30. April 2024
Beinahe hätte eine juristische Farce Spaniens Ministerpräsidenten Pedro Sánchez zum Rücktritt bewegt. Die fingierte Korruptionsuntersuchung gegen seine Frau verdeutlicht, dass die stark politisierte Justiz des Landes in die Schranken gewiesen werden muss.
Eine Demonstrantin hält ein Plakat mit der Aufschrift »Pedro, geh nicht« auf einer Demonstration in Madrid, um Pedro Sánchez im Amt des Regierungspräsidenten zu unterstützen. Aufnahme vom 27. April 2024.
Pedro Sánchez ist nicht unbedingt dafür bekannt, Emotionen zu zeigen. Mit seinem eiskalten Pragmatismus und seiner taktischen Raffinesse hat der spanische Ministerpräsident seit seinem Amtsantritt 2018 sowohl die spanische Rechte als auch seine linken Rivalen immer wieder ausmanövriert. Am vergangenen Mittwochabend schien sich dies zu ändern, denn ein Madrider Richter akzeptierte den Antrag einer rechtsradikalen Organisation, eine Ermittlung wegen Korruption und Bestechung gegen seine Frau Begoña Gómez einzuleiten. Sánchez veröffentlichte in Reaktion darauf einen offenen Brief, in dem er mitteilte, er erwäge seinen Rücktritt.
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) sagte außerdem alle öffentlichen Auftritte bis zum gestrigen Montag ab, an dem er dann seine Entscheidung bekannt gab, weiterzumachen. »Ich bin ein Mann, der seine Frau zutiefst liebt, der aber machtlos ist gegenüber dem Schmutz und den Verleumdungen, mit denen sie Tag für Tag überschüttet wird«, schrieb Sánchez vergangene Woche. »Ich muss innehalten und nachdenken. Ich muss mir dringend die Frage beantworten, ob sich das lohnt, trotz des Sumpfes, in dem die Rechten und die Rechtsextremen versuchen, Politik zu machen. Ob ich weiter an der Spitze der Regierung stehen oder von dieser hohen Ehre zurücktreten soll.« Er betonte, dass hinter der Schmierkampagne der tiefergehende Umstand stehe, dass Spaniens Konservative und radikale Rechte die Wahlergebnisse vom vergangenen Juli nicht akzeptiert hätten.
Leider ist dies in Spanien in vielerlei Hinsicht nichts Neues: »Lawfare« [die Nutzung von Rechtsmitteln für politische Zwecke] ist seit dem Amtsantritt von Sánchez’ Linkskoalition im Jahr 2020 ein wichtiges Thema. Seitdem haben reaktionäre Elemente in den oberen Rängen des Justizsystems immer wieder als nicht demokratisch legitimierte Parallelmacht agiert, die darauf abzielt, die ihrer Meinung nach »illegitime« sozialdemokratische Regierung zu maßregeln und zu untergraben. Die aktuelle Justizoffensive wird seit November vergangenen Jahres unerbittlich geführt, als Sánchez’ PSOE ein Bündnis mit den katalanisch-nationalistischen Parteien im Parlament einging und im Gegenzug ein Amnestiegesetz für die an den gescheiterten Unabhängigkeitsbestrebungen im Jahr 2017 beteiligten Personen verabschiedete.
Die vorgeschlagene Amnestie wurde von der größten Richtervereinigung des Landes in scharfem Ton als »der Anfang vom Ende der Demokratie« in Spanien kritisiert. Der von den Rechten dominierte Allgemeine Justizrat (CGPJ) bezeichnete sie als »Aushöhlung, wenn nicht gar Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit«. Gleichzeitig wurden von den Gerichten unvermittelt mehrere Terrorismusverfahren gegen katalanische Politikerinnen, Journalisten und Aktivistinnen aufgenommen. Offenbar wollte man die Amnestie schnellstmöglich unterlaufen und die knappe Parlamentsmehrheit der Regierungskoalition schwächen.
In diesem Kontext sollten auch die Anzeige und die Ermittlungen gegen Gómez verstanden werden, die in offensichtlich geringem Umfang beruflich mit einer Fluggesellschaft zu tun hatte, die (wie die gesamte Luftfahrtbranche während der Pandemie) von der Regierung finanziell gerettet wurde. Das Verfahren gegen sie wurde von der berüchtigten rechtsradikalen Gruppe Manos Limpias (»Saubere Hände«, benannt nach den italienischen Prozessen der frühen 1990er Jahre) angestrengt, einer selbst ernannten »Antikorruptions«-Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, fadenscheinige Klagen gegen progressive Zielpersonen und -gruppen wie die linke Partei Podemos zu führen. Der von Manos Limpias vorgelegte Bericht enthält allerdings keinerlei handfeste Beweise für jegliche Gefälligkeiten seitens Gómez. Nach Angaben der Gruppe selbst stützt sich die Klage »ausschließlich« auf eine Reihe von Behauptungen, die in rechten Medien verbreitet wurden.
