13. September 2022
In den siebzig Jahren unter der Regentschaft von Queen Elizabeth hat sich Großbritannien verändert. Der Zweck der Monarchie blieb immer derselbe: das Land zu vereinen, um politische Kämpfe zu unterdrücken.
Queen Elizabeth in London.
IMAGO / Parsons MediaKönigin Elizabeth II., die am 8. September im Alter von 96 Jahren auf Schloss Balmoral in Schottland verstorben ist, wurde in den frühen Morgenstunden des 6. Februar 1952 zur Monarchin. Sie war zu dieser Zeit gerade auf Safari-Urlaub in der damaligen britischen Kolonie Kenia. Damals konnte niemand vorhersehen, dass ihre Herrschaft siebzig Jahre dauern würde – die bisher längste in der Geschichte der britischen Monarchie.
Seit ihrem Tod wurde viel über den gesellschaftlichen und politischen Wandel gesprochen, der sich vollzogen hat, seitdem sie den Thron bestieg. So wird sie etwa für ihre Modernisierung der Monarchie gerühmt – obwohl sie die meisten Veränderungen nicht selbst vorantrieb, sondern nur erduldete. Sie war, wie man den Trauerreden entnehmen kann, ein personifiziertes Oxymoron: eine »moderne Monarchin«, die diese archaische Institution in ein neues Jahrhundert schleppte.
Zweifellos hat sich die Rolle der Monarchin in den vergangenen siebzig Jahren drastisch gewandelt. Diese war ohnehin bereits eine rein zeremonielle, doch hat sich die britische Königin über die Jahre immer weiter aus dem politischen Alltag Großbritanniens zurückgezogen; ihre Maske der Unparteilichkeit ließ sie nur selten fallen. Aber während der politische Einfluss der Monarchin dahinschwand, hat sich ihre zeremonielle und konstitutionelle Funktion ausgeweitet – manchmal durchaus beträchtlich.
Der Historiker David Cannadine machte die Beobachtung, dass es in der Vergangenheit einmal breiter Konsens war, dass mit zunehmendem Bildungsniveau der Bevölkerung »das königliche Ritual als primitive Magie, als hohler Schwindel entlarvt werden würde«. Man wünscht sich, es wäre so. In Bezug auf kitschige Theatralik und magisch anmutendes Zeremoniell wird die königliche Familie heutzutage nur noch vom katholischen Papsttum übertroffen. Die kürzlich verstorbene Monarchin ist innerhalb der Bevölkerung um ein Vielfaches beliebter als alle fünfzehn Premierministerinnen und Premierminister, die die Regierungen der Queen angeführt haben.
Man muss sich offensichtlich die Frage stellen, wie der Prunk der britischen Königsfamilie das alltägliche Leben der Bevölkerung tatsächlich beeinflusst. Wenn man die tränenüberströmten Menschenmengen vor dem Buckingham Palace sieht, wird einem klar, dass das leidenschaftliche Bekenntnis zur Monarchie keine bloße elitäre Zumutung ist, sondern innerhalb der Bevölkerung mit Enthusiasmus geteilt wird. Die Monarchie und vor allem Königin Elizabeth II. sind so tief in die Psyche des Landes eingeschrieben, dass es manchmal schwierig ist, sie voneinander zu trennen.
Der April des Jahres 1926 sollte sich für die konservative Regierung Großbritanniens als ereignisreicher Monat erweisen. Der lange und erbitterte Kampf in den britischen Kohlerevieren spitzte sich zu. Der festgefahrene Konflikt zwischen der Gewerkschaft der Bergarbeiter, der Miners’ Federation of Great Britain (MFGB), und den Minenbesitzern steuerte unaufhaltsam auf eine offene Konfrontation zu. Als die landesweite Krise eskalierte, erklärten die Bergleute ihre Forderung in aller Deutlichkeit: »Keinen Pfennig weniger, keine Minute länger«. Für den damaligen Innenminister, Sir William Joynson-Hicks, erwies es sich als denkbar ungünstig, dass er in den frühen Morgenstunden des 21. April dazu aufgerufen wurde, einer königlichen Geburt beizuwohnen – zumal am Folgetag das Treffen zwischen den Minenbesitzern und dem Premierminister stattfinden sollte.
