03. Oktober 2025
Ein gewisses Maß an Ungleichheit mag in komplexen Gesellschaften unvermeidbar sein. Ungerecht wird es da, wo sie auf Umständen basiert, die die Benachteiligten nicht beeinflussen können.
Mark Zuckbergs Luxusyacht ist in jedem Fall ein Symbol für nicht hinnehmbare Ungleichheit.
Angeblich lebte der italienische Anarchist Carlo Cafiero die letzten Tage vor seinem Tod 1892 in der wahnhaften Vorstellung, er »würde möglicherweise mehr als seinen gerechten Anteil an Sonnenschein konsumieren«. Diese nicht belegte Anekdote veranschaulicht, wie eine egalitäre Linke aus einer ihr nicht sonderlich freundlich gesinnten Perspektive wirken mag. Aus dieser Sicht sind Linke besessen von Gleichmacherei: Was ist denn so schlimm daran, fragt man sich, wenn manche Menschen ein bisschen mehr haben als andere?
In Wahrheit ist es aber so, dass sich die größten linken Denker durchaus intensiv mit der Frage der Ungleichheit auseinandergesetzt haben. Die meisten Sozialisten glauben, dass ein gewisses Maß an Ungleichheit unvermeidbar ist. Die Frage ist vielmehr, wie viel Ungleichheit tolerierbar ist und welche Art von Ungleichheit in der idealen Gesellschaftsform zugelassen werden sollte.
»Ungleichheit hätte für die meisten von uns auch dann noch etwas moralisch Bedenkliches, wenn für ein angemessenes Minimum für alle gesorgt wäre.«
Einige linke Philosophen beschäftigen sich nicht mit Ungleichheit an sich. Diese Denker, sogenannte »Suffizienzler« wie Harry Frankfurt, argumentieren, es spiele keine Rolle, dass einige Menschen mehr – gegebenenfalls auch viel mehr – besitzen als andere, solange für alle ein ausreichendes Minimum gesichert ist. Aber wenn wir ehrlich sind, hätte Ungleichheit für die meisten von uns auch dann noch etwas moralisch Bedenkliches, wenn für ein angemessenes Minimum für alle gesorgt wäre.
Wir empfinden es als ein Problem, dass unter kapitalistischen Verhältnissen selbst Amazon-Angestellte mit guten Arbeitsplätzen ihren Urlaub sorgfältig planen, kalkulieren und dafür sparen müssen, während ihr Chef spontan entscheiden kann, seine Verlobte einen Abstecher ins Weltall machen zu lassen. Selbst wenn wir das Problem lösen könnten, dass im Kapitalismus ein gewisser Teil der Bevölkerung in bitterer Armut lebt und unter Brücken oder auf Parkbänken schläft, wäre eine solche riesige Kluft in Sachen Privilegien und finanziellen Ressourcen immer noch moralisch anstößig.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass in einer hochkomplexen Gesellschaft nicht jeder über genau die gleichen Ressourcen verfügen kann. Wo ziehen wir also die Grenze? Es gibt vielleicht keinen besseren Leitfaden zu diesem Thema als den des verstorbenen marxistischen Philosophen G. A. Cohen. Er entwickelte seine Ansichten akademisch in Arbeiten wie On the Currency of Egalitarian Justice sowie deutlich zugänglicher in seinem kurzen Buch Sozialismus – warum nicht?. Für Cohen sind letztlich nicht die Ungleichheit oder die unterschiedlichen Privilegien und Vorteile per se zu beanstanden, sondern die Ungleichheit beim Zugang zu solchen Vorteilen.
»Es sollte unsere Vorstellung von Egalitarismus nicht verletzen, wenn eine Person aufgrund ihrer Extra-Arbeit über zusätzliches Einkommen verfügt, mit dem sie eine Terrasse vor ihr ihrem Haus bauen kann, und eine zweite Person nicht.«
Stellen wir uns eine zukünftige Welt vor, in der wir die Produktion kollektiviert und die gewinnorientierte Ausbeutung, entlang welcher die Arbeit im Kapitalismus organisiert ist, beseitigt haben. Stellen wir uns weiter vor, dass eine Person aus freiem Willen lange und hart arbeitet, während eine andere Person, ebenfalls aus freiem Willen, nur das Nötigste tut.
Nehmen wir an, dass beide insgesamt einen vollkommen angemessenen Lebensstandard haben. Beide leben beispielsweise in komfortablen Häusern. Es sollte unsere Vorstellung von Egalitarismus dann nicht verletzen, wenn die erste Person aufgrund ihrer Extra-Arbeit über mehr beziehungsweise zusätzliches Einkommen verfügt, mit dem sie eine Terrasse vor ihrem Haus bauen kann, und die zweite Person nicht.
In diesem Szenario haben beide Arbeiter grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten, den gleichen Zugang zu Vorteilen. Sie entscheiden sich lediglich dafür, diesen Zugang unterschiedlich zu nutzen. Vielleicht entscheidet sich der zweite Arbeiter dafür, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, anstatt mehr erwerbstätig zu sein und eine Terrasse zu bauen. Dieser Unterschied sollte uns überhaupt nicht stören. Selbst wenn die zweite Person viel fragwürdigere Entscheidungen darüber trifft, was sie mit ihrer Zeit anfängt, liegt hier keine Ungerechtigkeit vor, solange es sich wirklich um ihre eigene freie Entscheidung handelt.
