13. Mai 2021
Slatan Dudow war einer der bedeutendsten Filmemacher der DDR. Mit seinen Filmen wollte er die Welt nicht unterhalten, sondern sie verändern. Heute ist der bulgarisch-ostdeutsche Regisseur weitgehend in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht.
Slatan Dudow (links) und sein Kameramann Helmut Bergmann (rechts) bei den Dreharbeiten zu »Christine«, 1963.
Das Werk des Regisseurs und Autors Slatan Dudow (1903 – 1963) wird heute kaum besprochen. Dabei lohnt es sich, seine Filme wiederzuentdecken. Einige gehören zum Kanon der deutschen und internationalen Filmgeschichte, andere galten in ihrer Zeit als wegweisend für die Filmkunst. Dudow schuf prägnante Bilder, die sich mit ihrer brachialen Klarheit, ihrer überspitzten Karikierung und häufig auch mit ihrer Nähe zum ungewöhnlichen Alltag ganz gewöhnlicher Leute ins Gedächtnis einschreiben. Seine Themen waren die Lebensumstände der Arbeitenden, die Verblendungen und Irrtümer des »kleinen Bürgers« und der Ewiggestrigen, der Kampf gegen den Faschismus und für den Wiederaufbau Deutschlands sowie die Chancen der Emanzipation und Jugend. Der immer politische und sozialkritische Gehalt seiner Filme löste viele Diskussionen aus, an denen sich Dudow energisch und mit Streitlust beteiligte.
Slatan Dudows wohl bekanntester Spielfilm Kuhle Wampe aus den Jahren 1931/32 zählt zu den wichtigsten »proletarischen« Filmen und wird oft im selben Atemzug mit Piel Jutzis Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) oder Sergej Eisensteins sowjetischen Revolutionsfilmen Streik (1925) und Panzerkreuzer Potemkin (1925) erwähnt. Bei allen bedeutenden Unterschieden verband diese Regisseure der gemeinsame Anspruch, mit Filmkunst nicht nur auf soziale Missstände ihrer Zeit aufmerksam zu machen, sondern aktiv an deren Veränderung mitzuwirken, zuallererst im Bewusstsein des Publikums.
Mit einem ähnlichen Anspruch wurde am 17. Mai 1946 in Potsdam-Babelsberg die DEFA gegründet, die Dudows langjährige berufliche Heimat war. Als erste große deutsche Gesellschaft zur Herstellung von Filmen nach dem Zweiten Weltkrieg besaß sie in der Form eines volkseigenen Betriebes ein Monopol auf die Kinoproduktionen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Bis zu ihrer Auflösung kurz nach der deutschen Wiedervereinigung schuf sie ein enormes Konvolut von rund 700 Spielfilmen, 2000 Dokumentarfilmen, 950 Animationsfilmen und 6700 deutschsprachigen Synchronisationen. In diesem Jahr wäre sie 75 geworden.
Dudow realisierte sechs seiner insgesamt neun Filme bei der DEFA. Dort kannte ihn im Grunde jeder – als Regisseur und Drehbuchautor, aber auch als Ratgeber und Mentor für Kolleginnen und Kollegen und als Wegbereiter von Schauspielkarrieren. Er war bekannt für seine Positionen zu den gesellschaftlichen Aufgaben des Films und war manchen eine beliebte, anderen eine unbeliebte Autorität. Für sein hemmungsloses Überziehen von ohnehin schon knappen Filmbudgets und Drehtagen war er berüchtigt, wie auch für seinen kompromisslosen und hin und wieder aufbrausenden Charakter.