Er machte sich dennoch auf den Weg in die Privatresidenz in der Bruton Street 17 im Londoner Stadtteil Mayfair, und war zugegen, als Elizabeth Alexandra Mary um 2:40 Uhr geboren wurde. Es sollte keine zwei Wochen dauern, bis rund 1,7 Millionen Arbeiter in den Generalstreik traten und damit nicht nur die britische Wirtschaft, sondern auch die Verfassung des Landes in die Knie zu zwingen drohten.
»Nur wenige Linke haben versucht, wirklich zu verstehen, warum sich die Popularität der königlichen Familie, selbst in der Arbeiterklasse, so hartnäckig hält.«
Zum Zeitpunkt ihrer Geburt war Elizabeth die Dritte in der Thronfolge. Dementsprechend erwartete sie, ein unbedeutendes Mitglied des königlichen Gefolges zu werden. Ihr Vater, der Duke of York, war der zweite Sohn des amtierenden Monarchen George V. und sein älterer Bruder sollte nach dem Tod ihres Vaters den Thron besteigen. Dennoch war sowohl das Establishment als auch die breite Bevölkerung erfreut über die Geburt eines neuen jungen Mitglieds der königlichen Familie.
Obwohl George V. schon lange Zeit gesundheitlich angeschlagen war, war kaum jemand auf seinen frühen Tod vorbereitet. Zu diesem Zeitpunkt war Elizabeth gerade einmal zehn Jahre alt. Edward VIII. trat für eine kurze und desaströse Amtszeit an seine Stelle. Es dauerte nicht einmal ein Jahr, bevor er aufgrund einer Verfassungskrise – die durch seine Hochzeit mit der zweimal geschiedenen US-Amerikanerin und Nazi-Sympathisantin Wallis Simpson ausgelöst wurde – zur Abdankung gezwungen wurde.
Weniger als ein Jahrhundert später ist es nicht nur möglich, dass ein wichtiges Mitglied der königlichen Familie mit Pomp und Glanz eine andere geschiedene Amerikanerin heiratet – die dazu auch noch ein afroamerikanisches Elternteil hat –, Elizabeths geschiedener Sohn, der inzwischen mit seiner langjährigen Geliebten verheiratet ist, wird nun selbst bald den Thron besteigen und damit an der Spitze jener anglikanischen Kirche stehen, die erst im Jahr 2002 einwilligte, dass Geschiedene erneut heiraten dürfen. Diese Veränderungen fielen alle in Elizabeths lange Regentschaft und dass sich dieser Wandel vollzog, zeugt von der Fähigkeit der Royals, ihr eigenes Image immer wieder zu erneuern.
Die frühen Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Abgeschiedenheit und ihre Bildung und Erziehung stellte sicher, dass sie – ob gewollt oder eher zufällig – außergewöhnlich gut dazu qualifiziert sein würde, als zeremonielle Monarchin zu fungieren. Sie besuchte keine Schule oder Universität. Stattdessen unterrichteten sie Privatlehrer in Geschichte und Verfassungsrecht. Da sie zur obersten Schicht der Gesellschaft gehörte, war das soziale Umfeld, in dem sie sich bewegte, eng begrenzt: Sie hatte nur Kontakt zum Nachwuchs der aristokratischen Elite Großbritanniens. Ihre einzigen Berührungspunkte mit einfachen Leuten waren ihre vielen Bediensteten und das Hauspersonal des königlichen Haushalts.
Es ist heute fast unvorstellbar, dass Queen Elizabeth in einer Londoner Privatresidenz geboren wurde und bei ihren ersten Spaziergängen, bei denen sie ihre Nanny »Crawfie« im Kinderwagen durch den St. James’s Park schob, von Scharen von Gratulierenden umringt wurde. Die Royals sind vom öffentlichen Leben heutzutage ungefähr so abgeschirmt wie Hollywood-Stars. Und auch die mediale Ausschlachtung ihres Lebens ist inzwischen so weit fortgeschritten wie bei den Film- und Fernsehstars, denen sie nacheifern.
Elizabeths Amtszeit begann mit der ersten öffentlich im Fernsehen übertragenen Krönung einer Monarchin. Sie, wie auch der damalige Premierminister Winston Churchill, waren ursprünglich dagegen. Sollte sie einen Fehler machen, so befürchtete sie, könnten das Millionen von Menschen live im Fernsehen mitverfolgen – und dann wiederum wäre das Mysterium der Monarchie ruiniert. Ihre Sorge war unbegründet. Das Medienspektakel um das heutige Königtum hat eher zur Verstärkung dieser mystischen Aura beigetragen.
