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04. Dezember 2025

Es gibt keinen Generationen­konflikt bei der Rente

Arbeiter und Rentner haben gemeinsame Interessen: Höhere Löhne führen auch zu höheren Renten. Von dieser Position darf die Linke nicht abweichen – auch nicht, um ein vermeintlich kleineres Übel einer schwarz-roten Rentenreform zu unterstützen.

Die Linke ist die einzige Partei, die tatsächlich einen Weg zur Lösung dieser Krise vorzuweisen hat. Nun muss sie in die Position kommen, diesen Weg aus eigener Kraft durchsetzen zu können.

Die Linke ist die einzige Partei, die tatsächlich einen Weg zur Lösung dieser Krise vorzuweisen hat. Nun muss sie in die Position kommen, diesen Weg aus eigener Kraft durchsetzen zu können.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft kommt die Debatte über eine Rentenreform in Deutschland, aber auch in anderen Industrieländern, immer wieder auf – meist auf Initiative des Kapitals. Arbeitgeberverbände und ihre Hampelmänner in Wirtschaftswissenschaften, Medien und Politik setzen sich dabei für Erhöhungen des Renteneintrittsalters oder sogar direkte Rentenkürzungen ein.

Die Argumentation dafür ist im Grunde immer die gleiche und wird gebetsmühlenartig rezitiert: Früher kamen auf einen Menschen in Rente noch viel mehr Beschäftigte, heute müssen immer weniger Junge immer mehr Alte durchfüttern. Menschen leben länger, gehen aber immer noch genauso früh in Rente. Das ist langfristig nicht tragbar und der jüngeren Generation gegenüber ungerecht.

Das Argument ist so verführerisch wie unsinnig. Ja, auf einen Menschen in Rente kommen heute weniger Beschäftigte als im Jahr 1957, als die BRD das umlagefinanzierte Rentensystem einführte, das in seiner Grundform bis heute besteht. Aber diese Beschäftigten sind heute um ein Vielfaches produktiver als damals.

Blickt man auf die Realwirtschaft, ist das Bild zwar etwas komplizierter, da die Produktivität nicht in allen Sektoren gleich schnell wächst und Menschen im Ruhestand nicht nur mit genug Fernsehern und Kühlschränken, sondern auch mit genug Pflegekräften und Backwaren versorgt werden müssen. Aber dass die Produktivität schneller steigt als die Gesellschaft altert, bedeutet, dass Einschnitte bei der Rente anders als behauptet keine ökonomische Notwendigkeit sind.

Arbeiter und Rentner, vereinigt euch

Nicht der demografische Wandel an sich verursacht die Krise bei den Renten, sondern die Klassenverhältnisse und Konstruktionsfehler im Rentensystem. Bei einer umlagefinanzierten Rentenversicherung ergeben sich die Rentenzahlungen direkt aus den gezahlten Beiträgen (plus den Zuschüssen aus dem Staatshaushalt). Steigen die Beiträge, steigen auch die ausgezahlten Renten. In kapitalgedeckten Systemen ist das auch der Fall, nur weniger offensichtlich: Dort beziehen Rentnerinnen und Rentner ihr Einkommen aus dem Verkauf von Assets aus ihren Pensionsfonds an arbeitende Menschen, die damit wiederum ihre eigenen Pensionsfonds aufbauen. So sind Rentenversicherungen immer Umverteilungssysteme, in denen arbeitende Menschen Einkommen an Menschen in Rente transferieren.

Steigen die Einkommen arbeitender Menschen, steigt auch das Aufkommen an Rentenbeiträgen und somit die ausgezahlte Rente. Hätten Löhne besser mit der Produktivität Schritt gehalten, gäbe es heute keinen Rückstand bei den Renten. Dieser Zusammenhang zwischen Löhnen und Renten ist auch der Grund, warum die Erzählung von einem Generationenkonflikt bei den Renten Quatsch ist. Rentnerinnen und Rentner haben ein Interesse daran, dass die Einkommen der jüngeren Generationen möglichst hoch sind. Und würde man das Renteneintrittsalter erhöhen, bedeutet das keine Entlastung für junge Menschen. Sie könnten dann nicht nur selbst erst später in Rente gehen, sondern das erhöhte gesamtgesellschaftliche Arbeitsangebot würde sich auch dämpfend auf das zukünftige Lohnwachstum auswirken.

»Die Renten zusammenzustreichen, um junge Menschen zu entlasten, ist so oder so absurd. Denn das führt nur dazu, dass sie die Altersvorsorge ihrer Eltern stattdessen aus eigener Kraft stemmen müssen.«

Dieser Verlust würde auch nicht durch ein höheres Wachstum ausgeglichen werden. Wenn das Arbeitsaufkommen in der Wirtschaft erhöht wird, steigt zwar auch das Bruttoinlandsprodukt, aber nicht seine Wachstumsrate. Die Produktivität kann Jahr über Jahr immer weiter steigen, aber dem Wirtschaftswachstum durch Mehrarbeit sind klare physische Grenzen gesetzt. Wenn die Erhöhung des Arbeitsangebots den Anreiz senkt, in arbeitssparende Technologien zu investieren, wirkt sich das ganze langfristig sogar negativ auf das Wirtschaftswachstum aus. Das ist auch der Grund, warum mehr Wachstum durch eine Verlängerung des Arbeitstages illusorisch ist.

