04. September 2020
Die Initiative »Schule in Not« arbeitet in Berlin daran, die Schulreinigung in die öffentliche Hand zurückzuführen. Dazu hat sie der Sparpolitik den Kampf angesagt. Zwei Aktive berichten.
Demonstration für »Saubere Schulen«
Seit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl in den 1980er Jahren setzte sich in Deutschland die Überzeugung durch, dass sich die chronisch leeren öffentlichen Kassen durch die Privatisierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsfürsorge und der öffentlichen Infrastruktur füllen lassen – und, dass Dienstleistungen dadurch auch grundsätzlich besser und billiger würden. Beispiele dafür sind etwa der Verkauf von kommunalen Wohnungsbeständen, Krankenhäusern, Wasser- und Elektrizitätswerken und eben auch die Reinigung von Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden. So wurde auch in Berlin seit den 1970er Jahren und verstärkt seit den 1990er Jahren die Schulreinigung in den Bezirken privatisiert.
Heute werden die Reinigungsaufträge alle paar Jahre neu ausgeschrieben. Meist bekommen die billigsten Firmen den Zuschlag. So unterbieten die privaten Reinigungsunternehmen sich gegenseitig. Zeitdruck und Stress werden an die Reinigungskräfte weitergegeben, Gewinne nicht. Ergebnis dieser Praxis ist aber keine bessere Dienstleistung, sondern schlechter Lohn, prekäre Arbeitsbedingungen für die Reinigungskräfte gepaart mit schlechter Qualität und Unzufriedenheit bei allen direkt Betroffenen. In einigen Städten Deutschlands wurde das Rad deshalb schon wieder zurückgedreht. Freiburg, Dortmund, Bochum, Grevenbroich haben die Gebäudereinigung zurück in kommunale Verantwortung geholt, haben rekommunalisiert. Und das soll jetzt auch in Berlin passieren.
In Berlin kommen Eltern regelmäßig zu Putztagen in die Schulen, manche Kinder trinken in der Schule kaum, um nicht auf die völlig verdreckten Toiletten gehen zu müssen und Hausmeisterinnen, Hausmeister und Schulleitungen verbringen Stunden damit, Beschwerden zu schreiben, die oftmals von den Bezirksämtern ignoriert werden. Und Reinigungskräfte berichten von unbezahlten Überstunden und immer weniger Zeit für zu große Flächen. Schlechte Reinigung an Schulen ist ein berlinweites Problem. Die Berichte von Betroffenen schwanken zwischen »katastrophal« und »gut ist anders«. Beschwerden über dreckige Schulen und schlechte Arbeitsbedingungen in der Schulreinigung gibt es bereits seit Jahren. Trotzdem änderte sich lange Zeit nichts.
Seit Sommer 2019 läuft in Berlin die Kampagne »Saubere Schulen«. Getragen wird sie von unserer Initiative »Schule in Not«. Wir haben uns Anfang 2019 gegründet, um uns für bessere Lern- und Arbeitsbedingungen an Berliner Schulen einzusetzen. »Saubere Schulen« ist unsere erste Kampagne, die auf wenigen klaren Forderungen beruht: Die Berliner Bezirke sollen die Reinigungskräfte wieder direkt anstellen, nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlen und ihnen ausreichend Zeit für ihre Arbeit zur Verfügung stellen.
Die Grundideen der Kampagne sind einfach: Wir beziehen die Leute ein, die im Umfeld von Schule arbeiten oder selbst mit Schule zu tun haben – Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Eltern, Schülerinnen und Schüler, Hausmeisterinnen und Hausmeister oder Reinigungskräfte – und bringen sie zusammen. Dazu arbeiten wir schul- und bezirksübergreifend. Schließlich handelt es nicht um Einzelfälle an bestimmten Schulen, sondern um strukturelle Probleme. In der Vergangenheit hatten meist einzelne Eltern oder Gruppen an einer Schule versucht, die Reinigungssituation vor Ort zu verbessern, oft ohne viel Erfolg. Denn strukturelle Probleme brauchen gemeinschaftliche und schul- und bezirksübergreifende Ansätze.
Die Basis unserer Arbeit ist das direkte Gespräch. Wir gehen an die Schulen, sprechen dort mit den Betroffenen und Interessierten der verschiedenen Gruppen. Außerdem bleiben wir in Kontakt und fragen die Menschen, ob sie aktiv werden wollen. Und unsere Erfahrung zeigt: Sehr viele Menschen wollen sich einbringen!
