ABO
Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

14. September 2025

Schon die Herrscher des antiken Roms fürchteten den Protest

Angriffe auf die Versammlungsfreiheit haben eine lange Tradition. Im antiken Rom versuchten Herrscher über Jahrhunderte hinweg, jede Organisierung der Bevölkerung zu verhindern – gelungen ist es ihnen nie.

Lieber tot als versklavt: Das Gemälde »Der Tod von Virginia« von Guillaume Guillon-Lethière zeigt die Plebejerin Virgina, die von ihrem Vater getötet wurde, um sie vor dem Schicksal zu der Sklaverei zu bewahren.

Lieber tot als versklavt: Das Gemälde »Der Tod von Virginia« von Guillaume Guillon-Lethière zeigt die Plebejerin Virgina, die von ihrem Vater getötet wurde, um sie vor dem Schicksal zu der Sklaverei zu bewahren.

CC BY-SA 4.0

In diesem Jahr sind weltweit enorm viele Menschen auf die Straße gegangen, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen. Nach Daten des Armed Conflict Location and Event Data (ACLED)-Projekts war der Juni 2025 beispielsweise der Monat mit den zweitmeisten Demonstrationen in der Geschichte der USA, nur übertroffen vom Juni 2020 (der Höhepunkt der Black-Lives-Matter-Mobilisierung).

Die USA sind bei Weitem nicht das einzige Land, in dem in großem Umfang mobilisiert wurde. Wie der Global Protest Tracker zeigt, gab es in den vergangenen zwölf Monaten in einer Reihe von Ländern – von Großbritannien über die Türkei bis nach Bangladesch – 150 signifikante Proteste gegen die jeweiligen Regierungen.

So wie die Zahl der demonstrierenden Menschen steigt, kommt es auch zunehmend zu neuen Einschränkungen und Repressionen, mit denen das Recht auf friedliche Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird. Sei es Donald Trump, der US-Universitäten drohte, als diese seiner Ansicht nach »illegale Proteste« zuließen, bis hin zu Massenverhaftungen von Menschen in London, die sich für Palestine Action einsetzen oder Repressionen in Deutschland: Regierungen erschweren es Demonstrierenden zunehmend, ihre bürgerlichen Freiheiten auszuüben.

Auseinandersetzungen um die Versammlungsfreiheit sind allerdings keine neue Entwicklung. Tatsächlich finden wir einen interessanten Präzedenzfall in der Geschichte des antiken Roms, wo die Angst vor Volksprotesten den Staat über mehrere Jahrhunderte hinweg beschäftigte.

Patrizier und Plebejer

Nach der Gründung Roms durch Romulus im Jahr 753 vor Christus hatte die Stadt sechs weitere Könige. Mit einem Volksaufstand unter der Führung eines legendären Mannes namens Lucius Junius Brutus wurde der letzte dieser Könige, Tarquinius Superbus, gestürzt. Rom wurde 509 vor Christus zur res publica – zur Republik. Doch das Ende der Könige war nicht gleichbedeutend mit einem Ende der gesellschaftlichen Konflikte.

Bereits nach fünfzehn Jahren kam es zu Differenzen zwischen den Patriziern und den Plebejern. Erstere waren eine kleine Gruppe, die aus den ersten Gründerfamilien Roms bestand. Sie hielten ein Monopol auf den Senat, die Konsuln und die meisten anderen öffentlichen und religiösen Machtpositionen. Die Plebejer stellten hingegen die Mehrheit der Bevölkerung und setzten sich aus Bäuerinnen, Handwerkern und anderen Schichten zusammen, die nicht zum Senats-Adel gehörten.

Aus Unzufriedenheit über die Schuldknechtschaft und den Militärdienst leisteten die Plebejer bald kollektiven Protest: Sie verließen Rom und versammelten sich auf dem sogenannten Heiligen Berg (Mons Sacer) einige Kilometer vor den Toren der Stadt. Diese Versammlung wurde bekannt als Secessio plebis, dem Ausmarsch der Plebejer. Nach Verhandlungen mit den Patriziern kehrten die Plebejer schließlich in die Stadt zurück und erhielten bessere Repräsentation in öffentlichen Stellen sowie einen Schuldenerlass.

