09. Dezember 2020
Wenn es um Russland geht, dreht sich meist alles um Putins autoritären Regierungsstil. Doch dieser ist ein Resultat der Neoliberalisierung der letzten Jahrzehnte – und genau dieses Problem haben auch wir.
Die neoliberale Umgestaltung hat dem Putinismus den Weg geebnet.
Obwohl Russland so nahe liegt, fremdelt die westeuropäische Linke nicht nur mit den Herrschenden, sondern überhaupt mit der ganzen russischen Gesellschaft. Der Umgang mit Entwicklungen in diesem Land schwankt zwischen Gleichgültigkeit, ökonomischem Interesse, berechtigter Kritik an einer repressiven Innenpolitik, imperialen Ambitionen und mehr oder weniger verhohlenem Interventionismus.
Über die Symbolik Putins wird sich gerne ausgelassen, bietet sie doch die Möglichkeit, Russland zu thematisieren, ohne allzu tief in die Widersprüche der russischen Gesellschaft und der Beziehungen Russlands zum Rest der Welt eindringen zu müssen. In einem kürzlich erschienenen Artikel in der Wirtschaftswoche geht etwa Ralf Fücks der Frage nach, wie der »Scheinriese« Russland »einzuhegen« sei, und beginnt den Beitrag mit einer Charakterisierung des »Putin-Regimes« als »machtpolitisch skrupellos, gepaart mit hemmungslosem Bereicherungswillen«. Das hört sich mutig konsequent an, nur sagt er damit nichts Neues – und in Russland wird kaum jemand widersprechen.
Das Problem ist allerdings, dass es überhaupt nicht um Putin geht, sondern um einen neu entstandenen Typus des Kapitalismus und den eigentümlichen Konsens, der zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Oligarchie gefunden wurde. Putin fällt dabei der historische Verdienst zu, den ungeregelt hemmungslosen Bereicherungswillen ein wenig in die Schranken gewiesen zu haben. Dieser Herrschaftsmodus wird mitunter als Putinismus, neuerdings auch als russische Variante des Trumpismus, bezeichnet. Letzteres verweist darauf, dass es sich beim Putinismus nicht um eine Entgleisung eines »ordentlich-westlichen« Kapitalismus handelt, sondern dass – aller Unterschiede zum Trotz – letztlich dasselbe dahintersteckt.
Ob nun Fücks, Joe Biden oder Kramp-Karrenbauer, die mit Russland aus einer Position der Stärke heraus verhandeln will – sie alle verdrängen mit ihrer Sanktionsrhetorik mehr oder weniger bewusst, dass die russländische Gesellschaft sehr differenziert ist und ihr heutiger Zustand eine in dieser Form einzigartige Konsequenz der neoliberalen Konterrevolution der 1980er und 90er Jahre darstellt. Die Probleme Russlands sind damit auch unsere Probleme – vielleicht sehen wir dort auch unsere Zukunft, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen.
Der gerade entstehende Herrschaftskonsens stützt sich offensichtlich auf einen Prozess, der seit 2000 mit einer gewissen Zielstrebigkeit vorangetrieben wurde, auch wenn das im Tagesgeschäft kaum sichtbar gewesen sein mag. Dem Beobachter erschien es immer eigentümlich, dass sich eine große Zahl von wissenschaftlichen Artikeln mit Fragen der Planung befassten. Seit Anfang der 2000er wird daran gearbeitet, einen Entwicklungspfad zu finden, der den Ansprüchen einer Angleichung der Verteilungsverhältnisse und politischer Stabilität, einer Stärkung der Position in der Welt und sicherer Grenzen gerecht wird. Dass es dabei um einen Kompromiss verschiedener Gruppierungen geht, anstatt lediglich um die Stellung Putins, zeigt sich in der ungebrochenen Bedeutung sogenannter Liberaler, die vom Westen gelegentlich als Hoffnungsträger verstanden werden.