Wie der Korrespondent von Investigate Europe, Manuel Rico, anmerkt, ist »der eigentliche Skandal«, dass ein Richter »einen Antrag auf Einleitung einer strafrechtlichen Untersuchung auf einer solchen Grundlage überhaupt akzeptiert«. Seiner Ansicht nach sei dies rein rechtlich »irregulär« und »unverständlich«.
Die gerichtliche Offensive gegen Gómez ist jedoch kein Einzelfall, sondern kann nur im Rahmen einer breiteren Einmischungskampagne verstanden werden, die reaktionäre Richterinnen und Richter führen, um die Agenda einer der wohl »linkesten« Regierungen Europas zu torpedieren.
Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Führungspersönlichkeit der PSOE den Richter des Obersten Gerichtshofs Manuel Marchena in einem inoffiziellen Gespräch als »den wahren Führer der Opposition« bezeichnete. Auch AuIgnacio Escolar, der Chefredakteur der Zeitung El Diario, schrieb bereits 2021: »In Spanien gibt es ein Problem mit der Gewaltenteilung [...] Und es ist nicht die Regierung, die die ihr zugewiesenen Befugnisse überschreitet, sondern die Judikative.« Letztere versuche demnach, »Funktionen auszuüben, die ihr nicht zustehen, und mischt sich in die Politik ein [...] Seit geraumer Zeit agiert die politische Rechte in Abstimmung mit dem rechten Flügel der Justiz.«
Während der vorangegangenen PSOE-Podemos-Koalitionsregierung von 2020 bis 2023 zeigte sich diese Koordination am deutlichsten in mehreren dubiosen strafrechtlichen Ermittlungen gegen hochrangige Ministerinnen und Minister. Staatsanwälte, Richterinnen und Polizei arbeiteten wiederholt zusammen, um die Autorität der gewählten Regierung zu sabotieren. Die Ermittlungen gegen Innenminister Fernando Grande-Marlaska (PSOE) im Jahr 2020 endeten damit, dass hochrangige Polizeifunktionäre der Guardia Civil (einschließlich des kommandierenden Offiziers in der Region Madrid) ihrer Posten enthoben wurden, weil sie einen wichtigen Bericht gefälscht hatten. Der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Pablo Iglesias (Podemos) war ebenfalls monatelang Gegenstand gerichtlicher Ermittlungen und eines Medienrummels, weil er den Diebstahl des Handys seiner Assistentin vorgetäuscht haben sollte. Letztlich stellt sich heraus, dass das Mobiltelefon von einem korrupten Polizeibeamten entwendet worden war, der Iglesias und Podemos ausspionierte.
»Die aktuelle Justizoffensive geht auf den Kampfaufruf der rechten Galionsfigur José María Aznar im vergangenen November zurück.«
Ebenfalls angeklagt war die Ex-Außenministerin Arancha González Laya. Ihr wurde Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit der Einreise des Chefs der Polisario-Front – der nationalen Befreiungsbewegung in der Westsahara – nach Spanien zur medizinischen Versorgung vorgeworfen. Gegen die ehemalige Gleichstellungsministerin Irene Montero wurde ermittelt, weil sie ihre Regierungsberaterin als Kindermädchen »benutzt« haben soll (der Hauptbeweis dafür war ein kurzes Video, in dem die Beraterin das Kind hält).
Keine der Ermittlungen führte zu einem Prozess. Doch die Tatsache, dass einige der obersten Richter Spaniens offenbar bereit waren, auf fadenscheinigsten Grundlagen Verfahren gegen Regierungsbeamte zu eröffnen, sorgte dafür, dass Sánchez’ Team monatelang in absolut unnützen Auseinandersetzungen verwickelt war. So wurde eine Atmosphäre geschaffen, die insbesondere die konservative Partido Popular und die rechtsradikale Vox ausnutzen konnten. Íñigo Errejón, ein Abgeordneter des Linksbündnisses Sumar, betont daher, bei der jüngsten Debatte um Ministerpräsident Sánchez gehe es nicht um einen einzelnen Politiker, sondern um die Tatsache, dass »die Rechte es der Linken schlichtweg unmöglich macht, in diesem Land unter normalen Bedingungen zu regieren«. Die Rechte und die reaktionären Staatsapparate nutzen demnach »ihre beträchtliche institutionelle Macht, um eine unhaltbare Situation [für die Regierung] zu schaffen«.
