09. Januar 2024
Die Amazon-Produktion »Saltburn« zeigt: Eine Gesellschaftskritik, die sich auf die Exzesse der Superreichen konzentriert, fürchten die Superreichen nicht.
Ein mittelloser Student findet Eingang in die Welt der Superreichen – schonmal gehört?
Saltburn ist seit Wochen ein Mega-Hit – auf TikTok wird der Film von einem riesigen Publikum gefeiert, das keineswegs mehrheitlich aus gefestigten Linken besteht. Reaction-Videos auf die anrüchigsten Sex- und Gewaltszenen gibt es ohne Ende, während das reichste Prozent der TikTok-User zum Song »Murder on the Dance Floor« durch die eigenen Villen tanzt.
Das ist mehr als bemerkenswert: Denn die Produktion aus dem Hause Prime hat eine recht klare Botschaft: Eat the rich! Ein mittelloser Student trifft auf einen reichen Adelsspross – und um das Ende einmal vorwegzunehmen: Er erledigt ein Familienmitglied nach dem anderen, um das Anwesen an sich zu reißen.
Dieser Thriller reiht sich damit ein hinter Erfolge wie Parasite oder Knives Out: In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder das Leben der Reichen präsentiert bekommen, in das arme Charaktere eindringen. Nur werden diese Filme scheinbar immer weniger innovativ: Eigentlich werden in Saltburn nur die Enden von Parasite und Knives Out verwoben – der Mord an den Reichen und die Übernahme des Herrenhauses –, um dieselbe Geschichte noch einmal aufzuwärmen.
»Die Agitation ›Eat the rich‹ ist so handzahm und ohnehin nur als Witz gemeint, dass selbst Amazon sie noch gewinnbringend nutzbar machen kann.«
Fernab dieser Stilkritik frage ich mich: Ist es nun eigentlich ein Zeichen der Stärke der politischen Linken, dass ihre Agitation es regelmäßig bis nach Hollywood schafft? Vielleicht ist es auch genau andersherum: Die Kritik ist so zahnlos, dass selbst ein Studio, das zu Amazon gehört, sie sich vorzubringen traut. Denn »Eat the rich« mag ein witziges – und sicherlich nicht völlig unangemessenes – Meme sein. Eine Analyse sieht jedoch anders aus.
Der ständige Fokus auf die Superreichen und ihre Eskapaden und Extravaganzen ist nicht bloß in der US-amerikanischen Linken sehr beliebt, auch in Deutschland liebt man es, sich über Verena Bahlsen oder Friedrich Merz lustig zu machen. Verstellt wird dabei der Blick auf die Produktionsverhältnisse, in denen keineswegs bloß die Superreichen, sondern auch die Unternehmer von nebenan oder die Kleinvermieter zu Ausbeutern werden.
Deutlich sinnvoller wäre es, sich auf die letzteren zu konzentrieren. Denn mit ihnen teilt die Normalbevölkerung immerhin noch eine Lebensrealität, während der alte und neue Geldadel höchstens aus dem Fernsehen bekannt sind.
Die Agitation »Eat the rich« ist jedenfalls so handzahm und ohnehin nur als Witz gemeint, dass selbst Amazon sie noch gewinnbringend nutzbar machen kann. Wir sehen etwas ganz Ähnliches an einer anderen Stelle in Saltburn, nämlich wenn der Protagonist in sein Elternhaus kommt und wir erfahren, dass er gar nicht wirklich bettelarm ist, sondern einer Mittelschichtsfamilie entspringt. In Wahrheit hat er sich diese Geschichte nur angedichtet, um für die Reichen interessant zu sein. Ähnliches konnten wir neulich auch bei Victoria Beckham erleben, die sich eine Working-Class-Geschichte zurechtlügen wollte, obwohl sie im Rolls Royce zur Schule gefahren wurde.
Victoria Beckham nimmt Klassen-Diskurse auf, und Amazon ruft »Eat the rich« – diese beiden Episoden machen klar, dass die politische Linke oftmals zwar der Form nach radikal auftritt, sich am Ende aber kulturindustriell wunderbar verwerten lässt. Vielleicht bräuchte es dann doch wieder ein bisschen mehr Kritik der politischen Ökonomie, und etwas weniger Kulturkritik und Memes.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.