All das ist ausschließlich ein Geschenk an das Kapital und das Herzstück der linken Erzählung muss sein, dass die Löhne in Deutschland zu niedrig sind und schon viel zu lange stagnieren. Aber auch ohne dass sich daran etwas ändert, ließe sich das Rentensystem so reformieren, dass man das Rentenniveau sogar anheben und nicht nur stabilisieren könnte, wie Merz es will: Man könnte die Beitragsbemessungsgrenze streichen, sodass auch Spitzenverdiener im selben Maße in die Rentenkasse einzahlen (ohne dass dabei ihre Rentenansprüche mit erhöht werden). Und man könnte statt des stratifizierten Rentensystems mit verschiedenen Rentenversicherungen eine einheitliche Versicherung schaffen, in die alle einzahlen, auch Beamte und Unternehmer. Dann wären die Finanzierungsprobleme trotz demografischem Wandel Geschichte.

Der einzige Grund, am bisherigen System festzuhalten, ist der, aus dem es auch ursprünglich eingeführt wurde: Statusunterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen, um sie zu spalten.

Finger weg vom kleineren Übel

Das Rententhema sollte ein Heimspiel für die Linkspartei sein. Gerade deshalb ist es so frustrierend, wie sie sich in der Debatte verhalten hat: Die Bundestagsfraktion hat in den letzten Wochen wiederholt öffentlich verlautbaren lassen, dass sie eine Zustimmung zum Rentenpaket erwägt, weil es Rentenkürzungen für die nächsten Jahre verhindern würde und weil die Mehrheit dafür durch die Auflehnung der Jungen Gruppe der Union nicht sicher war. Nun hat die Linke angekündigt, sich bei der Abstimmung enthalten zu wollen. Doch auch die Enthaltung könnte der Regierung den Hals retten, falls sie die jungen CDU-Rentenrebellen nicht eingefangen bekommt. Denn für den Beschluss ist lediglich eine einfache Mehrheit nötig.

Das Rentenpaket der Regierung würde das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent stabilisieren. Das ist zweifellos besser, als die Rentenkürzungen, die ohne die Reform bevorstünden. Nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung profitieren auch jüngere Menschen von der Stabilisierung. Der Vorwurf, dass die Regierung hier Politik für Alte zulasten der Jungen macht, mit dem die Junge Union ihre Ablehnung des Rentenpakets begründet und so die Linke überhaupt in die Verlegenheit bringt, über eine Zustimmung nachzudenken, ist also haltlos.

Die Renten zusammenzustreichen, um junge Menschen zu entlasten, ist so oder so absurd. Denn das führt nur dazu, dass sie die Altersvorsorge ihrer Eltern stattdessen aus eigener Kraft stemmen müssen. Kaum jemand wäre bereit, die eigenen Eltern einfach so im Stich zu lassen und deshalb sollten wir das auch als Gesellschaft nicht tun. Aber dass die Rentenreform das kleinere Übel darstellt, ist gar nicht der Punkt.

Wie der amerikanische Marxist Hal Draper 1967 schrieb, ist schon die Frage nach dem kleineren Übel ein Desaster. Selbst in Fällen, wo es ein eindeutiges kleineres Übel gibt, ist es ein strategischer Fehler, dieses kleinere Übel zu unterstützen. In Drapers Worten: »Man kann den Sieg der rechtesten Kräfte nicht bekämpfen, indem man seine eigene, unabhängige Stärke opfert, um Kräfte zu unterstützen, die nur einen Schritt weiter von ihnen entfernt stehen.«

»Macht die Linke sich zur Erfüllungsgehilfin für die Regierung, findet sie sich womöglich in einer Situation wieder, in der sie das große Übel, das sie verhindern wollte, in vielen Schritten des kleineren Übels selbst herbeigeführt hat.«

Und genau das täte die Linke, würde sie Friedrich Merz völlig ohne Gegenleistung zu den Mehrheiten verhelfen, die er braucht. Anstatt für ihre eigene, unabhängige Agenda zu kämpfen, hätte sie sich mit einer Zustimmung einer CDU-geführten Regierung untergeordnet. Man kann politische Entscheidungen nicht voneinander losgelöst behandeln, so als würde jemand nach jedem Ereignis den Reset-Button drücken.

Wenn die Linke Pläne der Union unterstützt, kann sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr genauso glaubwürdig und effektiv als Oppositionspartei auftreten. Es kann sich schnell ein Muster herausbilden, in dem die Linkspartei immer wieder für die CDU Kohlen aus dem Feuer holt – wie zum Beispiel bei der Ermöglichung eines zweiten Wahlgangs für Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Selbst wenn jede der betreffenden Entscheidungen für sich genommen noch vertretbar war.

Die Krise des Rentensystems wird bestehen bleiben, solange ihre Ursachen nicht adressiert sind. Das Rentenpaket der Regierung schiebt sie lediglich ein paar Jahre auf und es gibt keine Garantie, dass die CDU bis dahin nicht zu den Einschnitten bereit sein wird, die jetzt nur eine Minderheit in ihren Reihen fordert.

Die Linke ist die einzige Partei, die tatsächlich einen Weg zur Lösung dieser Krise vorzuweisen hat. Sie muss in die Position kommen, diesen Weg aus eigener Kraft durchsetzen zu können. Wenn der Kampf um die Rente zurückkommt, muss sie die am besten organisierte Oppositionspartei sein und populären Unmut kanalisieren können. Macht sie sich stattdessen jetzt zur Erfüllungsgehilfin für die Regierung, findet sie sich womöglich in einer Situation wieder, in der sie das große Übel, das sie verhindern wollte, in vielen Schritten des kleineren Übels selbst herbeigeführt hat und machtlos ist, noch etwas dagegen zu unternehmen.

Jonas Thiel ist Mitglied der Linken und Contributing Editor bei »Jacobin«.