Slatan Dudow wurde am 30. Januar 1903 im bulgarischen Zaribrod (heute Dimitrovgrad, Serbien) geboren, zur Schule ging er später in Sofia. Berichten zu Dudows früher kommunistischer »Politisierung« sollte man heute mit großer Vorsicht entgegentreten, auch er selbst hat hin und wieder an seiner Legende mitgestrickt. Sein Vater Todor war wohl ein zaren- und regierungskritischer Eisenbahner mit Sympathie für die 1903 gegründete Partei der sogenannten »Engsozialisten«, aus der 1919 die Kommunistische Partei hervorging. Vermutlich haben zudem politische Ereignisse wie die schweren Folgen des Ersten Weltkriegs für Bulgarien oder die Oktoberrevolution in Russland Dudows Begeisterung für »linke« Ideen beeinflusst. 1922 zog er nach Berlin und nahm 1923 Schauspielunterricht, studierte ab 1925 Theaterwissenschaften bei Max Herrmann und besuchte die Dreharbeiten zu Fritz Langs Metropolis (1927).
Bedeutend für seine spätere Film- und Theaterarbeit war eine Studienreise nach Moskau, die Dudow 1929 auf Empfehlung Herrmanns antrat. Dort lernte er Sergej Eisenstein und Bertolt Brecht kennen. Er wurde daraufhin Mitglied von Brechts Arbeitskreis und inszenierte unter anderem Anna Gmeyners Heer ohne Helden sowie Brechts Die Maßnahme. Der Zeit zwischen 1929 und 1930, in der er die Regieassistenz bei »proletarischen« Agitationsfilmen beim eigens dafür gegründeten Filmkartell Weltfilm übernahm, folgten zwei eigene Regiearbeiten, Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt (1930) und Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (1931/32). Letztere entstand im Kollektiv mit Bertolt Brecht, Ernst Ottwalt und Hanns Eisler.
Der Kurzfilm Zeitprobleme berichtet noch »stumm« über die ungesunden Wohnverhältnisse in den Berliner Mietskasernen und wird oft als wichtige Vorstudie zum Spielfilm Kuhle Wampe angesehen. Übersehen werden sollte dabei aber nicht sein Eigenwert, etwa die krasse und in der Montage innovative Gegenüberstellung der oft dunklen und schimmelfeuchten »Elendsviertel« mit den teilweise im schrägen Winkel aufgenommenen Villen im Grunewald.
Auch Kuhle Wampe thematisiert die elenden Lebensbedingungen der Arbeitenden, vor allem der Arbeitslosen am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. Gelegentlich heißt es, er sei ein »Tendenzfilm«, was angesichts der brachialen Anklage der Missstände nicht nur eine Untertreibung, sondern fast schon eine Beleidigung ist. Die unnachgiebigen Kompositionen Eislers hämmern zur »Jagd« der jungen Leute nach Arbeit. Ein Montage-Highlight: In vollkommener Stille sitzt ein arbeitsloser Jugendlicher erstarrt am Küchentisch, er richtet den Blick an das Publikum, ein entschlossener Gang zum Fenster. Darauf folgen Detailaufnahmen: Die wertvolle Uhr wird ordentlich abgelegt, die Blume auf dem Fensterbrett behutsam zur Seite geräumt. Die Hand greift an den Fensterrahmen, der Sprung wird lediglich angedeutet. Der Schrei zerfetzt die Ruhe, aber nur kurz. Die Inszenierung macht klar: ein ganz geordneter Selbstmord, so als wäre dieser eine selbstverständliche, alltägliche Handlung. Das hat den Zensoren nicht gefallen, man befürchtete eine »Gefährdung der Ruhe und Ordnung«. Dudow erinnerte sich 1958 in der Jungen Welt:
»Zu unserer Überraschung stellte sich heraus, daß der Zensor den Film wirklich gut studiert hatte. […] Gegen die Darstellung eines individuellen Schicksals könne er eigentlich nichts einwenden, denn Selbstmorde kommen ja nun mal vor. […] Aber in dem Film werden die Hintergründe gezeigt, die den jungen Menschen zu der Verzweiflungstat treiben. Vor allem aber, es wird auch noch der Weg angedeutet, wie diese Arbeitslosen aus dem Elend herauskommen können. Und das ging nun doch zu weit.«
Kuhle Wampe wurde erst komplett verboten, konnte dank öffentlicher Proteste und mit Schnittauflagen dann aber doch noch sein Publikum erreichen. Höhepunkt des Films ist das Sportfest Tausender Arbeiter, die das berühmte »Solidaritätslied« singen. Ihre Gage umfasst das Fahrgeld und eine warme Bockwurst, wie sich einer unter ihnen – gespielt von Erwin Geschonneck, später eines der bedeutenden Gesichter des DEFA-Spielfilms – erinnern wird. Kuhle Wampe endet mit einem Gespräch zwischen Fahrgästen in einem Bahnabteil: Wer soll denn nun die Welt verändern? »Die, denen sie nicht gefällt!« Der anschließende Einzug der Arbeiterinnen und Arbeiter in einen dunklen Tunnel kann im Nachhinein sogar als prophetisch gedeutet werden. Denn die, die dann tatsächlich kamen, um die Welt zu ändern, trugen keine roten Fahnen, sondern braune Jacken.