»Zumindest teilweise scheint das Verbot nächtlicher Versammlungen eine Reaktion auf die Plebejeraufstände gewesen zu sein, die das antike Rom zu diesem Zeitpunkt fast fünfzig Jahre lang erschütterten.«

Die Unzufriedenheit hielt jedoch an. Im Jahr 451 vor Christus kam ein kleiner Rat aus patrizischen Gesetzgebern zusammen, um eine Reihe von Regeln zu kodifizieren, die später als die Zwölftafelgesetze bekannt wurden und öffentlich im Forum Romanum ausgehängt werden sollten. Unzufrieden mit der Arbeit des Gremiums und verärgert über den kürzlichen Tod einer Plebejerin namens Verginia, protestierten die Plebejer in der Stadt und zogen erneut aus, diesmal auf den Aventin im Süden Roms.

Die Patrizier im Rat erstellten schließlich zwölf Tafeln, die im Jahr 449 veröffentlicht wurden. Ein späterer Jurist namens Gaius hielt fest, dass auf der achten Tafel den Collegia – Gruppen, die oft zu religiösen, beruflichen oder politischen Zwecken gebildet wurden – ihre eigenen Regeln erlassen durften, sofern diese nicht gegen das öffentliche Recht verstießen.

Eine andere Quelle weist derweil darauf hin, dass es den Menschen verboten war, sich nachts zu versammeln. Dieses Gesetz scheint das Misstrauen der Patrizier gegenüber Berichten widerzuspiegeln, wonach die Plebejer nächtliche Versammlungen abhielten, um erneute Abspaltungen und Boykottmaßnahmen zu planen. In der römischen Kultur herrschte zudem ein allgemeiner Argwohn gegenüber Menschen, die sich unter dem Schutz der Nacht trafen. Zumindest teilweise scheint das Verbot nächtlicher Versammlungen eine Reaktion auf die Plebejeraufstände gewesen zu sein, die das antike Rom zu diesem Zeitpunkt fast fünfzig Jahre lang erschütterten.

Subversive Elemente

In den folgenden Jahrhunderten vergrößerte Rom sein Reich weit über die Grenzen der italienischen Halbinsel hinaus. Nach dem Ersten (264–241 vor Christus) und Zweiten Punischen Krieg (218–201) annektierte Rom Sizilien, Sardinien, Korsika und Spanien als Provinzen. Mit dem Niedergang Karthagos kamen bedeutende Gebiete in Nordafrika hinzu.

Die Ausdehnung des römischen Einflussbereichs führte zu einem Zustrom von Einwanderern in die Stadt selbst. Viele von ihnen hatten andere religiöse Überzeugungen und Rituale als die eingesessene Bevölkerung. Die Xenophobie nahm zu; Feindseligkeit gegenüber den neuen Einwohnern äußerte sich in vielfältiger Form. Im Jahr 186 vor Christus beschuldigten Senatoren und hohe römische Magistrate Anhänger des Bacchus-Kults (der ursprünglich von einem griechischen Priester nach Süditalien eingeführt worden war), der Störung der öffentlichen Ordnung. Die Bacchanten wurden der Verschwörung – wiederum in Form nächtlicher Treffen – und krimineller Handlungen wie Vergiftungen und Mord beschuldigt.

Es scheint wahrscheinlich, dass die Stigmatisierung der Bacchus-Anhänger als vermeintlich konspirative Kriminelle ein rhetorischer Schachzug war – ähnlich, wie die englischen Gewerkschaften in den Combination Acts des späten 18. Jahrhunderts als aufständische Kollektive dargestellt wurden. So konnten die Anhänger des Bacchus-Kults als Gegner der Interessen des römischen Staates gebrandmarkt, an den Rand der Gesellschaft gedrängt und später mit einem Versammlungsverbot belegt werden.