Schlüsselfiguren der Schocktherapie der 1990er wie Anatoli Tschubais oder Aleksej Kudrin spielen in der Ausrichtung der Politik unter Putin eine zentrale Rolle. Tschubais war neben Jegor Gaidar einer der Konstrukteure der Reformen und ist dieser Tage Chef von Rosnano, einem auf technologische Innovationen und deren Vermarktung (vor allem durch die Organisierung der Börsengänge) spezialisierten Staatskonzern. Kudrin setzte sich auf regionaler Ebene durch und bestimmte die Wirtschaftspolitik unter Putin in wesentlichem Maße mit: Er war ehemals Finanzminister und Chef eines der wichtigsten Think Tanks der Regierung und ist heute Vorsitzender des Rechnungshofes. Sie waren es auch, die Anfang der 2000er die Idee entwickelten, den »Banditenkapitalismus« durch ein »liberales Imperium« abzulösen. Die jüngsten Entwicklungen deuten an, dass diese Idee weiterverfolgt wird. Das erklärt, warum etwa der Koordinator der »Linken Front« (Levyj front) Sergej Udalzov (Sergej Udal’cov) gerade diese beiden Liberalen als exemplarische politische Gegner benennt.
Das Weltbild der Oberschicht – ob putinfreundlich oder nicht – wurde unlängst wieder deutlich, als die Pläne zur Einführung einer progressiven Besteuerung von Einkommen bekannt wurden. Postwendend gab es von Seiten der Liberalen (die russländische Hardcore-Variante des Neoliberalismus) einen Aufschrei, verbunden mit den bekannten und auch im Rest der Welt bemühten Weltuntergangsszenarien. Am 23. November wurde durch den Präsidenten die Erhöhung der Besteuerung von Jahreseinkommen über 5 Millionen Rubel (55.550 Euro) von 13 auf 15 Prozent verordnet. Der monatliche nominelle Arbeitslohn lag im Durchschnitt in diesem Jahr bei 49.440 Rubel, das sind rund 544 Euro. Damit beläuft sich das durchschnittliche Jahreseinkommen also auf 593.280 Rubel, beziehungsweise 6.528 Euro. Spitzenverdienende sind die Beschäftigten in der Erdöl- und Erdgasförderung mit einem Monatsgehalt von 144.792 Rubel (umgerechnet aufs Jahr also 1.737.504 Rubel, etwa 19.113 Euro), die damit immer noch weit von der 5-Millionen-Rubel-Marke liegen. Die Einheitssteuer von 13 Prozent wurde übrigens von dem »liberalen« Kudrin im Jahr 2001 durchgesetzt. Vorher galt ein Höchststeuersatz von 30 Prozent.
Nachdem es Anfang der 2000er Jahre kurzzeitig so aussah, als ob sozialstaatliche Ansätze einen höheren Stellenwert erhalten könnten, verflüchtigte sich diese Hoffnung wieder während der Anfänge der Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die Teilprivatisierung der Altersversorgung, die Erhöhung des Renteneintrittsalters oder die »Optimierung« der Gesundheitsversorgung – die sich vor allen Dingen in Kürzungen beim mittleren medizinischen Personal niederschlug – stehen völlig in der Tradition dessen, was man hierzulande als Neoliberalismus bezeichnet.
Die täglich neu vermeldeten Rekordhöhen von Corona-Infizierten und die damit verbundene Krise der gesundheitlichen Versorgung, die Auseinandersetzung um Gehälter im Gesundheitswesen und die Ausstattung der Krankenhäuser machen nur einige der akuten Notlagen der ungelösten sozialen Probleme deutlich. Gerade wird berichtet, dass die Einkommensverluste zu einem Anstieg des Verbrauchs von Brot, insbesondere von billigen Sorten, anstelle anderer Lebensmittel geführt haben. Allerdings ist aus alldem kein Impuls für Veränderungen im Akkumulationsregime ausgegangen. Einer der Nestoren der sowjetischen und russländischen Wirtschaftswissenschaften, Abel Aganbegjan, betonte unlängst, dass die russländische Wirtschaft nicht in einer Krise, sondern in einer Stagnationsphase stecke. Eine Krise ginge vorüber – Stagnation könne ewig währen.
