11. März 2022
Die bisherigen Sanktionen sind für russische Oligarchen eine Schonkur. Dabei wäre eine wirksame Sanktionierung durchaus machbar.
Oligarchen parken ihr Vermögen auch in Superjachten.
Ran an die Oligarchen, um Druck auf Putin auszuüben – diese Forderung wird quer durch das Parteienspektrum von FDP bis Linkspartei formuliert. Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte etwa im Bericht aus Berlin: »Wer von Putin profitiert hat und den Reichtum des russischen Volkes auch durch Korruption gestohlen hat, der kann nicht in unseren westlichen Demokratien seinen Wohlstand genießen.« Der ehemalige finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und Finanzexperte Fabio De Masi urteilte über die derzeitigen Sanktionen: »Putins Oligarchen lachen sich schlapp«, und fasst damit das Kernproblem der westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland treffend zusammen. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie offensichtlich. Die makroökonomischen Sanktionen gegen Russland sind weitestgehend ausgeschöpft – ein Großteil der russischen Banken ist vom Swift-Zahlungsverkehr ausgeschlossen, wichtige Güter unterliegen Exportkontrollen und russische Devisen bei westlichen Zentralbanken sind eingefroren.
Weitere makroökonomische Sanktionen wie etwa ein Energie-Embargo oder Sanktionen gegen Länder, die mit Russland kooperieren, hätten schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft, Staatsfinanzen und Zivilbevölkerung Russlands. Außerdem ist unklar, welche Folgen dies für den kurz- und mittelfristigen Kriegsverlauf nach sich ziehen würde. Sanktionen müssen hart genug sein, um Kriegsakteure zum Verhandlungstisch zu bewegen, sie dürfen aber nicht so hart sein, dass sie jeglicher Verhandlung die Basis entziehen und zulasten der arbeitenden Bevölkerung Russlands gehen.
Die bisherigen Sanktionen bekommen vor allen Dingen der russische Staat und die Zivilbevölkerung zu spüren. Das politische Potenzial der Sanktionierung russischer Oligarchen ist hingegen noch lange nicht ausgereizt, könnte jedoch beträchtlichen Druck auf Putin ausüben. Viele von ihnen wurden zwar erst während der Putin-Ära steinreich und sind auch auf dessen Solidarität angewiesen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie bedingungslos loyal sind. Ihr Luxusleben könnte ziemlich schnell vorbei sein, wenn sie Putins Rückendeckung verlieren.
Dennoch gibt es einige Oligarchen, die sich öffentlich kritisch zum Krieg äußern. Sie bringen sowohl sich selbst und ihre Vermögen in Gefahr, erzeugen aber auch Druck auf die restlichen Oligarchen. Auch Putin ist auf ihr Wohlwollen angewiesen, denn sie tragen die Verantwortung über etliche Staatsunternehmen oder sind entscheidende Türöffner für Wirtschaftsbeziehungen. Würde durch eine gezielte Sabotage eine Zeit lang der Liefer- oder Zahlungsverkehr bei den Energieexporten ausfallen, würde der russische Staat in Zugzwang geraten.
Davon abgesehen besitzen auch einige Regierungsmitglieder selbst Offshore-Vermögen. Abseits ihres Einflusses auf die Kriegssituation wäre die Oligarchen-Sanktionierung auch ein wichtiger Schritt für mehr Gerechtigkeit. Viele der Vermögen stammen aus Korruption, sind durch Steuervermeidung noch weiter angestiegen und zum Beispiel im deutschen Betongold geparkt, wo sie Monat für Monat Mieten einstreichen.
Bei den Sanktionen gegen Oligarchen gibt es eine ganze Reihe an Problemen – sowohl auf praktischer als auch auf politischer Ebene. Beide sind jedoch hausgemacht. Seit Jahren haben deutsche Behörden Probleme, Vermögen zu verfolgen. Seit Jahren werden Oligarchen – ob westlich oder östlich – politisch auf Händen getragen.
Damit die Sanktionen reale Auswirkungen haben, ist die Umsetzung entscheidend. Christoph Trautvetter hat für das Netzwerk Steuergerechtigkeit Lösungsvorschläge entwickelt. Zum einen schlägt er vor, eine »Task-Force mit spezialisierten Ermittlern und Rechten« einzusetzen. Derzeit verteilt sich die Durchsetzung auf zu viele Behörden (Bundesbank, Wirtschaftsministerium, EU-Kommission, Amtsgerichte). Daher müssen die Kompetenz und die Kapazitäten gebündelt werden. Außerdem sollen Behörden auch die Netzwerke sanktionierter Personen untersuchen, da Oligarchen ihre Vermögen oft in Firmengeflechten und Dienstleistern verstecken, die ebenso sanktioniert werden müssen.