Cohen bezeichnet seine Sichtweise als »Glücksegalitarismus«. Er ist der Ansicht, dass Ungleichheiten dann nicht mehr akzeptabel sind, wenn sie außerhalb der Kontrolle derjenigen liegen, die das Nachsehen haben. Die ideale Gesellschaft würde derartige Ungleichheiten, die man nicht ändern oder beeinflussen kann, beseitigen.
Interessanterweise scheinen Konservative dieser Ansicht bis zu einem gewissen Grad zuzustimmen: Sonst würden sie wohl kaum so viel Zeit und Energie darauf verwenden, die Ungleichheiten im Kapitalismus mit dem Argument zu rechtfertigen, dass harte Arbeit belohnt werde. Aber was ist mit all den Fällen, in denen kapitalistische Eigentumsverhältnisse Ungleichheiten erzeugen, die eben nichts mit harter Arbeit zu tun haben?
»Wir sollten versuchen, Ungleichheiten zu beseitigen, die eine reine Frage des Glücks sind – sei es das Glück, in eine gewisse Familie hineingeboren zu werden, oder das Glück angeborener Talente oder Begabungen.«
Unter kapitalistischen Verhältnissen kann ein Sohn die Firma seines Vaters erben – oder genug Geld, um ein eigenes Unternehmen zu gründen –, so wie der Sohn eines Königs den Thron erbt. Jemand, der in schlechteren Verhältnissen geboren wurde, könnte sich vielleicht in der Klassenstruktur nach oben kämpfen und selbst Unternehmer werden, aber das wird für ihn weitaus schwieriger sein als für den Sohn mit dem großen Erbe. Es stimmt, dass die zweite Person nicht derart benachteiligt ist wie ein Leibeigener oder Sklave, für die es absolut keine soziale Mobilität gibt. Doch er und der Sohn des Kapitalisten haben sicherlich nicht den gleichen Zugang zu Vorteilen und Möglichkeiten.
Selbst wenn wir es als gegeben annehmen, dass sozialer Aufstieg für Kinder aus der Arbeiterklasse immer möglich ist – was nicht der Fall ist –, bleibt die Frage, welche Individuen den sozialen Aufstieg schaffen. Viele der vielversprechendsten Wege aus der Arbeiterklasse führen über eine höhere Bildung und Qualifikationen. Doch akademische Fähigkeiten sind, ebenso wie körperliche Fähigkeiten, ungleichmäßig über die Bevölkerung verteilt.
Eine Gesellschaft, in der der einzige Weg zu einem Mittelklasse-Lebensstil darin bestünde, sich durch körperlichen Kampf einen Platz in der Kriegerkaste zu erkämpfen, wäre unfair gegenüber Menschen, die ohne eigenes Verschulden körperlich kleiner oder schwächer sind. Ebenso ist es ungerecht, wenn die wenigen Aufstiegswege aus der Arbeiterklasse tendenziell mit ungleich verteilten akademischen Fähigkeiten verknüpft sind.
»Mark Zuckerberg besitzt eine rund 120 Meter lange Superyacht namens Launchpad, deren Unterhalt jährlich 30 Millionen Dollar kostet und die über eine eigene ›Begleityacht‹ namens Wingman verfügt.«
Wenn alle anderen Faktoren gleich wären, sollten wir versuchen, Ungleichheiten zu beseitigen, die eine reine Frage des Glücks sind – sei es das Glück, in eine gewisse Familie hineingeboren zu werden, oder das Glück angeborener Talente oder Begabungen.
Der Punkt ist nicht, dass wir einen vollkommenen Glücksegalitarismus erreichen müssen. Kompromisse und Konflikte zwischen unterschiedlichen Werten und Vorstellungen sind real. Aber wir können Cohens Glücksegalitarismus als einen Leitstern nehmen, wenn wir für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen. Sobald wir uns in diese Richtung orientiert haben, können wir erkennen, wie ungünstig unsere Ausgangsposition im Kapitalismus ist.
Jedes Mal, wenn wir Ungleichheiten akzeptieren, gegen die die jeweils Benachteiligten nichts unternehmen können, akzeptieren wir damit ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit. Das sollte bei uns zumindest ein ungutes Gefühl hinterlassen, unabhängig davon, ob andere Werte dem entgegenstehen. Und man muss klar sagen: Die enormen Ungleichheiten, die dem Kapitalismus innewohnen, gehen weit über den Bereich solcher schmerzhaften Kompromisse hinaus.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen, die lange Schichten in Fleischverarbeitungsbetrieben schieben, in Panik geraten, wenn ihr Auto kaputtgeht, weil sie schlichtweg nicht wissen, wie sie sich die Reparatur oder einen neuen Wagen leisten sollen. Gleichzeitig besitzt Mark Zuckerberg eine rund 120 Meter lange Superyacht namens Launchpad, deren Unterhalt jährlich 30 Millionen Dollar kostet und die über eine eigene »Begleityacht« namens Wingman verfügt. Ob wir echte Gleichheit erreichen können oder nicht: Solche Zustände sollten wir auf keinen Fall hinnehmen.
Ben Burgis ist Kolumnist bei Jacobin, Autor des Buches Give Them an Argument: Logic for the Left und Host des gleichnamigen Podcasts Give Them an Argument.