Dazu gehört auch, dass es keiner der gesellschaftlichen Gruppierungen gelungen ist, die Entwicklungen im Land in ihrem Sinne voranzutreiben. Die Regierungsumbildung Anfang 2020, die Ankündigung, dass die Zahl der Beschäftigten in den Verwaltungen reduziert werden soll, die Auflösung beziehungsweise Verschmelzung von föderalen Behörden oder auch die täglichen Berichte über die Verhaftung und Verurteilung von Funktionsträgern wegen Korruption sind noch keine Anzeichen eines Aufbruchs. Sie zeugen eher von der Suche der herrschenden und miteinander konkurrierenden Elitegruppen nach einem tragfähigen Weg.
Auch wenn diese Stagnation das Klima in der russländischen Gesellschaft bestimmt und militante Gewerkschaften und die politische Linke schwach sind, ist das Spektrum des Widerstands gegen den neoliberalen Weg breit. Prophezeiungen einer gewaltigen Erschütterung, wie sie etwa Sergej Udalzov anlässlich des Jubiläums der Oktoberrevolution kommen sieht, sind sicherlich wenig realistisch. Das liegt auch daran, dass die Linke, wie zu erwarten, zersplittert ist. Die einzige, einigermaßen in der Fläche handlungsfähige Gruppierung ist immer noch die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF). Sie ist in der Duma und den Regionalparlamenten vertreten und stellt Gouverneure in verschiedenen Regionen. Als Konglomerat unterschiedlicher Kräfte vereint sie ein Spektrum von Linken, das vom eher »systemkonformen« bis ins stalinistische Lager reicht. Die Linke Front des Aktivisten Sergej Udalzov sieht ihr Ziel in der Errichtung einer gerechten sozialistischen Gesellschaft. Um die Plattformen »Die Alternativen Linken« (AltLeft) und die jüngst erst entstandene »Linksradikal« (Levoradikal) gruppieren sich, wie die Namen schon sagen, Linke, die sich nicht den tradierten Strömungen zurechnen lassen, und sich, den Beiträgen nach zu urteilen, eher in trotzkistischen, nichtbolschewistischen Traditionen sehen.
Die Linke ist gezwungen, sich primär dezentral zu organisieren, was vor allem über das Internet geschieht. Wir finden hier die ganze Bandbreite von feministischen, LBGTQ- und Umweltinitiativen, sowie auch anarchistische und linksradikale Gruppierungen, wie es sie auch im »Westen« gibt. Unter den Gewerkschaften ist vor allem die »Konföderation der Arbeit« (Konfederacija truda) hervorzuheben, ein Verbund kleinerer regionaler und branchenbezogener Gewerkschaften.
Die akademische Linke wird unter anderem durch Alexandr Buzgalin und Boris Kagarlitzky repräsentiert. Auch sie wirken über ihre Onlinekanäle wie etwa »Alternatvy«oder »Rabkor«. Zu dieser Strömungen gehören auch Exponenten vom Plechanov-Haus in St. Petersburg, der Freien Ökonomischen Gesellschaft (der größten wirtschaftswissenschaftlichen Organisation Russlands) und weitere Akademikerinnen und Akademiker an verschiedenen Hochschulen des Landes. Insgesamt erscheint die Szene von außen betrachtet sehr auf Moskau zentriert und die meisten der hier Aktiven gehören schon der älteren Generation an.
Die Partei Gerechtes Russland (Sparvedlivaja Rossija) bildet den Übergang in das sozialdemokratische Lager und zur bürgerlich-liberalen Opposition. Letztere wird, vereinfacht gesagt, vor allem durch Bürger- und Menschenrechtsinitiativen repräsentiert. Viele, vor allem Jüngere, träumen aus diesen Positionen heraus noch den »europäischen Traum« und versuchen mit viel Engagement, oft in Anlehnung an westeuropäische Erfahrungen, demokratische Praktiken zu entwickeln und in der Politik zu verankern.
Diese oppositionellen Strömungen arbeiten weitgehend getrennt voneinander. Die Frage nach den Möglichkeiten gemeinsamen Handelns wird immer wieder gestellt, so etwa auf dem russländischen Sozialforum 2019. Allerdings blieb dies weitgehend ergebnislos. Auch das diesjährige Russländische zivilgesellschaftliche Forum mit weit über 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern appellierte an die Gemeinsamkeit. Erstmals wurden auf diesem zum neunten Mal stattfindenden Treffen auch die Themen Arbeitsbedingungen und Arbeitsrecht, vor allen Dingen in Hinblick auf das Homeoffice und das Gesundheitswesen, umfassend diskutiert. Zentral waren daneben auch Fragen der Rechtssicherheit, Wahlen, Kommunalpolitik und weitere, klassisch bürgerrechtliche Problemstellungen.
