03. Dezember 2025
Die Rentenrebellen spielen Arbeiter und Rentner gegeneinander aus und dienen so letztlich Kapitalinteressen. Aber eines muss man ihnen lassen: Sie haben mehr Mut, sich der CDU zu widersetzen, als man es von jungen Abgeordneten anderer Parteien sagen kann.

Die Stimmung ist angespannt zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und Johannes Winkel, dem Vorsitzenden der Jungen Union.
Der Renten-Zoff in der CDU geht weiter: Die sogenannte Junge Gruppe droht damit, die Zustimmung zum Rentenpaket von Union und SPD zu verweigern – und könnte die Koalition damit sprengen. Die Begründung der Rebellen: Dieses Rentenpaket würde junge Leute unverhältnismäßig belasten, und auch für den Staatshaushalt wäre es eine Katastrophe.
Ohne allzu tief in die Ökonomie des Sozialstaats einsteigen zu wollen: Diese Begründungen sind wenig glaubwürdig. Ginge es der Jungen Union wirklich um die Belastung der arbeitenden Klasse, dann könnte sie ja auch einmal höhere Löhne fordern. Diese Forderung wird man jedoch niemals hören. Auch die Sorgen um den Staatshaushalt wirken eher skurril: Die Bundesrepublik könnte in wenigen Jahren rund 45 Prozent des Bundeshaushalts fürs Militär ausgeben, wenn das Nato-5-Prozent-Ziel erfüllt wird. Da fallen die Mehrkosten für die Altersrente nicht mehr wirklich ins Gewicht.
Mutmaßlich sorgt man sich in der Jungen Union vor allem um steigende Lohnnebenkosten – und damit um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals. Damit betreiben die angeblichen Rebellen einen Klassenkampf von oben, der als Generationenkonflikt getarnt wird. So widerwärtig diese künstlich erzeugte Feindschaft von Arbeitern und Rentnern ist, muss man der Jungen Gruppe jedoch einen gewissen Respekt zollen. Die jungen Parlamentarier widersetzen sich der Basta-Politik des Kanzlers und beweisen ein politisches Rückgrat, über das viele gleichaltrige Sozialdemokraten nicht verfügen.
Immer wieder ziehen Sozialdemokraten oder Grüne als junge Leute in den Bundestag ein und versprechen, sich dort mit den eingerosteten Strukturen anzulegen. Das klappt im Regelfall eher mäßig, oft sind es die immergleichen Karrieren, die man beobachten darf: Wer noch im Wahlkampf für Flüchtlinge oder den Frieden antrat, der beschließt unter dem Druck der staatspolitischen Verantwortung oder der Fraktionsdisziplin die Verschärfung des Grenzregimes oder die Aufrüstung der Bundeswehr.
Dieses Problem ist nicht neu: Schon seit über hundert Jahren besteht hierin ein Problem des linken Parlamentarismus. Wer das System von innen reformieren, wer konstruktiv mitregieren will, der wird konservativ und unterwirft sich den Zwängen des Systems und den Machtstrukturen der Partei. Schon 1911 schrieb der Soziologe Robert Michels über die Sozialdemokratie: »Parlamentarisch erstarkt, begann sich plötzlich bei ihr das Verantwortlichkeitsgefühl zu regen. Ihm zuliebe trat sie alsbald mit aller Autorität, über die sie verfügte, den radikalen Richtungen in ihrem Schoße entgegen, die sie bisher ruhig hatte gewähren lassen. Im Namen dieses Gefühls erteilte sie dem Antimilitarismus Absagen, wies sie die Generalstreiktaktik von sich ab, verleugnete sie alle Kühnheiten und Logizismen ihrer Vergangenheit.«
Seit über 100 Jahren können wir das in der SPD sehen. Dort unterwirft sich eine Generation von Jusos nach der anderen den Appellen an die staatspolitische Verantwortung – oder aber den Drohungen der Partei. Denn wer nicht mitspielt, der bekommt bei der nächsten Wahl keinen guten Listenplatz – und droht, seine privilegierte Stellung als gut bezahlter Abgeordneter zu verlieren. Das weiß jeder potentielle Abweichler, und notfalls wird es ihm noch einmal ins Gedächtnis gerufen.
So soll es vergangene Woche einigen Abgeordneten der Jungen Gruppe ergangen sein. Medienberichte kolportierten, dass Jens Spahn den jungen Aufständischen mit schlechteren Listenplätzen gedroht habe. Ob das stimmt, lässt sich nicht verifizieren – weit hergeholt klingt die Geschichte gleichwohl nicht.
Das Bemerkenswerte: Selbst hiervon lassen sich die Abweichler bislang nicht auf Linie bringen. Ebenso wenig von einer Hauptstadtpresse, die ihnen fast unisono zuruft, sich dem Koalitionsfrieden zu beugen. So widerwärtig die politische Mission dieser Abgeordneten auch sein mag: Sie demonstrieren Idealismus und Hartnäckigkeit, wie sie in der Sozialdemokratie nicht aufzufinden sind, und sind damit weniger staatstragend als ihre politischen Widersacher. Sie setzen das, was sie politisch für richtig halten, über ihren eigenen materiellen Vorteil und über die Regierungsfähigkeit ihrer Partei – und scheinen damit das von Michels konstatierte »eherne Gesetz der Oligarchie« zu unterlaufen.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei Jacobin. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.