Kuhle Wampe wurde im März 1933 verboten. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der drohenden politischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten emigrierte Slatan Dudow nach Paris, wo er 1934 seine noch in Berlin begonnene Satire Seifenblasen fertigstellen konnte, dessen abgedrehtes Material er vor der Beschlagnahmung gerettet hatte. Der lang verschollene Film karikiert die Illusionen des »kleinen Angestellten« Priepke (Henry Lorenzen), der mit seiner Entlassung in bittere Armut abrutscht. Er hält dabei auffällig lang und damit tragisch, hin und wieder aber auch (selbst-)ironisch an den noch allerletzten Überbleibseln seines ehemaligen Wohlstands fest. Doch in einer Zeit, in der Arbeit Goldstaub ist, machen Kleider längst keine Leute mehr und die Not macht nicht erfinderisch, sondern kriminell.
In Frankreich arbeitete Dudow unter ständiger Beobachtung der Behörden mit anderen Exilschauspielerinnen und -schauspielern zusammen. Mit oft notdürftiger Ausstattung inszenierte er unter anderem Brechts Die Gewehre der Frau Carrar mit Helene Weigel in der Hauptrolle. In seiner Zeit im Exil schrieb er auch das Bühnenstück Der Feigling, dessen Textbuch von der Pariser Polizei neben vielen weiteren Dokumenten und Briefen beschlagnahmt wurde. 1939 erfolgte die Ausweisung aus Frankreich, Dudow zog in die Schweiz und schrieb weitere sozialkritische Stücke, darunter Der leichtgläubige Thomas und Das Narrenparadies.
1946 kehrte er mit seiner Frau Charlotte und Tochter Katharina nach (Ost-)Berlin zurück und arbeitete zunächst als Berater und Gutachter für geplante Filmprojekte der DEFA. Seine erste Regiearbeit, Unser täglich Brot, feierte am 9. November 1949 Premiere und wurde schnell zu einem Aushängeschild des sozialistischen Films. Fortan galt Dudow als zentrale, richtungsweisende Figur der Filmkunst, die den DEFA-Spielfilm bedeutend prägte.
Unser täglich Brot zeigt die Geschichte einer Familie im Nachkriegsdeutschland. Der konservative Vater und ehemalige Kassenbeamte Karl Weber ist zunächst voller Bewunderung für seinen Sohn Harry, der auf mehr oder weniger zwielichtigen Wegen an »schnelles Geld« kommt und folglich auf die schiefe Bahn gerät. Derweil gehört dessen Bruder Ernst zu den ehrlichen und enthusiastischen Helden, die ihre eigene Arbeitsgrundlage, die zerstörte Fabrik, erst wieder herrichten müssen. Der Vater – um seinen Wandel geht es im Wesentlichen – zeigt sich am Ende einsichtig gegenüber der Notwendigkeit des nachhaltigeren Wegs in die Zukunft. Diese Darstellung des Ur-Schemas des sozialistischen Aufbaus wird insbesondere durch die Kameraarbeit von Robert Baberske und die erneut mehr aktiv kommentierende als bloß untermalende Musik von Hanns Eisler belebt.