Nun hat die KPRF den Versuch unternommen, eine »linkspatriotische« Einheitsfront zu bilden. Wer sich dieser anschließt, soll allerdings auch programmatischen Positionen der Partei zustimmen. Udalzov hat offensichtlich Interesse signalisiert. Ob der deutlich »patriotische« Ansatz insbesondere die jüngere Linke erreichen kann, ist fraglich. Warum die KPRF diesen Ansatz wählt, ist unter anderem auch aus dem Zusammenspiel äußerer und innerer Entwicklungen zu erklären. Denn die Linke und selbst die (im ursprünglichen Wortsinn) bürgerlich-liberale Opposition steht zwischen zwei Fronten. Auf der einen Seite sieht sie sich mit einem repressiven gesellschaftspolitischen Kurs konfrontiert, dem sich der »Westen« immer mehr annähert und der in seinem Kern von Konservativen wie auch neoliberalen Kräften von Dugin bis Nawalny geteilt wird. Auf der anderen Seite sieht sie sich den interventionistischen Anmaßungen des Westens – angefangen bei Biden über Kramp-Karrenbauer bis Fücks – gegenüber, die keine Alternative jenseits des neoliberalen Gesellschaftsmodells bieten.
Fücks fordert die Unterstützung demokratischer Kräfte in Russland, eine Modernisierungspartnerschaft mit dem Ziel der Errichtung einer »innovativen, nachhaltigen Marktwirtschaft mit einem starken Mittelstand« und die Durchsetzung der »Werte und Normen des Europarats und der OSZE« bei »Bereitschaft zum begrenzten Konflikt«. Das hört sich nett an, hat aber selbst in der EU wenig mit der Realität zu tun. Es sind Forderungen, die die EU zum Teil noch nicht einmal in ihren eigenen Mitgliedsländern durchsetzen kann. Wichtiger noch ist aber, dass das nur leere Worte sind, die die Forderung der Unterordnung Russlands unter den Westen nur dürftig verschleiern – eine Unterordnung, die auch die »liberale« Opposition ablehnt.
Damit haben interventionistische Forderungen den Effekt, dass innenpolitische Repression zunehmend dadurch legitimiert werden kann, dass man dem Einfluss »von außen« begegnen müsse. Nachdem ein Gesetzespaket zur Verschärfung des Demonstrationsrechtes und zur Erschwerung der Zusammenarbeit einheimischer NGOs und Einzelpersonen mit Partnern aus dem Ausland verabschiedet wurde, wird eine weitere Einengung demokratischer Handlungsmöglichkeiten geplant. Die Durchführung von Protesten wird fast unmöglich gemacht; so sollen auch Protestspaziergänge als gleichzeitiger Aufenthalt von Personen mit gleicher Meinung an einem Ort verboten werden – diese waren bis zuletzt eine Protestform, die häufig gewählt wurde um die bestehenden Beschränkungen zu umgehen. Künftig soll nun die finanzielle Beteiligung ausländischer Organisationen an öffentlichen Aktionen sanktioniert werden; Journalistinnen und Journalisten müssen bei Berichten ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Beteiligten den Status eines »ausländischen Agenten« haben.
Die russische Linke wie auch das im Wortsinn liberale Bürgertum sehen sich damit vor die Wahl zwischen zwei Varianten des Neoliberalismus gestellt: der eigene Neoliberalismus, der als Bündnis der nach 2000 neu aufgestellten Staatsbürokratie, der Oligarchen der 1990er Jahre und Teilen des an sie gebundenen Mittelstandes und Intellektuellentums auftritt, oder der westliche Neoliberalismus, der vor dem Hintergrund des Zerfalls der eigenen alten Sozialstaatlichkeit mit Drohgebärden und Sanktionen vorgebracht wird. Das treibt Teile der Opposition in die »patriotische« Kerbe und erklärt das Zusammenfließen von »patriotischen«, sozialen und demokratischen Forderungen, wie es sich etwa bei der KPRF zeigt.
