19. Februar 2024
Vier Jahre nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, der neun Menschen das Leben kostete, ist es wichtiger denn je, gegen Rassismus zusammenzustehen – und gegen die kapitalistischen Zustände, die ihn begünstigen.
Gedenkdemonstration in Hanau, 17. Februar 2024.
Heute jährt sich zum vierten Mal der Anschlag in Hanau, bei dem ein polizeibekannter Rechtsextremer neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordete. Seither skandieren wir »Hanau ist kein Einzelfall«. Denn nicht erst seit Hanau lernen wir Deutschlands Geografie über rechten Terror kennen: Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, Hamburg, Leipzig, Halle, Dresden, Chemnitz.
Zudem bilden Anschläge wie der in Hanau nur die Spitze eines rassistischen Normalzustandes, der nicht zuletzt staatlich vermittelt wird. Die neuen Deportationspläne der Ampel unter dem Titel »Rückführungsgesetz« fügen sich bruchlos ein in eine Gesellschaft, in der Medien gegen migrantisches Leben hetzen, während migrantische Arbeitskräfte mit mangelndem Arbeitsschutz auf dem Bau schuften, auf Spargelfeldern ackern oder sich outgesourct in der Pflege verausgaben.
Rassismus hat den Zweck, zu legitimieren, dass der Staat migrantische Arbeitskraft sanktioniert, in verwertbares und unverwertbares Leben einteilt und letzten Endes viele Menschen zu frühzeitigem Tod verurteilt. So hat der Staat Shisha-Bars als migrantische Orte kriminalisiert und unverhältnismäßigen Polizeikontrollen ausgesetzt, woraufhin sie auch medial als Gefahr markiert und darüber gesellschaftlich stigmatisiert wurden. Da überrascht es nicht, dass auch der Täter von Hanau unter anderem eine Shisha-Bar als Ziel aussuchte.
»Zu erinnern ist ein Akt des Widerstandes.«
Dazu kam die aktive Passivität der staatlichen Sicherheitsbehörden, die den Täter schon kannten und dennoch keinen Handlungsbedarf sahen. Der Notausgang der Hanauer Shisha-Bar Arena war auf polizeiliche Anordnung hin versperrt, damit bei Razzien die Besuchenden das Lokal nicht einfach durch diesen verlassen konnten. Während des Anschlags am 19. Februar 2020 konnten die Menschen nun aufgrund dieser Maßnahme ihrem Mörder nicht entfliehen. Und als wäre dem nicht genug, verwehrte man die medizinische Versorgung vor Ort, solange keine Ausweise an den Verletzten gefunden wurden.
Schnell wird klar, dass die staatlichen Institutionen selbst Teil der Gefahr und nicht des Schutzes sind. Migrantisches Leben wird vom Staat als bedrohlich markiert, festgesetzt und darüber flexibel kontrolliert. Das gilt in Hanau, wenn die Polizei effektiv junge Menschen im Raum festsetzt, in dem ein Anschlag geschieht, genauso wie in den Lagern, in denen Menschen festgehalten werden, oder im Mittelmeer, wo man sie organisiert sterben lässt. Alle diese Orte sind Teil der Geografie rechten Terrors. Es handelt sich um ein System, das durch Polizeiposten und Gesetzesparagrafen abgesichert ist und durch mediale Hetze verbreitet wird.
Wenn Rechtsextreme morden, dann stellt das keine Abweichung dar, sondern die Konsequenz einer rassistischen Maschinerie des Kapitalismus, die Menschen in unterschiedliche rechtliche Verhältnisse einsortiert, um sie abhängig und für das System produktiv zu machen. Deswegen reicht es nicht, nur gegen die AfD zu protestieren.
Wir müssen nicht nur Hand in Hand gegen rechts stehen, sondern Schulter an Schulter gegen einen Staat, der die Bedingungen des Mordens herstellt – in Erinnerung an Said Nesar Hashemi, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Zu erinnern wird damit ein Akt des Widerstandes. Denn was unsere Orte von Hanau trennt, ist lediglich der Zufall.
Simin Jawabreh (@siminjawa) arbeitet an der Humboldt-Universität zu Berlin im Lehrbereich Theorie der Politik, in der politischen Bildung und ist Kolumnistin bei JACOBIN.