Dudows zweiter DEFA-Spielfilm erschien bereits im darauffolgenden Jahr. Familie Benthin (1950) greift – mit dem recht einfachen, statischen Motiv vom perspektivlosen Westen und aussichtsreichen Osten – das Schmugglerproblem im geteilten, aber an den Grenzen noch offenen Deutschland auf. Das Drehbuchteam war hochkarätig: die Schriftsteller Kurt Barthel und Ehm Welk sowie der Texter der DDR-Nationalhymne und spätere erste Kulturminister Johannes R. Becher.
Das gesamte DEFA-Filmschaffen hat sich vor allem durch seine zahlreichen differenzierten, antifaschistischen Werke verdient gemacht. Hier sei auch an Dudows Beitrag mit dem Drama Stärker als die Nacht erinnert, das 1954 nach einem Drehbuch von Jeanne und Kurt Stern verfilmt wurde. Der Film mag phasenweise pathetisch wirken, war jedoch um einiges nüchterner als Kurt Maetzigs nahezu zeitgleich entstehenden Filme über Ernst Thälmann (Sohn seiner Klasse und Führer seiner Klasse). Erzählt wird vom Widerstandskampf des Ehepaars Löning (Wilhelm Koch-Hooge und Helga Göring), das sich auch nach der Machtübernahme Hitlers, trotz langer Inhaftierung und unter Todesandrohung mit Rüstungssabotagen und Flugblättern gegen das faschistische Regime engagiert.
Zwei Monate nach Gründung der DEFA formulierte Dudow seinen Anspruch an seine Filmarbeit in der Täglichen Rundschau:
»Vom Beginn meiner künstlerischen Arbeit an interessierte mich vor allem das soziale Problem. Es ging mir weiter darum, das Leben einzufangen. Ich bin immer ein Gegner des Films gewesen, der Flucht vor der Wirklichkeit war. […] Man muß den Zuschauer dort packen, wo er nicht ausweichen kann, bei den menschlichen Problemen also.«
Dieses Bekenntnis zum Realismus ist vage und im positiven Sinne sogar naiv. Denn gerade in dieser Allgemeinheit wird die Möglichkeit eröffnet, verschiedene realistische Stile und Ideen zu integrieren – allen voran epische und neorealistische Stile, die sich nicht immer mit den damals unbeständigen und mehr staatspolitischen als künstlerischen Idealen des sogenannten »Sozialistischen Realismus« vertrugen, die von den Kulturfunktionären in der DDR und auch von der Filmkunst eingefordert wurden.
Dudow selbst hielt flammende Reden darüber, dass der sozialistische Realismus keine vulgäre, simple »politische Moral«, sondern die einzige »komplizierte künstlerische Methode« des sozialistischen Künstlers sei. Er versuchte sogar, den »Dogmatiker[n] und andere[n] unkluge[n] Menschen« (womit er Kulturfunktionäre ohne Kunstverständnis, aber auch Filmschaffende im eigenen Land meinte) die Deutungshoheit über den sozialistischen Realismus zu nehmen, um ihn offen für neue Impulse zu halten. Bedenkt man aber, dass diese »Methode« eine vor allem konkrete und nüchterne Darstellung der Wirklichkeit erforderte und oft eine Handlung verlangte, die sich der sozialistischen Utopie verschrieb und in dessen Zentrum ein positiver Held zu wirken habe, dann erscheint der »Sozialistische Realismus« aus heutiger Sicht zu eng für Dudows realistischen Anspruch. Damit war er bei der DEFA alles andere als allein.
