayerische Verfassungsschutz intervenierte, als er sich auf eine Stelle als Doktorand an der Ludwig-Maximilian-Universität bewarb. Professor Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler an der Universität Speyer, sprach damals davon, dass dies nicht mehr »unserem heutigen Rechtsverständnis« entspräche. Beim Recht besteht oftmals ein Widerspruch zwischen Theorie und Praxis. Siehst Du eine Verschärfung der Repression gegen oppositionelle Meinungen im Staatsdienst?
Ich würde das sogar weiter greifen und sagen, es gibt eine Verschärfung der Repression gegen Oppositionelle im Allgemeinen. Amnesty International führt Deutschland seit 2023 als ein Land, in dem Versammlungs- und Meinungsfreiheit unter Druck stehen. Da werden pro-palästinensische Demos verboten, Klimaaktivistinnen in Präventionshaft gesteckt und Antifaschistinnen an autoritäre Regimes ausgeliefert. 2023 wurden bei der Automesse IAA jemandem Teile des Ohres abgeschlagen, bei den Widersetzen-Demos gegen die AfD gab es Knochenbrüche. Und ich bin ja nicht die Einzige mit einem Berufsverbot: Auch die Linken Benni Ruß in München, Luca Schäfer in Frankfurt oder Melanie Schweizer in Berlin dürfen ihrem Beruf im öffentlichen Dienst nicht (mehr) nachgehen.
Generell scheint die bayerische Regierung härter gegen die antifaschistische und die Klimabewegung durchzugreifen. Zum Beispiel kam es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Hausdurchsuchungen gegen junge Klimaaktivisten in Augsburg und die Ermittlungen gegen Antifaschistinnen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, wie im Fall Hanna aus Nürnberg, haben zugenommen. Ist das eine bayerische Besonderheit, oder eine generelle Entwicklung in Deutschland?
Ich würde das so sagen: Bayern legt vor, die anderen Bundesländer ziehen nach. So ist das zumindest häufig, wie man auch an den autoritären Polizeigesetzen sieht, die die Versammlungsfreiheit stark beschneiden. Gegen das Polizeiaufgabengesetz in Bayern gibt es seit etwa fünf Jahren Klagen, die aber bisher mehrheitlich liegen geblieben sind und so können Menschen weiterhin in Präventivhaft gesteckt werden. Das Gesetz sollte angeblich der Terrorbekämpfung dienen, aber wurde vor allem gegen Geflüchtete und Klimaaktive eingesetzt.
Angesichts der Sondervermögen zur Militarisierung können wir auch mit einer weiteren Abriegelung nach innen rechnen – wie sonst soll man die Betroffenen der daraus resultierenden sozialen und ökologischen Probleme im Griff behalten?
»Die Klimakrise kommt nicht daher, dass Heike und Murat zu viel Auto fahren, sondern daher, dass das kapitalistische System einseitig an den Interessen der großen Kapitalfraktionen ausgerichtet ist.«
Der bayerische Verfassungsschutz warnte mehrfach vor dem Einfluss marxistischer und linker Organisationen auf die Klimabewegung. Gerade die Verbindung von Klima- und Klassenkampf scheint die Behörde zu beunruhigen. Du selbst bist Marxistin. Wo siehst Du die Notwendigkeit, beides zusammenzubringen?
Die Klimakrise kommt nicht daher, dass Heike und Murat zu viel Auto fahren, sondern daher, dass das kapitalistische System einseitig an den Interessen der großen Kapitalfraktionen ausgerichtet ist. Es steht im Interesse von Autokonzernen, dass die Infrastruktur auf Autos ausgelegt ist und öffentliche Investitionen nicht in Alternativen fließen. Wer eine Klassenanalyse hat, hört auf, Einzelpersonen dafür zu beschuldigen, wozu das System sie motiviert oder sogar nötigt und fängt an, demokratische Entscheidungen über die Produktion zu verlangen, die mit einer Entmachtung eben dieser Konzernchefs einhergeht.
Das Wirtschaften muss an menschlichen Bedürfnissen und an planetaren Grenzen ausgerichtet sein, sonst wirtschaftet dieses System uns in den Abgrund. Leider bekommen das viele Menschen im Globalen Süden schon mit Extremwetterereignissen, Hitze oder Ernteausfällen zu spüren und werden dann auch noch an den Grenzen der Länder abgewiesen, die das hauptsächlich verursacht haben. Eine marxistische Klimaperspektive ist an Menschenrechten und international ausgerichtet und stellt sich den superreichen Klimaverbrechern entgegen.
Inzwischen hat Dein Fall medial hohe Wellen geschlagen. Das bayerische Kultusministerium zeigt sich davon unbeeindruckt und hat mitteilen lassen, dass sie an der Entscheidung festhalten und Dich nicht zum Referendariat zulassen. Wie geht es jetzt bei Dir weiter? Welche Rechtsmittel bleiben Dir noch?
Derzeit muss das Verwaltungsgericht über unseren Antrag auf eine einstweilige Anordnung entscheiden. Das ist eine Art vorläufige Schnellentscheidung, mit der ich in das Referendariat eintreten könnte, bis es zur Entscheidung über die Hauptklage kommt. Das Kultusministerium hat bereits eine Abweisung beantragt. Der nächste Schritt ist dann die Hauptklage. In der Zwischenzeit wollen wir politisch laut bleiben und zeigen, dass Demokratie eben nicht Kapitalismus ist, aber auch, dass es wohl zum Engagement dazugehört, Anti-Repressionsarbeit mitzubedenken.
Da habe ich mit meinem Soli-Kreis und vielen anderen tollen Menschen die beste Unterstützung, die man sich wünschen kann. Wir sammeln derzeit auch noch Unterschriften für die Soli-Erklärung auf lasstlisalehren.de.