Auch Steueroasen und Kryptowährungen bieten Schlupflöcher. Hier wurden bereits Fortschritte erzielt. So wurden Kryptoadressen von sanktionierten Personen gesperrt. Die Schweiz hat sich zwar den EU-Sanktionen bereits angeschlossen, doch auch andere Steueroasen sollten nachziehen, da der Großteil der Vermögen der Oligarchen dort angesiedelt ist. Das Papier des Netzwerks für Steuergerechtigkeit fordert außerdem »Daten über Immobilieneigentum und Unternehmensbeteiligungen« zu sammeln und »Vermögen unbekannter Herkunft« zu identifizieren und den zugehörigen Netzwerken zuzuordnen. Während Datenzusammenfügungen und deren Auswertung in der Privatwirtschaft gang und gäbe sind, arbeiten die Behörden mit PDF-Datenbanken, die nicht durchsuchbar sind.
Des Weiteren solle man sich international über die Erkenntnisse austauschen und »gezielt zusätzliche Informationen von Geldwäsche-Verpflichteten und Behörden sammeln«. Daneben solle die Politik »die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, eingefrorene Vermögensgegenstände auch einzuziehen«. Einfrierung ist gut, Entziehung ist besser. Viele Vermögen von Oligarchen dürften mit illegalen Aktivitäten zusammenhängen und sollten daher juristisch überprüft werden. An diese Punkte anschließend müsste man die »Geldwäschebekämpfung weiterentwickeln, z.B. als Bundesfinanzpolizei«.
Russische Oligarchen sind nicht die einzigen Kunden im Steuer- und Geldwäscheparadies Deutschland. Die Taskforce hätte danach noch viel Arbeit vor sich. Deutschland verharrte bei der Geldwäschebekämpfung jahrelang im Quasi-Stillstand. Neben dem PDF-Immobilienregister, der Möglichkeit, Immobilien in bar zu erwerben und der Unterfinanzierung der Behörden, gibt es noch weitere Probleme, auf die die Bürgerbewegung Finanzwende aufmerksam gemacht hat. Sie setzt sich für die sofortige Einführung eines ordentlichen Immobilienregisters, ein lückenloses Transparenzregister und die Verschärfung der EU-Geldwäschevorhaben ein. Hervorzuheben ist hier besonders die Forderung, Immobilieneigentum in kommunale Hand zu überführen, wenn die Eigentümer aus dem Grundbuch nicht die wirtschaftlich berechtigten Personen offenlegen. Dies würde den Druck, die Transparenzvorgaben zu erfüllen, deutlich erhöhen. Daneben fordern sie die personelle Stärkung von Aufsichts- und Justizbehörden.
Am Geld sollte all das nicht scheitern, schließlich haben Lindner und Scholz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr locker machen können. Auch auf der EU-Ebene gibt es eine ganze Reihe an Problemen. So können Oligarchen vor dem Inkrafttreten der Sanktionen problemlos ihre Vermögen umschichten, um ihnen zu entgehen. Einige unter ihnen haben das sogar bereits getan.
Die Sanktionen sind aber auch auf der politischen Ebene entscheidend zu schwach. Derzeit befinden sich rund 900 Russen auf der EU-Sanktionsliste. Ganz neu ist diese Liste allerdings nicht – sie basiert im Grunde auf der Sanktionsliste von 2014, die in Reaktion auf die Annexion der Krim erstellt wurde. Im Endeffekt wurden nur ein paar dutzend Oligarchen ergänzt. Man könnte hoffen, dass das die vermögendsten Oligarchen sind, doch tatsächlich ist nicht mal ein Drittel der fünfzehn Reichsten von den EU-Sanktionen betroffen. Als die EU zwei Wochen nach Kriegsbeginn nachlegen wollte, kamen wieder nur vierzehn Oligarchen dazu. Das reicht nicht, um politischen Druck auszuüben.
Der Ökonom Thomas Piketty schlägt daher die systematische Einfrierung aller Vermögen von über 10 Millionen US-Dollar vor. Damit würde man anstatt nur den paar hundert Menschen auf der Sanktionsliste rund 20.000 Personen treffen. Da sich die Hälfte bis zwei Drittel des Vermögens von Oligarchen im Westen befindet, schlägt Piketty darüber hinaus eine Besteuerung von 10 bis 20 Prozent vor. Zusammengenommen könnten die temporäre Einfrierung, die Besteuerung und Ahndung illegaler Oligarchen-Vermögen enormen Druck auf Putin ausüben, wenn sie denn auch umgesetzt werden würden.
Das alles zeigt: Bei den Sanktionen gegen russische Oligarchen gibt es noch viele ungenutzte Möglichkeiten. Christian Lindner hat bereits mehrmals angekündigt, hart gegen Oligarchen vorgehen zu wollen. Ob er dieses Versprechen auch wirklich einlöst, ist jedoch fraglich.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.