Die aktuelle Justizoffensive, wozu auch der Fall Gómez zu zählen ist, geht auf den Kampfaufruf der rechten Galionsfigur José María Aznar im vergangenen November zurück. Damals – als klar wurde, dass die Amnestieverhandlungen zwischen der PSOE und den katalanischen Parteien fortgeschritten waren und die neue Linkskoalition kurz vor dem Amtsantritt stand – warnte der frühere Premier: »Pedro Sánchez ist eine Gefahr für Spanien [...] Wir stehen vor einer noch nie dagewesenen Verfassungskrise.« Er rief unmissverständlich auf: »Wer etwas tun kann, sollte es tun, und wer etwas beitragen kann, sollte es tun. Es gibt keinen Raum mehr für Zurückhaltung.«
Während Polizeigewerkschaften, Staatsanwälte und Richterverbände in den darauffolgenden Tagen gegen die Amnestie mobil machten und sich dabei einer Sprache bedienten, die sich nicht von der Rhetorik der Partido Popular unterscheiden ließ, gingen auch rechtsextreme Demonstrierende auf die Straße und belagerten über einen Monat lang in aufeinanderfolgenden Nächten das Hauptquartier der PSOE. Errejón schrieb in El Diario, dass es sich dabei weniger um einen orchestrierten Plan handelte als um »einen [politischen und sozialen] Block, der sich eher organisch als mechanisch bewegt – mit internen Reibungen und Widersprüchen, mit extremeren Sektoren und anderen, die zurückhaltender sind [...] aber alle bewegen sich in eine gemeinsame Richtung«. Ziel war es demnach, »die noch nicht gebildete Regierung einzukesseln, sie von Anfang an in die Defensive zu drängen und ihren Handlungsspielraum möglichst weit zu begrenzen«.
Folgend auf die Amtseinführung hat die Rechte zwei Stoßrichtungen in den Gerichten verfolgt. Die erste besteht darin, die potenzielle Wirksamkeit des Amnestiegesetzes zu schwächen und seine Umsetzung unmöglich zu machen. Als die Frist für eine Einigung zwischen der spanischen Regierung und den Unabhängigkeitsbefürwortern Anfang März ablief, erhöhte der Oberste Gerichtshof des Landes den Druck, indem Anklage gegen den früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont als »offiziellen Verdächtigen in einem Terrorismusfall« erhoben wurde.
Die Anklage gegen Puigdemont bezieht sich auf dessen angebliche Führungsrolle bei der Massenbesetzung des Flughafens von Barcelona im Jahr 2019 durch Tausende von Unabhängigkeitsbefürwortern – ein Protest, der nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs die Kriterien für »Terrorismus geringer Intensität« erfüllt. Absurderweise begründete das Gericht dies damit, dass die Demonstrierenden »gefährliche Gerätschaften und Gegenstände mit einer ähnlichen Zerstörungskraft wie Sprengstoff verwendeten; beispielsweise Feuerlöscher, Glas- und Aluminiumplatten, Zäune, Metallkarren oder Gepäckwagen«. Diese Auslegung wurde in einem Leitartikel der Zeitung El País als »mindestens polemisch« und »rechtlich sehr unsicher« bezeichnet.
Da Terrorismus eine der wenigen Straftaten ist, die nicht unter das vorgeschlagene Amnestiegesetz fallen, erschwert die Anklage gegen Puigdemont sowohl seine als auch die Rückkehr anderer katalanischer Exilanten in ihre Heimat, selbst wenn das geplante Amnestiegesetz im Sommer in Kraft tritt. Derweil wurden der Journalist Jesús Rodríguez und drei Unabhängigkeitsbefürworter ebenfalls ins Exil gezwungen, während die Verhandlungen über das Amnestiegesetz noch liefen: Der reaktionäre Richter Manuel García-Castellón hatte sie vor der Audiencia Nacional in einem weiteren »Terrorismusverfahren« angeklagt.
»Bis jetzt hat sich die PSOE an die alten Spielregeln und den Versuch eines parteiübergreifenden Konsens gehalten, aber eine radikalisierte Rechte sieht darin nichts anderes als eine Schwäche, die es auszunutzen gilt.«
Hinzu kommt eine zweite Angriffsstrategie: der Versuch, das juristische Manöver zu wiederholen, das im vergangenen Jahr den portugiesischen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten António Costa zu Fall gebracht hat. Viele in der spanischen Linken waren überrascht, wie schnell Costa zurücktrat, vor allem nachdem sich nach seinem Rücktritt herausstellte, dass er zu Unrecht verdächtigt wurde – in den Dokumenten der Staatsanwaltschaft war lediglich von einem Wirtschaftsminister die Rede, der einen nahezu identischen Namen trug. Ein kürzlich aufgetretener tatsächlicher Korruptionsskandal in der PSOE, bei dem es um Verträge aus der Pandemiezeit ging, konnte derweil nicht auf Sánchez zurückgeführt werden. Die Rechte konnte in dem folgenden Medienrummel aber (offenbar unbelegte) Geschichten über seine Frau ausfindig machen und diese nutzen.