Diese Differenz zeigt sich besonders in seinem Film Frauenschicksale aus dem Jahr 1952, der von den Lebensgeschichten verschiedener Frauen in Ost- und West-Berlin erzählt. Renate, Barbara, Anni und Isa, sie alle fallen dabei auf den Verführer und »Lebemann« Conny (Hanns Groth) herein. Gerade weil dieser eine zentrale Rolle im Film einnimmt, vermissten einige damalige Kritikerinnen und Kritiker das emanzipatorische Anliegen, das Dudows Werk sonst auszeichnet. Bei einer der Filmkonferenzen der SED, auf denen über die Leitideale sozialistischer Kunst entschieden wurde, geriet Dudows Frauenschicksale unter Beschuss, weil dem Film der positive Held fehle. Dudow verteidigte sich und verwies auf die vier Heldinnen seines Films: »Vergessen wir das Wichtigste nicht, daß nicht die Männer, sondern die Frauen im Mittelpunkt des Filmes stehen. Ihnen gehört meine ganze künstlerische Liebe.«
Der Demokratische Frauenbund hielt dagegen und betonte, dass die vier gezeigten Schicksale alles andere als typisch für moderne Frauen seien. Mit diesem Verweis auf das Un-typische wurde Dudow vorgeworfen, er hätte hier einen unrealistischen Film gemacht. Dudow erwiderte darauf, dass sich der Realismus dieses Films vielmehr dadurch auszeichne, dass er über die Figuren auf reale gesellschaftliche Tendenzen Bezug nehme. Dies sei der Anspruch gewesen und weniger, wirkliche Lebenswege von Frauen darzustellen. Dieses Verständnis des Realismus verlange gerade der parteiergreifenden Kunst gewisse Zuspitzungen und Übertreibungen ab. Auch jenseits des Schlagabtausches mit dem Frauenbund zeigen sich insbesondere in den Diskussionen um das »Typische« immer wieder Spannungen zwischen dem Realismus Dudows und dem der Parteilinie.
Ein anderes Indiz für diese Spannung ist Dudows Kampf um die Anerkennung der realistischen Satire, die in der DDR-Kunst ohnehin einen schwierigen Stand hatte. Die Satire mit ihrem oft selbstkritischen Anspruch wurde zeitweise sogar für unnötig, obsolet oder für politisch schädlich erklärt. Die nicht wenigen Offiziellen, die diesen Standpunkt vertraten, begrüßten die Satire, wenn überhaupt, als erbarmungslose Anklage des »Klassenfeindes«. Aber das Kinopublikum war längst übersättigt von diesen einseitigen »von den Medien der DDR an die Wand gemalten Gespenstern vom Rhein«, wie es der Filmpublizist Hans-Jörg Rother einmal treffend beschrieb.
So ist es nicht verwunderlich, dass Dudow für die DEFA lediglich einen Satirestoff verfilmte. Der Hauptmann von Köln (1956) zeigt das groteske Verwechslungsspiel eines jungen, arbeitssuchenden Kellners (Rolf Ludwig), der in der Adenauerzeit fälschlicherweise für einen ehemaligen Hauptmann der faschistischen Wehrmacht gehalten wird. Daraus ergeben sich in Westdeutschland allerdings keine Probleme, sondern ungeahnte Karrierechancen bis hinauf in höchste politische Ämter. In grotesker Überspitzung kommentierte der Film die damaligen Entlarvungen ehemaliger Nationalsozialisten in hohen Positionen. Besonders hervorzuheben ist dabei eine Szene, die die Freilassung eines Kriegsverbrechers zeigt, der begleitet von Medienrummel pathetisch aus dem Gefängnis schreitet. Ein Pressemensch fragt ihn, worüber er sich mit den ehemaligen Generälen in der Zelle unterhalten habe: »Über die Aussichten des Friedens natürlich!«, lacht er sarkastisch. Sein Willkommensgeschenk ist eine absurde Torte, die eine unverhältnismäßig große Kanone ziert. Der realistische Gehalt oder die Verankerung zur Wirklichkeit ist hier weniger im Bild gewährleistet, sondern verlagert sich ins Erkenntnisvermögen des Publikums.