Hauptwerkzeug unserer Kampagne »Saubere Schulen« sind direktdemokratische Beteiligungsformate auf kommunaler Ebene – Bürgerbegehren und Einwohneranträge. Das sind Unterschriftensammlungen, an die ein formales Verfahren geknüpft ist und mit denen man die Bezirke zur Auseinandersetzung mit lokalpolitischen Themen zwingen kann. Entscheidend für unsere Arbeit ist, dass wir diese Unterschriftensammlungen genutzt haben, um Menschen mit einzubeziehen, so dass sie selbst aktiv werden können. Von den berlinweit mittlerweile über 25.000 Unterschriften für »Saubere Schulen« haben wir Aktivistinnen und Aktivisten nur einen Teil selbst gesammelt. Den weitaus größeren Anteil haben Eltern, Lehrkräfte und Bürgerinnen und Bürger an ihren Schulen, bei Weihnachtsmärkten, Schulbasaren oder im privaten Umfeld eingeholt. Auch bei den Demonstrationen, die wir organisiert haben, hatten wir eine rege und bunte Beteiligung: Reinigungskräfte und Schulleitungen, Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte. Die Wortbeiträge auf unseren Demos waren meist mehrsprachig.
Auch bei den Gesprächen, die mit Bezirkspolitikern stattfanden, haben wir immer versucht, Betroffene selbst zu Wort kommen zu lassen, und Räume zu schaffen, in denen nicht nur Eltern, sondern auch Reinigungskräfte politischen Entscheidungsträgerinnen direkt gegenübersitzen. Dass wir an diesem Anspruch auch manchmal gescheitert sind, hat viele Gründe. Als zentral erscheint uns hierbei die Angst, die bei vielen Kolleginnen und Kollegen in der Reinigung herrscht. Mit uns reden sie gerne. Doch viele trauen sich nicht, mit den Medien oder auch nur halböffentlich mit Bezirkspolitikerinnen und -politikern zu sprechen. Zu groß ist die Angst, dass sie ihren Job verlieren könnten, wenn der Arbeitgeber das mitbekommt.
Dass es uns nicht immer gelingt, unseren Ansprüchen gerecht zu werden, ist erst recht ein Grund, weiter zu machen. Denn in der Auseinandersetzung lernen wir eine Menge. Auch was wir in Zukunft in unserem Aktivismus besser machen können. Außerdem ist unsere Arbeit erfolgreich. Das zeigen die Entwicklungen des letzten Jahres, das Engagement der über hundert Unterstützenden und die handfesten politischen Erfolge.
Was als Kampagne für »Saubere Schulen« im Sommer 2019 in Neukölln begonnen hat, ist mittlerweile berlinweite in neun von zwölf Bezirken aktiv . Wir haben es geschafft, das Thema Rekommunalisierung in Berlin zum öffentlichen Thema zu machen, für das sich viele Menschen begeistern. Hauptstadtpresse und Fernsehbeiträge vom Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) oder auch Monitor (WDR) haben darüber wiederholt berichtet. Die Gewerkschaften – der DGB, ver.di, die GEW und IG BAU – unterstützen unsere Forderung nach der Rekommunalisierung der Schulreinigung mittlerweile offiziell und wir arbeiten bei der Kampagne gut und eng zusammen.
Der größte politische Erfolg ist, dass die Bezirksverordnetenversammlungen (Kommunalparlamente) in sechs von zwölf Berliner Bezirken bereits beschlossen haben, dass sie die Reinigungskräfte für die Schulen wieder im Bezirk anstellen wollen. Weitere Bezirke werden folgen. Außerdem hat unser Druck dazu geführt, dass für das Doppeljahr 2020/21 zusätzliche 16 Millionen Euro für eine bessere Schulreinigung zur Verfügung gestellt wurden. Geld, von dem jetzt in der Corona-Zeit zusätzliche Reinigungen für die Berliner Schulen finanziert wurden. Auch die Landesebene kommt an dem Thema nicht mehr vorbei. Die rot-rot-grüne Koalition hat einen regelmäßig tagenden »Runden Tisch Schulreinigung« einberufen.
Jetzt steht die Kampagne vor der Herausforderung die Umsetzung der politischen Beschlüsse zu begleiten und auch durchzusetzen. Wir haben ganz klar die Erwartung, dass die Bezirke und die rot-rot-grüne Koalition noch in dieser Wahlperiode wieder Reinigungskräfte im öffentlichen Dienst anstellt und damit die Umsetzung auf den Weg bringt. Außerdem muss berlinweit ein klarer Zeitplan abgestimmt werden. Ver.di hat hier mit einem gerade intern veröffentlichten Praxisleitfaden zur Rekommunalisierung der Reinigung einen möglichen Fahrplan aufgezeigt. Jetzt liegt es an den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, ihren politischen Beschlüssen und Willensbekundungen auch Taten folgen zu lassen. Und um das gleich vorweg zu nehmen: Eine mit der Corona-Krise begründete neue Sparpolitik kann keine Antwort auf die Frage sein, was uns gute Bildung und Arbeit eigentlich wert ist.