Fünf Jahre nach ihrer Krönung nahm sie im Jahr 1957 zum ersten Mal eine ihrer jährlichen Weihnachtsansprachen an die Nation auf und 1969 eröffnete ein Dokumentarfilm einen Einblick in den Alltag und die Aufgaben der Royals. In den 1980ern begann sich das bis dahin respektvolle Verhältnis zwischen der königlichen Familie und den Medien zu wandeln. Die Skandale um die Nachkommen der königlichen Kinder – die vielbeachtete Affäre zwischen Prinz Charles und Camilla bis hin zu Sarah Ferguson, der Herzogin von York, die sich erst vor kurzem von ihrem Ehemann, Prinz Andrew, getrennt hat und von der ein Foto kursierte, auf dem ein Liebhaber an ihren Zehen lutschte –, waren ein gefundenes Fressen für die Boulevard-Presse. Der schottische Historiker Tom Nairn sagte einmal, dass die Royals der Nation einen »Glamour der Rückständigkeit« boten – dazu sei gesagt, dass diesem Glamour ein ausgesprochen moderner Anstrich verliehen wurde.
»Mit ihrer farblosen Art ist die Queen für Millionen zu einer Chiffre geworden – einem leeren Symbol, in das man liebevoll alles hineinprojizieren kann.«
Nairn hat wie kein anderer herausgearbeitet, welche Bedeutung die Monarchie für die moderne britische Nation hatte. In den 1960ern und 70ern analysierte er gemeinsam mit Perry Anderson den britischen Staat in einer Reihe von eindringlichen Essays. Die »Nairn-Anderson-These«, die sie in diesen Texten entwickelten, besagt, dass die Ursache für die britischen Krisen der Nachkriegszeit auf die gescheiterte bürgerliche Revolution Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgeht.
Großbritannien trat früh in die Moderne ein. Doch das Land sollte einen hohen Preis dafür zahlen, der erste moderne kapitalistische Staat der Welt zu werden. Wie Nairn und Anderson argumentieren, führte das zur Entwicklung eines hybriden sozio-politischen Systems, in dem das aufstrebende Bürgertum die feudale Aristokratie nicht stürzte, sondern in langjähriger Allianz zu ihr stand. Die politische Ordnung nach der Glorious Revolution von 1688, [die die Souveränität des Parlaments über die des Königs stellte und die besondere britische Form der konstitutionellen Monarchie begründete, Anm. d. Red.], war mit einem Wort eine »Abnormalität«.
Die Rolle der Monarchie im Allgemeinen und des Windsor-Clans im Besonderen war dabei zentral. Wie Nairn 1977 schrieb:
»Wenn Queen Elizabeths Funktion allein darin bestünde, die Bevölkerung ruhigzustellen und eine kommende sozialistische Revolution zu verhindern, dann könnten wir uns noch glücklich schätzen. Die Wahrheit ist um einiges düsterer. Sie und ihre Pyramide von Lakaien sind eine beschwerende Last, die – gewissermaßen – die vorletzte Revolution in Großbritannien unterdrückt. Ihre ideologische Kraft ruht auf dem mittlerweile uralten Verlust der Radikalität der Bourgeoisie – auf deren innerer Kapitulation aus dem letzten Jahrhundert, die sich am offensichtlichsten darin ausdrückt, dass der bürgerliche Republikanismus während Victorias Regentschaft faktisch verschwunden ist. Die ›Magie‹ unserer Monarchinnen und Monarchen ist der süßliche Geruch der Verwesung, der von diesem riesigen Misthaufen unvollendeter Angelegenheiten der Bourgeoisie ausdünstet.«
Für uns Marxistinnen und Marxisten war es entmutigend zu sehen, mit was für einer unterwürfigen Hochachtung und schmierigen Sentimentalität viele Menschen, selbst innerhalb der Arbeiterbewegung, auf Queen Elizabeths Tod reagierten. Aber nur wenige Linke haben versucht, wirklich zu verstehen, warum sich die Popularität der königlichen Familie, selbst in der Arbeiterklasse, so hartnäckig hält. Viele meinen daher, es sei nun besonders angebracht zu verkünden, dass die Monarchie ohnehin keine Rolle spiele. Andere führen finanzielle Gründe an, um jetzt für die Abschaffung der Monarchie und die Errichtung einer Republik zu plädieren – ganz so, als ließe sich die Frage um den »Oberschmarotzer«, der auf dem Thron des Buckingham Palace sitzt, und die Scharen von willensschwachen Mitläufern, die weiterhin die Staatskassen zu ihren Gunsten ausbluten lassen, auf eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung reduzieren.