Beim dünnen Grat zwischen Wirklichkeit und Fiktion, auf dem sich Dudows realistische Inszenierung stets bewegen sollte – so etwa beim Einsatz von Mitteln der Übertreibung, der Stilisierung der Umwelten sowie Typisierung von Figuren –, orientierte er sich womöglich an seinen frühen Überlegungen und Versuchen zur Satire. Denn Krisenzeit ist eben auch Satirezeit: »Draußen tobte der Krieg […] und ich saß irgendwo im zitternden Europa und schrieb Komödien.« Diese Worte leiten Dudows Bühnenstück Das Narrenparadies ein, an dem er in der Schweiz arbeitete: »Lächerlichkeit tötet. Und wir können hinzufügen, mit dem Lachen wird eine neue Erkenntnis quittiert als Zeichen, daß wir die Dinge durchschauen und sie bis in ihren inneren Kern enthüllt haben.« Dudow war durchaus bewusst, wie schnell dieses angestrebte, sozialkritische Lachen beim Publikum in stumpfes Gelächter, in reine Blödelei und im schlimmsten Fall in unbedeutende, übersättigte Langeweile umschlagen kann. Dass sich dies bei seinem Hauptmann stellenweise andeutete und er womöglich eine unzeitgemäße Satire geschaffen hatte, traf ihn – laut einigen Zeitzeugen – schwer. Ein derartiges Scheitern wäre nicht nur seinem künstlerischen Anspruch zuwider, sondern wäre Ausdruck jenes forcierten und plakativen Realismus, den Dudow selbst stets kritisierte.
Diesen Gedanken einer sensiblen und komplexen Verankerung der künstlerischen Mittel in der Wirklichkeit übertrug Dudow später auch auf seine ernsten Dramen. Sein Fokus auf problematische Filminhalte richtete sich daher nie gegen das Lachen, sondern gegen die Belanglosigkeit einer ausschließlich unterhaltenden Filmkunst. Der Begriff des Lebens richtet sich an einer Nähe zum Alltag aus, die Dudow einmal in absichtlicher (und recht unfairer) Polemik gegen die »französische Heiterkeit« und »westdeutsche Liebe« in Stellung brachte: »Die Schnulzenfilme erwiesen sich als ein Einfallstor für die kleinbürgerliche Ideologie«, schrieb er im politischen Klima des Jahres 1958 im SED-Zentralorgan Neues Deutschland. Sein Plädoyer für die Entdeckung des Alltags im Spielfilm war zu dieser Zeit eindeutig inspiriert von den italienischen neorealistischen Filmen, deren Einfluss dem »Sozialistischen Realismus« womöglich mehr Standfestigkeit und Überzeugungskraft hätten verleihen können. Mutiger waren in dieser Hinsicht seine Freunde und Kollegen Wolfgang Kohlhaase und Gerhard Klein (Berlin – Ecke Schönhauser..., 1957) oder sein Schüler Heiner Carow (Sie nannten ihn Amigo, 1958).
Bemerkenswert ist, dass Dudow in seiner Gegenwartskomödie Verwirrung der Liebe (1959) letztlich doch noch in der Heiterkeit, im unbeschwerten Lachen und in jugendlicher Leichtigkeit die Möglichkeit fand, seinen Anspruch einer problembezogenen und lebensnahen Filmkunst zu verwirklichen. Der Film erzählt von vier jungen Menschen, die mitten in der Lebenswelt der DDR stehen: Sonja (Annekathrin Bürger), eine Berliner Kunststudentin, ist seit einigen Jahren mit dem Medizindoktoranten Dieter (Willi Schrade) zusammen, der sich aufgrund einer Verwechslung bei einer opulenten Faschingsfeier in die junge Arbeiterin Siegi verguckt (Angelica Domröse). Auch Siegis Freund, der Maurer Edy (Stefan Lisewski), und Sonja bandeln miteinander an, sodass bis zum Schluss offenbleibt, wer wohl wen heiraten wird. Trotz der Ernsthaftigkeit des sozialen Umfelds und der eigenen Gefühle, sind Dudows »Wahlverwandtschaften« erfrischend freizügig und ohne Agitation und politische Erziehung, die der DEFA zu dieser Zeit längst einbrechende Besucherzahlen beschert hatten.