Die Berichte über Gómez konzentrierten sich auf einen geplanten Sponsoringvertrag über 40.000 Euro pro Jahr zwischen dem von ihr geleiteten Forschungszentrum an der Madrider Hochschule IE und der Fluggesellschaft Air Europa, der aufgrund der Pandemie nicht zustande kam. Letztendlich scheint die Gesamtsumme dessen, was die IE von Air Europa aus dem vorgeschlagenen Sponsoringvertrag erhalten hat, vier Flugtickets zu betragen. Das reichte der rechten Presse aus, um wochenlang Schlagzeilen über die angeblich »verschwenderischen Gefälligkeiten« zu machen, die Gómez von der Airline-Geschäftsleitung erhalten habe, was letztlich zur Anklage von Manos Limpias gegen Gómez führte.
Einer der Presseberichte, die den Kern der Manos-Limpias-Klage ausmachen, wurde bereits zurückgezogen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich bei den vermeintlichen öffentlichen Geldern, die Gómez erhalten und die Regierung vertuscht haben sollen, in Wirklichkeit um einen Zuschuss handelte, der an eine andere Person gezahlt wurde, die denselben Namen trägt wie die Frau des Ministerpräsidenten. Dennoch akzeptierte der Richter, dessen Tochter übrigens Stadträtin für die konservative Partido Popular ist, dies als eine Teil-Grundlage für die Einleitung einer strafrechtlichen Ermittlung.
Angesichts der Medien- und Justizoffensive der Rechten musste Sánchez überlegen, wie er nun weiter vorgehen will. Viele Kommentatoren sehen in seinem offenen Brief und dem angedrohten Rücktritt einen Versuch, den progressiven Teil der spanischen Gesellschaft hinter sich zu vereinen, um wieder das Steuer zu übernehmen und nicht von den konservativen Kräften vor ihnen hergetrieben zu werden. Der Journalist Daniel Bernabe interpretierte die Botschaft von Sánchez so: »Wenn ich mit diesem [Medientrubel] allein gelassen werde, trete ich zurück, aber wenn ich das Gefühl habe, dass es ein gesellschaftliches Nachdenken und eine Welle der Unterstützung gibt, werde ich weitermachen.«
Am Wochenende fanden mehrere Demonstrationen zur Unterstützung des Ministerpräsidenten statt. Auch die Linke sah es als wichtig für die Zukunft der progressiven Regierung und der spanischen Demokratie im Allgemeinen an, den PSOE-Chef zu verteidigen.
Ein PSOE-Funktionär sagte mir schon vor seiner Entscheidung, im Amt zu bleiben: »Sánchez ist ein politisches Tier, ein Killer. Es ist ausgeschlossen, dass er wirklich geht.« Da er nun tatsächlich Ministerpräsident bleibt, sollte er sich direkter mit der übermäßigen Macht des rechten Flügels in den Gerichten auseinandersetzen. Denn bei all seiner Courage als politischer Akteur war Sánchez bisher sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, sich mit der politisierten Justiz des Landes auseinanderzusetzen.
Insbesondere muss die Regierung eine Gesetzesänderung zur Neubesetzung des Allgemeinen Justizrates priorisieren. Dieser ist das staatliche Gremium, das alle Ernennungen für den Obersten Gerichtshof und die Audiencia Nacional kontrolliert, und hat eine nicht mehr zu rechtfertigende konservative Mehrheit, seit die Amtszeit im Dezember 2018 ablief. Dass es seitdem keine Neuaufstellung des Gremiums gab, ist darauf zurückzuführen, dass die Partido Popular mit einer Taktik, die direkt aus dem Playbook der US-Republikaner stammen könnte, die gesetzeskonforme Neubesetzung blockiert.
Bis jetzt hat sich die PSOE an die alten Spielregeln und den Versuch eines parteiübergreifenden Konsens gehalten, aber eine radikalisierte Rechte (sowohl im Parlament als auch in den Gerichten) sieht darin nichts anderes als eine Schwäche, die es auszunutzen gilt. Dem muss endlich ein Ende gesetzt werden.
Eoghan Gilmartin ist Journalist und Übersetzer, der für »Jacobin« und »Tribune« über spanische Politik berichtet.