Ein hartnäckige Herausforderung, vor der jede aufkeimende republikanische Bewegung in Großbritannien steht, liegt darin, dass es hier »wie in allen königlichen Angelegenheiten, nicht um Pro und Kontra, um Argumente und Gegenargumente geht, sondern um Zeichen und Symbole, Fieber und Magie«, um es mit den Worten des Schriftstellers Martin Amis zu sagen. Die Monarchie erinnert uns daran, dass dieser Zauber, selbst wenn er völlig entleert ist, reale materielle Macht besitzt. »Es bringt kaum etwas, die Monarchin selbst zu beschimpfen, und den verfallenden Kathedralen-Staat, auf dem sie thront, außen vor zu lassen. Wenn dieses Gebäude endlich einstürzt, wird es ihre Dynastie unter seinen Trümmern begraben«, wie Nairn argumentiert.
Wenn Queen Elizabeth in den letzten siebzig Jahren überhaupt irgendetwas repräsentierte, dann Stabilität und Beständigkeit. Die Krisen und Skandale ihrer Familie – von denen sich die vielleicht extremste in den Monaten nach dem Tod von Prinzessin Diana 1997 vollzog, als die Königin sich weigerte, ihren Sommerurlaub in Balmoral zu unterbrechen, um nach London zu den Millionen trauernder Menschen zu reisen und selbst die sonst zurückhaltende Boulevardzeitung Daily Express auf ihrer Titelseite forderte: »Beweis uns, dass es dir nicht egal ist« – haben die Anziehungskraft der Monarchie eher verstärkt. Mit ihrer farblosen und nüchternen Art ist sie für Millionen zu einer Chiffre geworden – einem leeren Symbol, in das man je nach Bedürfnis liebevoll alles hineinprojizieren kann.
Der neue König, Charles III., wird es schwerer haben. Er, der lange Zeit unbeliebt war – nicht zuletzt wegen seiner turbulenten und tragischen Ehe mit Diana Spencer – wird, wie er selbst betont hat, ein sehr anderer Monarch werden als seine Mutter. Während sich Elizabeth als unpolitisch darstellte, ist er ein politischer Dogmatiker, der für seine liebsten Kernanliegen bekannt ist – besonders sein feudales Disneyland in Poundbury. Dieses Dorf, das in den frühen 1990er Jahren auf seinem Anwesen errichtet wurde, war seine Antwort auf die Schrecken moderner Planung. Hinzu kommt sein Engagement für die Quacksalberei der Homöopathie.
In den letzten Jahren war er in einige politische Skandale verwickelt – es ging unter anderem um den mutmaßlichen Verkauf von Kontakten zum Königshaus und von Ehrentiteln an einen saudischen Milliardär sowie die berüchtigten »Black Spider«-Briefe, die er an verschiedene Regierungsmitglieder richtete, um sie zu politischen Angelegenheiten zu befragen (und die seiner kindlichen Handschrift, die an schwarze Spinnen erinnert, ihren Namen schulden). Dieser Skandal wurde nach einem jahrzehntelangen Rechtsstreit erst 2015 vom Guardian aufgedeckt.
Nach der Geburt von Charles im Jahr 1948 schrieb der Labour-Minister Hugh Dalton folgende Worte in sein Tagebuch: »Wenn dieser Junge jemals auf dem Thron landen sollte, dann wird das Land und das Commonwealth sehr anders aussehen.« Jetzt, wo Charles die Beförderung bekommt, auf die er siebzig Jahre lang gewartet hat, klingt diese Aussage etwas banal. Das Land, das seine Mutter seit den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs regierte, ist heute offensichtlich ein anderes. Die Frage ist, wie er es zurücklassen wird.
John Merrick ist Autor und lebt in London.