Die Initiative »Schule in Not« wird den Prozess der Umsetzung weiter aktiv begleiten. Wir haben uns als eine progressive, überparteiliche, antirassistische Initiative in der Hauptstadt etabliert, die sich für bessere Lern- und Arbeitsbedingungen an Berliner Schulen einsetzt, und wir werden unseren Forderungen immer wieder – auch auf unbequeme Weise – Gehör verschaffen. Außerdem werden wir weitere Felder der Auseinandersetzung in Bildungs- und Gesellschaftspolitik aufmachen, als nächstes auf dem Feld der Inklusion. Schließlich hat auch hier die jahrelange Sparpolitik negative Folgen nach sich gezogen.
Wir wollen auch weiterhin in zusammen mit anderen Gruppen und Betroffenen arbeiten und den methodischen Erfolg der Kampagne »Saubere Schulen« auf dieses Thema übertragen. Wie alle ehrenamtlichen Initiativen stehen wir vor der Herausforderung, ausreichend Zeit und auch finanzielle Ressourcen aufzubringen. Wir arbeiten bisher ehrenamtlich, sind für die weitere, dauerhafte Arbeit allerdings auf Unterstützung angewiesen. Und wir sind überzeugt, dass unsere gesamtgesellschaftlich wichtigen Anliegen auch die nötige Unterstützung finden werden.
Die Rekommunalisierung der Schulreinigung mag bloß ein kleiner Schritt sein, er zeigt aber, dass in manchen Bereichen die herrschende finanzpolitische Orthodoxie gekippt werden kann. Denn Sauberkeit in der Schule und die damit verbundenen Arbeitsbedingungen derjenigen, die die Schulen putzen, ist ein Anliegen, dass viele verschiedene Berufs- und Bevölkerungsgruppen über Klassen und Milieus hinweg verbindet. Letztlich ist die Rekommunalisierung eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität – ein Wert, der in den Jahren der neoliberalen Austeritätspolitik unter die Räder gekommen ist, genauso wie auch der Anspruch dass Aufgaben der Daseinsfürsorge nicht den Prinzipien des Marktes untergeordnet, sondern verlässlich von der öffentlichen Hand gewährleistet werden sollten. Wenn es das Anliegen des Staates ist, Schulen und andere öffentliche Gebäude für so wenig Geld wie möglich reinigen zu lassen, dann muss er sich, aber auch folgenden Fragen stellen: Was sind uns gute Bildung und gute Arbeitsbedingungen eigentlich wert? Ist es wichtiger, dass private Firmen Gewinne einfahren, auch wenn dies zu Lasten derjenigen geht, die für Sauberkeit und Hygiene sorgen und die in öffentlichen Einrichtungen lernen und arbeiten müssen?
Städte wie Bochum, Freiburg oder aktuell Düsseldorf zeigen, dass die Rekommunalisierung von Schulreinigung gelingen kann. Das Ganze ist jedoch kein Selbstläufer. Politische Entscheiderinnen und Entscheider auf allen Ebenen, von der Kommune über die Landesebene bis zum Bund, müssen durch progressive Kräfte dazu bewegt werden, das Outsourcing wichtiger Aufgaben der Daseinsfürsorge zurückzudrehen.
Dass das keine einfache Aufgabe ist, haben wir im letzten Jahr zur Genüge erfahren. Zu Beginn schlug uns Hoffnungslosigkeit und Resignation ob der bestehenden Umstände entgegen. Die Mär der leeren öffentlichen Kassen haben viele verinnerlicht. Von der Schulleitung, die lieber die Eltern und Lehrkräfte regelmäßig zum Putzen einspannt als mit dem Bezirksamt zu kämpfen, über die Eltern, denen Rekommunalisierung zu sehr nach Sozialismus klingt, bis hin zu den Bezirksverordneten und Mitarbeitenden der Bezirksämter, die achselzuckend sagen, dass nun mal kein Geld da sei. Doch je länger unsere Kampagne läuft, desto mehr Hoffnung spüren wir. »Endlich, die Zeit des Abwartens ist vorbei«, schrieben uns Eltern. Was wir gemeinsam in wenigen Monaten auf die Beine gestellt haben, macht Mut. Mut für all jene, die gesellschaftliche Missstände kennen, aber der Meinung sind, »dass sich sowieso nichts ändert«; »dass die Ottonormalbürgerin und der Ottonormalbürger sowieso keinen Einfluss hat.« Für die Aktiven von »Schule in Not« gehört die Kampagne »Saubere Schulen« jedoch zu den ermutigensten Erfahrungen der letzten Jahre. Denn sie hat gezeigt, dass sich an bestehenden Verhältnissen sehr wohl etwas ändern lässt, dass wir uns als Berlinerinnen und Berliner sehr wohl bei denen, die politisch verantwortlich sind, Gehör verschaffen können. Und es fühlt sich verdammt gut an, mit ein paar Dutzend Mitstreiterinnen und Mitstreitern in einer Millionenstadt wie Berlin etwas zu bewegen.