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10. September 2025

Der Angstgegner bestimmt das Spiel

Die extreme Rechte hat von Lenin gelernt, wie man die Menschen gegen das Establishment aufbringt. Eine Linke, die mit der Mitte verschmelzen will, kann dagegen nur verlieren.

»Ein Angstgegner kann nicht ständig seinen Willen zur Zusammenarbeit bekunden.«

»Ein Angstgegner kann nicht ständig seinen Willen zur Zusammenarbeit bekunden.«

Illustration: Daniel Garcia

»Ich bin ein Leninist«, soll Steve Bannon einmal gesagt haben, »Lenin wollte den Staat zerstören und das will ich auch. Ich will alles abreißen und das gesamte Establishment in die Knie zwingen.« Das war 2013, vier Jahre bevor er zum Chefstrategen Donald Trumps ins Weiße Haus berufen wurde. Damals wurde in der Republikanischen Partei heiß debattiert, ob die Linie der sogenannten Tea-Party-Republikaner, durch eine Strategie der maximalen Konfrontation – inklusive des Inkaufnehmens des Staatsbankrotts der USA – die Obama-Administration im Streit um die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung zum Einlenken zu zwingen, nicht kontraproduktiv sei, weil es Bündnispartner und die Wählerschaft verschrecken würde. Von einem Journalisten auf diese Sorge angesprochen, antwortete er, deren Vertreter gehörten ebenfalls zum Establishment und auch sie würde er in die Knie zwingen.

Steve Bannon ist ohne Frage ein Troll, der Freude an der Provokation hat – insofern sollte man sicherlich vorsichtig mit seinen politischen Selbstbekenntnissen sein. Schließlich hat er an anderer Stelle seine Strategie auch mit Verweisen auf Satan, Darth Vader und Dick Cheney erläutert. Aber nicht zuletzt, weil er über zwölf Jahre seine damaligen Gegner in der Republikanischen Partei in der Tat ein ums andere Mal auf seinen Kurs der maximalen Eskalation zwingen konnte und das Weiße Haus sich heute mehr an seiner Strategie zu orientieren scheint als in Donald Trumps erster Amtszeit, lohnt es sich dennoch, diese Anekdote nicht einfach abzutun.

Denn bei aller Aufmerksamkeit, die dem Verständnis der Strategien der extremen Rechten in den letzten Jahren zuteilgeworden ist, wurde dieser Aspekt zu wenig beleuchtet: Bis in die 1970er zurück lässt sich vor allem in der US-amerikanischen libertären Rechten ein Debattenstrang ausmachen, der sich um die Frage dreht, wie man als radikale Avantgarde die konservative Rechte kapern und auf einen – dem Selbstverständnis nach – revolutionären Kurs bringen könne. Ein wichtiger Bezugspunkt dabei war der Leninismus, den man als politischen Gegner, aber eben auch als strategisches Vorbild verstand. Nun ist dies ein sehr spezifischer Leninismus, der mindestens so viel über seine Rezipienten wie über die Theorie und Praxis seines Namensgebers aussagt: Lenin wurde eben vor allem als Theoretiker des revolutionären Umsturzes gelesen, dessen Schriften in erster Linie daraufhin befragt wurden, inwiefern seine strategischen Überlegungen zur Revolution auch für die eigenen, diametral entgegengesetzten politischen Ziele nutzbar gemacht werden könnten.

Um besser erfassen zu können, warum und inwiefern diese Strategie greifen konnte – und warum sie notwendig ein »halbierter Leninismus« bleibt – muss man sich kurz vergegenwärtigen, an welchen Bruchstellen des modernen demokratischen Systems sie ansetzen kann. In der gebotenen Kürze werde ich darum skizzieren, warum konservative Parteien anfällig für solcherlei Kapereien sind und warum moderne Demokratien eine Tendenz zum Konfliktspektakel haben. Dann umreiße ich anhand eines prominenten Theoretikers der US-Libertären, Murray Rothbard, warum ausgerechnet Lenin so ein wichtiger Bezugspunkt des Strategisierens war. Schlussendlich möchte ich zumindest andeuten, wie ein politischer Umgang mit dieser Strategie aussehen könnte und, vielleicht noch wichtiger, wie nicht.

Polarisierung sells

Das »konservative Dilemma« seit der Etablierung der Massendemokratien speist sich daraus, so kann man die Arbeiten des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Daniel Ziblatt zuspitzen, dass eigentlich niemand sie mag. Oder, weniger schnippisch: Es besteht darin, dass Eliten nur sehr wenige Wahlstimmen haben, sich die konservative Agenda zur Verteidigung der bestehenden Ordnung aber nun einmal an den Interessen dieser (vor allem: Wirtschafts-) Eliten ausrichtet. Um über Klassengrenzen hinweg mobilisieren zu können – das ist ja eine der wichtigsten Funktionen der vielbeschrienen Kulturkämpfe –, sind sie deshalb darauf angewiesen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen sie als Bündnispartner in ihren eigenen Kämpfen verstehen und sie darum politisch unterstützen.

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Nils Kumkar ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOCIUM der Universität Bremen. Nach »Alternative Fakten« (2022) ist kürzlich auch sein Buch »Polarisierung« bei Suhrkamp erschienen.