Mit dieser Entscheidung wurden die Möglichkeiten der bacchantischen Gruppen, sich in Tempeln, Wohn- oder Klubhäusern zu versammeln und ihre nächtlichen Rituale abzuhalten, stark eingeschränkt. Nach Ansicht des Senats war damit die traditionelle römische Kultur und Ordnung bewahrt worden. Für die wachsende Bevölkerung in Rom, im Gebiet des heutigen Italiens und in den Kolonien ergaben sich daraus jedoch allgemein striktere Einschränkungen ihrer alltäglichen Religionsausübung.

»Die römischen Herrscher setzten die Versuche ihrer Bürgerinnen und Bürger, sich zu versammeln, zu organisieren und zu protestieren, nicht selten mit Verrat gleich.«

In den Folgejahren und vor allem zum Ende der Republik wurden die gesetzlichen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft. 64 vor Christus verbot der Senat auch die Treffen der sogenannten Collegia. Diese wurden nun als Gruppen angesehen, die in direktem Widerspruch zu den Interessen der Republik standen und handelten. Nur noch einzelne Berufsgruppen wie Bauarbeiter und Bildhauer durften sich zu einem Collegium zusammenschließen, doch mit zunehmenden politischen Unruhen wurden auch diese Rechte weiter eingeschränkt.

Dies erreichte nach Julius Cäsars Überquerung des Rubikon im Januar 49 vor Christus einen Höhepunkt. Angesichts zahlreicher vorheriger Wahlen, bei denen die Loyalität und Unterstützung verschiedener Collegia wichtig geworden waren, war sich Cäsar der Gefahr bewusst, dass derartige Gruppen Protest üben oder eine ernsthafte Opposition bilden könnten. Als Diktator erließ er daher Gesetze, mit denen alle Vereinigungen außer den ältesten und denen, die als »zum öffentlichen Wohl beitragend« galten, verboten wurden.

Cäsars Adoptivsohn Octavian (später Augustus) erneuerte dieses Verbot, nachdem er selbst Kaiser geworden war. Wenn Gruppen und Versammlungen genehmigt wurden, dann meist nur mit direkter Erlaubnis des Kaisers. Viele Vereinigungen dürften sich weiterhin versammelt zu haben, entweder heimlich oder indem sie sich als alte religiöse Gruppen ausgaben. Doch die politische Führung behielt die Macht, Gruppen aufzulösen, wenn sie diese in irgendeiner Form als störend oder aufsässig ansah.

Eine lange Tradition

Einschränkungen gegen Versammlungsfreiheit und Protest erfolgten sowohl direkt als auch indirekt – von der Vertreibung von Juden oder Isis-Anhängern aus der Stadt Rom unter Tiberius im Jahr 19 bis zum Verbot der Collegia in Alexandria während der dortigen Spannungen zwischen Juden und Griechen. Zwar erteilten die römischen Behörden weiterhin einzelne Genehmigungen für die Gründung legaler Gruppen, spätere Kaiser wie Trajan warnten jedoch vor den Gefahren, die von solchen Zusammenkünften ausgingen. Er sah beispielsweise ein Problem bei Treffen von Feuerwehrleuten, die regelmäßig widerspenstig aufträten.

Obwohl viele Gruppen derartige Beschränkungen ignorierten, behielt sich der römische Staat das Recht vor, von ihm als illegal angesehene Versammlungen aufzulösen, seien es die politischen Proteste von Wagenlenkern in Konstantinopel oder eine Gruppe von Anhängern Jesu Christi in der Provinz Pontus et Bithynia. So lässt sich zusammenfassen: Die römischen Herrscher setzten die Versuche ihrer Bürgerinnen und Bürger, sich zu versammeln, zu organisieren und zu protestieren, nicht selten mit Verrat gleich.

Mehr als 1.500 Jahre sind seit dem Zerfall des Weströmischen Reiches vergangen. Dennoch finden sich ähnliche Muster bis heute wieder: Damals wie heute protestier(t)en Menschen für ihre Forderungen und Ansichten; und damals wie heute stellen die Machthabenden einen solchen Ausdruck der Unzufriedenheit oft als illegal oder gar umstürzlerisch dar.


Sarah Bond ist Associate Professor an der Fakultät für Geschichte der University of Iowa. Sie ist die Autorin von »Strike: Labor, Unions, and Resistance in the Roman Empire«.