Dieses Dilemma bildet aber auch den Nährboden für die Positionen des russischen Konservatismus. Dieser begründet sich nicht aus den auch vorhandenen monarchistischen und rechtsextremen Ressentiments, sondern aus einem subtilen Verständnis russländischer, nicht einfach russischer, nationaler Selbstbestimmung, das an die Konzeption eines »liberalen Imperiums« anschlussfähig ist. In der Rossiskaja gazeta, der Zeitung der russischen Regierung, veröffentlichte Sergej Karaganov – ein einflussreicher Spezialist auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und Mitglied des Rates für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte der Russischen Föderation – Thesen zum Übergang von einer defensiven zu einer »positiven, offensiven und dabei nicht aggressiven Ideologie«. Karaganov sieht den Hauptkonflikt der Gegenwart in dem Widerspruch zwischen Konservativen beziehungsweise »einfachen Menschen« auf der einen und den Liberalen auf der anderen Seite. Soziale Widersprüche kommen dabei nicht vor, sie werden als naturgegeben hingenommen. Daraus leitet er ein gegen jede emanzipatorische Bewegung gerichtetes Gesellschaftsbild ab. Er wendet sich gegen jeden »Universalismus«, wobei er ausdrücklich auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung angreift. Als quasi unveränderlich sieht er die Werte von Familie und (patriarchaler) Ehe an. Das Hinterfragen dieser Werte durch Feministinnen, Feministen und die LGBTQ-Community deutet er als die Verwandlung des Menschen in einen »Mankurt«. Diese Figur, die der sowjetische Schriftsteller Tschingis Aitmatov in seinem Roman Ein Tag länger als ein Leben geschaffen hat, bezeichnet jemanden, der durch Gehirnwäsche seine Menschlichkeit verloren hat. Karaganov nimmt eine völlige Umdeutung dieser Figur vor. Steht bei Aitmatov der Mankurt als Ausdruck des beschränkten, von den Mächtigen abhängig gemachten Menschen, betrachtet Karaganov diejenigen, die derartige Beschränkungen aufbrechen wollen, als die Willenlosen.
Die Ähnlichkeit zu einem Gesellschaftsbild, das von Trumpisten wie deutschen Konservativen und Vertreterinnen und Vertretern aus dem Umfeld der AfD verfochten wird, ist augenfällig. Bisher wird dem Verweis auf diese Gemeinsamkeit immer wieder entgegengehalten, dass die Korrekturfähigkeit der westlichen Demokratien im Unterschied zu Russland immer noch funktionieren würde. Angesichts der Entwicklungen der vergangenen dreißig Jahre und der Etablierung des Trumpismus als stabile Strömung in den USA verliert dieses Argument jedoch immer mehr an Überzeugungskraft.
Mithin haben wir in Westeuropa und in Russland ein gemeinsames Problem. Solidarität mit den russländischen Linken, den Gewerkschafterinnen und den Aktivisten in sozialen, umweltpolitischen oder feministischen Bewegungen sowie eine Ablehnung der immer aggressiveren Politik des »Westens« gegenüber Russland wird inzwischen fast reflexartig als Unterstützung der russländischen Regierung umgemünzt. Begünstigt wird das durch die weitgehende Unkenntnis der tatsächlichen Diskussionen in Russland, obwohl diese schon aus geographischen Gründen eigentlich für die Westeuropäerinnen und Westeuropäer als wenigstens genauso wichtig erachtet werden sollten wie die in den USA. Während es in der deutschen Linken zum guten Ton gehört, jede Wendung der anglo-amerikanischen Debatte irgendwie nachzuvollziehen und mitunter auch zu imitieren, reduziert sich das Wissen über die russländischen Debatten weitgehend auf das, was man in den etablierten Medien finden kann. Vielleicht ist es an der Zeit, auch Russisch zu lernen.
Lutz Brangsch ist Ökonom und Referent für Staat und Demokratie im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Lutz Brangsch, ist Ökonom und Referent Staat und Demokratie im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.