Erwartungsgemäß lag für einige Kritiker genau darin das Problem: Nacktbaden, romantische Sonnenuntergänge, eine »unverbindliche« Jugend: Der Film hätte »genausogut in Frankreich oder Italien, ja […] sogar in Westdeutschland gedreht worden sein« können. Diese Worte des späteren Chefkommentators des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, klingen heute wie ein großes, unfreiwilliges Kompliment an die Filmschaffenden; damals konnten diese aber durchaus Künstlerkarrieren beenden. Dudow sah sich veranlasst, in der Presse leidenschaftlich für den Film, sein Vertrauen in die Jugend und den diesmal fehlenden, »verhaßten Zeigefinger« einzutreten.
Ob es Dudow mit all seinen Filmen gelingt, den »Zuschauer zu packen«, darüber möge man selbst urteilen. Die Rezeptionsgeschichte hinterlässt einen ambivalenten Eindruck von der Wirkung und Kraft seiner Filme. Jutta Voigt kommentierte 1974 im Sonntag, dem heutigen Freitag, ein letztes Filmvorhaben aus dem Jahr 1963: »Dudow macht, kühn war das, aus einer Frau, die anderswo asozial genannt worden wäre, eine Madonna.« Gemeint ist Christine. Die junge Landarbeiterin, gespielt von Annette Woska, bekommt vier Kinder von vier verschiedenen Männern. Wie sich andeutete, würde der Film die Spannung zwischen der Suche nach einem guten, selbstbestimmten Leben und den dafür vorhandenen oder fehlenden Möglichkeiten einer Gesellschaft zum Thema machen. Doch Dudows Projekt blieb aufgrund eines tödlichen Autounfalls am 12. Juli 1963 unvollendet und wird als Fragment im Auftrag der DEFA-Stiftung momentan restauriert.
Es ist schwer zu sagen, welche Wirkung der fertige Film erzielt hätte. Angesichts der noch vorhandenen Materialien wird man sich bald aber ein Bild davon machen können, wie und mit welchen neuen Ideen Dudow die Chancen und Probleme seiner Zeit behandelt hätte. Ich lese gern, was uns seine Regieassistentin Christa Müller im vergangenen Jahr dazu schrieb:
»Wo Christine im Bild ist, geht alles Licht von ihr aus: von ihrem hellen Kleid, einer weißen Bluse, von ihrem erwartungsfrohen – und noch von ihrem traurigen Gesicht. Die Figur besteht – auch in Schmerz und Verzweiflung – auf einem unbeirrbaren Vertrauen ins Leben.«
Selbst in diesem unvollendeten Fragment spiegelt sich Dudows eigener Anspruch, mit Filmen das Leben in all seinen Widersprüchen zu spiegeln.
René Pikarski ist der wissenschaftliche Referent der DEFA-Stiftung in Berlin, die sich für den Erhalt und die Aufarbeitung des ostdeutschen Kinofilmerbes engagiert. Gemeinsam mit Ralf Schenk und vielen Forschenden arbeitet er an einem umfangreichen Sammelband über das Leben und Werk Slatan Dudows, der 2022 in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung erscheint. Derzeit promoviert er an der Hochschule für Philosophie in München zu den Schriften Henri Bergsons und Michel Foucaults.
René Pikarski ist der wissenschaftliche Referent der DEFA-Stiftung in Berlin, die sich für den Erhalt und die Aufarbeitung des ostdeutschen Kinofilmerbes engagiert. Gemeinsam mit Ralf Schenk und vielen Forschenden arbeitet er an einem umfangreichen Sammelband über das Leben und Werk Slatan Dudows, der 2022 in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung erscheint. Derzeit promoviert er an der Hochschule für Philosophie in München zu den Schriften Henri Bergsons und Michel Foucaults.